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2.
Unerwartete Gesellschaft
ОглавлениеSo sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht einzuschlafen. Interessiert hätte es ihn ja schon, wer das ist. Die Person war offensichtlich sehr unruhig, erhob sich, stand einmal sogar noch mal auf und sah aus dem Fenster und drehte sich kurz nacheinander mehrfach von einer Seite zur anderen. Er dachte, „Na ja, das kann ja heiter werden. Und bei einem solchen Poltergeist soll man dann schlafen können“. Er hörte die Person atmen, immer wieder zog sie sich die Zudecke bis zum Hals hoch, dann schob sie sie wieder weg, richtete das Kissen, bewegte ihre Füße, war ungewöhnlich unruhig, ein richtiger Zappelphilipp.
Als er gerade erneut am Einschlafen war, hörte er plötzlich, wie die Person bei einem ziemlich nahe einschlagenden grellen Blitz und sofort folgendem sehr heftigen Donnergrollen angsterfüllte, schrille Schreie ausstieß, sich im gleichen Moment aufsetzte und schutzsuchend an seinen Rücken warf. Er dachte „O Gott, auch das noch. Ein Gestörter, nein, eine Frau muss das den schrillen Tönen nach zu urteilen sein, oder ist die Person doch ein Mann?“ Er war erschrocken und brauchte etliche Sekunden, bis er die Situation etwas realisiert hatte.
Die Person musste große Angst haben. Er hörte ein Weinen. Eine Hand hielt verkrampft an seinem Arm fest. Der Körper zitterte und er hörte leises Schluchzen. Irgendwie kam ihm das sehr sonderbar vor. Auf seinem Arm fühlte er eine kleinere Hand, auf die er jetzt seine rechte Hand legte. Das, was da sich eng an seinen Rücken presste, war auch irgendwie ungewöhnlich. Ein Mann hat doch niemals eine solch kleine Hand und einen solchen Arm. Auch das Schluchzen kam ihm seltsam vor. Er war jetzt hellwach. Langsam versuchte er sich auf die linke Seite umzudrehen. Die Person löste sich etwas von ihm und bewegte ihren Körper zurück in das eigene Bett.
Er hörte, wie sie laut flüsternd sagte: „Bitte entschuldigen sie, ich hab solche panische Angst vor Gewittern. Ich wollte sie nicht belästigen. Jetzt habe ich sie leider aufgeweckt.“ Erneut zuckten ganz in der Nähe grelle Blitze und leuchteten die Kammer taghell aus. In diesen Sekundenbruchteilen konnte er es gut sehen. Es war eine junge Frau. Und sie sah, soweit er das in dem kurzen Lichtschein sehen konnte, sogar sehr hübsch aus. Sie hatte kürzere schwarze Haare, war vielleicht so um die Mitte 30 und hatte bei den Blitzen eben wieder ihre Arme über den Kopf geschlagen und versucht sich unter der Zudecke zu verstecken.
Er brummelte nur etwas von „Passt schon, halb so schlimm!“ und drehte sich wieder um. Er blieb missmutig. „Na das kann ja heiter werden, wenn die hier die halbe Nacht so herumhampelt. Ich will schlafen und nicht eine hysterische Schnepfe auch noch in den Schlaf wiegen müssen, hoffentlich ist das Gewitter bald aus dem Tal heraußen!“ dachte er sich. Statt müder und schläfriger war er jetzt immer munterer geworden. „Aber, na ja, eigentlich sieht sie ja sehr sympathisch aus. Ein irgendwie süßes, weiches Gesicht und schöne volle Lippen hat sie. Ihre Sprache hat einen leicht italienischen Touch! Gefällt mir, nicht schlecht. Scheint also vielleicht eine Italienerin zu sein! Logisch, die sind doch alle so temperamentvoll und überschwänglich. Klingt auch irgendwie süß. Und alles Italienische liebe ich sowieso. Egal, ob süß oder sauer, hübsch oder hässlich, morgen früh werde ich wohl den versäumten Schlaf ziemlich bereuen, schließlich will ich ja früh wieder raus!“
Der späte Gast störte auch weiterhin seine Nachtruhe. Seine Müdigkeit war längst wie weggeblasen, sein Adrenalinspiegel war ziemlich hoch angestiegen. „Hauptsache, sie beruhigt sich wieder und lässt mich endlich schlafen … !“ dachte er. „Jetzt ist es schon über 22 Uhr und ich bin hundemüde! Mein Gott, so ein Gewitter ist doch nicht so schlimm. Da muss man sich doch nicht so aufführen.“ Die Ereignisse der letzten Minuten ließen allerdings nicht erwarten, dass sich das schon sehr bald änderte und die Frau zur Nachtruhe fand.
Seine späte Bettnachbarin wälzte sich natürlich weiter im heftig knarrenden Bett herum und stieß bei jedem Blitz und Donner einen hysterischen Schrei aus. Sie versuchte ihn jeweils etwas dadurch zu dämpfen, dass sie sich die Bettdecke vor das Gesicht drückte, und sich immer wieder die Zudecke über den Kopf schlug. War das Donnergrollen vorbei, spitzte ihre Nase schon wieder heraus. So ging das über Minuten. Klaus dachte immer wieder „Hoffentlich ist es bald vorbei. Man kann doch nicht bei jedem Blitz und Donner so furchtbar aufjuchen.“ Die nüchterne Überlegung in ihm gewann die Oberhand gegenüber dem verhaltenen Ärger „Obwohl, ganz so schnell muss es ja auch wieder nicht vorbeigehen. Es ist doch völlig egal, ob ich um fünf, sechs oder gar erst um sieben Uhr aufstehen und mich auf den Rückweg machen kann. Die ist halt nun mal so. Am einfachsten wäre es ja, wenn sie gleich ganz unter der Decke bliebe. Nein, aber sie muss ja immer wieder ihre Nase herausstecken. Na ja, stimmt, das geht natürlich überhaupt nicht. Da würde sie ja wohl ersticken.“
Seine Stimmung schwankte ein wenig und er dachte „Obwohl, eigentlich ist es mir ja fast lieber, wenn das Schauspiel noch ein bisschen andauert. Ich weiß ja nicht, was da noch an Aufregendem passieren kann. Am besten ist einfach einmal abwarten. Ich kann ja sowieso bei dem Gewitterlärm nicht schlafen. Ob sie vielleicht hysterisch ist? Nein, das glaub ich nicht, bestimmt nicht. Frauen sind mitunter so, haben einfach große Angst bei Gewittern. Dafür kann sie ja nun überhaupt nichts. Das findet man ja sogar oft, dass nicht nur Frauen vor einem Gewitter panische Angst haben. Und schließlich hat sie sich mit einer sympathischen Stimme ja auch entschuldigt. Die Stimme klang doch irgendwie sympathisch. Sie scheint also ansonsten eine kultivierte und nette Person zu sein.“
Klaus entschloss sich, auf jeden Fall Verständnis zu haben. Genau genommen faszinierte ihn nur noch das in seiner Fantasie sich aufbauende irgendwie Geheimnisvolle und Prickelnde dieses Wesens und der ganzen Situation. Wäre es ein Mann gewesen, hätte er ihm gesagt, er solle sich etwas beherrschen und ihn gefälligst schlafen lassen.
Als mehrere Blitze hintereinander zuckten und alles taghell war, sah er sie wieder unter der Decke herausspitzen. Für Sekunden konnten sie sich direkt in die Augen sehen. Er sah ihre angsterfülltes Gesicht und diese ob des Schreckens weit aufgerissenen, tränennassen Augen. Und er sah auch ihre vor totaler Erregung geröteten Backen und das schweißnasse Gesicht. Er dachte „Hübsch ist sie, und süß schaut sie aus, ein netter, richtig reizender Hase, gefällt mir, gefällt mir sogar sehr. Die Frau hat was, die hat sogar sehr viel.“ Da tat sie ihm furchtbar leid und er schämte sich für seine kleinen bösen Gedanken. Sein Beschützerinstinkt und seine Interesse war geweckt, der auch seine zeitweilig etwas aufkeimende Verärgerung über diesen Störenfried jetzt endgültig regelrecht komplett umdrehte. Dieser Blickkontakt war ihm erneut wie ein kurzer Stich, der ihm durch den Kopf fuhr. Ihre Gesichtszüge und ihre großen, dunklen Augen spukten jetzt unentwegt in seinem Gehirn.
Auch ihr erging es so. Sie dachte sich „Ganz vertrauenserweckend sieht er aus, irgendwie sympathisch. Könnte so an die Dreißig sein. Sehr männlich ist er. Scheint groß zu sein und kräftig ist er bestimmt auch. Ich mit einem Dreißigjährigen in einem Bett. Wahnsinn, ich glaube, ich kriege Zustände. Wenn das jemand im Kloster erfährt, bin ich mausetot. Er ist ja ein richtig hübscher Bengel mit seinen dunklen, kurzen Haaren. Na ja, rasieren muss er sich, hat markante Gesichtszüge und am ganzen Oberkörper ist er scheinbar behaart, wie ein Affe …!“ Sie musste innerlich grinsen „Behaart wie ein Affe …!“ Und mit einem solchen liege ich, Schwester Margareta, eine Nonne, hier im Bett … Das darf doch nicht wahr sein. Kräftige Arme hat er und seine dunklen Augen schauen so bestimmend und vertrauenerweckend. Wie er mich schon angesehen hat. Er wird mir nichts tun. Nein, alles andere ist mir egal. Der Senner kennt ihn und hat es ja schließlich auch gesagt, dass er in Ordnung ist und ich mir nichts denken muss.“
Egal war es ihr natürlich überhaupt nicht. Das männliche Wesen neben ihr beschäftigte unentwegt ihre Gedanken und lenkten sie etwas vom Unwetter ab. Es kam immer näher und tobte immer heftiger, der Sturm war noch sehr viel stärker geworden und heulte um die Almhütte. Der wolkenbruchartige Regen peitschte an das kleine Fenster. Sie hörte, wie das Vieh im Stall vor Angst immer heftiger schrie und der Hund unentwegt bellte.
Die Gedanken an den Mann neben sich durfte sie ja eigentlich gar nicht haben. Schließlich hatte sie vor Jahren einmal ewige Keuschheit gelobt. „Seltsam, noch nie hatte ich solche Gedanken. Ich schau diesen Kerl an und er mich und denk dabei überhaupt nicht an das, was mir mein Gewissen sofort sagen müsste. Das ist wirklich sehr seltsam. Also, Schwester Margareta, Disziplin, weg mit den zwielichtigen Gedanken!“, dachte sie sich, als sie ihn aus den Augenwinkeln ständig beobachtete. Wichtig war nur, dass sie aus diesem Gewitter wieder heile herauskam.
Obwohl ihr keinerlei unmittelbare Gefahr drohte, fürchtete sie bei jedem Blitz, dass er sie erschlagen könnte. Das war in ihrer Kindheit schon einmal jemand in einem nahe gelegenen Haus passiert. Schon als Kind hatte sie schreckliche Angst …vor Gewittern, die im Hochsommer manchmal fast jeden Tag so gewaltig über das Mittelmeer auf die Steilküste zu trieben und dort über der Küste oft nieder gingen. Das schrecklich laute Donnergrollen schien ihr wie ein Grollen des Himmels ob ihrer doch verbotenen Nähe zu einem Mann, der noch dazu mit nacktem Oberkörper neben ihr im Bett lag.
Mein Gott, wenn das die alte, ehemalige Oberin erfahren würde, wäre das die ganz große Katastrophe. Sie wusste es ganz genau, wenn sie manchmal auf dieses Thema zu sprechen kam „Männer sind wie der personifizierte Leibhaftige, allesamt sind sie schlecht, egal, ob sie einen Talar, eine Kutte oder einen Anzug tragen. Alle wollen sie immer nur an den braven Frauen ihre notorischen geilen Gelüste, ihre teuflischen Triebe nach Unzucht und ihre krankhafte, angeborene Gier nach unkeuschem Tun, ihre ihren ganzen Körper zeitlebens und immer beherrschende, so verhängnisvolle Wollust ausleben. Immer nur wollen sie den Frauen an und in ihren Schoß, an ihre Brüste und an ihr Hinterteil, und vor allem in sie eindringen, eindringen, eindringen und ihren gefährlichen Körpersaft hinterlassen. Sie wollen keine Kinder zeugen. Nein, sie verschleudern ihren heiligen Samen bei der Selbstbefriedigung und in Frauen, die ihre tatsächlichen, schmutzigen Absichten nicht erkennen und in Frauen, die für Geld sich zu Allem benutzen lassen. Schmutzige Reden wollen sie führen, und weil sie selbst immerzu sich in der Wollust ergehen, wollen sie unentwegt auch in jedem Weib diese teuflische Wollust wecken. Dabei schrecken sie natürlich auch vor den frommen Klosterfrauen nicht zurück, begehren diese unschuldigen Wesen ganz besonders und wollen nur Unzüchtiges schrecklich Sündhaftes mit ihnen treiben.“ Männer waren auf jeden Fall nach Einschätzung der alten, ehemaligen Oberin, ob jung oder alt, ausnahmslos triebgesteuerte, höchst gefährliche, geile Monster. „Na ja“, dachte Margareta, „wenn die wüsste, so fromm sind die Mitschwestern im Kloster nämlich bestimmt auch nicht immer alle. Vor allem das Gebot der Keuschheit ist, nach dem, was ich da so manchmal beobachten kann, etlichen Nonnen anscheinend öfters nahezu völlig unbekannt. Das sind auch nur ganz normale Frauen und haben ihre natürlichen Gefühle und Wünsche. Meinetwegen, die Keuschheit ist ganz sicher nicht gottgewollt. Dessen Plan sah und sieht für die Geschlechtsorgane der Menschen ganz anders aus. Sonst hätte er sie ihnen mit der Wollust nicht gegeben.“
Immer wieder hatte die in ihrer Novizenzeit das Regiment führende Oberin ihr und den Mitschwestern eingetrichtert, dass alle Männer fast ausnahmslos Wesen waren, vor denen man sich in Acht nehmen musste, wenn man sich nicht versündigen wollte, vor allem, wenn man ihnen so nahe kam, wie zum Beispiel sie in einem Krankenhaus, sie also gar berührte. Na ja, alles durfte man ihr auch nicht glauben. Oft genug war ihr schon genau das Gegenteil begegnet. Die Oberin war mit den Jahren einfach etwas weltfremd geworden. Sie war ein liebenswerter Mensch, kam aber aus einer anderen Zeit. Ihre Nachfolgerin war nur ein paar Jahre älter als Margareta und sah das alles sehr viel realitätsbezogener.
Margareta hatte bisher solchermaßen beschriebene Unholde noch nie in einer auch nur annähernd den Behauptungen der alten Oberin entsprechenden Situation kennen gelernt. Noch nie hatte ihr gegenüber ein Mann auch nur die Spur einer zweideutigen Bemerkung gemacht. Sie taten zur rechten Zeit halt das, was ihnen die Natur vorgab. Und wenn sie eine Frau nett fanden, sie begehrten und die ihn durch ihr Verhalten ermutigte, sagten und taten sie sicher auch das, was sie beim Überfließen ihrer Gefühle eben tun mussten. Trotzdem, „Die Oberin meiner Novizinnenzeit hätte mich damals dafür glatt sofort im eiskalten Weihwasser gebadet, jeden Tag drei Mal, mindestens!“ Sie musste bei diesen Gedanken grinsen. „Das hätte die damals wahrscheinlich schon vor lauter Missgunst. Strafversetzt hätte sie mich. Für die nächsten zehn Jahre hätte sie jeden Ausflug außerhalb der Klostermauern gestrichen.
Ganz so streng geht es ja heute Gott sei Dank nicht mehr zu. Aber, Keuschheit ist Grundbedingung, und eine Nonne im Bett mit einem offensichtlich besonders gefährlichen, leibhaftigen Pferdefüßigen, also so einem triebbesessenen und ständig geilen Monster, das noch dazu so jung war, das ist doch fast schon ziemlich gefährlich. Das ist schon etwas Außergewöhnliches und sollte nicht sein. Wenn ich zurückkomme, werde ich es den Mitschwestern erzählen. Einen ganzen Roman werde ich erdichten, was alles Schlimmes passiert ist, wie er mich verführen wollte, und wie ich standhaft geblieben bin. Das wird bestimmt ganz lustig. Meine Freundin Felicitas wird mir, wenn wir alleine sind, bestimmt sagen ‚Schön blöd warst du da, so was nimmt man mit, oder willst du wirklich als Jungfrau einmal sterben, ich bestimmt nicht!’ Na ja, die ist ja schließlich auch ein ganz anderer Typ als ich und lässt nichts anbrennen. Feli hat ihre Unschuld bestimmt schon oft verloren. Aber, was sollte ich wohl mit einem Mann anfangen? Außerdem ist mir noch nie einer begegnet, der mein Keuschheitsgelübde in Gefahr gebracht hätte!“
Sie dachte „In solchen Situationen, wenn schon angeblich ein solcher Pferdefüßiger, die angeblich menschgewordene pure Sünde, einem ganz nahe ist, hilft immer Beten am besten. Das gibt Kraft; natürlich auch bei einem Gewitter. Was soll ich sonst auch gegen die Naturgewalten unternehmen. Eben, da hilft sowieso nur noch ein Gebet. Und das kann ich wunderbar. Also wird jetzt brav gebetet.“ Drei Ave Maria schaffte sie, dann musste sie wieder zu ihrem Bettnachbarn sehen und konnte den Blick nicht mehr von ihm wenden. Sie sah zwar nur seine groben Umrisse. Aber das Gefühl, das da ein Mann neben ihr lag, war sehr schweißtreibend und hatte ihren ganzen Kreislauf auf den Kopf gestellt. Ein Gewitter und noch ein solcher Mann, das war offensichtlich zu viel der Ablenkung und Aufregung. Schwer zu sagen, was sie mehr beschäftigte. Das Gewitter schien ihr auf einmal gar nicht mehr so bedrohlich. Die Tatsache, dass dort ein Mann lag, war es auch nicht. Notfalls konnte sie sich schon zur Wehr setzen. Aber sie dachte unentwegt an das, was sie neben sich gesehen hatte, und das war immerhin ein halbnackter, sympathischer und hübscher Mann, der sie in ihrer Angst „so frech, nein so lieb war das!“, angegrinst hatte. „Komisch, seitdem hab ich auch fast keine Angst mehr.“ dachte sie.
Seine Gedanken kreisten ebenfalls nur um das „hilflose, schutzbedürftige und so hübsche Wesen“ neben sich. „Was wäre ich wohl für ein Mann, wenn ich ein solches zartes Wesen völlig schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert ließe. Wenn sie mich schon braucht, bin ich da. Der Schlaf ist doch jetzt sowieso völlig unwichtig.“ Seine Gedanken knüpften unbewusst insgeheim schon am Netz für das so ängstliche Wesen, das seinen Schutz gesucht hatte. Sie hatte auf ihn geradezu wie ein Magnet gewirkt. So was war ihm noch nie passiert, oder besser gesagt unter gekommen.
Na, na, dann waren die Warnungen der alten Oberin scheinbar doch nicht so falsch? Ritter Klaus war in seinem ganz natürlichen genetisch vorgegebenen Element, eine hilflose Frau beschützen und trösten. „Da bin ich echt gefordert!“, dachte er, „Auch wenn es mich die ganze Nacht kostet. Pfeif auf Schlaf, das ist wichtiger als alles andere. Stehe ich halt ein, zwei Stunden später auf. Das passt dann auch.“
Er wusste nur noch nicht so recht, wie er ihr helfen konnte. „Abwarten, das ergibt sich. Wenn sie mich braucht, bin ich sofort da. Ich weiß mir schon zur rechten Zeit zu helfen und ich werde dann auch die richtigen Worte finden. Wie man mit Frauen umgeht, das weiß ich ja nun recht gut. Da hab ich schon oft ganz andere Kaliber routiniert ab- und durchgebürstet. Keine hat sich bisher beschwert, im Gegenteil, die waren manchmal wie die Kletten.“
Die Frau schien ihm aber völlig anders als alle, die er so kannte und die er in der Regel immer schon nach ‚geeignet für immer’, was eine eins bedeutete, oder ‚völlig ungeeignet’, was eine sechs bedeutete, sortierte und auch entsprechend behandelte. Bisher war bei ihm noch nie eine – so betrachtet – über ein ‚völlig ungeeignet’ hinaus gekommen. „Auf den ersten Blick wirkt sie ja einfach nur echt, lieb, wirklich süß und sehr sympathisch. Sie macht den Eindruck, als ob sie scheinbar nichts Raffiniertes, nichts Gekünsteltes und nichts Berechnendes, wie ich es ja so oft schon erlebt habe, an sich hat. Wie die Unschuld und Reinheit in der schönsten Form wirkt sie; sehr scheu und zurückhaltend, irgendwie bescheiden. Ich weiß zwar nicht warum, und doch hat sie eine irgendwie selbstbewusste Ausstrahlung.“, dachte er. „Das sieht man doch schon an ihren schönen großen Augen und dem festen Blick.“
Dann schalt er sich wieder einen Einfaltspinsel, weil er solche Schlussfolgerungen von ein paar Bemerkungen und dem Blickkontakt in Sekunden abhängig gemacht hatte. „Vorsicht, das kann natürlich auch alles gewaltig täuschen. Hinter einer Frau verbirgt sich immer auch eine mehr oder weniger begabte, durchtriebene Schauspielerin. Jede Frau ist auch eine Eva. Denk an den Baum im Paradies und den Apfel. Also Klaus, sei wachsam!“ Er sortierte sie instinktiv trotzdem ohne jede Abstriche in die Kategorie ‚Höchst geeignet!’ und ‚Besonders wertvoll!’, was einer eins mit Sternchen entsprach.
Ein solches Wesen war ihm bisher noch nie begegnet. Dass es ein solches Wesen in der heutigen Zeit noch gab schien ihm absonderlich. Er hoffte, dass es keine Täuschung war, auch wenn es nicht danach aussah, als ob sich mehr als nur ein bisschen belanglose Konversation ergeben sollte. „Man könnte ja vielleicht gemeinsam aufstehen und den Rückweg antreten, wäre ja auch nicht schlecht. Sicher wäre sie eine gute Begleiterin. Man könnte immer wieder ein paar Takte reden und wäre nicht ganz so alleine. Und wer weiß, vielleicht ergab sich dabei ja auch ein näherer Kontakt.“ Er dachte schon an den Morgen und hatte sich vorgenommen, mit ihr aufzustehen und ihr einen gemeinsamen Rückweg vorzuschlagen. Dass sich hier jetzt eine Konversation oder gar mehr ergeben könnte, hielt er für unmöglich. Wegen seiner Müdigkeit hätte er momentan auch noch herzlich wenig Lust gehabt, noch länger auf den Schlaf zu verzichten.
Für Sekunden schweiften seine Gedanken in typisch männliche Abgründe ab. Sofort rief er sich zur Ordnung und schämte sich fast schon wieder für diesen vorauseilenden Anflug unanständiger Überlegungen und andererseits auch seiner Einfältigkeit. „Eben, wer weiß, was hinter dieser raffinierten Fassade für ein Luder steckt. Das hab ich ja nun schon oft genug erlebt. Ein Trottel bin ich, ich kenne sie vielleicht zwanzig Minuten, weiß nicht einmal, wie sie richtig aussieht, hab mit ihr kein Wort gesprochen, und trotzdem sortiere ich sie schon nach meiner ‚Checkliste’ als eine Art Heilige ein. Warum mach ich nur bei ihr immer wieder diesen Blödsinn?“
„Klaus, sei doch realistisch!“ meldet sich sein emotionsloser, nüchtern analysierender Teil des Großhirns. „Sie mag ja ganz nett aussehen und sicher auch sein. Eine aber, die sich so benimmt, ist doch offensichtlich nicht ganz echt, hat einen Haschmich. Also muss ich doch alle Sinne auf defensives Abwarten und nicht auf offensives Gebalze richten. Aber, genau, wenn sie das gewollt hätte, hätte sie längst den Faden dazu aufgenommen, bei den Gelegenheiten und Möglichkeiten. Außerdem, keine Frau will schon nach einer halben Stunde - und die schon gar nicht, und schon gar nicht in dieser Situation, wo alles nach Weltuntergang sich anhört und die Hütte bei jedem Donner bebt.“ Da fehlte ihm nun doch das spezielle Wissen um das Verhalten der Evas. Eine Eva wusste immer schon nach Sekunden, ob er oder ob er nicht für sie in Frage kam, vor allem in den Tagen ihrer Fruchtbarkeit, und verhielten sich dann auch entsprechend.
Das Gewitter sah nicht danach aus, als ob es sich schon bald beruhigen sollte. Unentwegt rollten die Donner durch das Tal. Die dicken Wolken hingen über den Bergen und hatten sich über der Almhütte festgesetzt. Klaus dachte „Auch nicht schlecht. Eine Nacht auf dem Berg, einsam und alleine mit einer fremden Frau im Ehebett, die sich noch dazu von sich aus bereits nach wenigen Minuten an meine Brust geworfen hat. Das wird mir niemand glauben. Da kann ich in der Klinik etwas Deftiges erzählen und alle Möglichkeiten bei den Schwestern für deren Fantasie offen lassen, vielleicht auch etwas die Eifersucht wecken. Irgendwie rollen sie bei mir doch momentan alle immer etwas die Augen, weil ich alleine bin. Wie hat doch schon mein Großvater immer gesagt ‚Junge, pass auf, jedes Weib kann ein gefährliches Luder sein, so lange sie warm ist!’ Luder, die hier auch? Unmöglich, die hier ist bestimmt keines und wenn, dann ein ganz liebes.“ Sie war, wie man noch sehen wird, für ihn eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigten.
Klaus war ansonsten nicht immer gerade der charmanteste Zeitgenosse. Zur rechten Zeit konnte er schon, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, lospoltern, war aber ansonsten ein sehr angenehmer, ruhiger Vertreter, vor allem, wenn es um Frauen ging. Dafür hatte er fast eine regelrechte kleine Schwäche entwickelt. Und deshalb fühlte er sich hier jetzt fast auch in seinem urmännlichen Element „Egal, was da noch kommt. Ich bin auf jeden Fall da wie die Feuerwehr. Na ja, und hübsch ist sie ja schließlich auch, das kleine scheue Reh, das meinen Schutz so schön gesucht hat. Und eine Ausstrahlung hat die ja, selbst wenn sie schweigt und ich sie nur heftig atmen höre. Na ja, eben, das kann ja auch gewaltig täuschen. Außerdem trägt sie scheinbar einen Ring, ist also vermutlich gebunden. O.K., gebunden? Das ist ein Grund aber kein Hinderniss, allerdings garantiert nicht bei dieser Frau. Eine Frau, wie ich sie mir erträume, die gibt es doch gar nicht! Außerdem: Wieso sollte ich die ganze Kuh kaufen, wenn ich nur ihre Milch, ihre Muschi zum Ficken brauche!“
Dass er sich den Luxus einer festeren Beziehung geleistet hatte war schon über ein halbes Jahr her. Seit der letzten Enttäuschung war es bei jeweils nur sehr kurzzeitigen, unverbindlichen Kontakten geblieben. Man war einmal zusammen in das Kino, Theater oder in die Oper gegangen. Sonst war da nichts an Gefühl, zumindest nicht von seiner Seite. Die Frauen waren reizend, hübsch und sehr nett. Das war aber alles nicht das, wonach er suchte, wonach er sich so sehnte. Zum Heiraten waren sie schon gar nicht die Richtigen. Eigentlich dachte er, wie schon angedeutet, gar nicht an ein Mehr, da fühlte er sich viel zu müde und ausgelaugt von dem langen Weg herauf. Er wollte schlafen. Irgendwie aber doch schon etwas und immer wieder und schließlich nur noch, weil ein Mann in einer solchen Lage schon von seiner Natur aus unwillkürlich zu zwielichtigen Gedanken etwas gezwungen wurde, also letztlich gar nichts dafür konnte. Er konnte sie nicht verdrängen. Die Gedanken dazu flackerten immer und immer wieder auf. Jetzt beschlichen sie ihn richtig, waren dauernd schwelend präsent und schienen sich immer mehr in die Breite und Tiefe zu entwickeln. Immer wieder ertappte er sich dabei, dass seine Gedanken die in sexueller Hinsicht gegebenen Möglichkeiten blitzschnell mit geilen Inhalten um das Küßen, Streicheln, Begreifen und Ficken erwogen und wie er sie trotz Müdigkeit und schmerzender Blasen in den Füßen in seine Arme bekommen konnte. Schnell verwarf er solche Gedanken immer wieder und versuchte sich trotz einer sich aufbauenden Geilheit und bereits etablierten stabilen Erektion abzulenken. „Schluss!“ dachte er „Nein, nicht bei dieser Frau! Ich will hier unter keinen Umständen irgend eine Situation ausnützen oder gar anbandeln. Ich bin froh, dass ich momentan keine am Hals hab. Hätte ja sowieso keine Zeit für sie. Vielleicht schläft sie ja bald.“
Als ihre angezogenen Beine ihn mehrfach am Gesäß berührten, spürte er sehr genau, wie sie offensichtlich in ihrer Angst vor diesem Gewitter heftig zitterte. Als sie sich deshalb erneut entschuldigte, hörte er sich sagen „Das macht gar nichts, ich kann bei diesem Lärm ja auch nicht schlafen.“ Er sagte es besonders freundlich mit einem leisen Lachen unterlegt. Langsam griff er zu einem ihrer Arme und hob ihn vom gebeugten Kopf, den sie immer noch etwas unter die Decke gesteckt hatte. „Sie müssen keine Angst haben. Ich bin ja bei Ihnen. Aber gewusst hätte ich schon ganz gerne, wie der kleine Angsthase heißt.“ fragte er sie lächelnd.