Читать книгу Gott sagte: Willst du mit mir leben? Und ich so: Klar. - Nathanael Draht - Страница 10
Der Beginn eines neuen Lebens
ОглавлениеNach meinen damaligen Maßstäben hatte ich alles erreicht: Ich hatte ein äußerst erfolgreiches Unternehmen gegründet, war Millionär, hatte ein Haus, das meine Freunde scherzhaft als Prunkvilla bezeichneten, schnelle Autos und ausreichend Frauen. Ich hatte Freunde, mit denen ich Party machte, holte mir einen Drogenkick, wann immer ich Lust dazu hatte. Aber irgendwie war ich trotzdem leer.
Nach einem durchzechten Wochenende machte ich mich mit einem Cocktail-Kater und Schmerzen in Kopf und Gliedern an die Aufräumarbeiten. In meinem Barschrank stieß ich auf ein Buch mit hellbraunem Ledereinband und roter Schrift darauf. Es war das Neue Testament, das mir meine Schwägerin vor einigen Jahren geschenkt hatte. Ich konnte mir nicht erklären, wie es in meinen Barschrank gekommen war und warum ich es nicht schon zuvor entdeckt hatte. Ich nahm es heraus, drehte und wendete es und stellte mir Fragen, die mein Leben veränderten:
Was, wenn dieses Buch die Wahrheit ist?
Was, wenn das tatsächlich die Worte eines Gottes sind, wie manche behaupten? Was, wenn es tatsächlich einen Himmel und eine Hölle gibt?
Ich schlug das Buch auf und begann zu lesen. Ich las das Matthäusevangelium und obwohl ich viele der Geschichten aus meiner Kindheit kannte, las ich es mit einer ganz neuen Einstellung: Könnte es sein, dass das alles wirklich passiert ist? Ich stellte mir bildlich vor, wie das beispielsweise mit Jesu Zeugung gelaufen sein konnte.
Gott sprach zu Maria: »Möchtest du den Erlöser Israels als Sohn gebären?«
»Klar, gerne, ich würde mich geehrt fühlen.«
»Dann wirst du schwanger werden und deinen Sohn Jesus nennen.«
»Ja, okay. Sonst noch was, Gott?«
»Ne, das war’s erst mal, bis bald.«
Aber wie konnte Maria Gottes Stimme hören? Und wenn es Gott wirklich gibt, warum habe ich ihn dann noch nie gehört? Dann war da die Eizelle in Marias Bauch und der Heilige Geist mischte die Eizelle ein bisschen auf und packte etwas göttliches Erbgut rein oder teleportierte einen göttlichen Samen in die Gebärmutter, sodass Maria schwanger wurde – oder wie sollte ich mir das vorstellen? Total abgefahren! Wie soll so was gehen?
Ich verschlang das gesamte Matthäusevangelium in zwei Tagen und las dann die Apostelgeschichte. Krass! Dort wurde eine Gemeinde beschrieben, die so gar nichts mit der Kirche gemeinsam hatte, die ich kannte. Wenn die Kirchen heute so wären, wie die ersten Christen damals lebten, welche Wunder würden sie wohl heute vollbringen? Menschen hätten übernatürliche Begegnungen mit Gott und niemand könnte behaupten, die Kirche sei tot. Im Gegenteil müssten die Menschen doch voller Faszination dorthin rennen, sie würden reihenweise überzeugt, ja überwältigt werden. Aber genau das war doch nicht der Fall. Zumindest kannte ich keine Kirche, die auch nur ansatzweise so war, wie die Gemeinde, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird.
Ich ging zu meiner Mutter, um mit ihr über das, was ich gelesen hatte, zu sprechen. Immerhin war sie seit Jahren überzeugte Christin. Dennoch konnte sie mir nicht wirklich helfen. Sie empfahl mir, den Römerbrief zu lesen. Dadurch wurden mir zwar manche Dinge klarer, allerdings warf der Text auch doppelt so viele neue Fragen auf, zum Beispiel:
• Wie kann Liebe Sünde sein?
• Warum ist Hass gegenüber Menschen, die einen verletzt haben oder permanent verletzen, nicht gerecht?
• Wie kann der Verzicht auf Konsum und das Zurückstecken der eigenen Lebensziele im »wahren Leben« münden?
• Und wie sollen mehrere Menschen wie »ein Leib« funktionieren, von dem Paulus, der Autor des Römerbriefs sooft sprach?
So richtig sinnvoll schien mir das alles nicht zu sein. Außerdem gab es da noch diese Christen, die ich allesamt für Heuchler und Loser hielt. Das waren in meinen Augen Menschen, die zum Beispiel keinen Partner fanden oder Angst vor Sex hatten und dann religiös wurden. Sie versteckten sich hinter ihrer Religion, während sie geheuchelt fromm auf den einen richtigen Partner warteten, der natürlich nie kommen würde. Christen waren in meinen Augen Menschen, die beruflich auf keinen grünen Zweig kamen und dann ihre Bibel schützend vor sich hielten und davon redeten, man solle nicht nach irdischen Reichtümern trachten. Christen waren einsame Menschen, von niemandem geliebt, aber anstatt etwas an ihrem Leben zu ändern, trösteten sie sich damit, dass irgendein Jesus sie ganz doll lieb hatte.
Mit anderen Worten: Christen waren für mich schwache, verängstige, hässliche, sexuell verkrampfte, zurückgebliebene, unwissende, hilflose Menschen, die sich der Wissenschaft verschlossen und es nicht schafften, ein halbwegs erfolgreiches Leben zu führen. Ich bin nix, ich kann nix, aber das ist auch nicht schlimm, denn Gott liebt mich so, wie ich bin.
Ich war das absolute Gegenteil. Ich war hip, reich, erfolgreich. Ich hatte Freunde, alles coole Partypeople mit besten Chancen auf ein sorgloses Leben in Hülle und Fülle. Ich hatte Sex, schnelle Autos, Partys und alles, was ich mir nur wünschen konnte und was ein Leben lebenswert macht. Wem die Reichtümer der Erde zu Füßen liegen, braucht keinen Gott und keine Bibel.
Ein paar Tage später rief mein ältester Bruder an. Unsere Oma sollte operiert werden. Es war eine riskante OP, da wollte er sie vorher noch einmal besuchen und fragte, ob ich mitkäme. Auf dem Weg dorthin wollte er in einen Gottesdienst in der nächstgrößeren Stadt. Ich war seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr ernsthaft in einer Kirche gewesen. Zu Hochzeiten vielleicht, oder an Heiligabend meiner Mutter zuliebe. Das waren in meinen Augen komplett sinnlose und lästige Veranstaltungen. Nun hatte ich ja aber das erste Mal in meinem Leben selbst die Bibel gelesen, und vielleicht wäre es gar nicht mal so schlecht, mir jetzt auch einen Gottesdienst noch mal genauer anzusehen.
Ich nahm das Angebot also an und ging am nächsten Tag mit meinem Bruder und seiner Familie in die Kirche. Es war ein schlichtes, etwa 30 Jahre altes Gebäude, im Altarraum waren Musikinstrumente aufgebaut, dahinter hing ein beleuchtetes Kreuz an der Wand. Diese Art von Kirche und Gottesdienst war anders, als das, was ich bisher kannte, und das befremdete mich ein wenig. Als die Band zu spielen begann, standen die Leute auf, klatschten und hoben die Hände. Einige Leute um mich herum beteten laut, teilweise unverständliches Zeug.
Und mein Herz zerriss.
Schmerzen, Trauer und eine unbekannte Sehnsucht überwältigten mich. Tränen schossen mir in die Augen. Ich sah mich vorsichtig um, aber niemand schien etwas Ähnliches zu spüren. Sollte ich nach vorne laufen und Jesus in mein Leben einladen? Alle meine Prinzipien über den Haufen werfen? Mich von irgend so einem dämlichen Gefühl verarschen lassen?
Ich versuchte, meine Gefühle zu unterdrücken.
Dann kam tatsächlich ein Aufruf, nach vorne zu kommen: Wer sich angesprochen fühle und heute sein Leben Jesus geben wolle, könne jetzt zum Kreuz kommen. Irgendwer würde dann beten.
Niemals! Was sollte mein Bruder dann von mir denken, was sollten die Leute alle denken? Machen die hier eigentlich jeden Sonntag so einen Aufruf? Vielleicht ist das nur so eine Masche: Die sorgen für die richtige Stimmung, bisschen Musik, irgendwelches Psychozeug. Und wer dann nicht widerstehen kann, landet in den Fängen dieser Sekte, verliert seine Kohle und muss sich fortan den Zwängen von Religion und Askese beugen. Ein spaß- und ruhmloses Leben erwartet ihn.
Nach der Lobpreiszeit predigte jemand, aber ich bekam keinen klaren Gedanken. Zu viele Fragezeichen schwebten über meinem Kopf. Dann kam das Missionarsehepaar Weinert nach vorne, um von seiner Arbeit in Südafrika zu berichten. Irgendetwas war bei diesen beiden anders und ich war gespannt, was diese Menschen, die an vorderster Front mit Gott arbeiteten, zu berichten hatten.
Neben der Missionsarbeit hatte das Ehepaar eine Näherei aufgebaut, damit einige Frauen der Umgebung etwas Geld verdienen konnten. Keine schlechte Idee, fand ich. Als kürzlich ein wichtiger Terminauftrag fertig werden musste, ging einen Tag vor der Auslieferung die Knopflochmaschine kaputt. Eine defekte Knopflochmaschine irgendwo in Südafrika ist vergleichbar mit einem Feuer auf einer Ölbohrplattform in der Nordsee. Hilfe ist weit weg und Selbsthilfe aussichtslos.
Was tun? Beten! Das war jedenfalls die Lösung der Weinerts. Sie gingen nach Hause, beteten zu ihrem Gott und legten sich schlafen. Bitte was? Was für eine dämliche Art von Vertrauen ist das denn? Wenn der allmächtige Gott tatsächlich so allmächtig ist, warum hat er dann die Knopflochmaschine überhaupt kaputtgehen lassen? Ist das der Dank für 20 Jahre Missionsarbeit? Aber über die Lippen der beiden kam kein Wort von Undankbarkeit, Missmut oder Anklage.
Am nächsten Morgen sagte die Frau zu ihrem Mann: »Ich hatte einen komischen Traum. Der Pfarrer der Nachbargemeinde hat die Knopflochmaschine repariert«, und lachte herzhaft. »Dabei hat er doch zwei linke Hände! Was für ein komischer Traum.« Doch nach dem Frühstück gab sich der Mann einen Ruck und rief den Pfarrer an.
Seine spontane Reaktion: »Klar, da kenne ich einen, der kann die Maschine reparieren. Ich rufe ihn sofort an.«
Keine fünf Minuten später stand jemand vor der Tür und sagte, dass der Pfarrer ihn angerufen habe und er zufällig in der Nähe sei. Er reparierte die Maschine in kürzester Zeit, sodass der Auftrag noch fristgerecht fertiggestellt werden konnte. Und was machten die Missionare? Sie strahlten um die Wette, dankten dem Herrn und priesen ihn für dieses Wunder.
Dass jemand in Südafrika zufällig in der Nähe war, um eine Knopflochmaschine zu reparieren, ist genauso wahrscheinlich wie wenn man bei dem Brand auf der Ölbohrplattform einen Bekannten anruft, der in London wohnt, welcher dann antwortet: »Kein Problem, bin zufällig in einem Hubschrauber mit einem Team von Löschspezialisten auf dem Weg von Hamburg nach London und etwa 40 Kilometer von euch entfernt. Ich bin in vier Minuten bei euch.«
Ein Gedanke drängte sich in meinen Kopf: »Was, wenn all das passiert ist, damit das Ehepaar hier und heute davon erzählt, an dem einzigen Tag, an dem sie und ich gemeinsam in dieser Gemeinde sind, damit ich das höre und mich bekehre?«
Es fällt mir schwer, zu beschreiben wie ich mich in diesem Moment fühlte. Überwältigt, ergriffen, paralysiert, durchrüttelt, mit einem Herzschmerz erfüllt, den ich nie zuvor gefühlt hatte. Das Wort Zufall hat seit diesem Tag eine völlig neue Bedeutung für mich.
Mir war klar, dass ich niemanden kannte, der mir jetzt weiterhelfen konnte. Keiner aus meiner Familie oder meinem Bekanntenkreis hatte jemals etwas Ähnliches erzählt. Aber wenn jemand auch nur ansatzweise eine lebendige Beziehung zu Gott hätte, der müsste solche Dinge doch zumindest ab und zu erleben und davon erzählen, oder? Solche krassen übernatürlichen Dinge kann man doch nicht verschweigen, wenn man sie erlebt hat.
Am Ende des Gottesdienstes erzählte noch jemand, dass das Missionarsehepaar Weinert auch beim nächsten Velberter Missionsfest sein würde. Wer dorthin wolle, könne sich ja zu Fahrgemeinschaften zusammenschließen. Und ich entschied, dass die beiden wohl die Einzigen waren, die meine Fragen beantworten konnten. Beim Rausgehen nahm ich mir unauffällig einen Flyer vom Missionsfest mit. Wir fuhren zu meiner Oma, meine Gedanken drehten sich jedoch immer nur um das, was ich an diesem Vormittag erlebt hatte:
»Wo bist du da nur gelandet? Du bist doch ein intelligenter Mensch. Lass dich doch von solch einer emotionalen Entgleisung nicht aus der Bahn werfen. Das ist bestimmt eine Sekte. Du bist nur kurzfristig psychisch labil, warum auch immer. Stell dir nicht so viele Fragen, mach einfach weiter wie bisher. Warum solltest du deine Einstellung und dein Leben ändern? Dir geht es doch super, du hast doch alles, was ein Mensch nur haben kann. Komm runter, bleib wo und wie du bist, lass dich nicht verarschen.«
… und Gott beantwortete meine Fragen.