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Weiss-hellblau-blau

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Das Buch sieht schon von aussen so medizinisch aus, wie eine Zahnpastatubenverpackung: weiss-hellblau-blau. Franka hat es, wie alle ihre Bücher, an einem Abend durchgelesen. Ich hab mir, wie bei jedem Buch, erst mal die Bilder angeguckt: Diagramme als Torten oder Wolkenkratzer. Dann hab ich Listen angeschaut, zum Beispiel diese:

weit überhöhte Aktivität, oh ja! – check. unangemessen gehobene oder gereizte Stimmung, allerdings – check. geringes Schlafbedürfnis, welches Schlafbedürfnis? – check. weniger Hemmungen, leider – check. mehr Geldausgaben, aber hallo – check. ungewöhnliche Unternehmungen, ungewöhnlich ist gut – check. hektische Betriebsamkeit, yes! – check. Sprunghaftigkeit, jawoll – check. Unruhe, allerdings – check. rasende Gedanken und Assoziationen, korrekt – check. Grössenwahn, stimmt – check.

Und so weiter. Ich bin echt vom Glauben abgefallen. Das Buch liest sich wie die Regieanweisungen zu genau dem Film, in dem meine Mutter ist. Bisher hab ich ihr geglaubt, wenn sie jedes Jahr wieder gerufen hat: ENDLICH BIN ICH WIEDER ICH SELBST! Aber jetzt frage ich mich: wenn all ihre Gefühle nach der Pfeife dieser Krankheit tanzen – wer ist eigentlich sie selbst? Wer ist sie minus die Krankheit? Ihre beiden Gesichter sind nicht Versionen von ihr selbst. Es sind die beiden Rollen in einem Drehbuch. Zwei Schauspieler, die abwechselnd in ihrem Körper wohnen und ihn benutzen, wie’s ihnen gerade passt. Diesmal hör ich sie wieder jubeln: endlich bin ich wieder ich selbst! Diesmal jubelt sie allein. Von meinem Fenster aus schau ich auf den Parkplatz. Ein Europcar-Peugeot hat unseren abgemeldeten Käfer zugeparkt. Meine Mutter kommt mit ihren Taschen und Tüten an, schliesst das Mietauto auf, räumt ihr ganzes Geraffel rein, rummst mit Schwung die Türen zu und kurvt los, ich möcht wissen, ob sie weiss wohin.

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