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Schlimmer geht immer - Aufgeben ist keine Option
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Aufgeben ist keine Option
Noch eine halbe Stunde, und hier im Haus herrschte immer noch Chaos. Wie oft hatte ich heute schon das Wohnzimmer gefegt, die Kissen aufgeschlagen? Aber erneut war das Sofa Gegenstand einer Kissenschlacht geworden. Die Kuscheldecke lag achtlos auf dem Couchtisch, die Kissen bunt im Raum verteilt, und auf dem Sofa fand ich die Fernbedienung, den Controller der Playstation und zahlreiche Batterien. Offensichtlich hatte die jemand ausgetauscht und die alten an Ort und Stelle entsorgt. Und der- oder diejenige hatte auch mindestens ein Paket Chips gegessen bzw. verteilt. Jedenfalls lagen zwischen Couchtisch und Sofa unzählige Krümel und im Zeitungskorb eine leere Chipstüte.
Also schnappte ich mir schnell Handbesen und Kehrblech, entsorgte die Chips, warf die leeren Batterien in unsere Recyclinghoftüte, faltete die Decke und platzierte die Kissen wieder mittig auf dem Sofa. Dann folgte der Check im Badezimmer. Nein! Kann hier jemand die Toilette abspülen und vielleicht sogar die Klobürste benutzen? Der Seifenspender leer, das Händehandtuch weg.
Ich war genervt und stand unter Zeitdruck. Noch 20 Minuten. »Kinder, kommt Ihr in zehn Minuten bitte mit zum Bahnhof, die Großeltern abholen?« Keine Antwort. »Kinder!«, ich rief lauter, aber sie hatten sich verkrochen. Sie hatten mir ja auch ungefähr 100 Mal in den letzten Tagen mitgeteilt, dass sie keine Lust hatten auf Besuch, auf Verwandtschaft, auf Großeltern, auf Ausflüge. Aber selbst wenn sie alles doof fanden, konnten sie nicht wenigstens an diesem Tag, dem Ankunftstag ihrer Großeltern, die uns zweimal jährlich besuchten, nicht überall ihr Chaos verteilen?
»Jakob!« Genervt stürmte ich ins Zimmer meines vierzehnjährigen Sohnes. Meines »Problemkindes« wie meine Freunde sagten. Problemkind? Nein, einfach nicht stromlinienförmig, außergewöhnlich – vor allem leider außergewöhnlich anstrengend, so meine Meinung, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt. Das Zimmer leer, er war wohl mal wieder mit »Kollegen« (so sagt der Schweizer zu Schulfreunden) unterwegs.
Der Anblick, der sich mir in seinem Zimmer bot, war ein Albtraum. Der Schreibtisch verwüstet, auf dem Bett jede Menge Klamotten, Jeans, Shirts, alles Mögliche. Ich öffnete den Kleiderschrank, und ein Geruch von modriger, schmutziger Wäsche gemischt mit Tabak strömte mir entgegen. Ich warf blitzschnell alles, was ich fand, in den Kleiderschrank. Dann versuchte ich irgendwie die Tür zu schließen. Schwierig war es bei dem bunten Durcheinander von Kisten, Schulbüchern, Zigaretten, Feuerzeugen und Kleidungsstücken – sauber wie schmutzig. Hier passte nichts mehr rein, außer vielleicht eine Ratte. Aber den Schrank würden sie hoffentlich nicht öffnen, meine Eltern. Ich schmiss mich gegen die Tür. Gott sei Dank, sie ging zu.
Okay, Zimmer fertig! Fertig? Nein, der Sofakasten stand noch zehn Zentimeter auf, die Sitzfläche quer im Raum. Noch zwölf Minuten bis zur Ankunft meiner Eltern. Meine Hände waren schweißnass, und ich spürte, dass ich wieder diesen getriebenen Blick in den Augen hatte, den ich selbst so an mir hasste.
Egal, was ich tat, ich könnte es meinen Eltern nicht recht machen, nicht ich mit meinem Chaoshaushalt, ich, bei der die Theken nie glänzten, die Mülleimer immer schmutzig waren, die Kleidung meist fleckig und die Kinder … ja, die Kinder auch nicht so geraten wie die Enkelkinder ihrer Freunde.
Die Sofakiste war immer noch offen. Ich versuchte die Sitzfläche anzuheben und fand jede Menge Bettwäsche. Gehetzt riss ich sie aus dem schmalen Kasten und dann – dann sah ich es:
Eine Tüte, transparent und in der Größe von ungefähr drei Flugzeugflüssigkeitstüten, die mit dem Zip, in der man am Flughafen vor dem Check-in seine Flüssigkeitsbehälter, Kosmetika und sonstiges bis 200 Milliliter verpacken sollte. Aber das, was ich hier vor mir hatte, war kein Beutel fürs Handgepäck, auch nicht für den Koffer, den man aufgibt.
Ich starrte die Tüte an, nahm sie an mich und verschloss die Zimmertür von innen. Meine Hände zitterten, meine Knie waren weich. Ich hatte das hier noch nie in Realität gesehen, ich, Josefine Kardishi - das naive Blondchen, die anständige Juristin, die niemals auch nur an einer Zigarette gezogen hatte. Ich kannte es nur aus Filmen. Aber es bestand kein Zweifel. Der süßliche Geruch, den ich schon so oft in Jakobs Zimmer beim stundenlangen Wecken am Morgen gerochen hatte, an seinen Jogginghosen in der Waschküche und in seiner Bettwäsche. Es waren Mengen, Mengen an grünen Kugeln – Kugeln aus Cannabis. 100 Gramm? Mehr. 200 Gramm? Mehr.
Der Albtraum begann.