Читать книгу Mit Herz und Recht - Natalie Weckwarth - Страница 7

§ 3

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Meine neu gewonnene Zuversicht schwindet bereits vor Ende der Woche. Wegen des Schnees, in den sich der Neujahrsregen verwandelt hat, ist die Verkehrslage in der Innenstadt am Freitagmorgen katastrophal. Obwohl ich extra früh losfahre, brauche ich beinahe doppelt so lang für die Fahrt zur Kanzlei. Als ich auf den Mitarbeiterparkplatz einbiege, sehe ich einen glänzend weißen Audi Q5 mit schwarzen Außenspiegeln und Felgen auf meinem Platz stehen. Erst denke ich an einen Mandaten, der seinen Wagen vielleicht aus Versehen dort abgestellt hat oder nur rasch etwas hereinreichen wollte – bis ich das Nummernschild lese: FS 143. Meine bis dahin recht gute Laune vergeht mir schlagartig. Wütend parke ich mein Auto auf dem letzten verbleibenden Stellplatz in der hintersten Ecke und kämpfe mich durch den Schnee. Auf Sechs-Zentimeter-Absätzen kein leichtes Unterfangen. Keuchend und mit nassen Hosenbeinen erreiche ich die Tür, wo mich die nächste böse Überraschung erwartet. Von der Wand neben dem Eingang blitzt mir das nagelneue Firmenschild entgegen.

Rechtsanwaltskanzlei Richter & Süßkind

Termine nach Vereinbarung

Innerlich kochend vor Wut betrete ich die Kanzlei. Mr. Armani steht am Empfang, natürlich in tadellos sitzendem Anzug, mit einer Frisur, an der jedes Härchen exakt ausgerichtet zu sein scheint. Er spricht mit Beate, die doch tatsächlich den Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen erkennen lässt.

„Herr Süßkind?“, unterbreche ich die heitere Plauderei.

Bis jetzt ist es mir gelungen, jede direkte Begegnung mit ihm zu vermeiden. In den vergangenen Tagen standen glücklicherweise einige Gerichtstermine an, und wenn ich doch einmal in der Kanzlei war, habe ich mich in mein Büro zurückgezogen und ihm keine Gelegenheit geboten, mich womöglich in ein Gespräch zu verwickeln. Stattdessen habe ich mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentriert, damit sich Richter eines nicht allzu fernen Tages eingestehen muss, dass ich die wesentlich effizientere Arbeitskraft bin. Abgesehen davon, möchte ich so wenig wie möglich mit dem Mann zu tun haben, dessen Name nun an dem Büro prangt, das meines hätte sein können.

„Guten Morgen, Frau Herz“, sagt er mit einem von geheuchelter Freundlichkeit triefendem Lächeln, das den Blick auf strahlende, gerade Zähne freigibt.

„Gehört Ihnen der weiße Audi?“, frage ich, ohne auf seine Begrüßung einzugehen.

„Ja. Wieso?“

„Sie stehen auf meinem Parkplatz!“

Sein Lächeln verblasst. Fragend schaut er zu Beate. „Es gibt feste Parkplätze für die Mitarbeiter?“

„Nein“, erwidert sie knapp und sieht mich düster an. Wahrscheinlich weil ich die Dreistigkeit besessen habe, ihre Unterhaltung zu unterbrechen. Die Fragezeichen in seinen Augen werden größer.

„Der Platz gleich neben der Einfahrt ist meiner“, bleibe ich stur. „Da parke ich schon seit Jahren!“

Er lacht auf. „Dann parken Sie eben heute einmal auf einem anderen.“

„Also wirklich, Stella!“, schlägt Beate sich auf seine Seite und verdreht genervt die Augen.

„Sie hätten ja wenigstens fragen können, bevor Sie mit Ihre Benzinschleuder fremde Stellplätze belegen!“

„Was ist denn hier los?“, ertönt Herrn Richters Stimme hinter mir. Ich wirbele herum und schaue in sein ebenso fragendes Gesicht.

„Frau Herz ist der Ansicht, ich hätte Ihren Parkplatz blockiert“, mokiert sich der Dieb desselben.

„Wir haben doch gar keine festen Parkplätze für die Angestellten“, entgegnet sein Onkel irritiert.

Das habe ich auch gerade gesagt“, bemerkt Beate selbstgerecht.

„Ja, aber …“, setze ich an, obwohl mich die Drei-gegen-eine-Situation, offen gestanden, etwas einschüchtert.

„Stellen Sie Ihren Wagen einfach woanders ab, Frau Herz“, unterbricht Richter mich lapidar und meint dann an seinen Neffen gerichtet: „Kommst du kurz bei mir rein, ich wollte noch etwas mit dir besprechen.“

„Klar“, nickt er und folgt ihm auf dem Fuße. Auf dem Weg hält er inne und dreht sich mit einem überheblichen Schmunzeln zu mir um. „Übrigens ist es keine Bezinschleuder. Er hat einen Hybridantrieb. Aber wenn es nicht gerade so schneit wie heute, gehe ich sowieso zu Fuß. Wegen der Umwelt, wissen Sie? Sie müssen also keine Angst haben, dass ich Ihren Platz dauerhaft belege.“

Ich schnappe nach Luft. Macht er sich etwa über mich lustig?

„Es geht ums Prinzip!“, rufe ich. Er lacht bloß und verschwindet mit Richter in dessen Büro.

„Ums Prinzip“, äfft Beate mich verächtlich nach.

„Ist doch wahr!“, echauffiere ich mich. Begreift sie denn nicht, dass der gestohlene Parkplatz pure Schikane ist? Als hätte er nicht gewusst, dass ich an allen anderen Tagen, seit er sich hier breitgemacht hat, auf dem Platz neben dem Eingang gestanden habe. Im Ernst. Die Partnerschaft hat er sich schon unter den Nagel gerissen, sein Name steht auf dem Türschild, und jetzt beraubt er mich auch noch meines Stammparkplatzes. Was kommt als Nächstes? Es ist doch wohl offensichtlich, was das zu bedeuten hat: Er will mir subtil zu verstehen geben, dass er dabei ist, an meinem Stuhl zu sägen. Aber nicht mit mir! Entschlossener denn je stampfe ich mit meinen triefenden Hosenbeinen in mein Zimmer, ignoriere das „Pfff“ von Beate und verriegele die Tür hinter mir. Er wird sich noch wünschen, er hätte diese Stelle nie angenommen!

*

Wie eine Besessene brüte ich an diesem Tag über meinen Fällen, weil mich der Gedanke an den spöttischen Gesichtsausdruck von Süßkind erst so richtig angestachelt hat. Apropos, wer hat eigentlich behauptet, nomen est omen? Süß ist an ihm jedenfalls rein gar nichts! Und wenn er schon so tut, als sei er besonders umweltfreundlich, warum hat er dann ausgerechnet heute den Wagen nicht stehenlassen, wo die Straßen wegen des dichten Schneetreibens ohnehin komplett überfüllt sind? Wohl aus Angst, der Flockenwirbel könnte ihm die Frisur ruinieren! Ehrlich, ich hasse Leute, die sich wer weiß was auf ihr Aussehen einbilden. Als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben.

Immer noch übellaunig wegen des Parkplatzvorfalls und der unbefriedigenden Situation im Allgemeinen mache ich mich am Nachmittag mit einem Stapel Akten im Arm auf den Weg zum Kopierraum. Nur ist der leider schon belegt. Vor dem Kopierer steht das Möchtegern-Model. Schnell versuche ich mich unbemerkt davonzustehlen, doch er hat mich schon gesehen.

„Ich komme später wieder“, teile ich ihm knurrend mit und will auf dem Absatz kehrtmachen.

„Moment mal, Frau Herz.“

Widerwillig bleibe ich stehen.

„Was ist denn?“

„Ich habe das Gefühl, Sie gehen mir aus dem Weg.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“, frage ich ironisch.

„Es ist offensichtlich.“

„Ich habe eben viel zu tun. Aber wenn es Ihnen lieber ist, dass ich meine Arbeitszeit dafür verschwende, mich mit Ihnen zu unterhalten …“

„Hören Sie“, seufzt er und bedeutet mir, ich solle hereinkommen, damit wir uns ungestört unterhalten können. Erneut folge ich seiner Anweisung nur ungern. „Ich weiß, dass Sie gerne Partnerin geworden wären und deshalb ein paar Vorbehalte gegen mich haben. Aber ich habe ganz bestimmt nicht vor, Ihnen den Job streitig zu machen. Es gibt genügend scheidungswillige Ehepaare für uns beide da draußen. Ich dachte eher, wir könnten uns gegenseitig beratend und unterstützend zur Seite stehen. Ich jedenfalls sehe uns als Kollegen, nicht als Konkurrenten. Was meinen Sie?“ Seine Kaffeeaugen blinzeln mich erwartungsvoll an. Ich muss gestehen, er scheint Talent zu haben. Als Anwalt, meine ich. Jedenfalls wirkt er sehr überzeugend. So sehr, dass ich beinahe auf seine Nummer hereinfalle. Aber, wie gesagt, nur beinahe.

„Bisher bin ich sehr gut ohne Beratung und Unterstützung ausgekommen. Und das werde ich auch weiterhin.“

„Aber …“

„Anders als Sie, Herr Süßkind“, lasse ich ihn nicht zu Wort kommen, „habe ich hart dafür gearbeitet, an meine jetzige Position zu kommen. Ganz ohne fremde Hilfe. Und schon gar nicht, weil ich aus einer Anwaltsdynastie stamme, in der man sich um Chefposten nicht bemühen muss, weil sie einfach immer schön weitergereicht werden!“

Seine Lippen kräuseln sich auf eine selbstgerechte, herablassende Art. „Sie haben ja erstaunlich schnell Ihr Urteil über mich gefällt, wo Sie mich doch kaum kennen.“

Typen wie Sie kenne ich zur Genüge, da ist einer wie der andere!, möchte ich gern sagen, verkneife es mir aber vorsichtshalber.

„Habe ich denn Unrecht damit?“, frage ich stattdessen herausfordernd.

„Allerdings. Zuerst einmal stamme ich nicht aus einer Anwaltsdynastie, wie Sie es nennen. Mein Vater zum Beispiel ist Zahnarzt.“

Nicht eher Schönheitschirug?, rutscht es mir beinahe heraus. Würde mich nicht wundern, bei seinem Aussehen. Na ja. Das erklärt immerhin sein makelloses Gebiss. Wird wahrscheinlich regelmäßig von Papi auf Vordermann gebracht.

„Zweitens werden Chefposten bei uns nicht weitergereicht. Dafür habe ich genauso hart gearbeitet wie Sie.“

„Ich bitte Sie! Sie hätten die Stelle wohl kaum bekommen, wenn …“ Schnell unterbreche ich mich, weil ich für eine Sekunde fürchte, ich könnte zu weit gegangen sein.

„Wenn was?“

Schön. Man sollte zu seiner Meinung stehen, nicht wahr?

„Wenn Herr Richter nicht zufällig Ihr Onkel wäre!“

„Aha“, sagt er und verschränkt die Arme vor der Brust. Man muss kein Psychologe sein, um das als eindeutige Abwehrhaltung zu interpretieren. Ich habe also voll ins Schwarze getroffen.

„Und darauf, dass ich vielleicht einfach der Beste für den Job sein könnte, sind Sie nicht gekommen, was?“

Unwillkürlich kommen mir Bens Worte wieder in den Sinn. Selbstbewusst entgegne ich: „Es wird sich noch zeigen, wer der Beste für den Job ist!“

Seine Augen werden schmal. „Soll das eine Drohung sein?“

„Nein. Bloß eine Feststellung. Es sei denn, Sie fühlen sich bedroht.“

„Ganz bestimmt nicht von Ihnen.“

„Dann haben Sie ja nichts zu befürchten.“ Diesmal bin ich diejenige, die selbstgerecht klingt. Erhobenen Hauptes, meine Unterlagen an die Brust gepresst, verlasse ich den Kopierraum.

„Die hat sie doch nicht alle“, höre ich ihn hinter mir murmeln.

Empört fahre ich herum. „Wie war das?“

„Ich sagte, jetzt habe ich sie ja alle. Kopiert. Die Akten, meine ich“, antwortet er unschuldig und zieht einen Stapel Papier aus dem Ausgabefach. Ich schnaube abfällig, lasse es aber auf sich beruhen. Eins ist jedenfalls sicher, denke ich auf dem Weg zurück. Leicht wird es nicht, mich gegen ihn zu behaupten. Denn wie es aussieht, ist er mit allen Wassern gewaschen.

*

In den nächsten Wochen geschieht nichts, das meine anfängliche Meinung über meinen neuen Kollegen, wie er sich selbst bezeichnet hat, ändert. Zwar hat er sein Auto seit dem unerfreulichen Zwischenfall brav zu Hause stehenlassen, dafür gibt es genügend andere Anzeichen, die darauf hindeuten, dass er mich von meinem Platz verdrängen will. Zum Beispiel die Tatsache, dass er wie durch Zufall immer genau dann den Kopierer in Beschlag nimmt, wenn ich ihn dringend benötige. Oder der von mir handgeschriebene Zettel, mit dem Hinweis, man möge bitte Papier nachfüllen, sobald man es aufgebraucht hat, den er durch einen ordentlich mit dem Computer getippten ersetzt hat. Nicht zuletzt der Kaffee, den ich ihn einmal aus meiner Tasse trinken sehe, obwohl sie unverkennbar mit einem S gekennzeichnet ist.

„Ach, die gehört Ihnen?“, fragte er scheinheilig. „Habe ich gar nicht drauf geachtet.“

Und dann immer dieses süffisante Lächeln, mit dem er mich bedenkt, sobald sich unsere Blicke kreuzen. Es mögen Kleinigkeiten sein, denen weniger scharfsinnige Menschen keinerlei Bedeutung beimessen würden. Nur ich weiß ganz genau, was für ein Spiel hier gespielt wird. Im Fachjargon nennt man so was psychologische Kriegsführung!

Zu meinem Leidwesen muss ich jedoch feststellen, dass ich mit meiner täglich wachsenden Antipathie für Süßkind in der Kanzlei gänzlich allein dazustehen scheine. Mit Entsetzen beobachte ich nicht nur einmal, wie Yildiz, Tina und selbst Beate an den Ausschnitten ihrer Blusen herumzupfen, ihre Augen zu leuchten beginnen und sie kokett ihre Haare schwingen, sobald er den Raum betritt. Einmal erwische ich Yildiz beim Gang zur Toilette sogar dabei, wie sie sich vor dem Spiegel den Lidstrich nachzieht. Dabei ist sie verheiratet!

„Ein bisschen flirten wird doch wohl erlaubt sein“, verteidigt sie sich, als ich sie darauf anspreche.

„Aber doch nicht mit dem!“

Gerade mit dem!“, hält sie dagegen und entschwindet, in eine Wolke J'adore gehüllt, aus dem Raum.

Nicht einmal bei der männlichen Belegschaft finde ich Unterstützung. Robert ist sowieso eher der schweigsame Typ, der sich am liebsten den ganzen Tag in sein Büro verkriecht. Von ihm kann ich wohl kaum Beistand erwarten. Doch auch Carsten hat von seinem ursprünglichen Boykott-Vorhaben Abstand genommen. Auf meine Frage, warum er neuerdings mit Vorliebe seine Mittagspause mit Richters Neffen verbringe, antwortet er zwar großspurig: „Das ist alles Taktik. Du weißt schon: Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher!“, aber nach Feindschaft hört sich ihr gemeinsames Lachen, das aus der Betriebsküche dringt, nicht gerade an.

So bleibe ich also weiter die Einzige, die Süßkinds perfiden Plan durchschaut, die anderen mit seinem vorgetäuschten Charme auf seine Seite zu ziehen, damit er sich eines Tages mit ihnen gegen mich verbünden kann. Aber wenn es soweit ist, werde ich vorbereitet sein. Dann werden wir sehen, wer den Kürzeren zieht!

*

Bis dahin beschränke ich mich darauf, mich diskret im Hintergrund zu halten und weiterhin jede überflüssige Begegnung mit Richters Schützling zu umgehen. Stattdessen widme ich mich neben meinen Fällen nun mit Feuereifer Tina Weidemanns Ausbildung. Denn mir ist klargeworden, dass sie der Schlüssel ist. Nur mit ihr kann ich Richter davon überzeugen, dass ich nicht nur eine hervorragende Anwältin bin, sondern auch Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen und Durchsetzungskraft besitze – allesamt unerlässliche Qualitäten, die eine Partnerin braucht. Mit Engelsgeduld erkläre ich Tina selbst die einfachsten Sachverhalte, gerne auch zum zehnten Mal, und beantworte freundlich jede ihrer Fragen, mögen sie noch so überflüssig sein. Allerdings muss ich gestehen, dass sie mich positiv überrascht hat. Auf den Kopf gefallen ist sie jedenfalls nicht. Immerhin hat sie das Jurastudium erfolgreich hinter sich gebracht, und wer das schafft, kann nicht gänzlich beschränkt sein. Ich vermute, sie stellt sich meistens dümmer, als sie eigentlich ist. Wahrscheinlich hat ihr das Leben gelehrt, dass man als naives Blondchen sehr weit kommen kann. Bei unseren Männern scheint die Masche zumindest voll zu ziehen. Edlen Rittern gleich holen sie ihr jeden schweren Ordner aus dem Schrank, nach dem sie mit großen, blauen Augen verlangt, und erklären ihr wieder und wieder die an und für sich denkbar einfache Bedienung des Kopierers, wenn sie vorher mit extra knappem Röckchen vor ihnen her gewackelt ist. Ich bin wieder einmal schockiert, von welch niederen Trieben das männliche Geschlecht offenbar gesteuert wird. Insgeheim jedoch triumphiere ich, denn jemanden, der nur mit seinem Geschlechtsteil zu denken scheint, werde ich locker ausstechen können.

An einem Freitag Ende Januar sitze ich wieder einmal mit Tina zusammen und gehe mit ihr durch, wie man eine anständige Klageschrift verfasst. Für mich ist das Vorgehen natürlich Routine, doch da Tina mit der Formulierung präziser Wortlaute noch Schwierigkeiten hat, benötigen wir eine halbe Ewigkeit dafür.

„Vielen Dank, Stella“, sagt sie, als wir den Schriftsatz endlich fertiggestellt haben. Inzwischen habe ich ihr das Du angeboten. Unter uns Kollegen pflegen wir ohnehin einen eher freundschaftlichen Ton.

„Wofür?“

„Dafür, dass du so viel Geduld mit mir hast!“

Innerlich fühle ich mich geschmeichelt, versuche es mir aber nicht anmerken zu lassen. Schließlich will ich professionell auf sie wirken.

„Das ist selbstverständlich.“

„Finde ich nicht. Ich habe schon ganz furchtbare Geschichten über Mentoren gehört. Da habe ich mit dir richtig Glück gehabt“, lächelt sie mich an.

Verlegen streiche ich mir eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. „Freut mich, dass du zufrieden mit mir bist.“

„Sehr! Also, wenn ich ganz ehrlich sein darf … am ersten Tag hätte ich das nicht gedacht.“

Mit Scham denke ich an meinen Auftritt bei der Teambesprechung vor vier Wochen zurück. „Ja, da war ich etwas …“

„Überrumpelt, ich weiß“, erwidert sie verständnisvoll. „Herr Süßkind hat mir alles erzählt.“

Schlagartig weicht mein Unbehagen einer inneren Anspannung. Aufrecht setze ich mich hin. „Ach. Hat er das?“

Sie nickt. „Er hat mir gesagt, dass du gerne Partnerin geworden wärst und deswegen jetzt ein bisschen neidisch auf ihn bist.“

„Neidisch??“, wiederhole ich mit schriller Stimme. Der hat sie wohl nicht alle! Meint, meinen Gefühlszustand richtig einschätzen zu können, beklagt sich aber bei mir über meine angeblich vorschnelle Urteilsbildung. Außerdem bin ich kein bisschen neidisch. Ich bin stinksauer!

„Nein, warte mal … er hat es irgendwie anders ausgedrückt.“ Nachdenklich kaut sie auf dem Ende ihres Kugelschreibers herum. „Genau! Er meinte, du hättest dich wohl etwas übergangen gefühlt.“

Zu Recht!

„Ich hab dich natürlich verteidigt“, plappert sie munter weiter, „und ihm gesagt, dass ich mich auch übergangen gefühlt hätte, wenn mir jemand den Job vor der Nase weggeschnappt hätte, den ich gern gehabt hätte.“

Meine Verkrampfungen lösen sich ein wenig. Unwillkürlich überkommt mich fast etwas wie Stolz auf meine Referendarin. Zwar scheint sie ein loses Mundwerk zu haben, dafür ist sie für mich eingetreten. Das hätte ich ihr nicht zugetraut.

„Und wie hat er reagiert?“, möchte ich wissen.

„Ach, er hat nur gelacht“, antwortet sie beiläufig, was mir den Anflug eines Grinsens vergehen lässt. Hätte ich mir denken können. Er hält es ja offenbar nicht für nötig, seine weiblichen Kollegen ernst zu nehmen. Angesäuert räume ich die Notizen auf meinem Schreibtisch zusammen.

„Ihm wird das Lachen schon noch vergehen“, murmele ich.

„Wie bitte?“

„Nichts. Wir sind ja hier soweit fertig. Frag doch noch mal Yildiz, ob sie eine Aufgabe für dich hat, ja?“

„Alles klar.“ Auch sie packt ihre Sachen zusammen und verlässt mein Büro. Da sehe ich ihn. Wie er lässig am Tresen gelehnt steht und ein Pläuschchen mit Beate hält, die gerade mit einem mädchenhaften Kichern an ihrer Kurzhaarfrisur zupft. Wahrscheinlich hat er ihr ein schleimiges Kompliment dazu gemacht. Entschlossen stehe ich auf und marschiere auf die beiden zu.

„Tag, Frau Herz“, sagt er, als er mich erblickt.

Da. Schon wieder. Dieses spöttische Zucken um die Mundwinkel!

„Ich hätte da eine Frage, Herr Süßkind“, entgegne ich mit gespielter Freundlichkeit.

„Nur zu. Ich stehe Ihnen für alles Rede und Antwort“, wirft er sich in die Brust.

„Wie genau kommen Sie dazu, während meiner Abwesenheit mit Frau Weidemann über mich zu sprechen, obwohl Ihnen ein gutes Betriebsklima so unglaublich wichtig ist?“ Mit falschem Lächeln blinzele ich ihn an. Wodurch er sich dummerweise nicht im Mindesten aus der Ruhe bringen lässt.

„Ich wüsste nicht, weshalb das eine das andere ausschließen sollte.“

„Dann zählt Lästern wohl ihrer Definition nach zu Kollegialität?“

Er stößt ein kurzes, amüsiertes Lachen aus. „Ich habe nicht über sie gelästert. Das ist doch wohl eher etwas für Schulmädchen, oder?“

Beate gluckst.

„Aber ich habe auch nicht schlecht über Sie geredet, falls Sie das andeuten wollen. Ich habe Frau Weidemann lediglich ihre Frage beantwortet, weshalb Sie allem Anschein nach nicht gut auf mich zu sprechen sind. Wozu im Übrigen keinerlei Grund besteht, wie ich Ihnen bereits versucht habe zu erklären.“

„Das glauben Sie doch selbst nicht.“

„Und ob ich das glaube. Ich habe es auch vollkommen ernst gemeint, als ich sagte, wir seien keine Konkurrenten.“ So, wie er mich ansieht, könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, er spräche die Wahrheit. Nur bin ich, im Gegensatz zu meinen restlichen Kollegen, nicht so blauäugig und falle auf seine Sie-können-mir-vertrauen-Tour herein.

„Sicher“, knurre ich.

„Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen? Vielleicht ausnahmsweise fachlicher Art?“

„Fachlich weiß ich über alles Bescheid, danke“, entgegne ich schnippisch.

„Dann hätten wir ja alles geklärt.“ Er wendet sich zum Gehen.

Beate, die unsere kurze Unterhaltung wie ein spannendes Tennismatch verfolgt hat, hält ihn auf. „Herr Süßkind, hier ist noch Post für Sie!“

Mit einer Geste, als hätte sie die besondere Ehre, ihm einen Preis zu überreichen, gibt sie ihm einen weißen Umschlag. Er mustert die Adresse des Absenders.

„Ach, der ist von meinem Patenkind“, äußert er erfreut.

„Ihr Patenkind schreibt Ihnen Briefe? Haben Sie keine Zeit, es persönlich zu sehen?“, höhne ich.

„Das wäre etwas umständlich. Es lebt in Afrika.“

„Sie haben eine Patenschaft für ein afrikanisches Kind?“, frage ich ungläubig.

„Für ein Mädchen aus Malawi“, erklärt er mit solchem Stolz, als wäre einmal jährlich ein paar hundert Euro auf ein Spendenkonto zu überweisen ein Akt, der mindestens den Friedensnobelpreis verdient.

„Ich dachte, so was wäre inzwischen vollkommen out.“

Seine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Tja, Frau Herz, der Hunger in der Welt ist leider kein bisschen 'out'.“

Von der Seite spüre ich Beates empörte Blicke ebenfalls auf mich gerichtet. Abwehrend hebe ich die Hände.

„Das wollte ich damit ja auch gar nicht sagen.“

„Was wollten Sie denn damit sagen?“

Beide sehen mich an, als hätte ich verlangt, man solle die Sklaverei wieder einführen.

„Ich … ich meinte ja nur …“

„Sie sind doch nicht etwa rassistisch, oder?“, fragt er scharf und taxiert mich aufmerksam.

„Natürlich nicht! Herrgott, ich wollte bloß …“

„Dann solltest du dir solche Kommentare sparen, Stella“, weist Beate mich zurecht.

„Ganz genau“, bestätigt er.

„Also, das …“ Ich ringe nach Worten, doch sie beachten mich schon gar nicht mehr. Süßkind hat den Brief inzwischen geöffnet und ein Foto herausgezogen.

„Das ist ja goldig“, ruft Beate verzückt.

„Ja, ich bekomme zweimal im Jahr diese niedlichen Fotos zugeschickt.“

Neugierig recke ich den Hals, um auch einen Blick auf das Bild zu erhaschen. Es zeigt ein schwarzes, etwa achtjähriges Mädchen mit bunten Schleifen in den Rastazöpfen. Lachend schaut es in die Kamera. Es ist tatsächlich sehr süß. Trotzdem werde ich einen Teufel tun, das zuzugeben. Nicht, solange diese völlig aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen auf mir lasten.

„Wissen Sie eigentlich nicht, dass Sie Ihr Patenkind damit zum sozialen Außenseiter machen?“, werfe ich deshalb ein.

„Wie bitte?“

„Na, es ist doch allgemein bekannt, dass so eine Patenschaft eher schadet als nützt. Wenn Sie nur einem einzigen Kind das Recht auf ausreichend Nahrung und eine anständige Bildung verschaffen, wird den anderen ihre Benachteiligung bewusst, und sie grenzen das bevorzugte Kind aus.“

„Sie meinen also, ich soll Nabila lieber verhungern lassen, anstatt zu riskieren, dass sie keine Freunde hat?“

Das ist wirklich unfassbar! Er dreht einem die Worte im Mund herum. Moment mal, warum wundert mich das? Er ist Anwalt …

„Das … das habe ich gar nicht … ich …“

„Sie sollten vielleicht in Zukunft besser nachdenken, bevor Sie solche Äußerungen von sich geben“, kommentiert er mein Gestotter, packt Brief samt Foto zusammen und lässt mich mit offenem Mund stehen.

„Wirklich, Stella“, sagt Beate missbilligend. „Da setzt sich jemand für die Unterprivilegierten ein und darf sich dann noch solche Vorwürfe anhören. Zum Glück denken nicht alle Menschen so wie du.“

Mir platzt der Kragen. „Als ob ihm die süße, kleine Nabila am Herzen liegen würde. Das macht er doch nur, damit er die Spenden von der Steuer absetzen kann!“

Beate ist außer sich. „Da wäre ich mir mal nicht so sicher. Es ist nicht jeder so herzlos wie du!“

„Ich bin nicht herzlos“, kreische ich nun beinahe und sehe dabei gerade noch, wie Süßkind mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen seine Bürotür hinter sich schließt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich zugegebenermaßen immer noch leise Zweifel, ob ich wegen dieser ganzen Partnerschaftsgeschichte nicht tatsächlich etwas überempfindlich reagiere und mir Süßkinds Schikanen nur eingebildet habe. Jetzt habe ich den endgültigen Beweis: Dieser Mann will mich fertigmachen!

Mit Herz und Recht

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