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IV.
ОглавлениеMan tanzte wieder.
Graf Cyprian gehörte nicht zu der Sorte unnatürlicher Herren, welche, kaum das Kadettenkorps oder Gymnasium hinter sich, bereits erklären: „Wir besuchen nur Diners und keine Bälle; wir tanzen nicht.“
Diese Herren hatte Herzogin Renée voll scharfen Spottes nie wieder zu den Hofbällen befehlen lassen. „Was sollen sie hier? Sie sind mir selbst als Staffage unsympathisch, denn ein junger Mensch, der nicht tanzt, hat entweder krumme Beine, und dann ziert er den Ballsaal nicht, oder er ist so krank und unappetitlich, dass er nicht unter lebensfrohe Gesunde gehört, oder er ist so unliebenswürdig blasiert, dass ich den jungen Damen solche Gesellschaft nicht zumuten kann!“
Das hatte gewirkt. Für krummbeinig, krank oder fade zu gelten, war den jungen Herren nicht angenehm, und Herzogin Renée, die leidenschaftliche Tänzerin, sah es mit Genugtuung, wie äusserst animiert und lebhaft sich ihre Tanzfeste künftighin gestalteten.
Ihr erlauchter Gemahl war durchaus einverstanden mit der scharfen Kritik, zu welcher er persönlich noch hinzugesetzt hatte: „Wer nicht tanzen kann, kann auch nicht marschieren, und wer nicht seinen Mann auf Amors Schlachtfeld steht, der leistet auch auf demjenigen des Mars nichts! Ein junger Mann, welcher ohne triftigen Grund nicht tanzt, ist schlapp und ohne Schneid, und solche Leute kann ich überall entbehren!“
Das wirkte noch mehr. Selbst die würdigen Familienväter und Stabsoffiziere wurden von ehrgeizigem Eifer beseelt. Wo die stramme, elegante Gestalt ihres Herzogs auf dem „Schlachtfelde Amors“ in flottem Galopp und Walzer vorausstürmte, folgte die Schar seiner Getreuen in lustigem Wetteifer nach; keiner wollte zurückbleiben, keiner wollte schlapp oder dienstunfähig erscheinen, das schneidige Rittertum feierte seine schönsten Siege.
Graf Cyprian hatte stets mit grosser Passion getanzt. Am Ende der dreissiger Jahre erst stehend, war seine vornehme Gestalt eine der hervorragendsten Erscheinungen bei Hofe, und seine Schönheit, seine ausserordentliche Liebenswürdigkeit und der leichtlebige Humor machten ihn auch hier, wie überall im Leben, zum Löwen des Tages, der für manch heimlichen Liebestraum sehnsuchtsvoller Mädchenherzen den Helden gab, und selbst das Ideal mancher anspruchsvollen Frauenseele verkörperte.
Sein Name klang auf allen Lippen, und während der ersten Hälfte des Balles, vor dem Souper, sah man ihn als gefeierten Mittelpunkt stets im Kreise der Damen, unermüdlich tanzend, scherzend, neckend — das belebende Element überall, wo er irrlichtartig auftauchte und wieder verschwand.
Nach dem Souper war er nirgends zu entdecken, so interessiert und erwartungsvoll auch manch schönes Auge nach ihm ausschaute. In einem schmalen, mit Blumen geschmückten Korridor, der die Galerie mit dem japanischen Saal verband, sass Juvivallera in den weichen Polstern einer Causeuse und starrte nachdenklich vor sich nieder auf das spiegelnde Parkett, das mit seinen reizenden Wappenmustern jedem Teppich Konkurrenz machte.
Er dachte weit, weit zurück. — Wie ein Mensch plötzlich vor einem Gemälde steht, welches ihm ein Stück Jugend und Heimat zeigt, so hatte Cyprian in das Antlitz der Baronin Ohly geschaut, und alles, was seit dem Einst und diesem Wiedersehen dazwischenlag, war wie mit einem Zauberschlag lebendig geworden.
Sie neckte ihn mit seinem schlechten Gedächtnis. War es wirklich so durchlöchert im Lauf der Jahre? — Oh nein; nur einen Augenblick besinnen und nachdenken — und all die Bilder, welche er längst verwittert geglaubt, werden aufs neue in frischer Farbenpracht vor seinen geistigen Augen stehen!
Florence von Ohly, geborene von Bahrenberg — gewiss, er sieht sie noch als derbes, dralles, rotwangiges, nicht sehr hübsches Backfischchen vor sich stehen, als er ihr in der Tanzstunde vorgestellt wurde. Sie und ihre Schwester Claudine waren die am wenigsten begehrten jungen Damen; Claudine noch ausgesprochen hässlicher, beide derb und ungelenk, still, verschlossen und abweisend wie die meisten Kinder, welche in der Einsamkeit des Landes aufwachsen und unselbständig und schüchtern in einen Kreis wildfremder, formengewandter Stadtmenschen treten.
Die Familienverhältnisse der Schwestern waren recht traurige. Sie hatten die Mutter früh verloren, nicht durch den Tod, sondern durch Scheidung der Eltern, und die Schuld war wohl zweifellos auf seiten der flatterhaften Frau, welche zu spät bereute, um eines grossen Reichtums willen einen auffallend hässlichen, menschenscheuen Mann geheiratet zu haben.
Die böse Welt behauptete, sie habe sich von dem Hauslehrer ihrer beiden Töchterchen entführen lassen, doch ward nie etwas Bestimmtes darüber laut. Frau von Bahrenberg lebte nach ihrer Scheidung mit ihrer Stiefschwester viel auf Reisen, gab nie Anlass zu böser Nachrede und ging keine zweite Ehe ein; sie erklärte jedem, der es hören wollte, dass sie lediglich darum das Haus ihres Mannes heimlich verlassen, weil sie einen derartigen Widerwillen gegen den eifersüchtigen, sie ständig quälenden Pessimisten empfunden, dass ihr ein ferneres Zusammenleben mit ihm unmöglich gewesen sei.
Auch hat sie verschiedentlich Versuche gemacht, ihre Kinder oder doch wenigstens eines derselben von ihrem Gatten zu erbitten — vergeblich, Herr von Bahrenberg untersagte in masslosem Hass selbst jede Korrespondenz zwischen der Mutter und den Töchtern, ja er erlaubte es sogar nicht, dass die halbwüchsigen Mädchen an das Sterbebett der Schwerkranken geholt wurden.
Einsam, freudlos, ganz unter dem Einfluss des verbitterten, menschenfeindlichen Vaters lebend, wuchsen die Zwillingsschwestern Claudine und Florence auf. Eine mitleidige Tante machte einst den Versuch, die armen jungen Wesen aus ihrer düsteren Abgeschlossenheit zu erlösen, und lud sie für einen Winter zu sich in die Residenz ein.
Wie man sagte, hatte der Vater nach heissem Kampf erst die Erlaubnis dazu gegeben, als ihm begreiflich gemacht wurde, dass die Mädchen der Musik- und Malstunden dringend bedürfen, sie seien beide aussergewöhnlich talentiert. Nur unter der Bedingung, dass die Töchter ohne jeden Verkehr mit der geselligen Aussenwelt leben sollten, hatte der Einsiedler von Schloss Nahrberg sie der Tante anvertraut. Diese meinte es gut mit den armen Mädchen, welche nie eine Freude der Jugend kennen gelernt. Sie führte sie in das Theater und zu einer Privattanzstunde. Florence war lebhaften und leicht begeisterten Temperamentes, sie genoss entzückt diese neuen Eindrücke und war unbeschreiblich dankbar dafür; Claudine jedoch, welche sehr viel ernster und schwermütiger beanlagt war, empfand es bitter schmerzlich, wie fremd und ungeschliffen sie in dieser Umgebung gegen alle anderen jungen Mädchen abstachen, wie man über sie spottete und glossierte, wie sie so peinlich zurückgesetzt wurden um ihrer Hässlichkeit willen.
Sie beklagte sich darüber bei dem Vater, und dieser holte sich voll Zorn und Entrüstung die Zwillinge nach Hause — von Stund an mit der Tante für ewige Zeiten verfeindet. Seine Töchter sollten die Welt nicht kennen lernen, diese falsche, hoffärtige, lügnerische und leichtsinnige Welt! Sie sollten auch niemals heiraten, denn dazu waren sie zu reich und zu hässlich. Aus Liebe kam kein Freier — er kam um des Geldes willen, nnd die Kinder würden ebenso aus herzloser Berechnung gewählt werden, wie einst der verblendete, unglückselige Vater!
Vor einem solchen Schicksal wollte er jedoch sein Liebstes auf der Welt bewahren!
Unter dem Einfluss seiner misantropischen Lehren heranwachsend, empfanden die jungen Mädchen auch durchaus keine Neigung, Welt und Leben kennen zu lernen, die der Vater so verächtlich schilderte und die sie selber so wenig verlockend kennen gelernt.
Es ward ein ernstes, feierliches Bündnis geschlossen, dass die Schwestern sich nie vermählen, sondern stets zusammen auf dem väterlichen Besitztum leben sollten. Ihr ganz ausserordentlicher Reichtum garantierte ihnen ein sorgloses und angenehmes Dasein — ruhig und friedlich, nie getrübt durch die Stürme der Liebe, durch die Wetterwolken der Ehe, durch das grenzenlose Elend des Verraten- und Verlassenseins!
Herr von Bahrenberg teilte seinen grossen Landbesitz genau in zwei Hälften, und da das alte Schloss baufällig geworden, so liess er für die Töchter einen „Witwensitz“ aufführen, dessen Originalität viel von sich reden machte.
Der prächtige Bau bestand aus zwei ganz gleichen Hälften, die genau in der Mitte durch eine leichte Mauer getrennt wurden. Eine Seite war vollständig gleichmässig wie die andere eingeteilt und eingerichtet. Jedes Möbel, jedes Bild, ja jeder Nagel war in einer Hälfte des Schlosses peinlich genau wie in der anderen angebracht, und Herr von Bahrenberg durchschritt den eigenartigen „Witwensitz“ seiner jungen Töchter zum erstenmal mit einem feinen Schimmer der Befriedigung auf dem finsteren Antlitz. Hier sollten seine Zwillinge leben und sterben, hier sollten sie ihre Wirtschaft einrichten, wie sie wollten. — Dauerte der schwesterliche Frieden auch ohne die strenge Aufsicht des Vaters an, nun, so konnten sie in einer Hälfte des Schlosses zusammen wohnen, schlichen sich jedoch mit dem Alter Differenzen ein, so war jede auf ihrem Gebiet selbständig und es konnten in Beziehung auf Besitz oder Vermögen niemals Zwistigkeiten entstehen. Die Teilung war so genau und zweifellos vom Vater eingeteilt, dass nie eine gerichtliche Hilfe notwendig sein wird, die Erbschaft zu regeln.
Cyprian erinnerte sich dunkel, dass diese etwas sehr eigenartige Verfügung des alten Sonderlings damals im Lande viel besprochen und belacht wurde, dass man im Interesse der jungen Herren lebhaft bedauerte, so viel herrschaftliches Vermögen brach gelegt zu sehen, und dass man hoffte, die Töchter möchten vernünftiger beanlagt sein, wie der Grillenfänger Bahrenberg.
Dann verlief die sensationelle Geschichte allmählich im Sande, und Cyprian war viel zu sehr mit sich und seinem eigenen Schicksal beschäftigt, um noch Zeit und Interesse für die Bahrenberger übrig zu haben. Die Todesnachricht des Vaters alarmierte noch einmal auf kurze Zeit die Gemüter. Man beobachtete voll Spannung das Benehmen der Töchter, und fand es unglaublich langweilig und unnatürlich, dass die kaum in Mitte der zwanziger Jahre stehenden Mädchen tatsächlich nach dem Willen des Verstorbenen in klosterhafter Abgeschiedenheit weiterlebten.
Man behauptete allerdings, es sei dies hauptsächlich der Einfluss der Claudine, welche in Wesen und Charakter genau das Ebenbild des Vaters sei, Florence habe viel mehr mütterliches Blut geerbt, wage aber nicht, der strengen, eigenwilligen Schwester zu opponieren.
Und wieder vergingen ein oder zwei Jahre, da erzählte man sich einen Roman, welcher den Namen Bahrenberg aufs neue in aller Mund brachte.
Florence hatte sich entführen lassen.
Die kleine Liebesgeschichte hatte sehr poetisch begonnen. Ein junger Maler sass Tag für Tag in einem entfernt liegenden Teile des Parkes am kleinen Weiher und konterfeite das stille, schwermütige Wasseridyll, dessen einzig belebendes Element, die türkischen Enten, täglich von Florence gefüttert wurden. Bei dieser Gelegenheit lernten sie sich kennen, und weil die junge Dame dieses Sehen und Plaudern köstlich interessant fand, hütete sie das Geheimnis vor der strengen Schwester und träumte sich, teils aus Langweile, teils aus leidenschaftlicher Sehnsucht nach Erlösung aus ihrer Nonnenhaft, in eine Liebe hinein, die dem jungen Mann lediglich darum galt, weil er der erste war, der ihren Weg kreuzte.
Baron Ohly, ein Schwede, war weder geistvoll noch sehr hübsch, aber er verstand es, das Eisen zu schmieden, so lange es heiss war —, und seine sonst so nichtssagenden Augen wurden immer heisser und flehender, sein Werben immer offenkundiger und dringender, bis Florence berauscht von dem süssen Reiz verbotener Liebesfrüchte, dem stürmischen Drängen des Barons nicht länger widerstehen konnte. Da sie die heftigsten Szenen mit Claudine und deren energischen Widerstand fürchtete, entschloss sie sich, das Schloss heimlich zu verlassen, und erst die vollendete Tatsache ihrer Vermählung der Schwester mitzuteilen.
So geschah es auch. Frau Fama hatte in dieser Zeit unglaublich viel zu erzählen. Fräulein Claudine von Bahrenberg sah in der Flucht der Schwester den lieblosesten und gemeinsten Verrat an aller Treue und allen je geleisteten Schwüren.
Schwergekränkt und unversöhnlich wie einst der Vater, sagte sie sich für ewige Zeiten von Baronin Ohly los, und wies voll hartnäckiger, hasserfüllter Bitterkeit jeden Annäherungs- und Aussöhnungsversuch des jungen Paares zurück. — Einsam und menschenfeindlich schloss sie sich in dem ihr gehörigen Teil des Besitzes ab; das Baarvermögen wurde der volljährigen Florence ausgezahlt, die Renten des ihr zugeschriebenen Gutsteiles führte der Verwalter an sie ab — von Claudine hörte die Schwester auf direktem Wege nie wieder ein Wort.
Ihr leichtlebiger Sinn setzte sich darüber hinweg, die bunte, fremde Herrlichkeit der schönen Welt nahm ihr Herz und Sinn derart gefangen, dass sie sich dem unbekannten Zauber frohen Lebensgenusses glückselig hingab.
Man behauptete zwar, Baron Ohly sei ein sehr schlauer und geschickter Intrigant, welcher die ganze Malerkomödie lediglich in Szene gesetzt habe, das Goldfischchen Florence an dem Entenweiher zu fangen.
Seine Vermögensverhältnisse waren durchaus der Auffrischung bedürftig, denn er liebte ein behagliches, materielles Leben und hatte seinem Götzen, dem Magen, bereits alles zum Opfer gebracht, was er an Mitteln besass.
Obwohl seine Gemahlin bald die Triebfeder seiner Werbung durchschaute, fasste sie die List des Barons durchaus nicht sentimental auf. Sie war durch ihn aus einem Leben voll unerträglicher Langerweile und geisttötender Einsamkeit errettet, er gab ihr, mit seinem guten Namen und sonst vortrefflichen Rénommée, eine angesehene Stellung in der Welt, und da er der beste, gutmütigste Mann war, wenn er ein gutes Diner hatte, so war das Einvernehmen der Gatten stets das beste.
Leben und leben lassen! Herr von Ohly war viel zu phlegmatisch, um eifersüchtig zu sein, er war auch — und das mit Recht — felsenfest von der Treue seiner Frau überzeugt; mochte sie sich getrost von den Herren der Gesellschaft die Cour machen lassen, es amüsierte sie so sehr, und wenn Florence sich so recht ihres Lebens freute und guter Laune war, dann stand er sich am besten dabei, denn das Menü war immer ein Spiegelbild ihrer Stimmung.
Das Regiment führte die Hausfrau.
Sie verwaltete ihr Vermögen selbst und stand ihrem Hauswesen mit aller Energie vor, der Gemahl erfreute sich guter Verköstigung und Verpflegung und beanspruchte auch nicht mehr als diese und ungestörte Seelenruhe!
Dass er die lebensfrohe Gattin manch liebe, lange Nacht zu Spiel und Tanz führen musste, war ihm eine zwar schmerzliche und sauere Verpflichtung, aber er ertrug sie mit Würde und entschädigte sich dafür am Souper, die schlaflosen Stunden holte er am Tage desto reichlicher nach.
So waltete eine schöne nie getrübte Eintracht in dem Hause Ohly, und wenn auch die Ehe weit davon entfernt war, eine zärtliche oder sehr herzliche zu sein, so freuten sich die Eltern doch in wahrer und aufrichtiger Liebe ihres niedlichen Töchterchens, auf welches sie alle Gefühle der Innigkeit übertrugen, die sie sich gegenseitig versagten.
Frau von Ohly war eine gute Mutter. Sie widmete sich während des ganzen Jahres persönlich der Pflege und Erziehung ihres Kindes, nur während der Saison — da hätte sie ihr Herz teilen müssen, denn die Feste des Winters waren ihr zu einem geradezu leidenschaftlichen Bedürfnis geworden.
Da sie ihnen trotz aller Liebe und Sorge um Mignon nicht entsagen konnte, und gern noch die paar Jahre ihrer entschwindenden Jugend geniessen wollte, um nachzuholen, was sie ehemals in Bahrenberg versäumte, so schickte sie die Kleine während der Wintermonate in ein bestempfohlenes Pensionat, in der Überzeugung, dass man dort besser für das Wohl des Mägdleins sorgen könne, wie in ihrem geselligen, stets sich im Trubel befindlichen Hause.
Diese letzte Nachricht hatte Cyprian soeben erst in Erfahrung gebracht, als eine etwas eifersüchtig werdende junge Dame, die er heute wegen Frau von Ohly sichtlich vernachlässigte, gern ein kleines Steinchen auf die Gegnerin, welche ein Kind in Pension schickt, um sich ungenierter amüsieren zu können — werfen wollte.
Gedankenvoll griff Cyprian nach dem vollen Sektglas, welches ein Lakai im Vorüberschreiten präsentierte, und schlürfte es langsam aus. Ja, er hatte sein schwaches Gedächtnis etwas aufgerüttelt, und war nun besser gerüstet, Frau von Ohly in die schelmischen, so lebenslustig blitzenden Augen zu schauen. Er erhob sich nnd strich tief aufatmend über die Stirn, gleicherzeit wandte er erstaunt den Kopf.
„Hier, junger Herr! Hier befindet sich der Herr Graf zufälligerweise ganz allein!“ flüsterte die Stimme des Hoffouriers, und als Juvivallera aufschaute, sah er seinen Sohn Cyrill zögernd an der Portiere stehen. „Papa! Tritt bitte einen Augenblick hier in den Korridor!“ bat er flüsternd.
„Potz Blitz und Knall! Junge! woher schneist du denn um Mitternacht urplötzlich hier in den Hofball hinein?“
Cyrill hob statt aller Antwort winkend eine Depesche empor.
„Na nu? Telegramm? an dich? — Immer herein, mein Sohn! ist ja Unfug, dass ich auf den Flur treten soll! Warum? siehst ja ganz salonfähig aus und hast wohl auch jetzt schon ein gewisses Anrecht auf höfisches Parkett! Komme her und setz’ dich, Boy! Eine Depesche also? — ist ja seltsam, — was soll das heissen?“
Sehr gelassen griff er nach dem ominösen Blatt, Cyrill aber trat hastig näher und berichtete: „Seit ein paar Stunden sucht dich der Bote vergeblich in der ganzen Stadt, da einer der neuengagierten Lakaien, welcher dich wohl nicht in Uniform kennt, versichert hat, du seiest nicht im Schlosse anwesend! Endlich klingelte der Beamte an der Akademie Sturm, wenigstens mich von dem eiligen Inhalt der Depesche in Kenntnis zu setzen und deinen Aufenthalt zu erfragen. Da hielt es der Vorsteher für das sicherste, mich zu beurlauben, um die Nachricht persönlich dir zu bringen!“
Cyprian hatte währenddessen gelesen: „Hm, sehr gut, mein Jungchen, — bin dir und dem Direktor sehr dankbar. Donnerwetter ja! ganz Neudeck in Flammen und die arme kranke Mutter totelend in das Dorfwirtshaus gebracht! — Greulicher Gedanke! Wieviel Uhr ist es jetzt? in zehn Minuten halb eins? trifft sich ja ausgezeichnet, da kann ich mit dem Kurierzug abdampfen und bin um sieben Uhr in Neudeck! Arme alte Frau! mag sich nicht wenig aufregen und entsetzen! — Na, Cyrillchen, nun stärke dich an einem Glase Sekt und schiess wieder unter die Bettdecke! Haha! siehst so patent aus, du Schlingel, dass ich dich am liebsten im Saal präsentierte!“
Mit stolzem Schmunzeln musterte der Sprecher die schlanke, und doch sehr markige und stramme Figur des Sohnes, welcher ihn beinahe um Handbreite überragte. Die Glieder waren noch etwas eckig und ungelenk, aber die kleidsame Uniform der Ritterakademie gab ihnen ein sehr vorteihaftes Ansehen, und da Cyrill momentan eilig und erregt war, so sprühten die dunklen Augen in aussergewöhnlichem Glanze.
Sein Antlitz war bleich, scharfgeschnitten und nicht annähernd so schön, wie das des Vaters. Es lag ein beinahe düsterer Ernst auf den jungen Zügen, eine kühle, ablehnende Reserve, welche meist für Hochmut oder Unliebenswürdigkeit ausgelegt wurde, umsomehr, als Cyrill nicht das mindeste Talent für angenehme gesellige Formen entwickelte. Was der Vater zuviel hatte, war ihm in allzu geringem Masse zuteil geworden.
Auch jetzt wandte er sich so entsetzt der Türe zu als halte er seine Einführung in den Ballsaal für etwas äusserst Unangenehmes! „Gott sei Dank, dass die Etikette solch gewagten Schritt direkt verbietet!“ antwortete er in dem schulmeisterhaft trockenen Ton, welcher ihm so leicht eigen: „Gute Nacht, Vater! Bestell der armen Grossmama tausend Grüsse, und wenn du irgendwie meiner Hilfe bedarfst — —“
„Vielleicht pumpe ich dich an mein Junge, wenn die alte Baracke zu schlecht versichert war, um eine neue ohne Unkosten aufbauen zu können!“ lachte Lankwitz senior wohlgemut, — „Adio, Boy! — komm glücklich nach Hause!!“
Cyrill wandte sich hastig zum Gehen, gleicherzeit aber prallte er jählings zurück und stand starr, wie angewurzelt, die aufflammenden Augen geradeaus gerichtet, als schaue er eine Vision.
Durch die Portiere huschte eine schlanke, entzückende Mädchengestalt, leis aufkichernd flog sie Baron Cyprian entgegen und hing sich jubelnd an seinen Arm. — Prinzessin Rafaela.