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III.

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Für den fünften Januar war ein Galerieball im herzoglichen Schlosse angesagt.

Die Galeriebälle erfreuten sich besonderer Beliebtheit, da sie meist nur von der ersten Gesellschaft besucht wurden, nie überfüllt waren und den Teilnehmern Gelegenheit gaben, den höchsten Herrschaften näher treten zu können wie bei den andern offiziellen Hoffesten, wo die einzelne Persönlichkeit vollkommen in der Menge verschwand.

Die ganze Residenzstadt war in modernen und elegantem Stil erbaut: breite, von Promenaden und Parkanlagen durchzogene Villenstrassen, eine luxuriöse Mittelstadt, in welcher ein Schaufenster stets prachtvoller erstrahlte wie das andere, und Plätze, um die sich in grossartiger und geschmackvollster Bauart die Museen, Ministerien, Theater und sonstigen städtischen Bauten reihten.

Diesem Rahmen entsprechend, prangte das herzogliche Schloss wie ein unsagbar schönes und ideales Gemälde auf dem mässig hohen Berg, welcher feine Gärten und Parkabteilungen bis zu den spiegelnden Bassins herab erstreckte, in die sich die treppenartigen Kaskaden und Wasserfälle schäumend niederstürzten.

Das Schloss selber war ein Kunstwerk der Neuzeit, ein wahrer Feenpalast mit Türmchen und Kuppeln, just wie sich die Phantasie im Märchen das Schloss der Elfenkönigin vorstellt.

Zart, duftig und schlank wie ein Nebelbild zeichnete es seine originellen, überreichen Konturen gegen den Himmel, und wenn man das Schnitz- und Gitterwerk der Brücke passiert hatte, vorbei an den gewaltigen Löwengruppen des Vorhofes, und in das innere Viereck des Mittelbaues trat, so hatte man die Empfindung als sei dieses den weiten Hallen der Alhambra nachgeahmt, als habe ein fernes, sagenhaftes Schloss des Morgenlandes dem Baumeister vorgeschwebt, als er all diese spitzzackigen Türmchen und Bogen, graziös wie Eisgebilde, aufgetürmt. Auch die innere Einrichtung des Schlosses war vollkommen neu und modern, mit künstlerischem Geschmack und viel Kosten ausgeführt, und üppig, entzückend und originell, wohin sich das Auge wandte.

Weisser Marmor, Goldornamente, funkelnde Kristallgehänge und schimmernder Atlas, weich, warm, duftig und hell — wahrlich! wenn es hier spukte, so waren es keine schauerlichen und gespenstischen Gestalten versunkener Jahrhunderte, keine Mönche, eisenklirrende Recken und düstere Ahnfrauen; hier konnten nur lichte, lächelnde Geister schweben — und gab’s dennoch auch hier eine dreizehnte Fee, so musste es doch eine wunderschöne wenn auch bitterböse Frau Königin sein!

Junges Leben pulsierte in dem jungen Schloss. Der regierende Herzog hatte kaum seinen sechsundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, als ihn der Wille dessen, welcher die Schicksale der Menschen und Völker bestimmt, auf den Thron der Väter berief.

Heinrich August war ein lebenslustiger, tatenfroher Herrscher, welcher gern noch die Rosen der Jugend in den Lorbeer wand und es liebte, nach sauren Wochen frohe Feste zu feiern, im Kreise heiterer und glücklicher Menschen den schweren Ernst zu vergessen, welcher sein unzertrennlicher Genosse geworden, seitdem er an seines Volkes Spitze gestellt war, treu und fest gegen dessen innere und äussere Feinde zu kämpfen.

Seit drei Jahren mit einer ebenso schönen wie leichtlebigen Prinzessin vermählt, freute er sich des graziösen Talentes seiner Gemahlin, das heissblütige Temperament ihrer südlichen Heimat stets mehr und mehr in die deutsche Stadt herüber zu zaubern.

In dem Zeitalter der Bazillen durfte es nicht wundernehmen, wenn auch aus dem goldglitzernden Fächer und Schleier der jungen Herzogin unsichtbare Stäubchen wehten, welche sich in Herz und Augen ihrer Umgebung festsetzten und üppig wuchernd um sich griffen, die Stäubchen aufrichtigen Frohsinns, ungezwungener Natürlichkeit und geistvollen Witzes, welche freilich manch alter und steifer Etikettenform und manch vermodertem Zopf kecklich den Krieg erklärten — zur Freude der Jugend, zum grössten Entsetzen des Alters!

Wo aber die Jugend regiert, da ist es mit der Herrschaft vergangener Zeit aus und wenn auch die greise Hofmarschallin der verstorbenen Herzogin-Mutter anfänglich den Versuch wagte und in dem Witwenpalais bei Prinzessin Hermine unter mancherlei Vorstellungen die Hände rang, so halte es doch keinen andern Erfolg als den, dass die betagte Prinzessin in ihrer ernsten, zerstreuten Weise von den Büchern aufschaute und klanglosen Tones antwortete: „Ja, ja, Sie haben wohl recht, liebe Gräfin! Wir altmodischen Leute passen nicht mehr in diese moderne Welt! Wir stehen festgewurzelt auf jenem Fleckchen Zeit und Erde, wo auch wir einst zur Empörung der Grossmütter das Altehrwürdige über den Haufen warfen! — Nun wuchs die neue Generation uns ebenso über den Kopf, wie wir einst unsern Vorgängern. Wundert Sie das, liebe Gräfin? Mich nicht. Es ist Gesetz der Natur — auch für Wesen und Sitten muss es einen Frühling geben, der abgestorbene Reiser aufs neue keimen und blühen lässt. — Herzogin Renée ist solch ein Lenzeshauch, sie gibt dem Staub zurück, was sich müde und überlebt nach ihm sehnt, und wenn die Blumen und Früchte, welche sie dagegen mit sich bringt, auch für unsere Augen fremd und ungewohnt sein mögen, nun, so wollen wir ihnen den kurz gemessenen Sommer und Herbst gern gönnen — auch der Herzogin Renée wachsen Kinder und Enkel heran, welche einst die Sense an ihre Saat legen werden!“

Und Prinzessin Hermine nickte voll sinnender Wehmut vor sich hin, starrte auf ihre mächtigen Folianten und tauchte die Feder von neuem ein — da wusste die Hofmarschallin, dass auch ihre Mission und Audienz zu Ende sei.

Die Hoheit war ein Professor im Weiberrock. Sie studierte und forschte und lernte; ihres Lebens Inhalt war die gewaltige Arbeit, auf Grund vieler noch unerforschter, erst beim letzten Brand des alten Schlosses entdeckter Akten eine neue Landes- und Familiengeschichte zu verfassen, welche versprach, ein ebenso wertvolles wie hochinteressantes und verdienstreiches Werk zu werden.

Die kleine Studierlampe brannte Abend für Abend in dem stillen, einsamen Gemach der Prinzessin und der schlichte grüne Friesvorhang der Tür trennte die hohe Frau von der Aussenwelt, von dem strahlenden Märchenschloss der Herzogin Renée, durch welches eine neue Epoche den Einzug unter Flöten und Geigen hielt.

Die einzige, sehr viel jüngere Schwester des Herzogs lebte zur Zeit noch ihren Studien in der Kinderstube, der vergötterte kleine Liebling des ganzen Landes, auf welchem um so mehr aller Augen voll sorgender Zärtlichkeit ruhten, weil dem jungen Herrscherpaar vorerst leider noch jeglicher Kindersegen versagt geblieben war.

Prinzesschen Rafaela war das anmutigste, kleine Wesen, welches man sehen konnte. Von kecker, rosig pikanter Schönheit, Köpfchen und Nacken umwallt von goldbraun glänzendem Gelock, schwebte ihr graziöses Figürchen, stets in weisse Spitzen gehüllt, wie eine Sylphide durch Schloss und Park, wenn das verzogene, eigenwillige Königskind geruhte, den Bonnen und Gouvernanten für etliche Zeit durchzubrennen.

„Mein Gott, Baronin, alterieren Sie sich doch nicht so über den glücklicherweise recht gesunden Übermut der Prinzessin!“ — lachte Herzog Heinrich amüsirt, wenn ihm von der Haushofmeisterin unter Tränen ein neuer Schelmenstreich der kleinen Hoheit gemeldet wurde. „Sie ist nicht aus Holz geschnitzt, und mit zwölf Jahren will jedes Kind austoben! — Mag sie sich immerhin das Gesicht mit Oblaten bekleben und den Posten vom Fenster aus die ‚horribelsten‘ Fratzen schneiden, meine braven Grenadiere nehmens nicht übel, die waren auch ihrer Zeit unnütze Buben! — Und wenn Rafaela so gewaltiges Vergnügen daran findet, ihren Hunden die Toiletten der Hofdamen und Erzieherinnen anzuziehen und dann grossen Ball respektive Hetzjagd in der Galerie zu halten — nun — so lassen Sie ihr den Scherz und reichen Sie stillschweigend der Hofhauptkasse die Rechnung für die verdorbenen Sachen ein! Die Damen werden wohl nicht böse sein, hie und da neu equipiert zu werden!“

„Königliche Hoheit“ — seufzte Baronin Zossen mit schmerzlichem Blick, „der Verlust der Toiletten spricht in dieser Angelegenheit wohl am wenigsten mit! Halten zu Gnaden, wenn ich als verantwortliche dame d’éducation meine ernstliche Sorge ausspreche, dass der abnorme Charakter der Prinzessin geradezu ausarten wird, falls mein hoher Gebieter nicht durch rechtzeitige Strafen eine Änderung erzielen! Auf die erlauchte Tochter eines regierenden Herrscherhauses sind tausende und abertausende von beobachtenden Blicken gerichtet, und nicht ein jeder kritisiert die Prinzessin mit der anbetenden und alles verzeihenden Liebe wie wir! Wollen Königliche Hoheit nicht erwägen, dass ich es späterhin bin, welche alle Vorwürfe treffen werden, sowohl die der Untertanen, welche ein musterhaftes Vorbild für die Jugend des Landes in Prinzessin Rafaela verlangen, als wie auch die erlauchte Familie Eurer Königlichen Hoheit selber, welche das Vertrauen in mich setzte, dass ich die hohe Schutzbefohlene zu vollster Zufriedenheit und tadelloser Vollendung erziehe.“

Die Sprecherin sah sehr trostlos ans, und Herzog Heinrich reichte ihr hastig die Hand entgegen.

„Torheit, beste Zossen! Sie sehen Gespenster und werden sentimental!“ — lachte er kopfschüttelnd. „Wir alle wissen, mit welch treuer Aufopferung Sie die Pflege, die körperliche und geistige, Rafaels leiten! Sie kann und wird niemals ein Vorwurf treffen, sollte unser kleiner Schmetterling in der Tat auch etwas aussergewöhnlicher wie andere Fürstentöchter werden. Dass diese Aussergewöhnlichkeit stets in Grenzen bleibt und höchstens ein feiner Zug ins Originelle wird, davon bin ich überzeugt. — Eine Dame, liebste Zossen, eine Dame! — Wäre es ein wilder Knabe, bei dessen Erziehung jede Versäumnis zur grössten Gefahr werden kann, würde ich Ihre Sorge teilen — aber ein Mädchenherz bleibt zeitlebens weiches Wachs, und formt es sich nicht in den Händen seiner pädagogischen Modelleure, nun bleibt’s der Meisterin Liebe vorbehalten, den Puck in eine Psyche umzuwandeln! — Also keine unnötigen Alterationen, beste Baronin! — Sie werden es mir nachempfinden, wenn sowohl ich wie Herzogin Renée Anstand nehmen, die Prinzessin mit rauher Hand zu strafen. Sie ist das liebste Vermächtnis der hochseligen Eltern — aus Pietät für die Entschlafenen widerstrebt es uns, die kleine Waise streng zu erziehen — mag sie lieber ein toller kleiner Unband sein als wie ein wohl erzogenes, trauriges Wesen, welches sich im Elternhause als Stiefkind fühlt! — Bon soir, liebe Zossen! Seien Sie stets meiner herzlichen Dankbarkeit und Zufriedenheit versichert!“ — Das frische, heitere Gesicht des jungen Regenten nickte der Haushofmeisterin noch einmal in gewinnendster Weise zu, dann wandte er sich dem diensttuenden Kammerherrn entgegen, welcher mit anscheinend eiliger Meldung zwischen die Portièren getreten war.

Baronin Zossen zog sich mit tiefer Verneigung zurück. Sie hatte getan, was in ihren Kräften stand, den Extravaganzen der kleinen Prinzess einen Riegel vorzuschieben; wenn der Wille des herzoglichen Paares ihre Pläne kreuzte, so war es nicht ihr Verschulden, wenn einst das Unkraut die edle Saat überwucherte. —

Hofball in der Galerie!

Auf den Marmortreppen rauschen die seidenen Schleppen, Sporen und Säbel klirren ihren geselligen Gruss durch die strahlend erleuchteten Korridore. Lachen und scherzen! Tanzen und fröhlich sein! Die Augen der Jugend glänzen heute in doppelter Lebensfreude, denn eine längere Hoftrauer hatte ihre düstern Kreppwolken über Karnevals Rosenkranz geworfen, und die tanzlustigen Füsschen hatten sich im Opernhause höchstens sehnsüchtig im heissblütigen Takt der „Cavalleria rusticana“ regen können — ganz heimlich unter dem Sessel nur — aber gerade dieses Naschen an verbotenen Früchten reizte den Appetit! Heute waren nun wieder die farbenbunten, schillernden Schmetterlinge aus ihren dunkeln Puppen geschlüpft, und sie schwebten und wirbelten durcheinander auf den kosenden Klängen, wie eine holde Mahnung an den Lenz — an den Liebeslenz der Menschenherzen, welcher stets sein Reich behauptet, starrt die Welt auch noch so winterlich in Eis und Schnee.

Graf Cyprian Lankwitz, welcher seit seinen letzten Orientreisen dauernden Aufenthalt in der Residenz genommen, hatte seine flotte Ulanenuniform angelegt und stieg mit einem Gesicht, welches deutlich zeigte, wie „riesig“ gern er kam, die Treppe empor.

„Ewig jung und ewig schön!“ sagte man von ihm, denn die Zeit schien spurlos an seiner schlanken Gestalt und seinem lachenden Antlitz vorüberzuziehen, und das „Juvivallera“, welches einst seine Devise als jüngster Leutnant gewesen, umklang und umträllerte unverändert auch noch das schöne Haupt des pensionierten Rittmeisters, an welchem das einzig Alte — der Sohn war!

Vor einem der hohen, auf Greifen ruhenden Pfeilerspiegel der Kuppelhalle stand Cyprian momentan still und strich noch einmal mit den beiden goldziselierten Bürstchen den Scheitel des Hinterhauptes glatt. Sein Interesse galt jedoch weniger seinem eigenen Spiegelbild als dem der neuankommenden Damen, welche noch in Pelz und Schleier vermummt, der Tür der Garderoben entgegeneilten.

Für den humoristischen Sinn des Grafen hatte es stets etwas äusserst Spasshaftes, die Schönen des Festes in ihren verschiedenen Metamorphosen zu schauen, wie sich aus unförmigen Mantelklumpen mit auswuchsartig hochgenommenen Schleppen und wahren Ungeheuern von Pelzschuhen eine zarte, spitzen- und gazeduftige Menschenblüte entwickelte.

Die alten Damen und die jungen Mädchen sehen meist am abenteuerlichsten aus; die schönen, koketten Frauen, welche in dem stets geschmackvollen, routinierten Alter der „Renaissance“ stehen, wissen, dass Korridor und Treppe just so hell beleuchtet und belebt sind, wie die Gesellschaftsräume, darum sind sie nicht nur programmgemäss, sondern permanent gerüstet, auch en passant ein Männerherz als originelles Anhängsel für ihr Bettelarmband zu erobern.

Männerherzen und Weiberherzen! Wenn sie nur en gros in der Saison gehandelt werden sollen, sind sie billig. Sie wirbeln umher wie die Schneeflocken, und wer weisse graziöse Händchen hat zum fangen, oder ein paar heisse, glutvolle Augen, sie widerstandslos zu schmelzen, dem gehören sie — so lange es eben die Zeit der Schneeflocken ist; im Frühjahr zerinnen sie wie Träume und Schäume im Sonnenlicht.

Eine lange, meergrün schillernde Seidenplüschschleppe knistert über die Marmorstufen, eine mittelgrosse, üppige Frauengestalt, den weissen Pelzmantel bereits sehr wirkungsvoll über die Schultern zurückgeschlagen, dass er die elegante Figur nur umrahmt und nicht verhüllt, schreitet ihr leichtfüssig als Trägerin voran. — Ah! — Juvivallera kennt seine Pappenheimer. — Unwillkürlich klappt er die Sporen zusammen und macht Front. Er hat ein ganzes Lager diverser Blicke auf Vorrat, und jetzt wählt er als Meuschenkenner einen der interessantesten und kecklich flammendsten. — Das Füsschen im winzigen Atlasschuh zuckt auch momentan zögernd vor ihm zurück, und die Hand, von der grell aufsprühende Brillantreifen auf den vollen Arm zurückklirren, hebt sich, den Spitzenschleier vollends von dem Antlitz zurück zu schlagen.

Kein hübsches Gesicht, etwas allzufrisch und rundwangig, aber mit einem Lächeln um die roten Lippen und einem Blick ...! — Diantre! — Man weiss nicht recht, neigt sie das Köpfchen im unmerklichen Gegengruss oder veranlasst nur der Schleier die jähe Regung? Auf jeden Fall lächelt sie — blitzartig und eigentümlich — und dann rauscht die Schleppe mit geheimnisvollem Frou-Frou weiter und verschwindet hinter der Garderobentüre.

Juvivalleras Blick folgt ihr, wie sich die Sonnenblume nach der Sonne dreht.

„Alle Wetter, Vorbach! Eine total neue und fremde Erscheinung im Schloss?“ wandte er sich lachend an einen jungen Offizier, welcher grüssend zu ihm herantrat: „Jene Dame, die ich liebe, kenn’ ich nicht! Wer ist sie?“

Der Ulan zuckte humorvoll die Achseln: „Nie sollst du mich befragen — noch Wissenssorge tragen!“ sang er mit mehr Geste, wie Stimme. „Wer und was sie ist? — Falls Witwe, eine gute Partie! Donnerwetter, die Brillanten!“

Ein Lakai räusperte sich vornehmlich hinter den Herren.

Juvivallera kehrte sich ihm hastig zu: „Na, James? Was auf dem Herzen?“

Das weissgepuderte Haupt schoss diensteifrig näher: „Die Dame war die Freifrau von Ohly-Eckhof — dort steht der Herr Gemahl an der Säule und erwartet sie. Herrschaften sind neuerdings erst vorgestellt — so viel ich weiss hat der Herr Baron ein Gut in der Nähe der Residenz angekauft!“

„Merci, James. — Sind ein netter Kerl! — —“ und Lankwitz wandte sich wieder flüsternd zu Herrn von Vorbach. „Ohly-Eckhof? — kommt mir so bekannt vor, als hätte ich den Namen einmal mit viel Interesse im Leben gehört und genannt, kann mich aber beim besten Willen nicht entsinnen, wann und wo. Mit dem Gutskauf irrt sich der gute James, im ganzen Herzogtum ist seit Jahren kein herrschaftlicher Besitz in fremde Hände übergegangen. Dort, der unglaublich dicke, missvergnügte, kleine Herr ist der beneidenswerte Gatte der Brillantendame? — Verrückte Zusammenstellung! Taxiere den Fallstaff im modernen Frack viel eher auf eine perfekte Köchin als auf ein elegantes und schneidiges Weib!“

„Tatsächlich, Herr Rittmeister? Menukenner sind meist auch Gourmands des Herzens! Und die runden, schneeweissen Arme der unbekannten Göttin sahen so appetitlich aus — —“

„Pst — da naht sie wieder! Alle Achtung, — welch süsser Kern in der Pelzmantelschaale!“

„Aber hübsch nicht, Herr Rittmeister, — etwas derb und gewöhnlich aussehend!“

„Das allerdings, aber diese frische, üppige beauté du diable findet auch ihre Verehrer — und ich glaube, Madame kann sehr amüsant sein!“

„Ihrem Gatten gegenüber nicht. Man scheint recht kühl und illusionslos zusammen zu verkehren, — am liebsten möchte sie ganz auf seinen Arm verzichten, sie nimmt ihn nur, weil es der gute Ton erfordert.“

„Moderne Ehe. — Immer interessanter.“

„Lassen Sie uns folgen, Graf, — die ersten Herzen, über welche sie stolpert, sollen die unsern sein!“

„D’accord!“

Altem Brauch gemäss ward das Souper an kleinen Tischchen in den beiden langen Seitenflügeln der Bildergalerie eingenommen.

Die Schaar der Lakaien flog wie lautlose Schatten servierend hin und her, und allgemeiner Ansicht nach war diese Souperstunde die gemütlichste und amüsanteste des ganzen Abends. In der kleinen Nische, welche zwei breit vorspringende, mit Gemälden behangene Pfeiler bildeten, stand der runde Marmortisch, an welchem Graf Lankwitz für seine Dame, sich selbst und ein junges Paar belegt hatte, von dem Frau Fama behauptete, dass es nur auf den ersten günstigen Moment warte, sich der lang darauf vorbereiteten Welt als Brautpaar zu präsentieren.

Heute Abend beim Souper wollte Graf Lankwitz in menschenfreundlichster Weise für diese Gelegenheit sorgen, denn er und seine Tischnachbarin, Baronin Ohly-Eckhof, waren so völlig von ihrer Unterhaltung absorbiert, dass sie kaum einen Blick für Hummer und Austern, geschweige für ihre Nachbarn übrig hatten.

Frau von Ohly entfaltete den mächtigen, grün abschattierten Straussfederfächer und blinzelte neckisch über seinen Rand zu Juvivallera auf.

„O kurzes Gedächtnis, dein Name ist Lankwitz!“ spottete sie. „Auch ohne Menschen- und Physiognomienkenntnis hätte es selbst ein Blinder Ihrem Gesichte ansehen müssen, dass Sie keinen Schimmer hatten, welch eine alte Herzensflamme vorhin auf dem Korridor an Ihnen vorüberschwebte.“

„Allright! Wer es mit ansah, glaubte, es sei eine ganz neue, allerjüngste Königin, welche prima vista mein Herz eroberte! — Aber Scherz à bas, gnädigste Frau, wenn ein alter, gebeugter Mann wie ich, sich in Gedanken eine Jugendfreundin vorstellt, so schliesst er unwillkürlich von sich selbst auf andere und lässt es sich nicht träumen, dass auch in jetziger Zeit noch das Märchen der Ninon de Lenclos zur Wahrheit werde! Wir haben uns beide seit unserem sechzehnten Lebensjahre nicht wieder gesehen; Sie waren damals ein Knöspchen, jetzt blüht die erschlossene Rose vor mir, und ... ja zum Teufel, ich bilde mir bei diesem Anblick schier ein, dass ich auch noch ein ganz junger, feuerblütiger Kerl bin!“

„Ist Ihr Herr Sohn schon verheiratet?“

„Perfide! So stürzt man eitle Verblendung aus allen Himmeln zurück! Mein Herr Sohn! ja, Baronin, wenn man allerdings den langen Schlingel als Massstab an mein Alter legt, kann ich nicht mehr neben Ihnen bestehen. Cyrill könnte schon recht bald heiraten, wenn er dem Vorbild seines Herrn Vaters folgte; wären Sie Witwe, Madame Ninon, würde ich den Rivalen sofort auf weite Reisen schicken!“

„Lassen Sie ihn ruhig hier. Meine Tochter lässt sich schon jetzt ebenso gern Schmeicheleien sagen, wie die Mutter!“

„Tochter?“ Lankwitz setzte das Sektglas, welches er just zum Munde führen wollte, jählings nieder und starrte die Sprecherin, welche sehr gelassen die Blüten der niederhängenden Hopfengarnitur über dem Busen zurecht zupfte, einen Augenblick sprachlos an. „Tochter?“ wiederholte er gedehnt — „alle Wetter, seit wann denn das? Habe ja nie eine Silbe davon erfahren!“

„Sie scheinen überhaupt wenig Anteil an meinem Geschick genommen zu haben. Meine Prinzesse Royale hat im vergangenen Monat sieben stolze Lebensjahre vollendet, und obwohl Ihr Herz ein Strohdach zu haben scheint und auch ein Fünkchen ihm schon gefährlich werden kann, will ich Mignon doch nicht übers Meer schicken, sondern sie Ihnen baldmöglichst einmal als Dessert servieren!“

„Mignon! — Heisst die Allergnädigste etwa Mignon? Sein Vater?“

Cyprian machte unwiderstehliche Augen: „Ganz so hübsch nicht, aber bedeutend angenehmer wie der Alte!“

„Dazu gehört nicht viel. Apropos — ich nehme an, dass Sie als gebildeter Mensch auch meinem Hause eine Visite abstatten werden; wenn ich dieselbe nun als genossen ansehen würde — in Anbetracht unserer alten Bekanntschaft — und Sie nebst dem Herrn Sohn bäte, übermorgen bei uns zu dinieren?“

„Dann wären Sie zum küssen, Baronin!“

„Abgemacht. — Und nun holen Sie mir, bitte, noch etwas Eis von dem Büfett!“

„Nicht umsonst.“

„Ei, ei? Botenlohn? Dann fahre ich sparsamer mit einem Lakai!“

„Es ist keiner in der Nähe, und die Tafel der Höchsten nähert sich ihrem Ende.“

„Nun gut; Sie sollen fünf Pfennige bekommen, aber dann bitte auch — tempo vivace!“

„Fünf Pfennige?“

„Es ist unedel, bei einer Verschmachtenden Erpressungen zu machen! Was verlangen Sie?“

Alle Teufelchen des Übermuts blitzten aus seinen Augen. Er zwirbelte den Schnurrbart und neigte sich neckend näher: „Le baiser — welches zu dem Eis unzertrennlich gehört!“

Frau von Ohly warf in sittlicher Entrüstung das Stumpfnäschen zurück. „Empörend! — das wagen Sie mir Ihrer künftigen Schwiegermutter, zu bieten?“

Jetzt hatte er sie zum besten. „Ihnen bieten? — Gott soll mich bewahren! — Wer denkt an eine Schwiegermama, wenn von Küssen die Rede ist!“ schauderte er.

Sie lehnte sich voll Humor in das Goldsesselchen zurück, der grüne Plüsch schillerte um ihre jugendliche Figur, die Brillanten brannten wie aufzuckende Irrlichtflämmchen auf dem weissen Hals. „Allerdings nur der — welcher nur gern eine haben möchte, dürfte leicht in die leere Luft küssen! — Also Sie sind bescheiden in Ihrer Forderung. Von wem verlangen Sie einen Kuss — von meinem Schosshund?“

„Nein.“

„Über ein anderes Wesen habe ich leider nicht zu verfügen!“

„Angenehme Mutter! An den Schosshund denkt sie den ganzen Tag, an die Tochter nicht.“

„Ah ... Mignon?“

„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiss, was ich leide!“

Die junge Frau zuckte halb mitleidig, halb wohlwollend die Achseln. „Ich bin überzeugt, dass meine Kleine, welche schon so manchen alten Onkel küssen musste, sehr kaltblütig die Portion Eis für ihre arme, halbverdurstende Mutter bezahlen wird!“

„Ausgezeichnet! Bitte, leben Sie nur noch fünf Minuten, Gnädigste, bis ich Ihnen einen Scheck zur Unterschrift vorlege!“ Er riss sein Portefeuille aus der Brusttasche und kritzelte eilig die Worte hinein: Ich erlaube dem Grafen Cyprian von Lankwitz, meine Tochter Mignon zu küssen. — — „Bitte um Ihre Unterschrift, Madame — entzückend! — — Teuerste Schwiegermama —“ der Graf neigte sich galant und küsste die Hand, welche ebenfalls nach dem Glase griff: „Ich erlaube mir auf das Wohl meiner kleinen Zukunftsgöttin anzustossen, und bitte Sie, seinerzeit meine Werbung freundlichst unterstützen zu wollen!“

Sie zuckte mit kokettem Aufblitz der Augen die vollen Schultern. „Ich mache keinerlei Konzessionen, denn ich kann nicht wissen, ob meine Tochter in zwanzig Jahren eine Passion für Antiquitäten entwickeln wird!“

„Das nenne ich boshaft!“

„Ich vorsichtig. — Wenn der ‚alte, gebeugte‘ Mann schon der Mutter gegenüber ein so schlechtes Gedächtnis entwickelte, wie sollte er sich in zwanzig Jahren noch eines ‚Heiratsantrages en passant‘ entsinnen? Übrigens ... um zurückzukommen — —“

„Auf unsern Hammel — —“

„Pardon, auf Ihren Herrn Sohn! — Wo steckt Monsieur Cyrill zur Zeit?“

Juvivallera lachte sehr animirt auf. „Er ahnt nicht, wie schlecht mir momentan mitgespielt wird, sonst käme er mir zu Hilfe! Die Ritterakademie liegt leider über eine Stunde von hier entfernt in der westlichen Vorstadt, und da man vielleicht ahnt, was für eine gefährliche Spezies von Schwiegermüttern hier lauert, bewahrt man die jungen Menschenkinder noch strengstens vor den Schicksalen eines Hofballes.“

„Sehr richtig! — Also Schüler der Ritterakademie! Ist Lankwitz junior ebenso hübsch und so unleidlich wie Ninon!“

„Es klingt allerdings empörend frivol, aber in anbetracht, dass meine Tochter erst sieben Jahre zählt und ich geradezu nach einer Erfrischung fiebere ... — lá voilà — zwar nicht mit Blut, aber mit Bleistift unterschrieben. Mignon kommt nächste Ostern wieder auf Pensionsurlaub hierher, dann können Sie den Schuldschein einlösen!“

Juvivallera faltete den unterzeichneten Zettel sorgsam zusammen und schob ihn in die Brusttasche. Sein ganzes, schönes Antlitz strahlte in Schalk und Triumph.

„Fällt mir gar nicht im Traume ein, Schwiegermama!“

„Wie? Sie lösen den Bon nicht ein?“

Da richtete sich der Graf auf und stemmte beide Hände auf die Tischplatte. Tief zu ihr niedergeneigt erwiderte er lachend: „Einlösen werde ich diesen entzückenden Schuldschein auf jeden Fall, Baronin, aber weder zu Ostern noch zu Pfingsten, sondern genau nach zehn Jahren, teuerste Schwiegermama — — dann küsst Mignon den alten Onkel vielleicht doch nicht so kaltblütig wie jetzt!“

„Verrat! — schändlicher Betrug! — ich falle in Ohnmacht!“

„Bitte warten Sie noch einen Augenblick damit — ich fliege, um das Eis zu holen!“ Und ganz, ganz langsam, Schrittchen für Schrittchen, stets lachend zurückschauend und seine Eile in übermütigster Weise persiflierend, verliess er seine Tischnachbarin, welche verzweifelt darüber war, just in diesem Augenblick an herzoglicher Tafel zu sitzen; sie konnte nicht einmal das Tischtuch zwischen sich und dem strafwürdigsten aller Kavaliere durchschneiden.

Ungleich!

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