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Viertes Kapitel
ОглавлениеWie freu’ ich mich! Wie freu’ ich mich!
(Die lustigen Weiber.)
Eine so herrliche Zeit hatte man schon lange nicht zuvor verlebt, vollends als die gräflichen Herrschaften wieder ihren Einzug auf Schloss Kochenhall gehalten und trotz viel städtischen, vornehmen Besuchs doch häufig in dem Forsthaus vorsprachen. Nichts amüsierte die Gräfin mehr als des Friedels absonderliche Kinderfrau mit dem Stelzfuss, und sie lobte des Hiesels ehrliche Treue und Fürsorge und meinte, einen zuverlässigeren Wärter könne Frau Susei niemals für ihren Kleinen finden.
Es war reizend anzusehen, wie die beiden Knäblein zum erstenmal einander gegenübergesetzt wurden, auf dem weichen, duftigen Rasen, über den die gräfliche Kinderfrau zuvor noch vorsichtshalber ein dickes Wollplaid breitete.
Der Hiesel sah das mit Staunen, denn sein Friedel rutschte zumeist ohne solch feines Tuch im Gras herum und freute sich daran, die Blumen und Gräser zu raufen; aber was war auch sein Bübli für ein strammes, fesches Mordsmannerl, gegen das blasse, feingegliederte Grafensöhnchen mit den grossen, ernsten, klugen Augen! So auf den ersten Blick mochte man den derben, drallen Friedel um vieles älter halten als den kleinen Eckbrecht, denn er wog wohl um acht Pfund mehr und war in all seinen Bewegungen viel fixer und kräftiger als der bedächtige kleine Graf. Wenn man aber wiederum in die Gesichtchen der Knaben schaute und den klugen, verständigen Ausdruck in Eckbrechts Augen sah, während des Friedels blanke Schelmenaugen wohl viel Lebensfreude, aber keinerlei Nachdenklichkeit verrieten, dann ward man doch zweifelhaft und taxierte das Söhnchen der Schlossherrin um ein bedeutendes älter, als es war.
Die beiden Kleinen fanden ein sichtliches Wohlgefallen aneinander und ergänzten sich in glücklichster Weise, denn wenn Eckbrecht gar zu still und träumerisch die Blumen und Steinchen umeinander drehte, dann warf sie Friedel desto ungestümer umher, lachte und patschte den Spielkameraden an, bis dieser von seiner Heiterkeit angesteckt wurde und sich bemühte, es dem wilden kleinen Schelm im Kriechen, Purzeln, Lachen und Krähen nachzutun. Und wiederum blickte Friedel voll Interesse auf Eckbrecht, wenn dieser es verstand, sich lange Zeit mit einem Spielzeug trefflich zu unterhalten, und er ahmte es ebenfalls nach, untersuchte seine Hirsche und Rössl’n genauer als bisher und drehte sie auch in den Händchen wie sein Freund, wenngleich ihm der Reiz eines solch geduldigen Spiels nicht ganz verständlich schien.
Der Hiesel hatte für das fremde Bübli sogleich das beste Gamsböckel aus dem Reservefond seiner Truhe herausgeholt und es dem kleinen Grafen geschenkt, denn der Stolz schwellte sein Herz, dass Eckbrecht ein gar zu grosses Entzücken an dem Tierchen fand.
So verlief das Leben sorgenlos und voll schönster Harmonie, und es erreichte an einem frischen, sonnigen Spätherbsttag des Glückes Höhepunkt. War es doch zuvor schon allen aufgefallen, dass der Oberförster viel Geheimes mit dem Seehofer zu tuscheln hatte und verschiedene grosse Dienstbriefe schrieb, so erstaunte es männiglich im Forsthause noch mehr, als an besagtem schönen Herbsttag das offene Jagdwägelchen zur Bahnstation rollte, um ein paar hohe Vorgesetzte aus der Residenz, die dem Oberförster von früher her bekannt und befreundet waren, abzuholen.
Die Zirblerin und das Susei hatten voll höchsten Eifers ein gar treffliches Mahl hergerichtet, und als die Tafel besonders festlich mit Tannengrün und den leuchtendsten Herbstblumen geschmückt war, da eilte die junge Frau davon, sorgsamer geschmackvoller als je Toilette zu machen. Sie trug sonst mit Vorliebe die bayrische Gebirgstracht, wenn sie daheim war, heute aber legte sie das elegante, dunkelgrüne Tuchkleid an, das ihre blonde, rosige Schönheit ganz besonders zur Geltung brachte, und sah so blühend und jung und schlank, und doch so kraftvoll schick darin aus, dass die Zirblerin voll stolzer Zufriedenheit nickte: „Wenn mir jetzt wer saget, Ihr wäret die Gräfin selber, ich tät’s glauben.“ Und dann kamen die beiden Herren, ein Oberforstmeister und ein Forstrat, von Leutnant Seehofer begleitet, und man sass nach einem kräftigen Imbiss in dem Arbeitszimmer Schills zusammen und führte lebhaft und eifrig die Unterhaltung.
Bei dem Mittagessen aber erhob sich der Oberforstmeister und brachte einen gar überraschenden Trinkspruch aus.
Sein erstes Hoch galt dem König, sein zweites dem Forstmeister Schill, und sein drittes dem neuernannten Oberförster Seehofer.
Welch eine Freude, welch eine Aufregung in dem ganzen Forsthaus!
So etwas hatte sich ja keiner vermutet. Nur der ältere Forstpraktikant strich sich sein dunkles Schnurrbärtchen gewichtig empor und meinte: „Es war wohl an der Zeit, dass Schill avancierte, und der Feldjäger hat seine Oberförsterei auch verdient. Nun bin ich nur gespannt, in welche Stadt der Schill versetzt ist, und wen wir an seine Stelle herbekommen!“
Die Worte übten eine furchtbare Wirkung. Wie ein Wassersturz dämpften sie all die himmelhoch schlagenden Flammen der Freude.
Fort von hier? In die Stadt hinein? So etwas war ja gar nicht auszudenken!
Die Zirblerin sass auf der Herdbank wie gelähmt, denn ein Abschied von ihren Heimatsbergen deuchte ihr schlimmer als der Tod, und wiederum ein Trennen von der Familie ihres Brotherrn war ein Unding, — eh löst man einen Rettich mit allen Wurzeln und Faserchen aus seinem Erdboden, eh’ man die Zirblerin von ihren Lieben trennt.
Welch ein böser, schrecklicher Blick in die Zukunft! Auch der Hiesel sass, als sei ihm die ganze Ernte verhagelt, und ’s Roseli und die Evi lamentierten, dass sie nun auch gar keine Freude mehr an den neuen Titeln der beiden Herren hätten! Erst am Abend, als der neue Forstmeister die Herren zur Bahn brachte, und die Susei freudeglühend in die Küche stürmte, die Zirblerin noch einmal so recht mit ungenierter Wonne zu umhalsen, und als sie statt lachender Gesichter all die niedergeschmetterten Mienen sah, da schlug sie schier übermütig die Hände zusammen und gab Bescheid.
„Der Vater,“ sagte sie, „hat niemals eine Freude am Stadtleben gehabt und hängt an seinem Dörfel und den Bergen hier mit derselben Lieb’ und Treue wie ihr. Nur mit grossem Unmut hat er daran gedacht, dass man ihn nun bald zum Forstmeister machen werde, was ja seine Versetzung zur Folge haben musste. Allzu rüstig ist er auch nicht mehr, ihr wisst, dass er’s leicht mit der Atemnot bekommt, vollends in der Stadtluft. — Na, da hat er den Entschluss gefasst, sich zur Ruhe zu setzen, und weil sie ihm in der Residenz gar wohl gesonnen sind, und auch meinem Oswald stets ein grosses Wohlwollen entgegengebracht haben, da ist die Sache nach Vaters Wunsch geregelt worden.
Er setzt sich zur Ruhe und nimmt seine Pension, und Oswald bekommt an seiner Statt hier die Oberförsterei, — dann wohnt der Vater bei uns und braucht sich nicht von uns und seinen lieben Bergen zu trennen, und wir alle bleiben hinfort beisammen — und brauchen nicht wieder Abschied zu nehmen; seht ihr, das war’s, was der Vater jüngst gemeint hat!“
Du liebe Zeit, — war’s denn nur möglich, dass so viel Glück und Freud’ unter einem einzigen Dach Platz haben?
Ausser Rand und Band ist alles gewesen, und gesungen und gejuchzt und getrunken ist worden, wie selbst damals zur Susei ihrer Hochzeit nicht.
Der Hiesel ist aber der Ausgelassenste gewesen, und hat sich einen Rausch getrunken wie vor langen Jahren, als er noch auf zwei gesunden Füssen gesprungen ist. Da ist ihm auch etwas passiert, was seit zehn Jahren nicht mehr vorgekommen ist, — der Hiesel und das Grünei haben sich in selber Nacht getrennt. Ersterer hat in seinem Kämmerlein halb auf der Holzbank, halb auf dem Schemel gelegen, das Grünei aber hat allein den Weg ins Bett gefunden, weil es der Alte justament noch einmal mit einem lallenden Juchzer in die Luft geworfen hatte. —
Gerad, wie alle in der grössten Fröhlichkeit waren und immer wieder das Wohl vom neuen Forstmeister und neuen Oberförster getrunken haben, wie die Jägerburschen, Forstläufer und sogar die Praktikanten dabei waren, das Fassl Bier, das ihnen der Schill spendiert, in den Garten, zur Holunderlauben, zu rollen, hat die Evi noch am Küchenfenster gelehnt und hastig ihren Teller mit Knödeln geleert, als urplötzlich eine Hand sie gezupft hat und eine Stimme wisperte: „Roseli, ich bin’s, der Wastl! Komm heraus zu den Tannen!“
Das Evi hatte überrascht den Kopf gewandt und im Mondlicht nach dem Wastl ausgeschaut, aber mit einem Schrei des Schreckens war es davongestoben und hatte geschrien:
„Naa, naa, das ist der Wastl nit — das ist sein Geist! Ich kenn’ ja den Wastl! Das war ein frischer, rotbraunwangiger Bursch! Aber der schaut so käsweiss aus wie ein Leichentüchl.“
Das Roseli verfärbte sich und zitterte an allen Gliedern.
„Er war’s nit“, stammelte es. „Der Wastl ist in München bei den Soldaten ...“
„Er ist’s nit? — Selber g’sagt hat er’s, und seine Stimm’ ist’s auch g’wesen!“
„Evi, dann ist er g’storben, dann hat er sich ang’meld’t, und was du g’sehen hast, war ein Gespenst!“
Roseli schrie laut auf vor Entsetzen und drückte sein erbleichtes Gesicht in die Schürze.
In demselben Augenblick trat der Toni in die Tür.
„Roseli!“ rief er atemlos, „wenn du wüsst’, wem ich jetzt die Hand druckt hab’!“
„Sein’ Geist? Dem Wastl, wie er leibt und lebt? Ach, Toni, mir wird nit gut vor Schreck. Ich mein’, es vergehn mir die Sinne, wenn ich dran denk’!“
„Wo hast ihn g’sehen? Am Friedhof?“ flüsterte die Zirblerin mit stockender Stimme.
„Warum nit gar! Sein’ Geist! Am Friedhof! — Haha! Zum Lachen ist’s! Ich könnt’ ja grad nit sagen, dass er ausschaut wies blühende Leben, aber lebendig ist er, das schwör’ ich, denn ich hab’ ihn essen und trinken g’sehn, und wenn’s auch nur Brot uns Käs war, so weiss ich doch, dass die Geister keinen Schnaps trinken!“
„Toni, ich bitt’ dich, sag’s! Tust mich auch nit foppen?“
„Niemals nit! Und b’soffen bin ich auch noch nit! Das kommt erst nachher in der Lauben draussen, wo s’ eben ein Fassel hinrollen. Gelt, Hiesel, da hol’n wir uns heut ein Räuscherl, ein gehöriges! Und nun sag’ ich dir, Roseli, pack’ dich zusammen und sag’ dem Wastl grüss Gott! Auf den Baumstämm’ bei den Tannen sitzt er und wart’ auf dich.“
Des Roselis erst so bleiches Gesicht glühte plötzlich wie Feuer. Es presste die Hände gegen den Brustlatz und atmete tief auf.
„Wahr ist’s? O du mein, grade aufjauchzen möcht’ ich vor Freud’!“ Und nicht mehr rechts und nicht mehr links blickend, stürmte das Dirnei durch die Tür, in den stillen, fein nebeldunstigen Herbstabend hinaus.
Atemlos stürmte es den Sandberg hinter der Oberförsterei herab, wo, kaum zehn Schritt weit, die Tannen den Berghang säumten.
Richtig, auf dem dicken, gefällten Baumstamm sah es die Gestalt eines Burschen sitzen, der sich bei seinem Anblick erhob, die Soldatenmütze schwenkte und einen Juhschrei ausstiess.
Ja, das war der Wastl, wenn auch seine Stimme matt und sehr, sehr viel schwächer klang als sonst. Er sprang seinem Schatz auch nicht entgegen, wie ehedem, sondern stützte sich auf seinen Bergstock und wartete.
Zitternd vor Freude und Aufregung erreichte ihn das Dirnei.
„Wastl! — Ja Wastl! — O du mein Herrgott, wo kommst du denn her?“
Er streckte ihm beide Hände entgegen und lachte, und das Roseli ergriff sie und schaute ihm in das Gesicht.
„Jessas!“ schrie es auf und riss entsetzt die Augen auf. „Wastl — bei allen Heiligen, wie schaust denn aus?“
Der Bursch tastete nach Stirn und Wange, über die sich eine blutrote Narbe zog, ganz besonders grell und auffällig zu sehen, weil das Gesicht bleich und hager, schier bis zur Unkenntlichkeit abgezehrt aussah.
„Ja, Roseli — gelt, so hast mich nit erwartet?“ gab er lächelnd zurück. „Einen feschen, strammen Bub hast dir denkt, und nachher kommt ein Krüppel und kümmerliches Leut, das kaum noch den Berg ’naufkraxeln kann!“
„Wastl, ich bitt’ dich um meiner Seel’ willen, was ist dir zug’stossen?“ jammerte das Dirnei auf und schlang die Arme um den Liebsten und drückte ihn so angstvoll an sich, als wolle es ihn jetzt noch vor allem Ungemach beschützen.
Wastl setzte sich erschöpft auf den Stamm nieder und zog die Sprecherin neben sich, nahm ihren Kopf zwischen die beiden, ehedem so kraftvollen Fäuste, die jetzt mager und farblos geworden waren, wie bei einem, der lange Zeit auf dem Siechbett gelegen, — und küsste seinen Schatz so recht voll inniger Zärtlichkeit ab.
Nicht mehr so ungestüm und feurig wie ehedem, aber dem Roseli deucht’s, mit viel mehr Lieb’ und Treue als sonst.
„Was mir zug’stossen ist“, wiederholte er endlich mit einem schnellen Lächeln und dem Versuch, zu scherzen. „Ei, der heilige Hieronymus hat sein Wort g’halten und hat mich freikommen lassen, grade so, wie wir’s erbitt’ haben!“
„Freikommen?“ Roseli schlug mit leisem Aufschrei die Hände zusammen. „Wahr g’macht hat er’s? Bist los und ledig vom Soldatenstand? Wastl, und so ein Wunder sagst mir nit gleich?“
„Ich sag’s ja schon! Und das Wunder ...“
„O mein, das gute, liebe Hieronymusl! Nun weiss ich aber gar nit mehr, was ich ihm dafür Gutes tun soll“, schluchzte Roseli und faltete im seligen Entzücken die Hände so inbrünstig, dass sie erzitterten.
Wastl nickte still vor sich hin, bis das Dirnei abermals seinen Arm fasste und aufgeregt fortfuhr: „Jetzt sag’, wie dir das g’schehen ist, ich kann’s ja nit begreifen.“
„Na, da schau mich nur an“, lächelte der Bursch mit einem leichten Seufzer. „Ein grosses Vergnügen ist’s nit gewesen für mich. Aber ich murr’ nit mehr und weiss jetzt, dass ich’s nit besser verdient hab’. Recht einen gehörigen Treff hat er mir gegeben, der Heilige, und hat mich vom Rössel g’stossen, dass ich g’meint hab’, es hat mir den Rest geb’n. Eine Attacke haben wir g’ritten, und eine Hitz’ und ein Staub ist g’wesen, dass man nit die Hand vor dem Aug’ g’sehen hat. Ja, wenn der Mensch seine Sünden soll abbüssen, dann lasst ihn nur so eine Attacke reiten, da braucht er kein Fegfeuer und keine Höll’ nit mehr! Und wie wir nit mehr g’wusst haben, wo’s Rössel hintritt, da ist schon ein Geknatter g’wesen, und die Soldaten und die Rösser sind übereinander g’schossen in einen Graben hinein. Ich bin zu unterst g’legen und hab’ noch einen Huf in mein G’sicht g’spürt, dass das Feuer mir ist aus den Augen g’stoben. Was nachher kommen ist, weiss ich nit mehr. Ich hab’ das Bewusstsein verloren und bin dag’legen wie tot.“
„Jessas! O du mein armes geplagtes Leut’!“ schluchzte Roseli und klammerte sich voll Entsetzen an den Sprecher. „Allen Heiligen sei tausend Dank, dass du noch lebst!“
„Wie ich wieder zu mir kommen bin und hab’ einen Essenz auf der Zunge g’schmeckt, ist mir alles ganz fremd g’wesen. In einem Stüberl bin ich g’legen, und ein Frauensleut, mit einem G’sichtl, wie die heilige Genoveva so fromm, hat sich über mich beugt und mich ang’schaut.
‚Gott sei Dank, er lebt!‘ hat’s g’wispert, und dann, wie ich auch die Doktors g’sehen hab’, hab’ ich g’wusst, dass ich im Lazarettl bin. Na, ich fass’ mich kurz: Schau, Roseli, der heilige Hieronymus hat Wort g’halten, aber ein bisserl grob ist er mir schon kommen dabei. Möglich, dass nit anders hat g’schehn können. Mein G’sicht war vom Huf ganz g’spalten, und dass ich nit ’s Augenlicht verloren hab’, ist ein grosses Wunder. Die Rippen sind mir auch eindruckt g’wesen, und alles in allem war ich zerschunden, dass s’ mich haben zusammeng’flickt wie eine lederne Hosen. G’schehen ist das Unglück am Frohnleichnamstag — und jetzt erst bin ich wieder so weit, dass ich mich am Stock kann fortschleppen.“
Wieder unterbrach das Roseli die Erzählung durch lautes Lamentieren, streichelte das blasse Gesicht mit der mächtigen Narbe, auf dessen hageren Wangen die Bartstoppeln kräftig aufschossen, und drückte und küsste den Herzliebsten ab, als sei er ihr in Wahrheit neu geschenkt worden.
„Und frei bist kommen, und hier bleibst?“ fragte es dazwischen und lachte unter Tränen. „Das ist bei all dem Herzleid die einzige Freud’!“
„Das ist’s. Zum Felddienst taug’ ich nix mehr,“ nickte der Wastl voll leiser Wehmut, „und wenn ich auch nit ein Krüppel bin, so kann ich doch nit so bald aufs Besserwerden denken, und das kümmert mich schon recht viel!“
„Red’ nit, dein Mutterl tragt dich auf den Händen und pflegt dich und denkt Tag und Nacht nix andres als Liebes und Gutes für dich. Dann kommst schnell wieder zu Kräften und raffst dich zusammen, dass du bis Weihnachten ganz der alte Wastl bist!“ Und dann schlug die Trösterin plötzlich wieder die Hände vors Gesicht und schluchzte: „Nur kränkt’s mich vom Hieronymus, dass er dir so ein Unglück g’schickt hat! Das war nit gut von ihm, und ich hab’ ihm doch alle Tag’ frische Blümerln bracht ...“
Der Wastl legte den Arm sanft um die Weinende. „Trotz’ mir nit dem heiligen Mannerl,“ sagte er leise, „grade recht g’schehen ist mir, dass er mich so zusammeng’schlagen hat! Schau, Roseli, dir allein vertrau ich’s. Ich bin ein schlechtes Leut’ g’wesen und hab’ nit zum Heiligen bitt’ fein demütig und bescheiden, wie sich das g’hört, sondern ich hab’ aufbegehrt und trotzt und ihm droht, dass ich ihn wollt’ blamieren. So was aber ist eine Sünd’ und verdient eine Straf’. Die hab’ ich kriegt und trag’s geduldig und dank’ dem lieben Heiligen, dass er noch so gut mit mir g’wesen ist!“ Er beugte sich näher und zog tief aufatmend die Mütze von dem krausen Blondhaar. „Siehst, Roseli, alleweil haben sie mich einen Flank und Loderer g’nannt, weil ich ein trotziges Gemüt g’habt hab’ und kein Pfund Lumpen wert war, ich weiss das, widersprich mir nit! Nix ist mir so recht heilig g’wesen auf der Welt, und ich hab’ alles veracht’ — und nur du, mein liebes Dirnei, hast zu mir g’halten und nit drauf g’hört, wenn sie dir zug’red’t haben, dass du unklug bist — denn wenn ich auch ein Häuserl, Vieh und ein paar Streifen gutes Ackerland vom Vater hätt’, das tät’ ich verludern und zugrund’ richten. Du hast nit drauf g’hört, mein Roseli, und darum bist du’s, für die ich hundert Leben gebet, und du bist es, die mich halt, wenn ich vermein’, es ist alles aus! Siehst, allein dir zulieb’ hat der heilige Hieronymus mich gar so grob herunterg’worfen, dass ich Zeit hätt’ zum Nachdenken und zum Besserwerden. Ein ganz schlechtes Leut’ bin ich nie nit g’wesen, aber so recht ein gutes will ich jetzt erst werden, meiner Seel’! Und ich bleib nun zu Haus und werd’ ein Bauer und verwalt’ meine Sach’, wie es mein Mutterl sich alleweil g’wünscht hat, und will arbeiten für zwei, wenn ich erst wieder zu Kraft kommen bin. Bis dahin schnitzl ich mir selber alles neu, was im Häuserl vom Hausrat im Verfall ist, und zu Drei-König hol’ ich mir die Hochzeiterin — das bist nur du, mein Roseli, mein liebes Dirnei du!“
Was das Roseli geantwortet hat, wusste es selbst nicht, auch die stillen, duftenden Tannen, die leise die Zweige über ihnen neigten, hörten es nicht, denn jeder Laut verstarb in den jauchzenden Küssen, mit denen der Wastl seines Schatzes kirschfarbenen Mund verschloss. Die Nebel wallten wie feine, klare Silberschleier im Tal, und hinter den schneeigen Alphäuptern tauchte der Mond empor und goss sein bläuliches Licht über das zauberstille Tal.
Aus den Eichwipfeln am Berg droben funkelten die Lichter von Kochenhall wie ein Märchengebild, und aus der Holunderlaube im Garten der Oberförsterei schallten Jubel und Gelächter, frische Schnadahupfln und manch ein bierseliger Juhschrei, der vom Dorf herauf und von der Alm herunter nicht minder keck und „g’mütlich“ erwidert wurde.
Um das Bildstöckel des heiligen Hieronymus in des Roselis Kämmerlein aber rankten die herrlichsten Zyklamen und ein kleiner Buschen Edelweiss, den ein Waldläufer heut dem Roseli heimgebracht und den es morgen, zum Sonntag, an der Brust tragen wollte, als gar einen seltenen Schmuck, — jetzt aber legte es ihn mit bebenden Fingern vor seinem Schutzpatron nieder und sagte nur schluchzend: „Weisst’s ja, wofür ich dank’!“
Und der Heilige lächelte ihm zu und wusste es.