Читать книгу Flucht nach Mattingley Hall - Nicola Vollkommer - Страница 13

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Kein Adliger, der bei Sinnen war, baute ein Herrenhaus im Umfeld des Wommeslocker Tals. Wommeslock war eine lang gezogene Schlucht, die an einem ihrer nördlichsten Punkte eine tiefe Furche durch die Bergkette der Penninen zog. Selbst auf den obersten Hängen bot der saure Boden nur den hartnäckigsten Arten von Heidekraut, Torfmoos und Farn Nahrung. In der Talsohle sammelte sich alles, was von den höheren Hängen hinuntersickerte, und verwandelte den Boden unten in der Senke in einen schwarzen Morast: schmelzender Schnee, Regenwasser, flüssiger Schlamm, Reste von Überschwemmungen, die keine anderen Abflussbahnen gefunden hatten. Auch an sonnigen Tagen sorgten die steilen Berghänge dafür, dass kaum ein Sonnenstrahl es schaffte, einen Lichtschimmer in diesen tief liegenden, dunklen Winkel des Tales zu tragen. Undurchsichtige Dünste stiegen aus dem Sumpf empor, die einen modrigen Gestank in die Höhe trugen. Wenn die Hölle einen Vorraum habe, behaupteten Bewohner der umliegenden Dörfer, dann hier. Die wildesten Mythen schwirrten um die dunkle Grube von Wommeslock. Nur gelegentlich wagte ein Reisender, der es eilig hatte, den Bergweg am Rande der Schlucht zu nehmen, der als Abkürzung zwischen den nahe gelegenen Dörfern Malheaton und Windsley diente.

Ein Adliger aus ferner Vergangenheit war so weit von Sinnen gewesen, dass er tatsächlich ein Herrenhaus auf einem breiten Felsvorsprung an einer der dunklen Steinwände des Tals gebaut hatte. Earl Sinclair von Mattingley war sein Name gewesen. Die einzige Überlebende aus seiner aussterbenden Linie war Lady Harriet Mattingley, gegenwärtige Besitzerin und Bewohnerin von Mattingley Hall. Niemand konnte sich erinnern, seit wann genau sie dort an dem trostlosen Hang von Wommeslock wohnte. Es wurde gemunkelt, dass sie eine wilde Jugend in den vornehmsten Kreisen in London verbracht hatte. Überhaupt wurden viele Gerüchte über die Bewohnerin des mysteriösen Hauses verbreitet. Keiner wusste, was davon Wahrheit und was frei erfunden war. Aber in diesem Teil Nordenglands waren die Grenzen zwischen Mythos und Wirklichkeit seit jeher fließend, und keiner störte sich daran.

Von außen war Mattingley Hall – zumindest bei Einbruch der Dämmerung oder im Morgengrauen – kaum von den schattigen Felsen zu unterscheiden, die hinter dem Haus in die Höhe ragten. Das Leben im Innern des Hauses bildete jedoch einen krassen Gegensatz zu seinem matten und leblosen Erscheinungsbild. Ein normaler Tag fing mit den ersten lautstarken Befehlen aus den Gemächern von Lady Harriet an. Sobald sie erste Lebenszeichen von sich gab, waren die drei anderen Bewohner des Hauses am Springen, und das Tagwerk in Mattingley Hall begann. Dieses Tagwerk bestand lediglich aus der Aufgabe, mit Lady Harriets willkürlichen Launen mitzuhalten und ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bis sie sich abends zur Ruhe legte.

»Mabel, Mabel!«, erklang jetzt eine kreischende Stimme aus dem ersten Stock des düsteren Hauses. Schnelle, schwere Fußtritte stampften eine Treppe hoch, und eine junge Frau erschien atemlos an der Tür von Lady Harriets Zimmer.

»Was wünschen Sie, Mylady?«

»Regnet es draußen, Mabel?«

»In Strömen, Mylady.«

»Warum bist du so rot im Gesicht, Mabel?«

»Weil ich gerannt bin, Mylady.«

»Nach drei Monaten in diesem Haus müsstest du die Treppe doch schon längst gewohnt sein.«

»Ja, Mylady.«

»Ich will wissen, wie stark es regnet, Mabel. Das Wetter drückt so richtig auf die Fensterscheiben.«

»Ja, Mylady.«

Mabel eilte zum Fenster und zog den dicken Vorhang zur Seite, der die Sicht nach draußen auch tagsüber versperrte. Nicht dass viel zu sehen gewesen wäre. Regenströme trommelten gegen das dicke Glas. Der blasse Schein, der nun vom Fenster kam, beleuchtete die winzige Gestalt einer alten Frau, die am Rande eines verblichenen Sessels saß und mit großen, weit aufgerissenen Augen zum Fenster starrte. Mit ihren ungekämmten weißen Haaren und ihrer Hakennase sah sie wie ein Greifvogel aus, jederzeit bereit zum Sprung. Mit einer Hand umklammerte sie einen Spazierstock so fest, dass die dünne Haut, die ihre Fingergelenke überspannte, fast zu reißen drohte.

»Zieh den Vorhang richtig zur Seite, Mabel. Ich will dem Regen zuschauen.«

»Aber es gibt nichts Neues zu sehen, Mylady. Der Regen ist heute genauso …«

»Tue gefälligst, was ich sage, Mädchen«, brüllte die alte Frau in einem Ton, den man bei ihrer zierlichen, gebrechlichen Gestalt nicht von ihr erwartet hätte. Mabel machte vor lauter Schreck einen Schritt nach hinten.

»Selbstverständlich, Mylady«, stammelte sie, während sie mit beiden Händen die zwei Hälften des schweren Samtvorhangs zuerst zur einen, dann zur anderen Seite schob.

»Warum muss ich dir jeden Tag erklären, dass ich dem Regen zuschauen will? Wofür bezahle ich euch überhaupt, bettelarm wie ich bin?«, klagte Lady Mattingley, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen wollte.

»Es tut mir leid, Mylady, ich habe nur gedacht …«

»Ich will nicht wissen, was du nur gedacht hast. Hör auf, dich zu rechtfertigen. Verschwinde jetzt, sofort. Wer hat dich überhaupt hierherbestellt?«

»Aber Sie doch, Mylady! Sie haben doch gerufen!«

»Schluss jetzt!« Die alte Frau erhob sich zitternd und mit bedrohlicher Miene, mit beiden Händen auf den Knauf ihrer Krücke gestützt. Durch die dünne Haut über ihren Knöcheln war das Grau der Knochen sichtbar. Die Augen der Alten standen weit hervor und zeigten einen großen Teil der weißen Augenhaut, wenn sie aufgeregt war. Sie wirkte dann wie eine Schlange, die ihre Beute mit dem Blick fixiert, bevor sie sie verschlingt. »Und entferne dich gefälligst aus meinem Blickfeld!«

»Sofort, Mylady!« Mit angsterfülltem Blick rannte das Mädchen aus dem Raum. »Sie rufen, wenn Sie noch etwas brauchen!«

»Als ob ich jemals von dir irgendetwas gewollt hätte«, grummelte Lady Mattingley und ließ sich wieder in ihren Sessel fallen. In sich zusammengesunken, betrachtete sie den Regen, der immer heftiger gegen die Fensterscheiben peitschte. Schließlich fing sie an, an den Fingern aufzuzählen:

»Eine Zofe, ein Kammerdiener, ein Butler, zwei Lakaien, ein Kutscher, ein Koch und vier Küchenmädchen, eine Haushälterin, zwei Gärtner … aber das war früher. Jetzt ist jetzt. Jetzt ist es anders.«

Sie seufzte und legte ihre Hand wieder in den Schoß.

Mabel stolperte die Steintreppe hinunter, die in das Untergeschoss des Hauses führte.

»Faselt sie wieder?«, kam eine männliche Stimme aus der Küche, die Mabel nun betrat, völlig außer Atem. Hier in den unteren Räumen war das trübe Tageslicht noch nicht angekommen. An regnerischen Tagen war kein Unterschied zwischen Tag und Nacht zu merken.

»Wann faselt sie nicht, Jason?«, antwortete Mabel. Ein warmes Licht strahlte vom Kamin in den Raum. Ein alter Mann beugte sich hinunter, um frische Kohle auf das Feuer zu legen. Er richtete sich mit einiger Mühe wieder auf, als Mabel die Küche betrat.

»Und an diese Hexe soll ein Dienstmädchen sich gewöhnen? So ein Unsinn. Ihr Raum ist ein offenes Grab. Eine Leiche liegt darin, nur dass es keine herkömmliche Leiche ist, weil sie lebt, redet, schreit und um sich schlägt! Ohne dich wäre ich schon längst im Irrenhaus gelandet, Jason.«

Jason wandte sich vom Kamin ab, strich ein paar graue Haarsträhnen aus seiner roten, von Schweiß bedeckten Stirn und schob ein paar weitere hinter die Ohren. Die auflodernden Flammen beleuchteten ein verwittertes Gesicht, dessen Furchen sich zusammenzogen und sich vertieften, als Mabel redete. Er seufzte.

»So aufgebracht heute, Mabel? Du bist nicht das erste Dienstmädchen, das hier in den Irrsinn getrieben wird. Ich fürchte, auch nicht das letzte. Wenn dein Herz keine stählerne Hülle anlegen kann, dann geh weg, lieber früher als später. Auch wenn es mir sehr leidtun würde. Hatte gehofft, dass junges Blut etwas Leben ins Haus bringt.«

Als Antwort lachte Mabel verbittert auf, sank in einen Stuhl und stützte die Ellbogen auf den Tisch.

»Ach Jason«, stöhnte sie. »Wir halten ein Wesen am Leben, das schon längst unter die Erde gehört.«

Jason legte voller Mitleid eine Hand auf ihre Schulter.

»Komm, Mabel, so schlimm ist es nicht!«

»Doch, es ist sogar noch schlimmer! Hast du gewusst, dass der Penninen Chronicle alle zwei Wochen einen neuen Nachruf für Lady Mattingley druckreif macht? Nur das Datum ändern sie, hat Mrs Womble gemeint. Ich musste sie heute schon wieder überzeugen, dass die alte Dame wirklich noch am Leben ist.«

»Ach, es steckt mehr Leben in ihr, als man denkt, Mabel. Hier, ein Becher warme Milch für deine Nerven.«

Er nahm einen Topf vom Feuer, füllte einen Becher und reichte ihn Mabel. Warme Milch war Jasons Antwort auf jede Art von Lebenskummer. Er hatte es von seiner Mutter gelernt, so erzählte er immer.

»Zum Glück ist Mathilde noch nicht erschienen. Sie war gestern so schlecht bei Laune, dass ich sie schon früh auf ihr Zimmer geschickt habe. Hoffentlich schläft sie heute lange.«

Mabel wärmte ihre Hände an dem Becher, bevor sie an der Milch nippte.

»Schon gestern war Lady Harriet geplagter als sonst. Hat um die Wette getadelt, weil ich ihr die hellgrüne und nicht die blaue Bluse gebracht habe. Dann hat sie darüber geklagt, dass niemand glaubt, wie arm sie ist, dann wollte sie unbedingt Nicholas sehen.«

Jason schmunzelte, als Mabel die kreischende Stimme der alten Herrin verblüffend genau nachahmte.

»Und mein Sohn. Flüche auf den bösen Kerl. Lies mir etwas vor, Mabel, lies mir etwas vor. Ach, wie konnte ich vergessen, dass Dienstmädchen dämliche Gören sind, die den Unterschied zwischen a und b nicht wissen? Zofen und Butler sollte man haben. Aber die Männer, diese bösen Männer, sie haben mein Leben ruiniert. Warum kommt Nicholas nicht? Mabel, wann war er das letzte Mal da? Das ist sicher Wochen her? Er kommt bald wieder? Du lügst, Mädchen! Raus mit dir, raus mir dir!«

Jason bückte sich vor Lachen, nahm sich wieder zusammen und wischte seine Augen ab.

»Am besten entschuldige ich mich gleich für meine Existenz, sobald ich ihren Raum betrete.«

»Du entschuldigst dich zu viel, Mabel«, sagte Jason, fegte die Überbleibsel des Kohlestaubs vor dem Kamin in eine Schaufel und warf sie auf das Feuer.

»Hier, lass mich deine Tasse nachfüllen.«

»Aber ich bin doch ein kluges Mädchen!«, jammerte Mabel beim Schlürfen ihrer Milch. »Ich kann zählen, ich habe von meinem Bruder die Buchstaben gelernt. Meine Mutter meint, ich könnte für eine feine Lady sogar Zofe oder Begleiterin sein, so klug bin ich. Aber Lady Harriet …«

Sie fing an zu weinen.

Jason setzte sich ihr gegenüber, reichte ihr ein Taschentuch, das er aus seiner Hosentasche gezogen hatte, und schaute sie mit ernstem Blick an.

»Mabel, ich habe guten Grund hierzubleiben. Ich bin alt, habe nichts mehr zu verlieren. Und ich habe noch Bilder im Kopf, wie Lady Harriet früher war. Eine wunderschöne Frau. Die Sonne ging auf, sobald sie einen Raum betrat. Aber du glaubst es nicht, keine Spur von Eitelkeit hatte die Frau. Sie war einfach schön, weil es ihr nicht wichtig war, schön zu sein. Es sprühte aus ihrem Inneren. Sie spielte Theater im Covent Garden. Jeden Abend.«

Er schaute mit abwesendem Blick zum Fenster, während er sprach. Plötzlich stand er auf und lief zum Speiseschrank.

»Aber du hast nichts, was dich hier halten muss, Mabel, außer dass du der einzige vernünftige Mensch bist, der in diesen dunklen Gemächern ein und aus geht, und das weiß ich sehr zu schätzen.« Er holte einen Korb voll Kartoffeln von einem Regal im Schrank. »Wenn ich die Treppe so flink hochrennen könnte wie du, dann würde ich dir die Arbeit abnehmen. Ich kenne sie gut genug, um keine Angst mehr vor ihr zu haben.«

Mabel trank noch einen Schluck Milch und wischte sich mit einem Taschentuch die Reste vom Mund.

»Irgendetwas quält die alte Dame. Ich denke, ihr Tod wäre eine Erlösung, findest du nicht?«

»Sie traut sich nicht zu sterben, Mabel.«

Das Dienstmädchen schaute Jason mit großen Augen an.

»Was heißt, sie traut sich nicht?«

»Es gibt Dinge in ihrem Leben, die sie noch nicht erledigt hat.«

»Ist es möglich, dass man sich nicht traut zu sterben?«

»Bei ihr schon.«

Jason seufzte.

»Die Frau hat schlimme Schicksalsschläge erlitten. Mattingley Hall war ihre letzte Zuflucht. Deshalb zählt sie die vielen Bediensteten immer auf. Das erinnert sie an den Glanz der Ballsäle Londons.«

Er nahm ein Tuch und wischte mit abwesendem Blick über die Arbeitsfläche neben dem Herd, bevor er sich noch einmal zu Mabel hin umdrehte.

»Du bist erst ein paar Wochen hier, Kind. Falls du es hier länger als deine Vorgängerinnen aushältst, dann entdeckst du selber so manches. Lady Mattingley hat ja auch klare Momente, die hin und wieder unverhofft kommen. Vielleicht stößt du auf Geheimnisse, von denen nicht einmal ich etwas weiß.«

»Eins kenne ich schon. Nicholas. Gibt es ihn wirklich?«

Jason lachte laut.

»Lady Harriet hat eine üppige Vorstellungskraft, liebe Mabel, aber Nicholas hat sie nicht erfunden. Irgendwann taucht er auf!«

»Na, dafür würde es sich lohnen zu bleiben!«

Jason stand schon in der Tür.

»Er ist ihr Neffe. Aber jetzt schleppe ich meine müden Füße die Treppe hoch und schaue, ob meine verehrte Herrin sich inzwischen beruhigt hat. Du darfst hier weitermachen.«

Er drückte Mabel den Putzlappen in die Hand und humpelte zur Treppe.


»Die Pferde wechseln wir erst in Nottingham«, sagte Jasmin. »Sie sind frisch genug, um einen Nachtritt durchzuhalten.«

Adam schüttelte den Kopf. Er hatte angehalten, um Jasmin nach ihren Wünschen für die weitere Reise zu fragen. Es war sinnlos, Widerstand zu leisten, wenn sie in diesem Befehlston sprach. Außerdem war es ja auch ihm recht, so schnell wie möglich zu reisen. Die Straßen nach Norden waren Durchfahrtsrouten, die durch Ortschaften und Dörfer führten: sicher genug, auch bei Nacht. Es regnete ununterbrochen, seit sie London verlassen hatten. Mit viel Gegenverkehr rechnete Adam nicht. Der Regen schlug ihm ins Gesicht, als er die Flanken der Pferde abrieb und ihre Hufe nach Kieselsteinen überprüfte. Danach zündete er die Laternen an beiden Seiten der Kutsche an, holte eine Plane, um sich und Nancy vor der Nässe zu schützen, und sprang wieder auf den Sitz.

Jasmins Weinkrämpfe wechselten sich mit stundenlanger lähmender Benommenheit ab. Ihr starrer Blick blieb auf die Fensterscheibe gerichtet, und sie versuchte, der Erschöpfung nicht nachzugeben, die sie zu überwältigen drohte. Bloß nicht einschlafen. Ihr letztes Refugium vor den Albträumen war zusammengebrochen. Der feste Boden, auf dem sie gemeint hatte zu stehen, hatte sich als Trugschluss erwiesen. Hubertus liebte sie nicht. Er konnte ihr nicht helfen. Sie war den Dämonen, die an ihrer Tür lauerten, schutzlos ausgeliefert. All die rosigen Träume, die ihre Seele in den vergangenen Wochen am Leben erhalten hatten, lagen in Scherben zu ihren Füßen. Sie wollte nur noch eines: zu Hause in Kebworth sein. Die Pferde konnten nicht schnell genug galoppieren. Jedes Mal wenn Adam die Zügel anziehen musste, weil eine Kutsche aus der Gegenrichtung kam, jedes Mal wenn er an einer Kreuzung anhielt, wurde Jasmin fast wahnsinnig vor Ungeduld.

Adam trieb die Pferde an. Wasser spritzte und zischte von ihren Hufen wie auch von den Rädern hoch, Regen prasselte auf das Dach der Kutsche. Jasmin verlor bald jedes Gefühl dafür, wie lange sie schon unterwegs waren. Sie legte ihren Kopf auf die Ledertasche, die neben ihr auf dem Sitz lag, und schlief irgendwann trotz allen Widerstandes ein.

Erst als es plötzlich still war, wachte sie ruckartig wieder auf. Ein nebeliges Morgengrauen schimmerte durch die Fensterscheibe. Pferde schnaubten und stampften, Zaumzeug klirrte, Männer grüßten sich und lachten. Der Regen hatte aufgehört. Adam öffnete die Tür von außen.

»Nottingham, Mylady. ›Sherwood Hunter’s Inn‹. Wir ruhen uns hier im Kutschhaus aus, frühstücken und fahren dann auf schnellstem Wege nach Kebworth!«

»Wir ruhen hier überhaupt nicht aus, Adam«, antwortete Jasmin. »Wir fahren weiter. Ich will nach Hause. So schnell wie möglich.«

»Bei allem Respekt, Mylady. Wir schirren die Pferde hier ab, füttern sie und stallen sie und fahren mit frischen Pferden weiter. Ich bin durchnässt und erschöpft, Nancy bibbert am ganzen Körper vor Kälte, und auch Sie müssen an die frische Luft und die Beine ausstrecken.«

»Hab ich richtig gehört, Adam? So eine unverschämte, verdrossene Widerrede, nachdem ich dir klare Befehle erteilt habe? Wir fahren nach Hause, und zwar sofort! Sonst erfährt mein Vater von diesem Gespräch.«

»Eher erfährt er Verschiedenes von mir, Mylady. Seit wann verlangen Mitglieder der Familie Devreux, dass Bedienstete ihre Pferde bis zur Erschöpfung antreiben und dass junge Dienstmädchen es stundenlang bei böser Witterung auf dem Fahrersitz einer Kutsche aushalten müssen?«

Jasmin griff nach ihrer Tasche, sprang aus der offenen Kutsche, schlug die Tür zu und marschierte erhobenen Hauptes zum Kutschhaus.

Nach den langen Stunden Regen war die Erde gesättigt, die Bäche am Straßenrand hatten sich in kleine Flüsse verwandelt, das Gehöft des Kutschhauses war mit Pfützen übersät. Ein erster Sonnenstrahl durchdrang schwach den Nebel. Keine Wolken waren am Himmel zu sehen. Es würde ein klarer Tag werden.

Jasmin zog sich in eine ruhige Ecke des Besuchersalons zurück. Hier pflegten gut betuchte Reisende sich auszuruhen, wenn sie nicht über Nacht bleiben wollten, sondern lediglich eine Pause einlegten, bis ihr Kutscher zur Weiterfahrt bereit war.

»Irgendwelche Wünsche, Ma’am? Wollen Sie nicht näher ans Feuer? Der Regen hat alles abgekühlt, es hängt hier drin noch eine feuchte Luft.«

Es war ein schläfriger Dienstbote, den Jasmin im düsteren Morgenlicht zunächst nicht gesehen hatte. Er schürte die Glut im Kamin und machte sich daran, die dicken Samtvorhänge zur Seite zu ziehen.

»Papier, Feder und Tinte bitte«, antwortete Jasmin. »Ich muss einen Brief schreiben.«

»Sofort, Ma’am.«

Mein lieber Hubertus!

Wie soll ich nur beginnen? Seit gestern ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich schäme mich zutiefst. Als du mich so empört angeschaut hast, wäre ich am allerliebsten im Erdboden versunken und nie wieder in dieser Welt aufgetaucht. Wie kann ich meinen unverzeihlichen Fehltritt jemals wiedergutmachen? Ich bin ohne Vorwarnung in dein Leben hineingeplatzt und habe dich in größte Verlegenheit gebracht, als du mitten in einer wichtigen Besprechung warst. Wie kannst du mich jemals wieder liebhaben? Zu allem Übel haben sich mein Kutscher und mein Dienstmädchen gegen mich gewandt, sie widersprechen meinen ausdrücklichen Wünschen und drohen damit, mich bei meinem Vater schlechtzumachen. Ich bin am Boden zerstört. Was soll ich nur tun? Mein Leben liegt in Scherben. Zum ersten Mal seit Langem falle ich auf die Knie und flehe zu Gott, dass er mir meine Torheit vergeben möge. Wie viel würde ich geben, um deinen zärtlichen Blick …

Der Dienstbote verließ den Raum, während sie schrieb. Sobald sie merkte, dass sie allein war, legte sie ihre Feder auf den Tisch und ihren müden Kopf auf ihre verschränkten Arme und ließ ihrem Kummer freien Lauf. Sie schluchzte so heftig, dass ihr nicht auffiel, dass die Tür zum Hof sich öffnete und vorsichtig wieder geschlossen wurde. Erst als sie hinter ihrem Rücken leise Fußtritte hörte und ihre Nase einen vertrauten Duft wahrnahm, drehte sie sich auf ihrem Sitz um. Ihr Magen verkrampfte sich, sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

»Hubertus, was, wie in aller Welt …?«

Bevor sie Zeit hatte, an seinen Blicken und Gesten zu prüfen, ob er ihr gegenüber immer noch kühl und abweisend war, kniete er sich neben sie, nahm sie in seine Arme, grub sein Gesicht in ihre Haare und presste ihren bebenden Körper fest an sein Herz. So langsam ließen ihre Tränen nach. Sie drückte ihn sanft von sich und blickte hoch in sein Gesicht.

»Wie hast du uns gefunden?«, flüsterte sie.

Er legte seinen Zeigefinger sanft auf ihre Nase.

»Die Liebe hat mich geführt. Und mein Pferd. Obwohl es fast ein Rennpferd gebraucht hätte, euch einzuholen.«

»Du hast dich nicht einmal umgezogen, Hubertus!«

In der Tat trug er unter seinem Mantel immer noch den Gehrock und die Weste vom Vortag. Seine Augen waren feucht und rot umrandet. Er holte ein Tuch aus seiner Hosentasche und tupfte Jasmins Gesicht ab, danach sein eigenes.

Ohne ein Wort zu sagen, nahm er ihren Briefbogen in die Hand und las ihre Worte, während Jasmin ihm mit den Fingern durch die Haare fuhr.

»Es ist wie ein Zauber«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Gerade habe ich geschrieben, dass ich alles geben würde, um deinen zärtlichen Blick zu sehen. Ich wollte unsere Verlobung auflösen, so sehr habe ich mich geschämt. Aber Gott hört auf Gebet. Kaum habe ich ihn um Hilfe gebeten, schon antwortet er.«

Hubertus legte seine Hände auf Jasmins Schultern und lächelte sie an.

»Dann sagen wir einfach, es war Gott. Meine süße Jasmin, ich bitte dich um Vergebung. Es war ein Missverständnis. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich habe dich nicht richtig wahrgenommen, ich war gerade mit ganz anderen Gedanken und Sorgen beschäftigt.«

»Nein, nein, es war meine Schuld, Hubertus. Ich bitte um Vergebung. Ich wusste doch, dass du ein viel beschäftigter Mann bist. Ich hätte dir vorher eine Nachricht schreiben sollen, dich fragen, ob es dir gelegen ist, dass ich komme. Es tut mir so leid, dich in Verlegenheit gebracht zu haben! Aber ich war in solcher Not, und du hast gesagt, ich könne jederzeit kommen.«

»Kannst du auch, meine Liebe. Es war so unaufmerksam von mir. Wir hatten gerade einen unglücklichen Vorfall im Haus.«

Sein Blick wurde plötzlich ernst.

»Du hast an der Tür gestanden, als ich eine wichtige Besprechung geführt habe. Sag mir, meine Liebe, hast du irgendetwas gehört, was dich vielleicht belastet, dir Angst gemacht hat?«

Er suchte ihr Gesicht mit durchdringenden Augen und berührte ihre Wange mit seinen Lippen.

»Ich war zu betrübt, um irgendetwas zu hören, Hubertus. Außer dass du Angst um das Wohlergehen deiner Leute hattest. Ich hoffe, das Problem ist behoben worden.«

Hubertus schien erleichtert. Er stand auf, klopfte seinen Gehrock zurecht, griff nach Jasmins Händen und zog sie hoch.

»Ich hatte die Befürchtung, dass dieser Schurke Fellham dir vielleicht wieder Angst eingejagt hatte. Aber schau, die Morgensonne strahlt. Gehen wir kurz an die frische Luft und plaudern ein wenig! Hinter dem Gasthof ist ein Garten!«

Gerade als sie den Salon verlassen wollten, erschien Adam an der Tür.

»Die Kutsche steht zur Abfahrt bereit, die Pferde sind eingespannt, Mylady, wir haben uns beeilt.«

Er verbeugte sich kurz. »Sir«, fügte er hinzu.

»Adam, du kannst dich etwas länger ausruhen. Mr Argyle hat uns eingeholt.«

»Ich habe ihn ankommen sehen, Mylady.«

»Wir haben etwas miteinander zu bereden. Ich unterrichte dich, wenn ich weiterfahren will. Nancy ist sicherlich auch froh über eine längere Ruhezeit.«

Sie machte Anstalten, sich an ihm vorbeizuschieben, um zur Tür zu gelangen. Adam stellte sich vor sie hin.

»Mylady, das geht nicht. Die Pferde sind ungeduldig, Nancy wartet schon auf dem Fahrersitz und wird vielmehr froh sein, wieder in Kebworth zu sein. Wir haben Ihren Wünschen Folge geleistet.«

Jasmin stemmte die Hände in die Hüften.

»Adam, du vergisst wieder deine Stellung. Gerade eben wolltest du noch eine längere Pause machen, jetzt plötzlich willst du gleich fahren. Das soll ein Mensch begreifen?«

»Aber Sie wollten doch …«

Jasmin ließ ihn nicht ausreden.

»Ein paar Minuten hältst du es wohl noch aus, Adam. Wir sind gleich wieder da.«

Sie schob ihn beiseite und zog Hubertus hinter sich her. Das Paar verließ das Haus und ging durch ein Tor neben dem Kutschhaus, das in einen kleinen Park führte.

»Bedienstete werden immer unverschämter«, bemerkte Jasmin zu Hubertus. »Ich hätte es allerdings von Adam nicht erwartet. Aber seit wir zu Hause losgefahren sind, ist er mürrisch und verdrießlich. Ich werde Vater davon erzählen, sobald ich zu Hause bin. Aber jetzt bin ich erst einmal froh, dich zu sehen, Hubertus!«

»Ha, Bedienstete auf die Spur zu bringen, ist meine Lieblingsbeschäftigung. Doch wenden wir uns jetzt wichtigeren und erfreulicheren Dingen zu.«

Während sie Arm in Arm weitergingen, beteuerte Hubertus ihr wortreich seine Liebe, entschuldigte sich mehrmals für sein Verhalten und freute sich auf die Aussicht, seinen Fehltritt ein Leben lang mit täglichen Aufmerksamkeiten wiedergutmachen zu können.

»Aber der eigentliche Grund, warum ich gekommen bin, ist, um dir eine Nachricht zu bringen, die dir gefallen wird«, sagte er schließlich, während er sie zu einer kleinen Bank in einer Laube führte und sie neben sich auf den Sitz zog.

Jasmin hielt mit beiden Händen seinen Arm fest und blickte erwartungsvoll zu ihm hoch.

»Ich erzähle dir die Vorgeschichte.«

»Ich bin ganz Ohr, Hubertus!«

»Weißt du, meine Liebe, der Betreiber einer Zeitung ist immer auf der Suche nach spannenden Geschichten, die die Bevölkerung interessieren. Vor einem Jahr hatte ich die undankbare Aufgabe, über den Freitod deiner lieben Mutter zu berichten – möge ihre Seele in Frieden ruhen. Mein eigentlicher Grund, in Yorkshire zu sein, war jedoch die Suche nach pikanten Skandalen im Adel, die die Londoner dazu anreizen würden, meine Zeitung zu kaufen.«

»Skandale? Gibt es davon in London nicht genug?«

»Nicht so viele wie in Yorkshire. Was meinst du, welche Zeitung als Erstes wusste, dass Lord Mincham den Tod seiner irrsinnigen Frau nur vortäuschte, sie aber in Wirklichkeit in seinem Gartenhäuschen eingesperrt hatte, weil er an ihr Geld wollte? Oder dass Lady Miralda Goodman alle ihre Dienstmädchen absichtlich mit einer hässlichen Uniform bekleidete, weil sie Angst hatte, dass ihr frevelhafter Ehemann mit einem von ihnen fremdgehen würde?«

Jasmin lachte, bis ihr die Tränen kamen. Hubertus war richtig in Fahrt. Er warf einen schelmischen Blick nach hinten, drückte seinen Mund an ihr Ohr und flüsterte: »Adam darf es ja nicht erfahren, auch niemand anders, aber manchmal haben wir einen Skandal absichtlich verursacht, um eine gute Schlagzeile zu haben.«

»Sag bloß!«

»Wir haben zum Beispiel einen Eimer voller Giftschlangen in Lady Fitzwilliams Garten gestellt und zwei Tage später den Bericht über die Schlangenplage in Skipton geschrieben.«

»Nein, so was! Wie entzückend! Lady Fitzwilliams Schlangen waren deine Idee? Sie kamen nicht aus der Kiste von Seidenvorhängen, die die East India Company geliefert hatte?«

»Nein, wir haben sie höchstpersönlich geliefert. Aber nichts verraten! Das Ende heiligt immer die Mittel in unserem Geschäft.«

»Das geschah ihr recht. Diese Frau konnte ich nie leiden. Sie sitzt auf so einem hohen Ross!«

Hubertus drückte Jasmins Körper fester an den seinen und senkte seine Stimme weiter. »Jetzt komme ich aber zum besten aller Skandale.«

»Zu welchem?« fragte Jasmin.

»Wenn wir verheiratet sind, werden wir ganz nach Kebworth ziehen, und dort wird unser bleibendes Zuhause sein. Ich möchte, dass Kebworth mein Hauptsitz wird, auch für meine Arbeit. Yorkshire verbirgt viele weitere reizenden Geheimnisse, die ich aufdecken möchte. Mein Partner Mr Trentham ist sehr begabt und wird die Arbeit in London beaufsichtigen. Ihm stehen ohnehin eine Beförderung und eine satte Belohnung für gute Leistungen zu. Aber ich wollte dich zuerst fragen. Was hältst du davon?«

Jasmin klatschte in die Hände, streckte ihren Mund hoch und bedeckte Hubertus’ Koteletten und sein ganzes Gesicht mit Küssen. Sie lehnte sich kurz nach hinten und blickte lachend in seine Augen.

»Wenn du meine nicht sehr gründlich durchdachte Meinung hören willst: Natürlich muss Mr Trentham belohnt werden!«

Hubertus hatte einen seltsamen Schimmer in seinen Augen. Er fuhr zärtlich mit den Fingern den Konturen ihres Kinns nach, ergriff ihren Kopf mit beiden Händen und hielt ihn fest und drückte seine feuchten Lippen auf ihren Hals. Er atmete schwer, als er ihren Körper langsam auf die Bank hinunterdrückte und den Ausschnitt ihres Kleides mit beiden Händen fieberhaft betastete.

»Hier ist das reizvollste Geheimnis Yorkshires, das ich aufdecken möchte«, säuselte er. »Ich wittere hier noch weichere, sanftere Kurven.« Seine Stimme wurde heiser. »Wie viele Kinder wollen wir denn auf die Welt bringen?«

Sie versuchte, sich von seinem festen Griff zu befreien.

»Nein, Hubertus, jemand könnte uns sehen!«

»Ich habe ein Zimmer bestellt, gehen wir kurz hoch. Ich halte es nicht länger in deiner Nähe aus, alles in mir schreit danach, dir noch näherzukommen, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, meine Gedanken an dich machen mich verrückt, Jasmin. Bitte, erbarme dich eines Mannes, der dein Sklave sein will für den Rest seines Lebens!«

»Aber wir sind nicht verheiratet, Hubertus! Das kann ich Papa nicht antun!«

Seine Küsse wurden leidenschaftlicher, zwei hungrige Hände suchten nach einem Zugang an den Säumen ihrer Ärmel und drückten auf ihren Oberarm.

»Aber bald, Süße. Wir kaufen uns morgen Eheringe. Mein Wort der Treue. Mit dieser Aussicht sind wir sozusagen schon jetzt verheiratet. Alles andere ist nur Formsache! Was bedeutet schon ein Stück Papier?«

Jasmin spürte, wie ihr Widerstand langsam nachließ. Sie war in einer Trance, ihr war schwindelig, sie staunte, wie wenig Angst sie hatte. Ihr ganzes Wesen zitterte vor Sehnsucht, sich diesem Mann ohne Einschränkungen für immer hinzugeben, ihn nie wieder loszulassen.

»Aber nur unter der Bedingung, dass du heute nach Kebworth mitreitest und wir morgen gleich heiraten, nur im Kreis der Familie. Mein Vater wird nichts dagegen haben. Und später feiern wir ein großes Fest für alle.«

»Einverstanden«, flüsterte Hubertus zärtlich. »Komm mit!«

Jasmin richtete feurige Augen auf ihren Liebhaber, der sie mit sanftem Druck von der Bank hochzog.

Adams Stimme am Gartentor riss sie aus ihrem Rausch.

»Mylady, wir müssen jetzt fahren!«

»Der Mann ist eine Pest!«, zischte sie.

Sie strich mit der Hand über ihre verworrenen Haare, band ihr Halstuch hastig zu und sah Hubertus erschrocken an. Hubertus’ Augen wurden schmal, er presste seine Lippen zusammen, fluchte leise und knöpfte seinen Mantel zu.

»Verdammt noch mal! Sag dem Schlitzohr, dass wir in aller Ruhe noch etwas besprechen müssen«, sagte er. »Ist er dein Diener oder dein Befehlshaber?«

Jasmin zögerte und schüttelte den Kopf.

»Vielleicht lieber nicht«, sagte sie mit dumpfer Stimme. »Ich will meinen Vater nicht hintergehen. Deshalb muss ich mich doch von dir losreißen, wie schwer es mir auch fällt. Bis zum Herbst ist es nicht mehr lange.«

»Es ist viel zu lange. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«

Er griff nach ihrer Hand und führte sie zum Tor. Jasmin hoffte inbrünstig, dass Adam dem Liebesgeflüster auf der Gartenbank nicht gelauscht hatte.

»Ich habe dir doch gesagt, ich komme, sobald wir fertig sind«, fauchte sie, als sie seine grimmige Miene im Hof erblickte. Er drehte sich ohne ein Wort um, rief Nancy etwas zu, die Proviant in die Kutsche legte, hielt die Tür für Jasmin auf, half Nancy auf den Sitz, folgte ihr und nahm die Zügel in die Hand.

»Ich habe dir doch versprochen, dass wir die Bediensteten wieder auf die Spur bringen«, flüsterte Hubertus Jasmin ins Ohr, als er sie zum Abschied küsste. »Fangen wir mit dem da an!«

Jasmin grub ihre Nase in das Taschentuch, das Hubertus ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. Beim Duft von Bienenwachs lief ihr ein wohliger Schauder den Rücken hinunter. Sie spürte noch seine warmen, weichen Hände, wie sie ihre Haut immer fester betasteten, hörte sein Flüstern im Ohr, sein Versprechen, bald nach Kebworth zu reisen und ihrem Vater die gute Nachricht zu überbringen, dass er nach Yorkshire ziehen wollte und dass Lord Medway sich doch nicht von seiner Tochter trennen musste. Ihr Kopf füllte sich mit farbenfrohen Träumen von neuen Tapeten und Teppichen, vom Trippeln kleiner Kinderfüße, von dem behaglich eingerichteten Schlafzimmer, in dem sie abends auf ihren Liebhaber warten würde, wenn er nach seinem Tagwerk heimkehren würde. Dass sie jemals unter Albträumen gelitten hatte, war ihr in diesem Moment unvorstellbar. Selbst Adams Schimpfen und Nancys schmollendes Schweigen störten sie nicht. Sie schwebte auf Wolken und hatte nicht vor, jemals wieder hinunterzusteigen. Hubertus liebte sie doch, er war ihr sofort nachgeritten, sogar durch die Nacht hindurch. Nichts würde sie mehr von der Liebe ihres Lebens trennen. Er hatte versprochen, gleich in der Woche darauf nach Kebworth zu reiten.

Adam trieb die Pferde zum Galopp an. Jasmin schlief ein und wachte erst wieder auf, als die Kutsche in Kebworth Place ankam. Kein böser Traum hatte sie geplagt.

Flucht nach Mattingley Hall

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