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Drittes Kapitel

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„Abschied nehmen — sagt er,

Ist nit fein — sagt er,

Und es muss halt — sagt er,

Dennoch sein! — sagt er,

Wisch’ die Äugerln — sagt er,

Sachte aus — sagt er,

Fallt ein Tränerl — sagt er,

Still heraus!

Österreichisch.

Es schien beinahe, als ob die gräflichen Herrschaften der Zirblerin Ansinnen erraten hätten und es dem jungen Paar im Forsthaus recht nahelegen wollten, des kleinen Friedels Taufpate aus dem Schloss zu holen.

Die Gräfin hatte schon wiederholt in das Forsthaus herabgeschickt, Körbe voll Wein, Süssigkeiten und seltener Früchte, und dabei nach dem Befinden der Frau Seehofer und ihres Erstgeborenen fragen lassen, und sie hatte so viel wissen wollen, wie schwer das Büblein gewogen habe und wie es ausschaue, und ob es viel schreie oder zur Nachtzeit gut schlafe, und ob es die junge Mutter selber nähre, oder ob es eine Amme habe, und was dergleichen mehr war.

Die Zirblerin tat sich auf all diese Freundlichkeit viel zugute und gab prompten Bescheid: „Wägen oder messen täte sie das Hascherl nit, denn das bringe Unheil und tauge nichts, aber das Bübli sei gar ein strammes und habe wohl gleich mehr gewogen als ein halbwüchsiges Rehkitz oder ein feister Novemberhas. Und die Susei wär’ ein kerng’sundes Leut und gäb’ dem Söhnli selber die Brust, und schreien tät der kleine Flank gar wohl, zuerst auch nächtens, aber nun gewöhn’ er sich an die Weltordnung und gäb’ einen Fried! — Und wenn’s vergunnt wär’, dann wollte sie, die Ambrosia Zirblerin, selber mal zum Schloss hinaufsteigen und der Gnaden Frau Gräfin Bescheid und schön’ Dank bringen, denn vorerst könne die Susei noch nicht in den Schnee hinaus.“

Der Feldjägerleutnant, der auf einer Jagd mit dem Grafen zusammengetroffen und nebst dem Oberförster aufs Schloss geladen ward, machte zuvor seinen Besuch bei der Gräfin und hatte auch den kleinen Eckbrecht zu sehen bekommen.

„Zart ist das Kind, so recht ein Prinzlein aus blaustem Blut,“ sagte er, „aber gesund ist er, und wenn sie ihn recht frank und frei aufwachsen lassen, kann er sich mit unserm derben Schlingel schon getrost mal raufen!“

Und dann kam die Zeit, wo auch die Susei in der kleinen Halbchaise des Vaters zum Schloss fahren konnte. Ihre frische, blühende Schönheit, ihr herziges, kindlich treues Wesen, das bei aller Harmlosigkeit doch nicht der städtischen Formen und des feinsten Taktes entbehrte, entzückte die Gräfin ungemein. Die beiden Büblein bildeten das Band, das die jungen Mütter unwiderstehlich zueinander zog, und es war bald eine gewohnte Sache, dass die gräfliche Equipage vor der Obersörsterei hielt, um Theodora als herzlichst begrüssten Kasseegast zu bringen.

Da wiegte sie auch den kleinen Friedel auf den Armen, ganz entzückt von dem rosigen, lachenden Schelm mit den blanken, rehbraunen Augen und dem blonden Krakeelstrupp über der Stirn, der dem Kleinen ein gar lustiges, fideles Ansehen gab.

Sie Zirblerin leistete wahre Wunderdinge der Backkunst, und wenn die grosse, braune Kaffeekanne auf dem blendend weissen Tischtuch stand und die Alte die buntgeränderten Schüsseln voll Spritzkuchen, Kräpfli, Nestli und Rahmkuchen auftrug, dann konnte sie nichts stolzer machen und mehr beglücken als der entzückte Ausspruch der Gräfin: „Mir deucht, Frau Zirblerin, so gut wie hier hat mir der Kaffee und Kuchen noch nie geschmeckt!“

„Gott geseg’ns der Frau Gräfin!“ — knickste die Alte und hatte die grösste, allergrösste Tasse für den hohen Besuch herzugerückt, denn so Not leiden, wie im Schloss, wo die Schälchen knapp so gross waren wie ein Fingerhut, — nein, das sollte kein Gast in des Oberförsters Hause!

Die Zeit verging, die Schneewolken verzogen, und die weissen Alphäupter hoben sich glänzend gegen den blauen Himmel.

Lawinen stürzten fernab zu Tal, und die Gebirgsbäche und das Flüsschen schäumten hoch über und verwandelten die Talwiesen in einen weiten, glänzenden See.

Der Föhn sauste feuchtwarm durch die Schluchten, und die zarte Fussspur des Lenzes ward sichtbar in tausend jungen Grashalmen, tausend frischen Moosspitzen und schwellenden Knospen. Wundervoller frischherber Duft würzte die Luft, über Nacht rieselte der Regen und trommelte an die Fensterscheiben, und das Stinli konnte sich kaum noch bergan schleppen, so klebte das Erdreich an seinen Nagelschuhen.

Die gräfliche Familie war nach der Residenz abgereist und beabsichtigte erst im Spätsommer wieder nach Kochenhall zurückzukehren, und auch das Susei ging mit glänzenden Augen umher und rüstete sich zum Abschied. Der lag schon jetzt wieder wie eine unheilschwangere Wolke über dem Forsthaus; all die frohen Gesichter hatten sich in trübselige Mienen verwandelt, und die Seufzer waren zahlreicher als das Lachen und Singen, und der Zirblerin und des Roselis Augen sahen oft so rot aus, dass der Schürzenzipfel nimmer davonkam. Selbst der Hiesel, der wohl hier und da eine gotteslästerliche Red’ vollführt hatte, sonst aber ein frommes Mannsbild war, liess gar nicht mehr ab von grausigen Schwüren und Flüchen, aber er wischte sich auch die Augen dazu, und selbst ein Geselchtes und die Mass Bier schmeckten ihm nicht mehr.

„Was hast nur, Hiesel, bist krank?“ fragte die Susei herzlich und legte ihm die Hand auf die Schulter. Da wandte er sich zur Seite.

„Ich kann nit schlafen!“ brummte er. „Und das kommt bei mir vom Herzen, sagt der alte Hüter im Selchtal. Ich kann mir nit genug schnaufen, und ich därf aufpassen, dass sich nix anders noch dazu schlagt.“

„Was du nit sagst, Hiesel, das wär’ nit gut.“

„So eine Herzkrankheit kann ein’m über Nacht den Rest geben, mein’ ich“, seufzte der Alte.

„Red’ nit so dumme Sachen! Dir fehlt’s nirgends nit. Nur verdriesslich bist, weil das Bübli fort kommt! Sei kein Narr, Hiesel! Um Mariä Himmelfahrt herum sind wir ja sicher wieder da.“

„Selb ist eine lange Zeit, Frau, aber wann du mir den Handschlag gibst, dass du Wort halt’st —“

„Da, hier hast ihn! — Und nun bist wieder fidel und machst keine Faxen mehr mit einer Krankheit! Da schau! Jetzt lachst wieder! Wenn du nix anders zu tun hast, dann trag’ den Friedel ein bisserl vor die Tür.“

Da lachte der Hiesel wirklich über das ganze Gesicht und stelzte davon, so schnell es nur ging, und rief nur: „Ich hab’ deinen Handschlag — und nur ein Lump wird wortbrüchig!“

Und nach wenigen Minuten, da sass er mit dem Bübli vor der Haustür, in einem Arm den Friedel und im andern den Waldmannerl, und der Friedel tatschte auf die kalte Hundeschnauze und liess gar sehr fidel das erste Kräherchen hören, denn er war ein grausig kluges Bübli und wusste, dass zu einem Jäger ein Dackel gehöre.

Auch die Zirblerin und das Roseli liessen sich beschwichtigen und trösteten sich gegenseitig auf Mariä Himmelfahrt, und der Oberförster nickte nur geheimnisvoll und sagte: „Seid’s nur getrost, ich mein’, es kommt auch die Zeit, wo’s an keinen Abschied mehr denken!“

Das verstand kein Mensch, was er damit meinte, und danach zu fragen, wäre gegen den Respekt gewesen, aber die Zuversicht des Herrn hatte schon arg was Tröstliches, und so blieben die Zirblerin, das Roseli und der Hiesel doch noch am Leben, obwohl sie alle drei versichert hatten: „Alles ist hin, alles; die Lieb’ und die Freud’. Nix mehr hab’ ich auf der Welt, wenn’s Bübli fortg’nommen wird; verlohnt sich nimmer zu leben, wär’ mir ganz gleich, wann ich sterbet.“

Aber sie starben doch nicht, wiewohl der Seehofer diesmal wahrlich kam, um Weib und Kind zu holen.

Der Oberförster hatte ein paarmal lange mit ihm in seiner Stube geredet, und dann haben sie beide nachher gepfiffen und gelacht und gar besonders zufrieden ausgesehen.

Was sie aber untereinander gemacht haben, das schien selbst die Susei nicht zu wissen.

Dann kam ein heller, sonniger Morgen, voll Vogelsang und Almkrautduft, und die beiden Bräuneln scharrten vor dem leichten Jagdwagen, der den Leutnant Seehofer mit Weib und Kind zur Bahnstation bringen sollte.

Fern im Tal sah man die Türme des Städtchens ragen, in ein und einer halben Stunde war man da, wenn die Bräuneln gut ausgriffen. Die Zirblerin hob noch die letzten Körbe auf den Kutschbock, denn sie hatte dem Susei noch einen kleinen Kram zusammengepackt, — ein paar Wecken, kernfrische Butter, Speck, Schinken, Käse und Kuchen, — lauter Sachen, die man in der Residenz mehr denn notwendig braucht.

Und die junge Frau sass in ihrem eleganten Schleierhütchen und dem spitzen- und perlenbesetzten Umhang so fremd in dem Wagen, dass es der Zirblerin einen Stich ins Herz gibt, und die Evi vom Lusenhof, die als Kindsmagd gedingt ist und mitfährt, hält den Friedel auf den Schoss und lacht vor Freude und Verlegenheit und Herzensangst, denn mit dem „Eisenbahnl“ zu fahren, deucht ihm ein grausiges Wagnis, und eine Stadt hat’s auch sein Lebtag noch nicht gesehen.

Der Oberförster reitet nebenher, und als die Bräuneln anziehen, ist für alle der Augenblick gekommen, wo sie des Abschiednehmens Bitternis so recht zu schmecken kriegen.

Das Susei macht sogar ein ernstes Gesicht, drückt noch einmal krampfhaft der Zirblerin rauhe, schwielige Hand und flüstert zum letzten: „Noch tausend Dank, herzliebes Pflegemutterl, für all die Gutheit und die Pfleg’, die du mir und dem Bübli ang’tan hast! Gott vergelt’s dir alleweil und noch im letzten Stünderl!“

Und dann nickt die Sprecherin nach allen Seiten und winkt ihre Grüsse, und der Seehofer schwenkt vergnüglich den Hut, und nur das Hascherl auf der Evi Arm tut, als ginge ihm solch ein Wehtag radikal gar nichts an, sondern lutscht emsig an dem Schürzenband seiner jungen Lusenbäuerin, das es durch einen guten Zufall just zu fassen bekam.

Und dann knallte der Toni mit der Peitsche, und fort rasselte der leichte Jagdwagen.

„O du mein, ich sterbet am Fleck, wenn ich nur Zeit dazu hätt’; aber den Herrn kann ich doch nit allein lassen“, stöhnte die Zirblerin, die der Susei letzte Worte vollends weich gemacht haben, obwohl sie’s absolut nicht hat merken lassen wollen, sondern die Tränen heruntergewürgt hat, dass sie schier dran erstickt ist.

Nun ist’s zu Ende mit der Beherrschung, und sie setzt sich schwer nieder, neben den Hiesel auf die Bank vor die Tür, und schaut dem Wagerl nach, wie es so munter zu Tal rollt. —

Die Zirblerin sass so tief in Gedanken, dass sie ganz und gar den Hiesel an ihrer Seite vergessen hatte. Sie fuhr erst zusammen, als der Alte mit seinem Holzspan, an dem er geschnitzt hatte, zornmutig auf die Bank schlug und fluchte: „Kreuz Birnbaum und Hollerstauden! — Ein Lapp’ ist er, dass er’s fortlassen hat! Ein Lapp’! Wann der Seehofer der Vater zum Bübli ist und das Recht hat, es zu holen, so ist nachher der Schill der Vater zum Susei und hat akkurat so ein Recht, sein Dirnei zurückzubehalten.“

Frau Ambrosia schlug die Hände zusammen: „Eine Sünd’ ist’s, was du red’st, Hiesel, und gegen den Respekt ist’s auch. Ich schieb’s nur auf dein Herzleid, dass du so narrisch daherred’st. Hat ’s nit gesagt, dass sie zu Maria Himmelfahrt wieder da ist? Und was die Susei sagt, das halt sie. Nachher ist das Bübli schon ein vernünftiges Mannerl und kennt uns schon — und weisst, Hiesel, ich back’ ihm alle Tag Butterküchli, dann hat’s die alte Zirblerin alleweil am liebsten!“

Sprach’s und schritt in der stolzen Freude über solchen Sieg die Steinstufen zum Haus empor.

Der Alte hatte sie sprachlos angestarrt. Dann ging ein grimmiges Zucken über sein braunknochiges Gesicht mit der grossen Adlernase und dem struppigen Schnauzbart, und er gab dem Hut einen Ruck, dass er ihm beinahe hintab flog.

„Erwürgen tät’ ich dich,“ murmelte er, „und das Kreuz schlüg’ ich dir ein, wenn das zur Wahrheit würd’! Küchli backen kann ich freilich nit, aber daran wird dem Bübli sein Herz wohl nit hangen. Ich will ein Lump sein, ein elendiger, wenn der Friedel mich nit doch lieber hat als die alte Trummel, die Zirblerin!“

Von da an hatte es eine Spannung zwischen den beiden Alten gegeben, und sie sahen sich nur scheel von der Seite an, wenn sie aneinander vorübergingen.

Frau Ambrosia schenkte ihm weder einen Kranawitter noch eine Mass ein, und wenn nicht das gutherzige Roseli ein Einsehen gehabt hätte, so wär’s böse Zeit für den Hiesel gewesen.

Dafür tat er aber auch dem Dirnei gar zuviel Lieb, schnitzelte ihm ein Bildstöckel und klebte ihm das gar erschrecklich bunte Bild vom heiligen Hieronymus, der sein Schutzpatron war, hinein, dass es aussah, als wäre er lebendig. Und dem Roseli ward auch ganz andächtig zumute, und es kniete noch an demselben Abend vor dem Heiligen nieder und betete so recht voll felsenfesten Glaubens:

„Ich bitt’ dich recht schön, du liebes heiliges Hieronymusl, wann du willst, dass ich hinfür immer zu dir beten soll und nicht zu meinem alten Patron, dem heiligen Wendelin, dann sei mir fein zu Willen und hilf mir armen Dirn’ zu ein’ neuen Fürtuch. Schau, liebes Hieronymusl, Geld hab’ ich keines, dass ich mir eines kaufen könnt’, denn du weisst selber, dass ich all mein Erspartes zu meinem Mutterl heimtrag’. Weisst, ich hab’ noch fünf Geschwisterln zu Haus, die essen und reissen gar viel zusamm’. Du musst schon so gut sein, liebes Hieronymusl, und musst mir das Tüchel schenken — weisst, so eines mit seidenen Blümerln eing’wirkt. Ein’ Heiligen därf’s ja nit darauf ankommen, ob’s ein paar Kreuzer mehr kostet. Gelt? Und schau, liebes Hieronymusl, es ist meine erste Bitt’, und ich will dir’s anvertrauen, warum ich das Tüchel so gern möcht’: Schau, in derer Woch’ noch ist das Osterfest, und ich hab’s so in alle Glieder, dass der Wastl als Urlauber zu Haus kommt auf Ostern, und wann ich dann geh’ in mein’ lumpigen Tüchel, nachher will er mich vielleicht gar nit mehr kennen. Gelt, du hast mich ang’hört, liebes Hieronymusl, und ich schenk’ dir auch das schöne Goldpapierl da und schneid’ dir eine Krone aus, weil ich’s so nit brauchen kann!“

So betete das Roseli recht voll Inbrunst und Dringlichkeit, und weil’s eine milde Nacht war und der Mond so schön schien, hatte es sein Fenster aufgelassen.

Es war auch so sehr vertieft in seine Andacht, dass es nichts mehr von dem Gerutsch und Gekraxel am Haus draussen vernahm, und es nicht merkte, wie über das Fensterbrett und die Nelkenstöck’ ein Gesicht auftauchte.

Braun und frisch sah es aus, mit einem weissgelben flaumigten Schnauzbärtlein und zwei kreuzfidelen Schelmenaugen.

Die Soldatenmütze war in den Nacken geschoben, dass die hellen Haare in die Stirn krausten. Mucksstill hielt er sich und schaute auf das fromme Roseli, das vor dem Bildstöckel kniete und dem heiligen Hieronymus sein Herz ausschüttete.

Da schlich sich ein Zug grosser Weichheit und Rührung über sein Gesicht. „O du mein heilig’s, lieb’s Dirnei!“ murmelte er, und weil er sich mit den Händen am Fensterbrett hielt, konnte er sie nicht falten, aber er betete trotzdem mit dem Roseli mit, und zwar lautete es bei ihm folgendermassen: „Heiliger Hieronymus, schau, ich kenn’ dich doch nit so gut, denn mein Patron ist der heilige Leonhard, zu dem hab’ ich bisher ’bet’, weil wir ihn gar so notwendig haben fürs Vieh. Wann’s dir aber genehm ist, so bet’ ich auch einmal zu dir. Schau ich will dir sogar die Ehr’ geben und dem Dirnei das Tüchel, was ich ihr mitbring’, so hinlegen, als wär’s von dir; denn, schau, heiliger Hieronymus, ich wüsst’ nit recht, wie du in deinem Himmel zu einem Madrastüchel kommen solltest. Aber das Roseli versteht’s halt nit besser, ist ein einfältiges, gutes Ding. Dafür aber, heiliger Hieronymus, schaffst du’s, dass ich schon im Herbst frei komm’ und das Roseli als Hochzeiterin krieg’. Bist einverstanden?“ Und der Bursch warf noch einen halb flehenden, halb trotzigen Blick auf das grellbunte Bild hinter des Roselis Kerze, tauchte schnell und leise am Fensterbrett unter und verschwand so unbemerkt in der Nacht, wie er gekommen.

Das Dirnei legte sich voll innigen Vertrauens zum Schlafe nieder, nachdem es für alle Lieben, auch fürs Bübli in der Fern, um Schutz und Schirm gebeten, und als es am andern Morgen aufstand, trat’s zum Fensterlein und stiess es auf. Aber wie riss es plötzlich die Augen auf und rieb sie, und zuckte und zitterte am ganzen Leibe!

Da flatterte am Fensterhaken ein Brusttüchlein, so nagelneu, so schön und fein, als ob’s justament frisch vom Himmel gefallen sei. Dem Roseli versagten ordentlich die Knie. Es ward ihm ganz schwach vor Schreck und Freude, so dass es sich einen Augenblick setzen musste. Weil’s aber ein kräftiges Mädel war, erholte es sich rasch, löste das Tuch mit bebenden Fingern und starrte voll atemloser Wonne darauf nieder. Ganz, ganz genau so, wie sie es gemeint hatte! Himmelblau mit rosenroten, seidenen Blumen darin, und einer violettgrünen Kante, und langen, glänzenden Fransen an allen vier Seiten.

„O du liebes, kreuzbraves Hieronymusl, das hab’ ich mir nit denkt, dass du selm in der Nacht noch meine Bitt’ erfüllst!“ jauchzte es in namenloser Wonne, fasste das Bildstöckel und busselte den Patron so ungestüm ab, dass sein roter Mantel ganz blass wurde.

Und dann stellte es ihn wieder hin, kniete feierlich nieder und faltete die Hände: „Ich dank’ Euch viel, viel tausendmal, gnädiger Herr, und bitt’ Euch, bleibt’s mir alleweil gut.“

Dann aber stürzte es zu dem Hiesel.

In seinem Dachstübchen sass er und fuhr schnell mit seiner Arbeit in die buntbemalte Holztruhe, als er den Schritt auf der Stiege hörte.

„Du bist’s, Roseli? Ja du mein! Wie der wilde Jäger fährst mir ja zum Kämmerl herein!“

„Hiesel, knie’ nieder, Hiesel, bet’ und schlag’ drei Kreuz’! So ein’ Heiligen, wie dein’ Schutzpatron, so ein’ gibt’s in der ganzen Welt nit zum zweitenmal!“

Der Alte hatte seine Arbeit wieder hervorgezogen und schnitzte eifrig weiter.

„Es ist nit so schlimm mit ihm,“ sagte er trotzig und kniff die Lippen ein, dass sich der Bart noch grimmiger sträubte, „gar so viel Verlass ist nit auf ihn, sonst hätt’ er mich dazumal mit dem Bär’n nit so im Stich g’lassen.“

„Hiesel, fürchtest dich nit der Sünden? Gegen einen Trumm-Bär ist so ein feines Manderl vielleicht nit aufkommen. Aber ein Geld hat’s und mein Gebitt ist gleich erhört worden.“

Das Roseli wies aufgeregt das Tuch vor und erzählte, wie es den Heiligen erst gestern darum gebeten hatte.

Da lauschte der Hiesel doch auf, betastete das Tuch und nickte: „Zwei Gulden ist es wert! Hm, wenn man so was sieht, dann kann man ja wieder einmal zu ihm beten.“

Roseli schwieg und starrte auf des Alten Hände.

„Ja, mein! Was schaffst denn da?“

Da winkte es der Hiesel dicht heran: „Dir vertrau’ ich’s an, Roseli, du bist eine ehrliche Haut. Was ich da schaff? Ich schnitz’ fürs Bübli allerhand Gespiel: kleine Rösser, Küh’, Hirscherln und Gamsböck’. Die Zirblerin will ihm Küchli backen. Ach, was fragt ein richtiger Bub danach! Nix, gar nix! Aber meine Hirscherln und Gamserln, die g’freuen ihn ganz g’wiss, und darum wollen wir erst abwarten, wen das Bübli lieber hat, die alte Gischpel, die Zirblerin, oder — mich, den Hiesel!“ —

Die Zirblerin wunderte sich im stillen, was den Hiesel plötzlich so einsiedlerisch mache.

Er sass entweder droben in seinem Dachkämmerchen, oder er tat schnell und voll grimmer Hast die Arbeit, die ihm zustand, und stelzte alsdann in den Garten hinaus bis unter die drei Eichen am Waldsaum, wo er bei schönem Wetter oft stundenlang verblieb.

„Das hat ihn getroffen, mit den Küchli!“ triumphierte Frau Ambrosia und verspürte nicht das mindeste Mitleid mit ihrem Rivalen, denn jetzt in der Einsamkeit empfand sie es noch neidvoller, dass der Hiesel eigentlich die meiste Zeit beim Bübli gewesen war und demzufolge auch die meiste Freude am Hascherl gehabt hatte.

Dieweil sie an die Arbeit musste und in Haus und Hof, Küche und Keller das Ihre schaffte, sass der Hiesel gute Stunden bei der Wiege und nutzte die Zeit, sich ganz und gar in des Friedels Herz zu stehlen, denn was wahr ist, ist wahr; bei keinem andern Menschen gab sich der kleine Gesell so brav und still, wie beim alten Waldläufer. Dazumal hatte Frau Ambrosia keine Zeit gehabt, viel darüber zu simulieren, jetzt aber dachte sie alleweil darüber nach, und weil das Heimweh nach dem Susei, das sie sich nicht anmerken lassen wollte, sie sowieso schon „tratzig“ machte, so war ihr die Eifersucht gegen den Hiesel ein besonders guter Anlass, sich so recht grün und gelb zu giften!

Und wenn der Mensch sich erst mal Mucken in den Kopf gesetzt hat, dann summen und surren sie hartnäckig darin herum, und je mehr man danach schlägt, desto zudringlicher werden sie. Hätte sie nur mal tüchtig aufbegehren und gegen den Hiesel lostratzen können! Aber dazu gab’s auch gar keine Gelegenheit mehr, denn der Alte liess sich nichts mehr zuschulden kommen und ging ihr mit einem geheimnisvoll trutzigen Gesicht aus dem Wege, pfiff sich eins und schnalzte mit den Fingern in die Luft, als wäre er gar wunder wie guter Dinge.

Das Getreib begann die Zirblerin mit der Zeit denn doch etwas zu beunruhigen, um so mehr, als das Roseli ihr mit radgrossen Augen, ganz atemlos vor Auflösung und Respekt, zugeflüstert hatte: „Ich sag’ Euch, Frau, der Hiesel hat einen Schutzpatron — so was ist noch nit dagewesen, solang die Welt steht! Um was man den Patron bitt’, das ist schon gewährt, bevor man sich das Wort noch ausdenkt hat. Ja, der Hiesel, was wird sich der noch alles vom Himmel holen!“

Da ward die Zirblerin ganz betreten, stiess das Dirnei in die Seiten und blinzte ihm zu: „Sag’ mir alles, was du weisst, Roseli, dein Schaden soll’s nit sein!“

Und das Dirnei erzählte mit leiser, schlucksender Stimme, wie es vom Hiesel das Bildstöckel gekriegt hatte, und wie es den Heiligen als erstes bitt’ hätt’, um den Wastl als Urlauber, und um das Fürtüchel mit den seidenen Blumen.

Und am andern Morgen schon hat’s Fürtüchel am Fenstersims gehangen und zwei Stunden später ist der Wastl den Weg emporgestiegen! Und im besten Fall hätte es ihn doch erst zum Osterfest erwartet, und dabei sei er schon am Gründonnerstag dagewesen!

Nur das liebe gute Hieronymusl hätt’ das zuweg’ gebracht, denn der Wastl wisse auch darum und hat gesagt, eh er nur was vom Tüchel gewusst hat: „Weisst, Roseli, ich bet’ jetzt nur mehr zum heiligen Hieronymus. Das ist einer! Der kann’s!“

Die Zirblerin war ganz blass geworden und seufzte tief auf.

„Du liebe Zeit, wenn man so einen Patron doch auch haben könnt’!“

Der heilige Ambrosius, zu dem sie nun schon von Kindesbeinen an betete, — der war gar lau und flau und hatte zumeist taube Ohren und blinde Augen, und nur zweimal im Leben war er ihr zu Hilfe gekommen.

Alt und überständig mag er wohl geworden sein und hat’s satt, und mit dem Überdruss, alleweil nur dazusitzen und auf den Menschen ihr Gebet zu lauern, — ja, wenn man auch so einen eifrigen, fixen Hieronymus haben könnt’! Sie hat sowieso recht viel auf dem Herzen, was sie bitten möcht’!

Die gelbe Henne, die alleweil die beste Eierlegerin gewesen, ist mit einem Male gar träg und ungut geworden und schafft nix mehr, und in dem Keller sind wieder Mäuse, und ihr Gepflanztes im Garten will nicht so kommen, wie’s sich gehört, — nun, und dem Bübli muss sie ein leichtes Zahnen und dem Susei noch eine gute Freizeit ausbeten, — — aber der Ambrosius fragt nix mehr danach, und der Hieronymus ist dem Hiesel sein Patron.

„Du, Roseli, was meinst?“ fragte sie endlich ganz zaghaft, „ob ich nit einmal an dein’ Bildstöckel hinknien und den Heiligen auch so recht dringlich um eine Gutheit bitten kann?“

„Niederknien und bitten könnt’ Ihr schon,“ sagte das Dirnei und zuckte die runden Schultern, „ob’s aber was helfen wird? Schaut’s, Frau, wenn der Hiesel sein’ Patron herschenkt, so tut’s der Heilige alleweil nur dem Hiesel zulieb’, wenn er sich zu mir wendet. Und darum lasst Euch ein Bildstöckel von ihm schenken, dann habt’s auch Ihr allemal einen Treffer!“

Von der Stund’ an dachte die Zirblerin darüber nach, wie sie’s wohl anfangen möcht’, den alten Starrkopf zum ersten Wörtel zu bringen, denn sie als Weibsleut konnt’ doch nit anfangen — das stand bolzenfest. —

Dem Wastl sein Urlaub war abgelaufen.

Er hatte von dem Roseli Abschied genommen und geheimnisvoll gesagt: „Bet’ zum heiligen Hieronymus! Ich denk’, er bewirkt’s, dass ich im Herbst schon frei komm’.“

„Selb ist ja gar nit möglich, sagt der Schill“, schluchzte das Dirnei. „Drei Jahr’ ist das Allergenauste, was der König seinen Soldaten abverlangt.“

Wastl zog die Brauen zusammen. „Was ein richtiger Schutzpatron ist, der kann alles“, beharrte er. „Lass nur nit nach, ihn gut zu stimmen.“

Und abends, als das Roseli noch bei der Zirblerin im Garten war, und das Leinen auf der Bleiche goss, da kraxelte es wieder am Spalier vor des Roseli Fenster, und des Wastl’s Kopf taucht auf und lugt in das leere Stübchen.

Ein Mondstrahl fällt just auf das Bildstöckel, und des Burschen scharfer Blick haftet darauf und er murmelt:

„Alsdann ich sag’ dir, pfüat Gott, liebes, heiliges Hieronymusle, und ich tät dich noch einmal gemahnen an unsern Vertrag, den wir miteinander hab’n. Das Tüchel hab’ ich dir zu Ehren her’geben, und ich mein’, eine Lieb’ ist die andre wert. Ich bitt’ dich darum gar vielmal, lass mich jetzt nit im Stich, sonst werd’ ich falsch und blamier’ dich vor dem Dirnei, und sag’ ihr, woher das Tüch’l kommen ist. Gelt, liebes, heiliges Mannerl, du denkst auf dein Versprechen und schaffst mich frei!“ Und der Wastl heftete den Blick starr auf das Bild, halb demütig bittend, halb trotzig und herausfordernd.

Da kamen die Dackeln zur Haustür herausgekläfft, und der Wastl schwang sich behend zurück und sprang ab von der hölzernen Galerie, die rings um das Forsthaus lief.

Durch den Garten huschte er, hinter den knospenden Holunderstauden durch, nach dem angrenzenden Wald. Dort stand er still und lüftete die Mütze, die er fest eingedrückt hatte, und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn.

„War mir doch, als hätt’ das heilige Mannerl mit dem Kopf genickt, wie ich fort bin. O mein, ich glaub’s jetzt schon selber, dass es Wort halten wird.“

Und ein fröhliches Liedchen pfeifend, schritt der Bursch’ rüstig zu Tal, blieb an dem Tannenhügel noch einmal stehen und schickte dem Roseli den letzten Juhschrei zurück.

Der Frühling war gegangen und der Sommer gekommen, und in dem Forsthaus hatte sich wenig oder nichts verändert. Die Zirblerin und der Hiesel waren nach wie vor „verkeit“, aber das war nicht die Schuld der Frau Ambrosia, denn sie legte dem Hiesel nichts in den Weg, hielt ihn gut und gab ihm manchmal schier das Wort in den Mund, das der Alte nur auszusprechen brauchte, um wieder den Frieden herzustellen.

Aber der Hiesel sprach’s nicht, denn er war seit jeher ein „Grantiger“ gewesen, und selbst die Tränen der Zirblerin, die sie just einmal geweint hatte, als er ihren Weg kreuzte, hatten ihn nicht zu einer teilnehmenden Frage hingerissen.

Der Frau Ambrosia Sehnsucht nach einem „eignen“ Bildstöckel aber ward von Tag zu Tag grösser und machte sie mürbe, so dass sie bereits gewillt war, ihren ganzen Trotz schmelzen zu lassen, nur um des heiligen Hieronymus willen.

Aber ehrenhaft sollte ihr Rückzug sein, sonst lieber an ihrem Herzeleid zugrunde gehen.

Die Zeit rückte immer näher, wo Maria Himmelfahrt im Kalender stand, und das Susei schrieb, sogar um zwei Tage früher käme es schon mit dem Friedel, denn also passe es besser mit der Reise.

Nun waren sie wieder da!

Welch eine Freude, welch eine Aufregung! Das Bübli ward angestaunt und bewundert, wie gross und dick es sei, und es krähte und strampelte vor Lust mit den drallen Beinchen, und tat gar nicht blöde, sondern lachte alle mit den blanken, lustigen Braunaugen an, nur von der Evi Arm wollte es nicht. Das Essen war aufgetragen und hatte der Zirblerin alle Ehre gemacht, und weil das Bübli des Mittags besonders lang geschlafen, trug es die Evi noch ein Stünderl vors Haus, in den köstlich warmen, duftigen Sommerabend hinaus.

Da sassen sie alle im grossen Kreis, und der Hiesel hatte die Zither vor sich und spielte, und Friedel tanzte auf der Mutter Arm und jubelte und spielte über die Schulter hinweg „Kuckuck!“ mit dem Hiesel, aber zu ihm wollte es doch nicht, so oft er auch die Hände nach ihm ausstreckte und mit den Fingern winkte.

„Die Musik lockt’s nit!“ sagte die Zirblerin laut, „nun lasst einmal sehn, ob ich mehr Glück hab’, wie der Hiesel!“ Und sie trat vor das Bübli, griff in die Ledertasche, zog ein goldgelbes Küchlein und hielt es ihm hin.

„Kommst zu mir, Friedel? Guck, — dann kriegst’s!“ Das dralle Bürschlein schien von dem Anblick des leckeren Gebäcks wie elektrisiert, er griff und haschte danach und quiekste hell auf vor Vergnügen, wollte gern hin und hatte doch nicht den Mut dazu, — und die Zirblerin lockte immer dringlicher und hielt ihm den Kuchen ans Mündchen und sprach: „Na, dann leck’ mal — und schmeck’, wie gut es ist — und dann kommst, gelt?“

In dem Augenblick aber stand der Hiesel auf der andern Seite, schnalzte mit der Zunge und hob jäh ein schneeweiss geschnitztes hölzernes Hirschel empor.

„Ein Jager halt’s mit dem Wild! Kommst nit lieber zu mir, mein Hascherl?“ rief er, und der Friedel krähte hell auf, warf das Küchlein, an dem er gierig geleckt, mit allen Zeichen des Unmuts von sich weg und verlangte mit beiden Ärmchen zu dem Alten.

Der griff es schnell, schwang es auf den Armen und liess es tanzen, und der Friedel schlug jubelnd mit dem Hirschchen gegen seine Schulter, packte derb in den Spielhahn vom Grünei und patschte mit den Grübchen-Patscherl, wo’s nur hinkam! Und dann setzte sich sein neuer Spielkamerad mit ihm nieder, und der Kleine drehte das Hirschchen in den Händen, führte es zum Munde und sagte ihm in seiner Sprache viel zärtliche Dinge, die sonst wohl kein andrer verstehen konnte: „Hm—ai—da—da—la—la—“, aber der Hiesel verstand’s doch, und die Freudentränen liefen ihm über die Wangen und der Stolz leuchtete aus seinen Augen.

Ein allgemeiner Jubel erhob sich im Kreise. „Zum Hiesel geht’s! Der Hiesel hat den Vogel abg’schossen!“ Und nur die Zirblerin raffte schnell ihr Küchlein auf und verschwand damit im Hause.

Niemand hatte in dem Trubel auf sie geachtet, nur des Hiesels Blick folgte ihr, — zuerst flammend in höchstem Triumph, dann plötzlich weich und milde, feucht schimmernd wie in jähem Mitleid.

Frau Ambrosia hastete nach der Küche, zog mit schalkhaftem Schmunzeln das Küchlein hervor und sah lachend darauf nieder.

„Armes Hascherl, ich glaub’ dir’s, dass du so eine Backerei von dir wirfst. Gallbitter muss es geschmeckt haben, weil ich’s mit Taubengall ang’strichen hab’!“ Und sie seufzte plötzlich auf. „O mein, was tut man nit alles um so einen heiligen Hieronymus! Nur für ihn hab’ ich eine solche Komödie mit dem Hiesel aufg’führt, damit er eine rechte Freud’ hat. Ich mein’, das ist ein Bildstöckel wert. Jetzt hab’ ich’s wohl sicher, und das tröstet mich. Das Bübli muss ich freilich dem Hiesel lassen, aber ich hab’ ja noch das Susei. Die ist ja alleweil mein Dirnei g’wesen, ganz allein wie mein eigens. Und ich denk’, das Susei lasst schon einmal wieder von sich hören, und was dann kommt, nehm’ halt ich allein in die Pfleg’.“

So philosophierte die Infrau und warf das so heldenmütig präparierte Gallenküchlein schnell ins Feuer, eh’ es ihrer List zum Verräter wurde.

Dann setzte sie sich hin und wartete auf den Hiesel, denn dass er kommen würde, wusste sie ganz gewiss.

Ein trotziges und dickkopfiges Mannerleut war er wohl, aber doch ein gar gutherziges dazu, und die Freude über seinen Sieg machte ihn vollends grossmütig.

Richtig, es währte kaum ein Viertelstündchen noch, da trugen die Susei und die Evi das Hascherl zur Wiegen, und des Hiesels Stelzfuss klang laut auf den Fliesen.

Nun kam er, und die Zirblerin dachte schalkhaft: „Jetzt kommt der zweite Teil vom Komödieng’spiel, jetzt flenn’ ich wie die Genoveva, das macht ihn dann ganz butterlweich!“

Dabei drückte sie die Schürze vor die Augen, kauerte neben dem Herd nieder und schluchzte zum Gotterbarmen.

In der Tür stand der alte Waldläufer und rückte verlegen am Grünei, wie er die Infrau so bitterlich weinen sah.

„Zirblerin,“ sagte er leise, „kommt Ihr nit zum Bübli?“

Keine Antwort, nur das Schluchzen verstärkte sich. Er kratzte sich unschlüssig den Kopf, trat näher und tippte die Frau Ambrosia auf die Schulter.

„Was habt’s denn zu zaunen?“

„Eine Herzkrankheit hab’ ich — und sterben werd’ ich daran.“

„Larifari, mach’ Sie keine Faxen, Zirblerin.“

„Sei stad, da hast mich um alle meine Freud’ betrogen.“

Der Hiesel atmete schwer und sah immer bedrückter aus.

„Wegen dem Bübli? Seid nit närrisch, wisst’s ja: dem einen seine Tränen sind dem andern sein G’lachter. Ich bin so glücklich g’wesen, wie das Hascherl zu mir kommen ist, und das ist nit oft bei so einem alten verlassenen Nullerl wie ich’s bin. Könnt’s mir’s schon vergunnen, Frau, das bisserl Glück!“

Das klang so wehmütig, dass die Zirblerin die Hand hinter dem Rücken darreichte und leise schluchzte: „I vergunn dir’s ja gern, Gott geseg’n’s dir!“

Der Hiesel stürzte sich alsogleich auf die rauhe, schwielige Hand und drückte sie krampfhaft zwischen den seinen.

„Verkeit waren wir, aber jetzt ist alles wieder gut. Wir hab’n wieder Fried’, und das Bübli ist das Engerl dazu. Wenn ich nur wüsst’, wie ich der Zirblerin eine Freud’ machen könnt’, gleich auf der Stell’ tät ich’s.“

Frau Ambrosia horchte hoch auf.

„Ja mein! Eine Freud’? Dahier auf Erden ist keine Freud’ mehr zu finden für mich — aber im Himmel! Ja, wenn der Hiesel mir eine Gutheit tun möcht’ und mir’s aus dem Himmel holen ...“

„Muss ich sterben dazu?“ forschte der Alte, ein wenig betroffen, „anders komm’ ich ja gar nit ’nauf.“

Da lachte die Zirblerin und liess die Schürze herab.

„Verhüt’s Gott, sterben? Lebendig musst sein dazu. Schau, Hiesel, so ein Bildstöckel mit dem Hieronymus, wie du dem Roseli eins g’schnitzelt hast ...!“

Er warf mit einem Juchzer das Grünei in die Luft und legte den Arm um der Zirblerin Schulter.

„So ein selbiges willst? O mein, ak’rat hab’ ich einen fertigen Patron fürs Susei steh’n, aber jetzt kriegst ihn du. Ich geh’, ich hol’ ihn. Ja, so ein Hieronymus, der schafft alles; wenn Ihr Euch an den wendet, nachher tut Ihr keine Fehlbitt’!“

Er humpelte glückselig davon, das Bildstöckel zu holen, und die Zirblerin wischte über das glänzende rote Gesicht und schmunzelte: „Den hätt’ ich!“

— — An demselben Abend noch kniete sie vor dem heiligen Hieronymus und betete recht gläubig und hoffnungsfroh, für die gelbe Henne, „dass sie möchte Eier legen, — für dem Bübli seine Zähn’, — für die vermaledeiten Mäus’ in der Speis’kammer, dass sie möchten das Elend kriegen —“ Und während sie so andächtig dem neuen Patron ihr Herz ausschüttete und die Welt still und schlafend im silbernen Vollmondschein dalag, da huschte plötzlich das Susei nach der Wagenremise.

Der Toni wartete schon im Schatten und hielt einen Korb in den Händen.

„Hast ihn gut versteckt gehalten, Toni?“ flüsterte die junge Frau. „Und hast du die alte, gelbe Henne schon gegriffen? Weisst, die Zirblerin hat immer in ihren Briefen geklagt, dass ihr Liebling, die Gelbe, nit mehr legen will. Und da ist mir der Gedanke kommen, wie ich dem braven Weiberl eine Freud’ machen könnt’! Ich habe genau so eine gelbe Cochinchina zu kaufen kriegt — die ist jung und legt wunderbar. Die setz’ ich der Zirblerin in den Stall, und die alte Henn’ schenk’ ich dir, Toni, kannst sie deinem Mutterl bringen, die brat’ sie dir. Aber, dass du nix austratscht, hörst?“

Der Toni versprach’s mit fröhlichem Gelach, und sie setzten die neue Henne in das separate Ställchen der alten, und die Susei legte ein frisches Ei zur Vorsicht neben das Nest, — und dann huschte sie kichernd zurück, und der Toni stürmte mit der alten Gelben zungenschnalzend zu Tal.

So ein Jux gefiel ihm, Krutzitürken ja!

Am andern Morgen gab’s ein heftiges Laufen und Türenschlagen im Haus.

Die Zirblerin sass vor dem Hühnerstall, käsweiss im Gesicht, mit schlotternden Knien, und das Roseli holte ihr einen Saft von Bärenwurz zur Stärkung.

„Sie hat g’legt, Roseli!“ flüsterte Frau Ambrosia mit weit aufgerissenen Augen. „Seit Monaten hat sie zum erstenmal wieder g’legt. Und warum? Weil ich gestern abends zum Hieronymusl bitt’ hab’! So ein Schrecken ist mir in die Glieder g’fahren, wie ich jetzt g’sehen hab’, wie schnell das Gebet in Erfüllung gegangen ist. Und so sauber hat die Gelbe ehender nie ausg’schaut, nit wahr, Roseli, oder vexiert’s mich? Weisst, mein Augenlicht ist in der Nähe nit mehr so scharf.“

„Wohl, wohl, es ist so“, bestätigte Roseli eifrig und bekreuzigte sich. „Was für ein Patron ist das! Da kann man ja das Blaue vom Himmel herunterbitten!“

„Nit im Übermut, Dirnei,“ schüttelte die Alte den Kopf, „nur was einem not tut, sonst verdriesst’s ihn. Aber hör’, Roseli, plausch’ nit, ich weiss es und du weisst es, das ist genug. Schau, wenn die Leut’ hören, was für ein spendides Mannerl der Hieronymus ist, nachher laufen sie ihm alle übern Hals, und dann lasst er nach in seiner Gutheit und passt nit mehr so viel auf uns auf.“

„Ich verstehe Euch, Zirblerin, und ich werd’ mich hüten“, nickte das Dirnei gewichtig. „So was Gutes behält man für sich selber.“

Nicht nur den Wunsch betreffs der Gelben erhörte der neue Schutzpatron, auch dem Bübli hatte er zwei Tage nachher den ersten Zahn geschenkt, ohne dass eine Menschenseele etwas davon gewahr worden wäre, und das riss die Zirblerin und das Roseli, ihre Vertraute, zu wahrhaft begeisterter Dankbarkeit hin.

Die Infrau tat es nicht unter einem feinen Kranz von Zitternelken, die kunstvoll aus Silberdraht und Flittern hergestellt waren, damit schmückte sie ihr lieb’s, wunderkräftig’s Bildstöckel; das Roseli konnte so viel nicht anlegen, aber es kränzte seinen Hieronymus mit frischen Blumen und hing ein Wachsherzl bei ihm auf, für den Wastl. Und es vergass nicht, für den Schatz zu beten, dass er zum Herbst schon möge frei kommen, wenngleich es manchmal doch bei aller Zuversicht recht beklommen aufseufzte und selber vermeinte, solch eine schwere Bitt’ sei gar unbescheiden, und ein Fürtüchel und eine Henn’ wären schon eher zu beschaffen, als so ein kecker Eingriff in des Königs Regiment.

Am Ziel

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