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Fünftes Kapitel

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Er pflanzte Seit’ an Seite

Ein Reis und noch ein Reis,

Die wuchsen ganz verschieden,

Eins blühte rot, eins weiss, —

Erasmus Hill.

Jahre waren vergangen. In der Oberförsterei war gar manches anders geworden, aber nicht zum Schlimmen, sondern zum Guten, und der Geist des Frohsinns und der Heiterkeit herrschte nach wie vor unter dem spitzen Giebeldach, wenn auch schwere Tage nicht ausgeblieben waren und das rosige Gesicht der Susei würdevoller dreinschaute wie ehedem, und der Scheitel der Zirblerin immer silberner erglänzte.

Sonst war sie noch rüstig und rührig und waltete ihres Amts in Haus und Hof wie zuvor, nur mit dem Augenlicht hatte es ein wenig nachgelassen, so dass sie nunmehr eine grosse, runde Hornbrille auf die Nase setzte, wenn es galt, eine Arbeit genau zu sehen, oder aus „dem Himmelschlüssel“, ihrem lieben, alten, schon gar abgegriffenen Büchlein, zur Sonntagserbauung zu lesen.

Einzig unverändert war der Hiesel geblieben, ebenso hager, braun und sehnig wetterfest wie ehedem, allweil fidel und aufgelegt, „ein bisserl grantig“ und dickköpfig, und dabei so herzensgut und kreuzbrav, dass es nicht allein der Friedel war, der ihm mit Leib und Seele anhing, sondern alle im Haus den Alten aufrichtig gern hatten.

Was hatte er nicht mit dem Friedel geteilt in den frohen, langen, bangen Jahren, bis aus dem Bübli ein Grosses geworden war! Der Friedel war und blieb sein alles, und als auch nacheinander fünf andre kleine Hascherln in der Wiege lagen, da sass er wohl dabei und wehrte ihnen die Fliegen ab und schnitzelte ihnen Rössln und Gamsböck, aber der Friedel war und blieb sein Augapfel, auf den hielt er die grössten Stücke, und der Bub wiederum kannte keinen bessern Freund als den Hiesel, — dem vertraute er alles an, selbst die losesten Streiche, und an denen mangelte es beim Friedel niemals.

So sehr wie Friedel äusserlich das Ebenbild des Vaters war, so sehr hatte er wiederum den Charakter der Mutter geerbt.

All die sonnige Heiterkeit, Sorglosigkeit und Lebensfreude, die auch jetzt noch aus der Susei Augen lachten und ihr die Herzen gewannen, waren auch des Sohnes Erbteil, und dazu hatte der Friedel noch ihren praktischen Sinn, der überall das Brauchbare herausfindet und sich jedwede Situation nutzbar macht.

Er war kaum in Verlegenheit zu bringen, wickelte sich mit grosser Gewandtheit und keckem Wagemut aus den kritischsten Lagen und verfügte über einen so sieghaften Humor, dass er mit seiner Hilfe selbst den strengsten Richter und Lehrer entwaffnete.

Ihm schlug auch nichts fehl, obwohl er alles recht sehr auf die leichte Schulter nahm und namentlich dem Lernen keinerlei Geschmack abgewinnen konnte.

Alles in allem war Friedel das direkte Gegenteil seines Spielgenossen, des kleinen Grafen Eckbrecht, dessen Eltern nach wie vor jeden Herbst in Kochenhall verlebten und ihren Aufenthalt bis nach dem Christfest daselbst ausdehnten. Eckbrecht und Friedel waren in der Tat zwei treue, sich aufrichtig zugetane „Spezi“ geworden, und daran war wohl zum grossen Teil ihre so sehr verschiedene Beanlagung schuld.

Schon äusserlich zeigte sich der schroffe Gegensatz. Gegen Friedels stramme, urkräftige „Siegfriedgestalt“ erschien des jungen Grafen schmächtig schlanke, sehr vornehme, aber auch sehr zierliche Figur noch zarter, als sie es eigentlich war. Während auf Friedels gebräunten Wangen der Purpur durchleuchtete, war Eckbrechts Gesicht schmal und blasswangig, von regelmässiger Schönheit, mit grossen, etwas träumerischen Blauaugen, die seinem Alter weit voraus ernst und oft recht müde in die Welt blickten.

Als Friedel sechs Jahre zählte, sollte er die Dorfschule besuchen, die Susei aber bat für ihn und sprach: „So ein kleiner Schneck! Kaum, dass er kriechen kann! Ich mein’, Osl, wir lassen ihn noch ein Jahr laufen, damit er erst Kraft kriegt und was zusetzen kann.“

Der Oberförster war’s zufrieden, obwohl er meinte, der Bub sei ja ein wahrer Bär an Gesundheit, und ein Jahr spiele in dem Leben eines Knaben schon eine Rolle!

Grossvater Schill und Susei beschwichtigten ihn aber und versicherten: Der Friedel sei ein so aufgeweckter kleiner Kerl und ein so heller Kopf, dass er alles schon nachhole. Je gesunder und kräftiger ein Mensch sei, desto besser käme er durchs Leben, — die Gelehrsamkeit allein mache es auch nicht.

„Was soll er auch anders werden, als ein Forstmann?“ fügte der Forstmeister hinzu. „Da ist die Hauptsache, dass er fest und wetterhart wird, und das lernt sich nicht in der Schule.“ So genoss der Friedel noch ein ganzes Jahr die goldne Freiheit in vollen Zügen, während der kleine Graf noch nicht ganz das sechste Jahr erreicht hatte, als seine Mutter ihm bereits einen Hauslehrer engagierte.

„Um alles in der Welt keine Zeit versäumen!“ schüttelte sie energisch den Kopf, als der Graf noch ein Jahr abhandeln wollte: „Was denkst du, Alexis! Ein Schuljahr tut enorm viel aus und ist für einen Knaben gar nicht wieder einzubringen, wenn es versäumt wird! Du weisst, wie sehr man heutzutage mit dem Alter rechnet, wie sehr es eine Karriere fördern oder hemmen kann, wenn der Betreffende noch jung oder ‚schon zu alt!‘ ist. Denk’ an meinen Vater! Er scheiterte lediglich an dem unglücklichen Umstand, dass er noch zwei Jahre zuvor studierte, ehe er Leutnant ward! — Anstatt dass man ihm sein Wissen anrechnete, hiess es: ‚Viel zu alt! Kann keine Brigade bekommen; den Abschied mit dem Charakter als General!‘ — Und so geschah’s. Nein, nur keine Zeit verlieren! Eckbrecht soll sein Leben noch vor sich haben, wenn er den bunten Rock anzieht.“

Und der Wille der Gräfin war Befehl. Eckbrecht lernte, — und weil er nicht leicht auffasste und begriff, kam er nur dadurch vorwärts, dass er grossen Fleiss und eine gehorsame Ausdauer besass. Obwohl es ihn sichtbar anstrengte und seine Kräfte unverhältnismässig verbrauchte, durfte es dennoch keine Abspannung für ihn geben.

Mutter und Lehrer trieben ihn ununterbrochen zum Fleisse an, und die Gräfin war überzeugt, dass sie durch sehr kräftige Ernährung und Kost, durch offene Fenster im Schlafzimmer und Spaziergänge in guter Gebirgsluft das Defizit leicht wieder decken könnte.

Als Friedel zur Schule kam, hielt er diese für eine ungeheuer überflüssige Einrichtung. Er lernte äusserst leicht, aber durchaus nicht gern, und nur sein vortreffliches Gedächtnis, sein schnelles Auffassungsvermögen und die grosse Unverfrorenheit, mit der er sich stets aus der Affäre zu ziehen wusste, verhalfen ihm dazu, dass er nicht zurückblieb, sondern mit „Ach und Krach“ doch jedesmal versetzt wurde. Obwohl er sich nie durch Fleiss hervortat, war er dennoch seines offnen und ehrlichen, so herzgewinnend liebenswürdigen und heiteren Wesens willen bei den Lehrern sehr beliebt, und seine Kameraden vergötterten ihn geradezu, denn wie ein junger Löwe unter einer Katzenschar herrschte er unter ihnen, — kraftvoll, kühn, gewandt, ein Meister in allen Künsten, die für Jungens massgebend sind und ihnen imponieren.

So lebte Friedel ein äusserst glückliches Schulidyll, lernte nie mehr als nur das Allernotwendigste, amüsierte sich in seiner freien Zeit königlich und hatte noch nie eine schlaflose Nacht verbracht, weil Skrupel und Sorgen ihn quälten, während Eckbrecht sich oft stundenlang auf seinem Lager herumwarf, gemartert durch die Angst vor bevorstehenden Prüfungen.

Der junge Graf hatte mit seinem zwölften Jahre eine Ritterakademie bezogen; Friedel kam in die nahegelegene kleine Stadt in Pension, das dortige Gymnasium zu besuchen. Jeden Sonnabend holte ihn das Jagdwägelchen des Vaters heim, auch manchen Fest- und Feiertag zwischendurch, — um ihn Montags in aller Frühe wieder zurückzubefördern; ebenso verlebte er alle Ferien daheim und ward seinem Vaterhause durch diesen regen Verkehr nicht fremd.

Welch eine Wonne waren solche Ferien! Dann wurde das Wiedersehen zwischen Eckbrecht und ihm gefeiert und in seligster Freiheit geschwelgt.

Friedel wenigstens feierte die Ferien gründlich und setzte sich höchstens voll heiligen Zorns am letzten Tage nieder, seine Aufgaben zu fertigen, zumeist voll genialer Flüchtigkeit, gut, oft verblüffend gut im Gedanken, — mangelhaft in der Form und oft fehlerhaft in der Ausführung, aber das schadete nichts, — die Lehrer kannten ihren jungen Brausekopf, und wenn doch einer böse werden wollte, und er sah in des Friedels strahlende Schelmenaugen und sah das feiste Stück Wild, das der junge Schlingel mit wahrhaft anbetendem Blick seinem lieben Herrn Lehrer mitbrachte, versichernd, dass er drei Tage gelaufen sei, um es just für ihn, seinen freundlichen Gönner, eigenhändig zu erlegen, ja, dann war auch der grimmste Zorn entwaffnet, der Friedel wurde gar noch wegen des guten Schusses gelobt und kam auch diesmal mit einer gütigen Ermahnung und einem blauen Auge davon.

Eckbrecht aber lernte auch Tag für Tag selbst in den Ferien.

Ein Erzieher begleitete ihn und sorgte, dass das so mühsam Gelernte nicht vergessen wurde, und wenn Friedel jauchzend vor Freude und Übermut sein Hütlein in die Luft warf und die kraftvollen Glieder im dolce far niente dehnte, dann seufzte Eckbrecht plötzlich im schönsten Spiele schmerzlich auf und dachte einer schwierigen Aufgabe nach, die er absolut heute noch lösen sollte und auch wollte, denn das rastlose Lernen war ihm bereits zur Gewohnheit geworden, gegen die sein resignierter Sinn nicht mehr revoltierte.

Die Gräfin küsste ihn voll stolzer Freude.

„Jetzt säest du voll Fleiss und Mühe, mein Sohn!“ sagte sie; „aber lass es dich nicht verdriessen, denn die Ernte wird desto herrlicher sein!“

Während in der Oberförsterei nach Friedrich Franz, dem Erstgeborenen, noch vier Buben und zu allerletzt noch ein kleines Susei in der altehrwürdigen Wiege gelegen hatten, war dem gräflich Thumschen Paare nur noch ein kleines Töchterchen geboren, als Eckbrecht bereits drei Jahre zählte.

Die kleine Brunhild hatte das Licht der Welt in der Residenz erblickt, und als man sie zuerst mit nach Kochenhall nahm und Eckbrecht den Freund Friedel voll seligen Entzückens an das spitzenumwallte Bettchen der Schwester führte, damit er das kleine Wunderwesen ebenso anstaunen solle wie er, — da wandte sich Friedel verächtlich ab und sagte achselzuckend: „Ein klein’s Hundl ist mir lieber!“ Wenn dieser Ausspruch auch nicht sehr schmeichelhaft für die kleine Komtesse war, wurde er doch weidlich belacht, und der Graf scherzte: „Da der Geschmack sich alle sieben Jahre ändert, wird der Friedel doch vielleicht noch einmal voll ritterlicher Waghalsigkeit Äpfel für die Brunhild aus Nachbars Garten stehlen!“

Und dieser Blick in die Zukunft schien sich tatsächlich bewahrheiten zu sollen.

Friedel und Eckbrecht hatten ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert, und Brunhild stand in ihrem vierzehnten Lebensjahr, als der gräfliche Haushalt abermals nach Kochenhall übersiedelte. Es war ein heisser, leuchtender Sommertag, der Himmel spannte sich azurblau über dem Tale aus, flimmernd in wolkenloser Klarheit, gestützt von den silbernen Alphäuptern, die so deutlich und scharf jede ihrer kleinsten Linien gegen ihn abzeichneten, als seien sie dem Auge zum Greifen nahegerückt.

Friedel liegt schon seit einer Stunde zwischen den moosigen, von Himbeergestrüpp übersponnenen Felssteinen und starrt mit ungeduldig blitzenden Augen den Fahrweg von Kochenhall hinab.

Vor ihm, sorglich in den Schatten gerückt, liegt ein herrlicher Strauss Alpenrosen und Enzianen und sogar ein paar Sternlein samtweichen Edelweisses dazwischen.

Schon in aller Morgenfrühe ist Friedel mit einem Forstläufer zur Alm empor, den lieblichen Gruss zu pflücken, und seine Augen haben geleuchtet wie noch nie, und voll tollen, kecken Wagemuts hat er sich an den Abgrund gewagt, das Edelweiss zu ersteh’n.

Der Jäger hat vor Schrecken aufgeschrien, als er ihn mit halbem Leibe über dem Abgrund schweben sah, aber der Friedel hat sich lachend zurückgeschoben und die Blume gebracht. Der ist ein Glückskind, dem geschieht nichts!

Einen Gruss!

Für wen?

Friedels frische, lachenden Lippen zitterten, wenn er an sie denkt, das schlanke, zierliche Mädchen mit den grossen Blauaugen, die ebenso stolz und kalt blicken können wie die der Mutter, — noch stolzer, noch kälter wie sie!

Aber nicht immer.

Brunhild kann auch scherzen und heiter sein, ungestüm wild sogar, dass die langen, langen Goldhaare wie ein königlicher Mantel um sie her flattern, dass ihr weisses Kleid von den Felsen herabweht, dass sie wie ein grosser, goldigschimmernder Schmetterling leichtfüssig über die blumigen Matten gaukelt.

Jahrelang hat er das hochmütige Prinzesschen nicht leiden mögen, — sie war so ganz anders wie Eckbrecht, und er spielte überhaupt nicht gern mit Mädchen, aber dann ... ja, wie war das eigentlich gekommen, dass er so plötzlich Tag und Nacht an sie dachte, dass sein Herz zitterte und glühte, wenn er sie nur von weitem sah, dass ihm plötzlich alles andre fremd und nur sie allein traut und lieb und gar wohlbekannt schien?

Wie war’s gekommen?

Friedel wühlte die Finger in sein nussbraunlockiges Haar und atmete tief auf.

Narrheit ist’s — die Brunhild frägt ja gar nichts nach ihm — und doch ... er kann nicht anders, er ist wie verhext, er hat sie nun einmal lieb, — sinnlos, planlos lieb!

Ist er denn so viel schlechter und weniger als sie?

Seine Augen blitzten trotzig auf, das alte, kecke, siegmutige Lächeln irrt um seine Lippen.

Er ist noch jung, und die Welt so gross und weit! Er wird sich schon emporbringen!

Er will einst ebenso hoch stehen wie sie, — das hat er sich zum Ziel gesetzt.

„Das kriegst nimmer weg! Und wann du selb nach Amerika gehst, da liegt’s Gold und die Grafenkronen erst recht nit auf der Strass’n — das stimmt!“

Friedel weiss im Grunde auch nicht, wie er es anfangen soll, aber er zerbricht sich nicht weiter den Kopf darüber, sondern lacht sein lustigstes und sorglosestes Lachen.

„Wenn ich nur erst von der Schule bin!“ denkt er, „dann findet sich alles!“

Und wenn sich’s nicht findet?

Bah, — dann stirbt sich’s auch noch nicht an gebrochenem Herzen!

„Mein Leben lass ich mir nicht verbittern, nicht von andern und auch nicht von ihr!“

Es gibt noch genug Dirneis, — und wenn ich Brunhild nicht kriege, ei, so hab’ ich doch mein Pläsier daran, sie wenigstens zu lieben, — so wie ich nun mal lieb’: lustig, närrisch, ohne Seufzer und Weh und Ach!

„Über’m Baum, unter’m Baum

’s Eichkatzl springt,

Sucht sich eine andre Nuss,

Wann’s die eine nit aufbringt!“

Er sang’s und lachte sich alle Nachdenklichkeit hinweg, besah seinen Strauss und dachte:

„Wenn’s Brunei lieb ist, nachher kriegt’s ihn — und wenn’s grantig ist, nachher kriegt’s ihn nit — basta!“

Am Ziel

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