Читать книгу The Butterfly Tales: Imogen - Nadja Losbohm - Страница 8

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Wie lange hatte er geschlafen? Blake wusste es nicht. Es konnte allerdings keine Stunde gewesen sein. Es war nach wie vor mitten in der Nacht; das Feuer nicht viel mehr heruntergebrannt. Und doch war er hochgeschreckt durch ein lautes Geräusch, das aus den Tiefen des Waldes zu ihnen gedrungen war. Nun war es jedoch still. Er saß aufrecht auf seiner Decke, mit der Hand an seinem Schwert, das er aus Erfahrung stets bei sich behielt ganz gleich, ob er schlief oder wachte. Blake vernahm lediglich den kräftigen Schlag seines eigenen Herzens, der in seinen Ohren dröhnte, und das aufgeregte Schnaufen Arrens.

„Was war das?“, fragte dieser, griff zu seinem Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne, bereit ihn abzuschießen auf das, was womöglich auf sie zukam.

„Ein Tier?“, mutmaßte Blake. „Ein Mensch?“

„Ein Mensch, der uns Böses will, wäre darauf bedacht, sich geräuschlos zu bewegen“, erwiderte Arren.

„Einigen wir uns also auf ein Tier“, meinte Blake flüsternd.

„Von mir aus“, brummte sein Partner, hielt weiter Ausschau und lauschte. Die Aussicht auf einen Angreifer aus der Fauna ließ die beiden Männer sich beruhigen, bis abermals ein lautes Knacken die Stille des Waldes zerriss. Dieses Mal jedoch war es näher, was bedeutete, dass was auch immer weiter an sie herangekommen war. Die Geräusche von brechendem Holz nahmen zu, folgten in immer kürzeren Abständen und mischten sich mit einem Seufzen und Stöhnen.

Arren und Blake wechselten verwirrte Blicke. Welches Tier gab solche Laute von sich? Kein ihnen bekanntes jedenfalls. Die zwei Meuchelmörder brachten sich in Verteidigungsposition. Rücken an Rücken stehend, sich gemeinsam im Kreis drehend, suchten sie die blauen und schwarzen Schatten um sich herum ab. Schließlich machte Blake eine Bewegung in ihnen aus. Es war etwas Großes, noch Dunkleres, das da zwischen den Bäumen hervor getaumelt kam. Eine seltsame Gestalt, die Silhouette menschenähnlich und doch wieder nicht.

„Was ist das?“, hauchte er, kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt vor.

Arren wirbelte zu ihm herum, aufgeregt fragend: „Was? Wo denn?“ Die Spitze seines Pfeils auf der Bogensehne zeigte in schnellem Tempo hierhin und dorthin, bis seine Augen das erfassten, dem Blakes ganze Aufmerksamkeit galt. „Was ist das, zum Henker noch eins?“, fragte der Schütze und richtete seine Waffe auf es. Blake zuckte mit den Achseln, trat einen weiteren Schritt vor und reckte den Hals, als könnte er so mehr erkennen.

„Ein Tier ist es jedenfalls nicht“, merkte er an, obgleich er sich dessen nicht ganz sicher war. Denn welches Wesen gab es, das derart ungleich gebildet war: groß und schlank mit zwei Beinen und Armen, aber mit einem merkwürdigen Auswuchs, der vom Rumpf abstand? Einst hatte Blake in einer Gasse darauf gewartet, dass ein Auftrag vorbeikam, als er dem bunten Treiben auf dem Marktplatz lauschen musste, wo ein Puppenspieler für die Kinder Gruselgeschichten darstellte. Über missgebildete Menschen, Monstern aus der Hölle und geflügelten Dämonen hatte er erzählt, was die Kleinen vor Spannung zum Aufkeuchen gebracht, die Eltern jedoch entsetzt hatte. Sie ahnten bereits, welche Auswirkung die mittägliche Erzählstunde über solcherlei Kreaturen mit ihren Sprösslingen in der Nacht anrichten würde. Und nicht wenige zerrten ihre plärrenden Gören von dort fort in der Hoffnung, dass der Schaden noch nicht allzu groß war.

Blake hatte damals den Kopf darüber geschüttelt, sowohl über die Menschen als auch über die Hirngespinste, die sich der Puppenspieler ausgedacht hatte. Mit keinerlei Faser seines Herzens hatte er dessen Worten geglaubt. Monster und Dämonen mit grausigen Fratzen, Fabelwesen und Magie – er war viel gereist, hatte viel gesehen und erlebt, aber in keiner noch so unwirtlichen Gegend hatte er derlei je zu Gesicht bekommen. So etwas gab es schlicht und ergreifend nicht! Aber was war es dann, das da im Wald umher wankte?

Blake schüttelte den Kopf. Es musste eine völlig normale Erklärung dafür geben, und er würde sie schon sehr bald erhalten, denn die Gestalt taumelte immer weiter in seine und Arrens Richtung. Je näher sie kam, desto mehr enthüllte der Schein des brennenden Lagerfeuers an ihr, und nur zwei Wimpernschläge später hockte Blakes Antwort zu seinen Füßen. Mit weit aufgerissenen Augen und dem Ausdruck der Überraschung und des Unglaubens im Gesicht starrte er nach unten, unfähig sich zu bewegen oder zu reden. Doch er wusste mit Sicherheit eins: Es war an der Zeit, dass er seine Meinung über Märchenfiguren änderte. Denn vor ihm kniete ein menschlicher Schmetterling.

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Prinz Anrai hielt sich lachend den Bauch. „Ich kann mir sein Gesicht so gut vorstellen“, japste er.

Prinzessin Laoghaire kicherte. „Es tut ihm gut, eines Besseren belehrt zu werden. Es gibt nun einmal mehr, als unsere Augen sehen können“, sagte sie, selbst überzeugt davon, dass es in ihrer Heimat Kobolde, Trolle und Feen gab. Ihr Bruder winkte nur ab. Die altkluge Art seiner Schwester war ihm nur allzu sehr vertraut.

„Machst du weiter?“, fragte er, und die Prinzessin nickte.

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Ein verdammter Schmetterling saß da vor ihm! Nun gut, ihm fehlte ein Flügel, aber es war ein Schmetterling. Wie konnte das sein? Sicher halluziniere ich, dachte er.

„Arren, sag mir, dass ich das träume“, sagte er, das Wesen zu seinen Füßen nicht aus den Augen lassend.

„Ich wünschte, ich könnte. Aber ich sehe es auch. Das bedeutet also, entweder träumen wir beide dasselbe oder es ist tatsächlich real“, entgegnete Arren, der den Pfeil samt Bogen gesenkt hatte.

„Aber das ist nicht möglich“, flüsterte Blake, ging in die Knie und streckte die Hand nach dem sonderbaren Geschöpf aus. Seine Fingerspitzen berührten sachte die Haut des Gesichts und zogen sich umgehend zurück. Es war also keine Einbildung. Es – sie war echt, so wie er und Arren echt waren, wenn auch nicht so hübsch wie sie, denn das war sie zweifellos: ein zauberhafter Schmetterling in Menschengestalt, eine wunderschöne Frau mit allem Drum und Dran, wie Blake mit einem forschenden Blick erkannte, plus Flügeln. Obwohl, einer fehlte ihr. Die Erkenntnis hatte kaum angefangen sich zu setzen, da packte sie seine Hand und hielt sie fest umschlossen. Im allerletzten Moment gelang es ihm, sich abzufangen, bevor er mit ihr zusammenstoßen konnte.

„Bitte, helft mir“, flehte sie, ihre Stimme so lieblich und wohlklingend, als wäre sie wie auch ihre einzigartige Gestalt einem Kinderbuch entstiegen. „Sie sind hinter mir her.“ Das klang jedoch nicht sehr märchenhaft.

„Wer?“, wollte Blake wissen. Neben ihm schickte sich Arren an, nach ihren Verfolgern Ausschau zu halten.

„Sie haben mir das angetan“, gab der Schmetterling als Antwort, mittlerweile Blakes Hand so fest umschließend, dass er das Gefühl in ihr verloren hatte. Mit Mühe lockerte er ihre Finger um sie, packte sie an den Schultern und hob sie hoch, damit sie auf ihren zwei Beinen stand. Er war erstaunt darüber, wie leicht sie war, aber wenn ein Schmetterling fliegen wollte, musste er auch leicht sein, nicht wahr?

Er schüttelte den Kopf. Wie war es möglich, dass er sich über derlei Dinge Gedanken machte?

„Wer sind sie?“, hakte er nach. Die Ungeduld fing langsam an, von ihm Besitz zu ergreifen, auch die Besorgnis, dass wer auch immer hinter ihr her war, schon bald zu ihnen stoßen würde.

„Es waren andere meinesgleichen“, antwortete sie.

„Es gibt noch mehr von deiner Art?“, fragte Blake. Geschöpfe dieser Größe und Anmut waren nicht einfach zu übersehen. Wieso war er ihnen noch nie zuvor begegnet, hatte noch nie auch nur ein Flüstern über ihre Existenz vernommen?

„Viele, sehr viele gibt es von uns. Helle und dunkle, gute und böse, loyale und untreue, Beschützer und Rebellen“, erklärte sie ihm.

„Schon gut, schon gut. Ich habe verstanden“, würgte er sie ab, bevor sie weitere Gegenüberstellungen hervorbringen konnte. „Ich nehme an, du bist eine von der guten Sorte?“

Sie nickte. „Du erkennst es an meiner Farbe.“ Blake betrachtete sie von oben bis unten, wie sie sich an seinen Arm klammerte, um nicht umzufallen. Ihr musste Schreckliches widerfahren sein. Nicht nur, dass ihre eigene Art ihr einen ihrer Flügel genommen hatte. Sie musste auch schon lange auf der Flucht sein, so kraftlos wie sie war. „Die Farbe meiner Flügel oder besser gesagt meines Flügels -“, Tränen erstickten ihre Stimme und es dauerte einen Moment, bis sie weitersprechen konnte, „ist Gelb. Sie steht für Freude, Glück, Hoffnung und für bevorstehendes Gutes. Normalerweise gilt all dies dem, der einen gelben Schmetterling sieht. Aber ich hoffe, dieses eine Mal gilt dies mir, nun da ich euch gefunden habe.“

Blake sah ihr einen Moment lang schweigend in die Augen, die golden leuchteten. So viel Angst stand in ihnen. Der gehetzte Ausdruck in ihnen, das Flehen um Hilfe und Schutz, das aus ihnen sprach – all das berührte etwas in ihm, sodass er einwilligte, ihr zu helfen.

„Weißt du, ob sie immer noch hinter dir her sind?“, wollte er wissen.

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete sie. „Manchmal dachte ich, sie wären fort, und dann habe ich doch wieder etwas gehört oder habe das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden.“

Blake rieb sich sein bärtiges Kinn. „In deinen Worten stecken mir zu viele Eventualitäten, um bis zum Morgengrauen hierzubleiben. Der Weg wäre sicherlich einfacher, aber bei vielen Fragezeichen in einer Situation habe ich gelernt, weiterzuziehen“, sagte er und wies Arren an, zusammenzupacken.

„Hast du schon eine Idee, wohin es gehen soll, mein Freund?“, fragte dieser. Blake nickte ohne eine genaue Erklärung zu geben. Arren akzeptierte dies. Er vertraute auf die Fähigkeiten und die Erfahrung seines Partners, um ihm auch ohne das Wissen um ihr Ziel zu folgen. „Hast du eigentlich auch einen Namen, du schönes Geschöpf?“, wandte sich Arren an ihre neue Gesellschaft.

„Imogen“, antwortete sie.

Arren seufzte. „Ein schöner Name für ein schönes Wesen, das den Anbruch eines neuen Lebens einläutet“, sagte er und fügte mit Blick auf Blake hinzu, „oder das auch für eine neue Beziehung steht.“

Blake sah finster über die Flammen des Lagerfeuers hinweg zu ihm. Er konnte nicht glauben und es ärgerte ihn auch, dass sein notwendiges Übel selbst jetzt noch um sein Liebesleben, sein Wohlergehen, sein Seelenheil, oder wie auch immer er es verdammt nochmal nennen wollte, besorgt war und Zeichen sah, wo er Zeichen sehen wollte. Blake ließ den Unsinn unkommentiert und machte sich daran, das Feuer mit Erde zu ersticken.

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Prinz Anrai würgte. „Irgh! Ich hätte es wissen müssen, dass du den Gefühlsaspekt einbringen würdest, kleine Träumerin“, meinte er zu seiner Schwester, die sich mittlerweile ebenso wie er die Stiefel von den Füßen gestreift hatte.

Prinzessin Laoghaire streckte die Beine aus und lockerte die Muskeln in ihnen. „Du magst dir Blake als abgestumpften Grobian vorstellen, der keinen Wert auf Emotionen legt. Aber das ist nicht richtig. Für niemanden. Was auch immer ihn angetrieben hat, den Weg zu gehen und die Dinge zu tun, die er getan hat. Es steckt auch in ihm etwas, das liebenswert ist“, verteidigte sie ihren ersten Beitrag zu ihrer gemeinsamen Geschichte.

Ihr Bruder verdrehte die Augen. Mädchen, dachte er und besonders dieses Exemplar steckte mit seinem Kopf hoch oben in den Wolken und glaubte stets an das Gute in einem Menschen. Selbst dann noch, wenn dieser eigenhändig seine Gräueltaten gestanden hatte. „Ich denke, es ist Zeit, dass ich wieder übernehme“, meinte der Prinz und betrachtete grüblerisch die Tapete.

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The Butterfly Tales: Imogen

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