Читать книгу Pleasure Underground - Nic Storm - Страница 6
3 Ungewollte Begleitung
ОглавлениеFerdinand von Wartenberg sah seinen Sohn ernst an. „…Leonard. Wie besprochen wirst du übermorgen nach Amsterdam fliegen und das Meeting übernehmen. Und Josephine wird dich dabei begleiten.“
Innerhalb von Sekunden entglitten Leonard sämtliche Gesichtszüge und er starrte seinen Vater fassungslos und sichtlich überrascht an. „Wie bitte?“ fragte er ungläubig. „Das ist ein Scherz. Auf gar keinen Fall.“
Josie spürte, wie ihr die Röte vor Scham ins Gesicht stieg. Es war ihr schrecklich unangenehm, wie er reagierte.
Plötzlich hielt er inne und sah Josies betroffenes Gesicht. „Sorry Josephine, das ist nichts gegen sie persönlich. Aber ich fliege definitiv alleine“, beharrte Leonard.
Ferdinand sah ihn scharf an und schüttelte den Kopf. „Nein. Leonard. Die Flüge sind gebucht. Josephine fliegt mit, da Christoph dich nicht begleiten kann. Du wirst auf keinen Fall alleine fliegen. Darüber diskutiere ich auch nicht weiter, du weißt genau warum.“
Wie ein kleiner Junge verschränkte Leonard die Arme vor der Brust und schnaufte. „Diese ständige Bevormundung geht mit sowas von auf den Sack. Wann lässt du das mal sein? Du machst dich echt lächerlich“, beklagte er sich.
Ferdinands Blick war streng und scharf. „Leonard, ich verbitte mir diesen Ton“, donnerte er los. „Du machst dich lächerlich. Alleine Josephine gegenüber, ist dein Verhalten eine bodenlose Unverschämtheit. Ich erwarte von dir absolute Disziplin und Professionalität. Sie wird dich begleiten und damit darfst du wieder an deine Arbeit gehen.“
Das Thema war für Ferdinand erledigt und Leonard verließ wutentbrannt das Büro.
Ferdinand hielt Josephine kurz zurück und schloss die Bürotür. Er sah sie ernst an.
„Nehmen sie es nicht persönlich Josephine. Er wird sich damit abfinden, da er genau weiß, dass er nicht ohne Begleitung fliegen wird…“ Ferdinand beugte sich etwas näher zu Josie herüber. „Josephine, ich möchte sie bitten, wenn ihnen irgendetwas auffällt, dann sagen sie mir das bitte. Seine Aufgabe sind die Meetings mit den Geschäftsführern unserer Tochterfirma und mehr nicht. Keinerlei privaten Aktivitäten, egal in welcher Form.“
Josie erwiderte Ferdinand kritischen Blick. „Was genau meinen Sie damit?“
Ferdinand hielt inne, überlegte und lächelte. „Das Leonard ausschließlich zum Arbeiten dorthin fliegt. Treffen mit den Geschäftsführern, Besuch der Firma, mehr nicht. Ich möchte nicht, dass er in welcher Form auch immer dort privaten Aktivitäten nachgeht. Wenn er nicht arbeitet, hat er sich im Hotel aufzuhalten.“
Ferdinand schien Josies kritischen Blick zu bemerken. „Ich verlasse mich auf sie, Josephine. Leonard weiß, was ich erwarte und was ich keinen falls dulden werde und auch, dass sie mich informieren werden.“
Josie nickte nur nachdenklich und beschloss erstmal abzuwarten was kam. Ferdinand schien ja ernsthafte Bedenken zu haben.
Leonard redete an diesem Tag mit Josie nur noch das notwendigste. Er war sauer und das ließ er sie spüren, obwohl sie natürlich am wenigsten dafür konnte. Ihr war es absolut unangenehm.
Auch am Flughafen war er sehr wortkarg. Zwar freundlich, aber mehr auch nicht. Josie hatte gestern noch ein kurzes Gespräch zwischen ihm und seinem Vater mit bekommen, wo Leonard sich wieder aufregte.“
„… findest du es ok, sie als Spitzel für dich zu missbrauchen?...“ hat er seinen Vater gefragt. „… wenn du so wenig Vertrauen in mich hast, warum fliegst du nicht selber mit?...“
Einen Satz hatte Josie dann noch mitbekommen, als Ferdinand zu Leonard sagte, dass er seinen Alkoholkonsum aufs minimalste zu beschränken habe und sich genau überlegen sollte welche wo er sich aufhält.
Leonard war noch immer verdammt sauer über das Misstrauen seines Vaters und hatte null Verständnis dafür.
Nun saß er im Flugzeug neben Josie und las auf seinem Tablett. Wie immer trug er Anzug und Hemd, teure schwarze Lederschuhe und perfekt gestylte Haare. Er sah toll aus, groß, schlank sportlich, absolut hübsch und attraktiv zog er direkt die Blicke sämtlicher Frauen auf sich.
Josie mochte seine Nähe, spürte seine Wärme und konnte sein wunderbares After Shave riechen.
„Waren sie schon mal im Amsterdam?“ fragte er sie irgendwann. Josie war kurz verwundert, dass er überhaupt wieder mit ihr redete.
„Nein. Ich wollte schon immer mal hin. Soll ja toll zum Einkaufen und Bummeln sein, so mit den schönen Grachten und so“, antwortete Josie.
Ihre Blicke trafen sich. Strahlend blaue Augen sahen sie an.
„Ich fliege meistens alle zwei, drei Monate rüber und mache die großen Meetings mit der Geschäftsführung unserer Tochterfirma. Es ist wirklich eine schöne Stadt, es bleibt nur leider zu wenig Zeit, sich alles in Ruhe anzusehen“, meinte er und sah wieder auf sein Tablet.
Josie genoss den kurzen Flug, denn sie flog für ihr Leben gerne. Besonders Start und Landung waren super aufregend und das in Begleitung dieses attraktiven Mannes, der neben ihr saß. Schade nur das er kaum Notiz von ihr nahm und lieber auf seinem Tablett Nachrichten las. Zwischendurch schrieb er Nachrichten auf dem Handy. Ob er wohl eine Freundin hatte? Bei Gelegenheit würde sie Julian nochmal etwas ausquetschen.
Ein privater Fahrdienst holte sie am Flughafen ab und brachte sie ins fünf Sterne Sofitel Hotel, direkt im Zentrum von Amsterdam. Dort bezogen sie ihre beiden Einzelzimmer. Leonard Zimmer war direkt schräg gegenüber von ihrem Zimmer. Und Josie war ganz begeistert von dem sehr schönen und modern eingerichteten Zimmer.
Um sieben Uhr waren sie zum Abendessen mit den beiden Geschäftsführern verabredet. So blieb ihr nur wenig Zeit, sich frisch zu machen, da Leonard bereits um viertel vor sieben draußen vor dem Hotel auf sie wartete und rauchte.
„The Lobby Nesplein“ war ein gehobeneres Restaurant ganz in der Nähe und zu Fuß schnell erreichbar.
Die beiden Geschäftsführer Magnus und Rouven erwarteten sie bereits vor dem Restaurant. Sie waren um die Mitte dreißig und begrüßten Josie und Leo freundlich.
Das Abendessen verlief sehr ruhig und entspannt. Obwohl Rouven und Magnus etwas deutsch sprachen, unterhielten sie sich mit Leo die meiste Zeit in perfektem Englisch. Nur mit Josie redeten sie zwischendurch etwas deutsch, beziehungsweise, sie versuchten es.
Sie fühlte sich ganz wohl, die Herren waren sehr nett und höflich. Leonard, war Josie gegenüber wie immer distanziert und zurückhaltend. Den anderen beiden gegenüber allerdings recht locker und gut gelaunt.
Die meiste Zeit ging es um geschäftliche Themen und zwischendurch um Dinge wie Sport, besonders Fußball und Autos oder auch den letzten Urlauben. Die beiden hatten Familie und erzählten auch gerne von ihren Kindern. Leonard wie immer interessiert, freundlich und ein guter Gesprächspartner, der die Kommunikation gekonnt am Laufen hielt.
Als das Essen kam, wurde es ruhiger und jeder genoss das wirklich gute Essen. Eigentlich fand Josie ihren Job als Babysitter gar nicht so schlecht. Flug nach Amsterdam, tolles Hotel, gutes Essen, in Gesellschafft so netter Herren, konnte bestimmt schlimmeres geben. Anstatt teurem Wein gab es für die Herren Bier und das in einem recht zügigem Tempo. Die Herren waren demnach recht trinkfreudig und schon wurde die nächste Runde gebracht während Josie lieber Bitter Lemon trank. Als wieder eine neue Runde Bier gebracht wurde sah Leonard sie kritisch an.
„Haben sie ordnungsgemäß mitgezählt Fräulein Wagner?“ fragte er sie mit leichter Belustigung in der Stimme. Erst wusste Josie nicht, was genau er jetzt meinte, bis er auf sein Bierglas zeigte und ihr vier Finger zeigte. „Nur fürs Protokoll an den Herrn von und zu Senior Chef. Wir halten das heute auch extra mal etwas gediegener, damit sie nicht den Überblick verlieren“.
Ihre Blicke trafen sich und er sah sie durchaus provokant und amüsiert an. Machte er sich etwa über sie lustig? Stimmt, da war ja was gewesen, dass er seinen Alkoholkonsum aufs Minimum zu reduzieren hatte. Was genau aber nun das Minimum sein sollte, wusste sie nun nicht. Zwei Bier, vier Bier, sechs Bier? Keine Ahnung, was genau das heißen sollte. Aber eigentlich machte sie sich da auch keine großen Gedanken drum, denn Herr von Wartenberg Junior schien ja doch recht trinkfest zu sein. Also wo war dann der Punkt, wo sie etwas sagen sollte? Und ließ er sich von ihr überhaupt etwas sagen? Wohl kaum und das von der Praktikantin? Was hatte Ferdinand von Wartenberg sich dabei nur gedacht? Das sie irgendetwas ausrichten konnte? Im Prinzip hatte sie auch gar kein Interesse daran, mit ihm darüber zu diskutieren, ob er nun vier oder fünf Bier trinken sollte.
Sie erwiderte seinen Blick cool. „Aber natürlich Graf von Wartenberg. Danke für die Info“, konterte sie selbstbewusst.
Gegen zehn Uhr verließen sie das Restaurant und verabschiedeten sich, um zurück zum Hotel zu gehen.
„Um neun ist Meeting, wir sehen uns um acht beim Frühstück“, hatte Leonard vor seiner Zimmertür noch gesagt und ihr höflich eine gute Nacht gewünscht.
Gerade wollte Josie ins Bad gehen, als sie auf dem Flur eine Tür ins Schloss fallen hörte. Intuitiv ging sie zum Fenster, dass schräg oberhalb dem Hoteleingang lag und sah hinaus.
Nur wenige Minuten später verließ Leonard das Hotel. Er trug Jeans und einen dunklen Hoodie. Mit schnellen Schritten, den Händen in den Hosentaschen ging er zielstrebig durch den Innenhof und verschwand aus Josie Sichtfeld.
Sie überlegte kurz, ob sie ihm folgen sollte. Doch ehe sie Schuhe und Jacke anhatte und unten war, war er vermutlich schon lange verschwunden. Aber wo ging er noch hin, abends um zehn Uhr? Diese Frage beschäftigte Josie noch eine ganze Weile, während sie in ihrem Hotelbett saß und Fernseh schaute. Und vermutlich war es genau das, was Ferdinand meinte. Denn geschäftlich schien Leonards verschwinden abends um zehn Uhr nun nicht zu sein.
Irgendwann schlief sie dann ein und wurde nachts gegen ein Uhr wieder wach, als sie wieder eine Zimmertür ins Schloss fallen hörte. Ob das Leonard war? War er zurückgekommen? Um die Zeit? Und vor allem, wo war er gewesen?
Am nächsten Morgen saß Leonard schon am Frühstückstisch, als Josie pünktlich um acht in den Speiseraum kam. Er sah wie immer gut aus. Geduscht, rasiert, gestylt, gut duftend in Hemd und Anzug saß er da, frühstückte und las auf seinem Tablett.
„Guten Morgen“, sagte sie freundlich.
Ihre Blicke trafen sich. „Morgen“, meinte er nur.
Josie musterte ihn kritisch als sie sich ihm gegenüber setzte. Er schien das zu bemerken und erwiderte ihren Blick. „Alles ok? Haben sie gut geschlafen Josephine?“
Sie fand diese siezen so bescheuert. Warum duzte er sie nicht einfach? Immerhin war sie gerade mal ein paar Jahre jünger als er.
„Ja. Ich habe gut geschlafen. Und Sie? Sie sind gestern Abend nochmal weg gegangen?“ fragte sie lächelnd.
Wieder trafen sich ihre Blicke. Eiskalte strahlend blaue Augen sahen sie neugierig an. Dann lächelte er. „Ich habe noch etwas frische Luft geschnappt und Zigaretten geholt.“
Dass das nicht ganz die Wahrheit war, wussten beide ziemlich genau.
„Bis nachts um eins?“ bemerkte Josie skeptisch.
Sein Blick blieb starr auf sie gerichtet und sein Gesicht wurde ernst. „Josephine, ich weiß das mein Vater sie als Spitzel mitgeschickt hat. Wenn sie es für nötig halten, können sie das auch gerne so weiter geben. Scheint ja ihr Job zu sein. Aber geben sie nur das weiter, was sie auch hundertprozentig wissen und nicht, was sie denken oder vermuten. Ich muss mich ständig für irgendwelche dämlichen Dinge rechtfertigen, die ich angeblich irgendwo, irgendwie getan habe. Es nervt einfach nur.“
„Ich habe nicht vor, irgendwas weiter zu geben. Warum sollte ich das tun?“ entgegnete Josie überraschend cool.
„Weil mein Vater sie damit beauftragt hat. Sonst wären sie nicht hier. Er misstraut mir in jeglicher Weise und wartet nur darauf, dass sie ihm bestätigen, wie Recht er damit hat. Nur den Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht tun. Sie haben mich gesehen, dass ich das Hotel verlassen habe, mehr nicht“, sagte Leonard leicht gereizt.
„Er wird fragen, wo sie noch waren?“ überlegte Josie laut.
Leonard nickte. „Natürlich wird er das. Und egal, was ich auch sagen würde, er würde es mir nicht glauben. Daher wird ihm diese kleine Info schon reichen, um mal wieder ein gewaltiges Fass aufzumachen. Wieso und weshalb auch immer.“
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. „Im Grunde habe ich auch gar nichts gesehen.“
Strahlendes blau traf sie. „Ihre Entscheidung, Josephine. Ich habe mich meinem Schicksal schon sehr lange ergeben.“ Etwas Trauriges lag nun in seinem Blick und seiner Stimme.
Den Rest des Frühstücks verbrachten sie schweigend. Der Fahrdienst holte sie ab und um neun Uhr begann pünktlich das Meeting. Das zog sich auch über den ganzen Tag und war erst nachmittags gegen vier zu Ende. Nicht nur Josie fand es sehr anstrengend, da nur englisch geredet wurde, auch Leonard schien echt geschafft zu sein.
Sie fuhren zurück zum Hotel, um sich frisch zu machen, bevor ihr Rückflug abends um sieben Uhr ging.
Anschließend checkten sie im Hotel aus und der Fahrdienst brachte sie zurück zum Flughafen. Leonard redete kaum und war ziemlich müde und erschöpft. Am Flughafen aßen sie noch etwas und warteten auf den Rückflug.
Josie war es unangenehm das Leonard ihr Baguette und den Latte Macchiato mit bezahlte und erklärte das bei Geschäftsreisen alles auf Firmenkosten lief. Davon ließ er sich auch nicht abbringen. Wenn sie schon mit musste, dann sollte sie nicht auch noch irgendetwas bezahlen müssen.
Viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum, doch sie traute sich nicht, diese Leonard zu stellen.
Er telefonierte zwischendurch mit irgendwem über geschäftliche Dinge. Allerdings klang es sehr vertraut und angenehm. Sein Vater konnte es daher nicht sein.
Am nächsten Tag schien Ferdinand schon Josies Bericht zu erwarten und er zitierte sie direkt in sein Büro. Doch sie konnte nichts Besonderes sagen. Alles war wie geplant verlaufen. Es gab keinerlei besondere Vorkommnisse, was Ferdinand zwar überrascht aber sehr zufrieden aufnahm.
Josie verstand die scheinbaren Bedenken von Ferdinand von Wartenberg nicht. Leonard machte seinen Job. Zuverlässig, professionell und so, wie es erwartet wurde. Es war nicht mal so, dass er beim Abendessen großartig Alkohol getrunken hatte. Er hatte zwar etwas getrunken aber nicht mal so viel, dass man den Anschein hatte, dass er betrunken war. Selbst da war er sehr diszipliniert.
Josie verstand diese ganz Skepsis von Ferdinand von Wartenberg seinem Sohn gegenüber nicht. Aber irgendetwas schien ja zu sein, dass er so misstrauisch war.
Manchmal bat er Josie dann kurz raus zu gehen und sie konnte draußen hören, wie er Leonard eine Standpauke hielt was seine Pflichten und Aufgaben innerhalb der Firma betraf.
Nur wenige Tage später bekam Josie eine leichte Ahnung, warum das so war. Sie stand vorne bei Margret am Empfang, als sie Leonard eher zufällig beobachtet, wie er kreidebleich aus der Toilette kam, schwankte und sich gegen die Flurwand lehnen musste. Es schien ihm wirklich nicht gut zu gehen, er sah echt fertig und blass aus. Die Augen hatte er geschlossen und er atmete ein paar Mal tief durch, bis er sich zusammen raufen konnte und langsam in seinem Büro verschwand.
Als sie das Büro betrat saß er an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf in den Händen vergraben.
„Alles ok?“ fragte Josie vorsichtig als sie sich an ihren Platz setzte.
Leonard sah sie nicht mal an. Sie hörte nur seine schnelle starke Atmung.
Unsicher stand Josie auf und ging zu seinem Schreibtisch heran. „Leonard? Ist alles ok?“ fragte sie nun besorgt.
Keine Reaktion.
Sie ging noch einen Schritt näher heran. „Soll ich ein Glas Wasser oder so holen?“
„Nein danke…“, murmelte er nur leise. Denn hob er wieder den Kopf und sah sie kurz an während seine Finger seine Haare wieder glatt strichen. „…alles ok. Vielen Dank. Mein Kreislauf ist heute nicht so… liegt bestimmt am Wetter.“
Josie blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn kritisch an. „Kann ich wirklich nichts…?“
„Nein, Josephine. Es geht mir gut, ok“, meinte er dann etwas schroff.
Sie merkte sofort, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte und nahm wieder schnell an ihrem Schreibtisch Platz.
Die nächste Stunde verbrachten beide schweigend, wobei sie sich nicht sicher war, ob er wirklich etwas las oder nur einfach so in den Ordner vor sich starrte.
Dann klingelte sein Telefon und es dauerte eine ganze Weile bis er das überhaupt registriert hatte und abnahm. Was dann kam, war sehr fragwürdig, denn Leonard war nicht in der Lage, auch nur einen vernünftigen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Er stammelte, stotterte und brachte dabei nichts Gescheites heraus. Scheinbar wusste er nicht mal, was er redete, mit wem oder worüber. Er war völlig verpeilt und planlos. So langsam wurde es unangenehm für Leonard, denn sein Gesprächspartner schien ebenfalls etwas irritiert zu sein.
Josie hörte sich das exakte drei Minuten an, bevor sie aufstand und dem völlig irritierten Leonard das Telefon aus der Hand nahm.
„Josephine Wagner, Guten Tag. Bitte entschuldigen sie die Unterbrechung. Wir haben durch den Umbau im Büro derzeit technische Störungen in der Telefonleitung. Daher kommt bei uns und vermutlich auch bei Ihnen nicht alles richtig an. Aber die Techniker werden heute Nachmittag fertig und es wäre super, wenn sie morgen früh nochmal anrufen. Dann dürfte alles reibungslos klappen. Vielen Dank und auf Wiederhören“, sagte Josie schnell ins Telefon. Herr Fernbach am anderen Ende war erst etwas irritiert aber dann verständnisvoll und wollte morgen nochmal anrufen.
Josie legte auf und behielt das Telefon in ihrer Hand. Fragend sah sie Leonard an, der sein Gesicht wieder in den Händen auf dem Schreibtisch vergraben hatte.
„Sie sollten nicht ans Telefon gehen, wenn sie nicht wissen was und mit wem sie reden. Herr Fernbach war wohl etwas irritiert“, meinte sie schroff zu ihm.
Leonard murmelte etwas unverständliches.
„Das geht nicht. Sie können doch nicht so ans Telefon gehen. Was sollen die Leute denn denken? Das sie besoffen sind? Zu gedröhnt sind oder sowas? Was ist los mit ihnen?“ sagte Josie entrüstet.
Sie bekam keine Reaktion, denn Leonard schien gerade auf einem ganz anderen Planeten zu sein. Erst nach einigen Minuten berappelte er sich wieder und sah sie zerknirscht an.
„Schuldigung“, murmelte er leise. Er setzte sich auf, ordnete sein Haare und seinen Anzug.
„Was ist los mit ihnen?“ fragte Josie erneut.
Er wich ihrem Blick aus und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Ihm war klar, dass sie auf eine Erklärung wartete.
„Nichts, nichts. Alles gut. Mein Kreislauf ist im Keller, ich habe die letzten Tage zu wenig geschlafen und gegessen… ich war das Wochenende klettern… war ziemlich anstrengend und dazu die Höhenluft… keine Ahnung“, stammelte er dann unsicher.
Josie wusste, dass er log. Sie schnaufte nur. „Ah, klettern, sicher? Wenn das so aufs Gehirn und Kreislauf schlägt, sollten sie mal über einen Alternativsport nachdenken.“
Zack, das hatte gesessen. Mit offenem Mund starrte Leonard Josie nun sprachlos an.
Sie merkte sofort, dass sie den Bogen überspannt hatte. Ihr Puls schoss in die Höhe. „Entschuldigung. Es tut mir leid. Es geht mich auch nichts an. Aber vielleicht fahren sie besser nach Hause und erholen sich etwas… Also, lassen sich nach Hause fahren und fahren nicht selber“, korrigierte sie schnell.
Leonard starrte sie noch immer an. Doch Josie war sich inzwischen nicht mehr sicher, dass er noch wusste, ob er nun sauer war oder nicht. Zu ihrer Überraschung stand er wirklich auf, suchte seine Sachen zusammen und verließ das Büro.
„Bis morgen“, murmelte er nur noch und verschwand.
Josie hoffte, dass er sich nicht in seinen Wagen setzte und selber fuhr.
Umso überraschter war sie dann, als eine knappe Stunde später Julian ins Büro kam und eine Mischung aus besorgt und amüsiert war.
„Ich habe ihn nach Hause gefahren. Irgendwie war er ja ziemlich durch den Wind. Er meinte, du hättest ihn nach Hause geschickt, weil er am Telefon keinen Plan mehr hatte, wegen Kreislauf und so…“, erklärte Julian mit einem verschmitzten grinsen. „… naja. Jedenfalls wars wohl besser so, wenn er hier nichts auf die Reihe bekommt.“
Josie sah Julian mit gerunzelter Stirn an. „Ich hätte sich fast total blamiert, weil er am Telefon nur noch zusammenhangloses Zeug gestammelt hat. Was stimmt mit ihm nicht? Das er so daneben ist? Trinkt er? Nimmt er Drogen? Irgendwelche Medikamente?“
Julian schnaufte leise. „Nein. Quatsch. Denk jetzt blos nichts Falsches von ihm. Normal ist er ja nicht so. Kam vielleicht wirklich vom Klettern. Ein paar Tage unter so extremen Bedingungen, extreme Belastung, wenig schlaf, wenig essen, dazu die Höhe… kann schon sein.“
Josie verzog das Gesicht. „Sicher Julian. Vom Klettern. Ich habe ne ganze Weile mit gewissen Klienten gearbeitet. Also erzählt mir doch keinen Scheiß… von wegen klettern und so.“
Natürlich glaubte Josie auch Julian kein Wort.
Dafür tat Leonard am nächsten Tag so, als wäre nichts gewesen. Er war auch so wie immer und schien wieder ganz fit zu sein. Zeit, um zu reden blieb auch nicht, da sich an diesem Tag ein Meeting an das andere reihte. Und hier lief Leonard wieder zu seiner bekannten Hochform auf. Souverän und kompetent leitete er die Besprechungen und Präsentationen. Sein Charisma füllte den Raum und alle hörten ihm gespannt zu, wie er professionell stundenlang reden und erklären konnte.
Nur Dirk hatte es wieder auf Konfrontationen angesehen und versuchte Leonard zu jeder Gelegenheit rein zu grätschen. Doch auch das konterte Leonard wie immer gekonnt entspannt.
Am Ende der Präsentation packte Leonard seine Sachen zusammen, als Dirk noch am Tisch saß und ihn argwöhnisch beobachtete. Julian und Josie halfen dabei, die Tische im Besprechungsraum aufzuräumen und die Getränkeflaschen in die Kisten zu sortieren.
„Mal wieder ein hartes Wochenende gehabt von Wartenberg? War ja ein kurzer Arbeitstag gestern?“ meinte Dirk provokativ.
Leonard hielt inne und sah Dirk direkt an. „Während du vermutlich erfolglos im Oanser Champagner geschlürft hast, hab ich nen dreieinhalbtausender bestiegen. Na? Und wer war da wohl erfolgreicher im Thema?“ Konterte Leonard cool.
Dirk verzog das Gesicht und stand auf. „Als wenn dir die Sportnummer noch irgendwer hier abnimmt? Ich weiß genau, was du so treibst, ebenso erfolglos vermutlich…“, raunte er Leonard im Vorbeigehen dann zu. „… also hab nicht so eine verdammt große Fresse, Wartenberg.“
Leonard sah Dirk scharf an. „Ich kann mir die große Fresse aber erlauben. Ganz im Gegensatz zu dir.“
Schnaufend verließ Dirk den Raum.
Julian und Josie sahen Leonard an und der schien sich deutlich unwohl zu fühlen.
Plötzlich legte er die Ordner, die er in der Hand hatte, wieder ab und knöpfte sein Hemd auf.
Julian und Josie sahen ihn nun noch fragender und erstaunt an.
Leonard öffnete sein hellblaues langärmeliges Hemd und trug darunter noch ein weißes enganliegendes Kurzarmshirt. Auf dem rechten Arm sah Josie nun ein großes schwarzes Azteken Tattoo das bis kurz vor dem Ellbogen ging. Um den Unterarm war ein Verband gewickelt, den Leonard nun schnell abwickelte.
Julian verzog das Gesicht, als er die blutigen Abschürfungen sah, die nun zum Vorschein kamen und die gesamten Unterarminnenseite großflächig umfassten.
„So, das war eine Felskannte von der Wildspitze im Ötztal, 3768 Meter. Ihr könnt auch gerne den Felix anrufen, das ist mein Kletterpartner, der war auch mit. Nur so viel zu den scheiß Gerüchten, die hier ständig so fleißig verbreitet werden. Und das gestern war wirklich nur eine ungünstige Mischung aus zu wenig schlaf, zu wenig essen, zu vielen, zu starken Schmerzmitteln, der Höhe in so kurzer Zeit und jede Menge Stress.“
Josie spürte, wie sie rot wurde, vor Scham, weil sie Leonard wirklich unrecht getan hatte.
Julian kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Ich hab nie was gesagt, oder?“
Leonard sah ihn an. „Ach komm Julian. Wir kennen uns schon lange. Ich weiß genau was du denkst.“
Ohne ein weiteres Wort packte Leonard seine Ordner wieder zusammen und verließ den Raum.
Als Josie wenig später ins Büro kam, saß er am Schreibtisch und versuchte etwas umständlich mit der linken Hand seinen rechten Unterarm wieder neu zu verbinden. Was natürlich nicht so einfach war.
„Kann ich helfen?“ fragte sie ihn und schloss die Tür hinter sich.
Leonard sah sie an und schüttelte den Kopf. „Danke, geht schon.“
Josie sah ihm eine Weile zu, wie er etwas unbeholfen versuchte den Verband vernünftig zu wickeln. Dann ging sie einfach zu ihm hin, nahm den Verband aus seiner Hand und wickelte ihn etwas ab, um ihn dann ordentlich um die Wundauflage zu wickeln. Ihr Finderspitzen berührten sich dabei und es war wie ein kleiner Blitz, der sie durchzuckte.
„Danke“, meinte Leonard nur und ein winziges Lächeln huschte über seine Lippen.
Leonard von Wartenberg war und blieb ein Mysterium. Zwar ein verdammt attraktives und gut aussehendes, aber er gab absolut nichts von sich preis.
Gegen Mittag, kurz vor zwölf, klopfte es an der Bürotür und eine Frau kam herein. Sie war recht groß, schlank, und vermutlich um die Ende vierzig. Ihre langen blonden Haare hatte sie elegant hoch gesteckt und ihr Erscheinungsbild war sehr gepflegt. Sie trug ein beiges Kostüm und ein leichtes Makeup.
„Hallo“, begrüßte sie Leonard und Josie lächelnd. Sie ging direkt auf Josie zu und gab ihr die Hand. „Katharina von Wartenberg“, stellte sie sich freundlich vor. „Josephine Wagner, freut mich sehr“, sagte Josie höflich. Das war also Leonards Mutter, so ganz anders als Josie sie sich bisher vorgestellt hatte. Sie strahlte unheimliche Sympathie und Wärme aus.
„Ich hoffe sie fühlen sich hier wohl? Ich weiß das die Herren nicht immer ganz einfach sind“, sagte sie mit einem lächelnden Augenzwinkern zu Josie.
„Danke. Ich kann mich nicht beklagen“, antwortete Josie und erwiderte Katharinas Blick freundlich. Katharina lächelte und wandte sich Leonard zu. Leo stand hinter seinem Schreibtisch auf und umarmte sie kurz. Er zuckte kurz schmerzerfüllt zusammen, als Katharina ihn herzlich an sich drückte. Leonard war etwas größer als seine Mutter, die allerdings auch hochhackige Schuhe trug.
„Ich habe dich vermisst mein Großer. Du bist am Wochenende nicht zum Essen gekommen“, sagte sie etwas vorwurfsvoll. Man spürte sofort eine gewisse Wärme und Liebe zwischen den beiden. Ganz anders als Josie das bisher zwischen Vater und Sohn wahrgenommen hatte.
„Ich war klettern, Mama. Hatte ich auch gesagt. Ich muss das gute Wetter immer nutzen, so gut es geht“, sagte Leonard gefühlvoll.
Katharina sah ihren Sohn kritisch an und runzelte die Stirn. „Du siehst schlecht aus. Müde, blass, gestresst.“ Ihr Gesichtsausdruck war besorgt. Sie strich ihm mit den Fingern über die Wange. „Ich muss mit deinem Vater nochmal reden. Er muss dir mehr Freizeit lassen. Du brauchst Zeit für dich, deinen Sport, deine Freunde. Den ganzen Tag in diesem Büro zu sitzen ist nicht gesund“, sagte sie leise, mit ernster Stimme zu ihm.
„Und genau das wird er nicht zulassen. Und das weißt du auch. Für ihn ist jede Minute, die ich hier bin gut und jede Minute, die ich anders Verbringe schlecht“, meinte Leonard kritisch.
Katharina lächelte. „Ich möchte mit dir essen gehen. Dein Vater hat keine Zeit, aber du wirst mich jetzt begleiten.“
Leonard stöhnte leise auf. „Ich kann nicht. Ich hab echt viel zu tun.“
Katharinas Blick wurde streng. „Das mag sein. Aber du kommst jetzt mit. Wenn du dich schon wieder wochenlang nicht zu Hause blicken lässt, bist du mir das jetzt schuldig, Andreas.“
Leonard sah Josie kurz an. „Würden sie das Telefon übernehmen, Josephine? Ich bin gegen zwei wieder da.“
Josie erwiderte seinen Blick und nickte lächelnd. „Natürlich, mache ich das.“
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