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Kapitel 5: Reisevorbereitungen
ОглавлениеZwei Wochen nach dem ersten und einzigen Treffen im Zug und in Hamburg hatte Jo Geburtstag. Ich hatte mir etwas ganz Besonderes überlegt. Jo stand kurz vor seinem Sommerurlaub auf Bornholm, und ich wollte ich ihn besuchen. Er fehlte mir, und ich träumte von einer gemeinsamen Zukunft, zumindest auf Zeit. Bremen war nicht um die Ecke, aber es stand fest, ich würde in zwei Jahren ganz oder zumindest vermehrt am Hauptsitz in Hamburg arbeiten. Von dort ist Bremen ja nur ein Katzensprung.
Zu seinem Geburtstag erstellte ich ihm ein Video. Zuhause bei mir hatte ich ganz klassisch einen kleinen Geburtstagstisch aufgebaut mit Geburtstagskerzen, Minikuchen und einem blau verpackten Geschenk in der Größe eines Schuhkartons. Ich sandte ihm um Mitternacht das Video. Kaum war ich am nächsten Morgen gegen 6 Uhr wach, rief er mich an, bedankte sich euphorisch und wollte jetzt direkt gemeinsam das Päckchen öffnen, das er auf dem Video gesehen hatte.
»Also, was denkst du, was drin ist?«, fragte ich ihn.
»Ich weiß nicht, aber ich bin sehr gespannt«, antwortete er.
»Wenn du es nicht gut findest, bekommst du etwas anderes«, meinte ich ängstlich.
»Quatsch, es wird mir schon gefallen«, lachte Jo.
Also öffnete ich für ihn vorsichtig die rote Schleife, die ich um den Karton gewickelt hatte. Im offenen Päckchen sah man auf rotem Seidenpapier den großen cremefarbenen Umschlag. Ich nahm ihn heraus und öffnete ihn für Jo. Dann hielt ich den dort enthaltenen Brief in Richtung Mobilphone, sodass er ihn gut lesen konnte. Gutschein für einen Besuch von mir auf Bornholm vom 17.-19. August stand darauf.
Jo lachte. Gott sei Dank, ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er jetzt peinlich betreten reagiert hätte und ihm das zu viel gewesen wäre.
»Du bist verrückt, aber das ahnte ich ja. Ich freue mich«, sagte er. »Verrate mir, wann du ankommst und wie? Kommst du mit der Fähre oder dem Flieger? Aber egal, ich hol dich mit meinem Cabrio ab und zeig dir die Insel.«
Das wäre geklärt. Wie gut, dass es funktioniert hat, dachte ich, also ran an die Organisation. Und diesbezüglich war es fast egal, ob ich ein Wochenende verschwand oder für drei Monate auf Weltreise aufbrach. Mama allein unterwegs – das bedeutete immer schon einen riesigen Berg Arbeit vor der Abreise. Drei Kinder mussten betreut werden. Drei Kinder, die kaum jemand drei Tage am Stück gemeinsam managte. Also mussten sie verteilt werden. Ich hatte seit sechs Monaten ein Au-pair-Mädchen aus Uganda, Patricia. Aber seit sie bei uns lebte, war sie noch nie ein Wochenende mit den Kids allein gewesen. Wozu auch? Ich hatte keinen Freund gehabt und war häufiger unter der Woche mal eine Nacht aus beruflichen Gründen unterwegs, da wollte ich nicht noch mit Freundinnen oder Familie in Deutschland ein ganzes Wochenende ohne Kinder verbringen. Aber auch, wenn sie noch nie zwei Tage mit den Kindern alleine gewesen war, musste sie es jetzt lernen, mit der Unterstützung von Freunden als Entlastung, damit sie nicht anschließend weglief.
»Patricia, könntest du nächstes Wochenende auf die Kinder aufpassen? Ich möchte gerne Jo treffen.« Erzählt hatte ich ihr natürlich schon von dem Mann meiner schlaflosen Nächte.
»I am happy for you«, meinte sie, »and I wish my mother would be as happy as you are. She is sick for days and my sister being with her thinks, she has to go to hospital soon. Even the doctors are not sure, what might be the problem. There is a possibility they can take her with a flight of the flying doctors to a good hospital to Nairobi.«
Endlich wusste ich, was mit Patricia los war. Seit Tagen war sie schon so merkwürdig still gewesen. »O Patricia, das tut mir unendlich leid«, sagte ich und nahm sie in den Arm. »Wenn ich etwas tun kann, sag Bescheid.«
Es tat mir wirklich unendlich leid, dass ihre Mutter so krank war und Patricia sich logischerweise große Sorgen machte. Aber es beunruhigte mich auch ein wenig wegen des geplanten Wochenendes auf Bornholm. Ich musste mir Alternativen überlegen, denn wenn es der Mutter schlechter ging, war klar: Patricia musste nach Hause, nach Uganda, oder eben ins Krankenhaus nach Kenia. Und ich würde sie ganz sicher dabei unterstützen.
Also rief ich meine alte Kinderfrau Alex und ihren Freund Uwe an. Die beiden waren vollkommen durchgeknallt, aber herzensgut, flexibel und brauchten im Übrigen immer ein wenig zusätzliches Einkommen. Beide waren Deutsche und lebten nur wenige Kilometer hinter der Grenze von uns entfernt. Alex hatte vor einem Jahr bei mir gearbeitet, während sie ihr Studium als Kinderpflegerin in Freiburg beendete. Sie kam aus Weil, einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg, aus einer wirklich sozial schwachen Familie und war die größte Kämpferin, die ich je kennengelernt hatte. Während sie bei mir arbeitete, hatte sie acht Jobs gehabt, glaube ich. Sie arbeitete als Putzfrau, Kindermädchen, Aquarienreinigerin, Kinderpflegerin und und und. Sie war jetzt gerade mal 23 Jahre alt und lebte in Scheidung von ihrem alkoholkranken Mann. Jetzt wohnte sie mit Uwe zusammen, gelernter Koch und derzeit Bauarbeiter. Er war wiederum der fröhlichste Mensch, den ich kannte, und ich setzte ihn gerne an Babysitter ein. Obwohl er zwei Jahre im Jugendstrafvollzug in Lörrach verbracht hatte. Nein, nicht obwohl, ein bisschen auch WEIL er inhaftiert gewesen war. Er hatte nämlich mit Drogen gehandelt und kannte die Szene und war damit meine Hoffnung, dass er – mittlerweile geläutert – Jakob aus dem Sumpf rausziehen könnte. Zwar war der Drogenfund Anfang Juli jetzt mehr als sechs Wochen her und ich hatte nichts mehr gefunden. Aber mir war auch klar, dass sich dies täglich ändern könnte.
Also simste ich Alex und Uwe an, und sie sagten zu. Das war super. Zugleich rief ich noch Naomie, die 18-jährige Tochter einer Freundin an, ob sie auch gegebenenfalls einspringen könnte. Auch sie erklärte sich bereit, im Notfall an dem Wochenende als Babysitterin meine Kinder zu betreuen. Meinen Jüngsten Sido organisierte ich noch für Sonntag auf Montagnacht zu seinem Freund Reto. Denn Montag war ja Schule, und drei Kinder am Morgen, oder besser gesagt, meine drei Kinder am Morgen rechtzeitig für die Schule fertig zu machen, war echt schwierig, wenn man nicht ihre Mutter war.
Es lief, meinem Wochenende stand nichts mehr im Wege. Jetzt ging es ans Online-Shopping. Neue Schuhe, neue Reisetasche, neuer Lippenstift, ich wollte perfekt aussehen an unserem Wochenende, schließlich hatte mein Outfit auf der besagten Zugfahrt wirklich zu wünschen übrig gelassenübrig gelassen.
Freitag, den 16.8.2018, hatte ich fast alles gepackt. Am Mittag stand ich nur noch vor meiner Kommode, um nach der richtigen Unterwäsche zu schauen. Sexy, aber nicht zu aufdringlich, so meine Devise.
Da klopfte es zaghaft an der Tür. »Josefine, are you there?« Patricia.
»Na klar, komm rein.« Sie weinte schrecklich. »Josefine, my mother had to go to hospital. I have to go home, my brother in law is just booking a ticket for me.« Gott, die Arme, unvorstellbar, die Mutter so alt wie ich, 45 Jahre, und todkrank, das Kind tausende von Kilometern entfernt.
»Komm her«, sagte ich, nahm sie in den Arm und drückte sie . »Deine Mutter schafft das, sie ist so stark bei allem, was du mir erzählt hast. Wir gehen jetzt in die Kirche, eine Kerze anzünden, und dann helfe ich dir packen«, versuchte ich sie ein wenig aufzubauen. Sie verstand schon prima deutsch, nur das Sprechen machte ihr oft noch Mühe.
Wir gingen dann in die Kirche, und als ich ihr einen Koffer von mir geborgt hatte (ihrer war viel zu groß für eine zweiwöchige Reise, mit der wir beide etwa rechneten), besorgte ich ihr noch die Tickets mit der Bahn zum Flughafen am nächsten Vormittag. Ich selbst musste das Haus schon um fünf Uhr in der Frühe verlassen, um rechtzeitig den Flieger um acht Uhr ab Zürich Richtung Amsterdam zu erwischen, wo ich dann Richtung Kopenhagen und später Richtung Bornholm umsteigen sollte.
Es war alles geregelt, Uwe und Alex schrieb ich, dass alles vorbereitet war, Betten bezogen, Geld im Nachtschrank im Gästezimmer und ich ihnen sehr dankbar wäre, wenn sie am Mittag bei uns in der Schweiz aufschlagen würden. Dann ging die Reise Richtung Dänemark am nächsten Morgen los.