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Kapitel 1

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Es war Herbst. Dunkle Wolken zogen schleierhaft am Firmament entlang. Wasser prasselte unaufhörlich gegen die leicht ergrauten und mit Schlieren versehenen Scheiben des alten Küchenfensters. Die Kaffeemaschine brodelte wie eh und je. Im Hinterhof hatte sich eine mystische Dämmerung eingeschlichen,die so gar nicht zur Uhrzeit passte. Die Sonne schien nicht zu existieren und der Schleier der Nacht lag immer noch über den Häusern und bettete sie in schläfrige Trübe. Meine Füße waren kalt. Mit angewinkelten Beinen hockte ich auf meinem kleinen, braunen Barhocker, an meinem kleinen, braunen Bartisch und starrte kleine runde Löcher in die Luft. Selbst die flauschigen Kaschmirwollsocken, die meine Mutter mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, wärmten meine Füße nicht. Weihnachten, ich durfte gar nicht daran denken. Letztes Jahr war meine Welt noch in Ordnung gewesen. Letztes Jahr war meine Mutter zum heiligen Fest bei mir und Martin gewesen. Martin, er hatte mich verlassen, weil ich ihn mit Lionel betrogen hatte. Vielleicht hätte er mir sogar verziehen, aber ich hatte mich so sehr verändert, dass es wohl nie wieder zwischen uns funktioniert hätte. Mein Erbe, das zugleich zu meinem Fluch geworden war, und Lionel, dieser gottlose Sohn des Teufels, hatten mich regelrecht verdorben.

Seit Wochen schon saß ich da und wartete auf eine Antwort von Gott.

Dass es eine höhere Macht gab, wurde mir in diesem Jahr des Öfteren bewiesen, doch welche grausame Wahrheit sich dahinter verbarg, wurde mir erst bewusst, als ich Lionel an der Schwelle des Todes im Rosengarten zurück gelassen hatte. Der Gedanke an den Altvampir jagte mir einen Schauer über den Rücken. Die Erinnerung und das Gefühl wandelten sich in unbändige Wut. Jeden verdammten Abend hatte ich gebetet und um Antworten gefleht. Doch Gott sprach nicht mit mir. Dabei war gerade er mir immer noch eine Antwort schuldig. Man hatte mir eine Last aufgebürdet, die ich nicht tragen konnte. Ich war ein Mensch, bis zu dem Tag, als meine Gene mutierten und das Erbe meines Vaters erbarmungslos immer tiefer in meine Eingeweide wuchs. Wie ein bösartiger Tumor metastasierte diese Macht in mir und breite sich aus, nahm Besitz von meinem Körper und von meiner Seele. Diese schier unbändige und gewaltige Quelle des Ur-Bösen. Von diesem besagten Tag an mutierte ich langsam zu einem Monster. Man hatte mich nicht gefragt, es wurde mir einfach aufgezwungen.

Gott hatte nicht eingegriffen, teilnahmslos hatte er zugesehen, er hatte sogar zugelassen, dass Lionel mir zu nahe kam. Er hatte mich weder gewarnt, noch hatte er mich vor dem Altvampir beschützt. Es war mein gutes Recht zu erfahren, warum er mir das antat. Ich war zornig, verbittert und suhlte mich seit dieser besagten Nacht, als ich Lionel das letzte Mal gesehen hatte, in meinem Weltschmerz.

Mal waren es Albträume, mal stand ich irgendwo im Süden in der Sonne, der Himmel war blau, Martin an meiner Seite, und wir blickten gemeinsam auf das vor uns liegende friedvolle Meer. Dann verwandelte sich Martins Gesicht in Lionels markantes Gesicht. Die Gicht schäumte auf und schlug gegen die Felsen links von uns am Strand.

Manchmal träumte ich einfach nur von beliebigen Orten, von beliebigen Dingen , von einer undefinierbaren Flut von Augenblicken, die sich in meine Träume schlichen. Gott hatte mir mein Leben genommen, mein echtes Leben. Es hatte lange gedauert, zu begreifen, dass ich nicht verrückt war, sondern dass all das um mich herum wirklich geschah.

Nach der Schließung der Pforte, nach der Erkenntnis über Lionel, den Vampir von Köln und nach dem Wissen, dass es für ihn keine Heilung gab und dass er seine Seele nicht zurückbekam, brauchte ich die Abgeschiedenheit. Im Stillen hatte ich manche Nacht gehofft, Lionel würde ebenso wie mein Vater einestages seine Seele zurückbekommen. Er hatte Köln schließlich vor dem Untergang gerettet und wenn man es genau nahm, die ganze Welt. Bis heute hatte ich mir immer noch nicht erklären können, wo genau diese andere Dimension lag, in die die Hexen vor vielen hundert Jahren die Untoten verbannt hatten. Magie und Fiktion waren scheinbar nicht immer zu erklären. Für manche Fragen gab es vielleicht einfach keine Antwort. Und doch suchte ich danach.

Mary hatte die ersten Tage wiederholt angerufen, doch ich wollte niemanden sehen und niemanden hören. Ich brauchte Zeit. Zeit, um durch den Schmerz zu gehen.

Wer bin ich und was bin ich?

Eine Frage, die ich mir immer wieder stellte, sie riss mich nachts aus dem Schlaf, jagte mich durch unzählige Albträume, umhüllte mich in kalte Schweißbäder, hielt mich vom Alltag fern und verzerrte mein Spiegelbild. In der Ruhe die ich suchte, türmten sich gleichzeitig Widersprüche auf, trieben mich an den Rand des Wahnsinns, betteten mich in Zweifel und raubten mir zuweilen den Verstand. Ab und zu fragte ich mich immer noch, ob ich vielleicht gar nicht existierte oder mich in einer anderen Welt oder sogar in einer Zeitschleife befand. Ich schloss in jenen Momenten einen Aufenthalt in der Psychiatrie jedoch aus, da die Realität mich schneller einholte, als mir lieb war.

Meine Kräfte und Fähigkeiten prägten sich immer rascher aus, je wütender und verletzter ich war, desto stärker nahmen sie Gestalt an. Ich hatte immer noch nicht richtig gelernt, mit ihnen umzugehen. Lionel hatte mir gezeigt, dass sie stärker waren, wenn ich mich auf meine Emotionen konzentrierte und dank ihm, konnte ich zwar kämpfen, jedoch fehlte mir immer noch jegliches Feingefühl. Es gab Tage, in denen ich einfach nur Mensch war und Mensch sein wollte. Doch die innere Kraft und düstere Macht schwappte sinnlos über mich hinweg und zwar schneller, als ich fähig war, sie zu kontrollieren, so dass ich dummerweise Teller und Tassen zerbrach. Meine Kochtöpfe hatten bereits Beulen und einigen Kleidungsstücken fehlte der Reißverschluss. In meiner ungestümen Art hatte ich sie einfach herausgerissen. Ich musste eine Menge Energie aufbringen, um meine neu gewonnenen Kräfte unter Kontrolle zu halten. Je länger ich allein war, desto länger musste ich mich mit mir selbst beschäftigen, desto tiefer geriet ich an meine eigenen, inneren Grenzen. Wut, Enttäuschung, Zorn, Angst, Hass, Sehnsucht, Erinnerungen, Liebe und Angst waren eine brutale Mischung, die meine dämonische Seite immer weiter herausforderte. Das machte mir zu schaffen und ich hielt mich daher in meiner eigenen Wohnung gefangen. Ich hatte mir selbst schwere Eisenketten umgelegt. Dazu kam diese widersprüchliche Berührung mit dem Tod. Mein Körper fühlte sich so lebendig an, lebendiger als je zuvor, doch irgendetwas in mir schien ebenso alt und tot zu sein. Was immer dort in der Tiefe in mir lauerte, versuchte langsam Formen anzunehmen und das machte mir eine Scheißangst.

Ich hatte niemanden darum gebeten, das zu sein, was ich nun war. Es wurde einfach entschieden. Wurde mir aufgezwungen von irgendwelchen fremden Mächten. Es war nicht das grüne Monster unter dem Bett oder das Gespenst im Kleiderschrank, das mir Angst machte, es war viel schlimmer. Es war real. Und ich war nun das Monster in meinem eigenen Bett.

Ich verschanzte mich zuhause, riss die kompletten Tapeten runter, renovierte wie eine Wahnsinnige meine Wohnung, schrubbte jeden verdammten Winkel meiner einsamen und leeren Wohnung, verwischte Martins Spuren und flüchtete mich in die Isolation.

Ab und zu dachte ich an Mary, was sie wohl gerade tat und ob es ihr wohl gut ginge.

Ich hatte sie in den letzten Wochen einfach zu sehr vernachlässigt.

Nach Marys Trennung vor einigen Jahren von Piet, ihrer ersten großen Liebe, war sie meist bei mir gewesen um die Einsamkeit nicht mehr zu spüren.

Jetzt war sie allein, ganz allein.

Ich warf einen Blick aus dem Fenster, es war Zeit, wieder aufzustehen und ins Leben zurückzukehren. Ich versuchte mir einzureden, dass meine neugewonnene Freiheit auch etwas Gutes hatte.

Ich musste auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, konnte nach Hause kommen, wann ich wollte. Partys schmeißen ohne Ende, ein und ausgehen, ohne Rechenschaft abzulegen.

Ach verdammt, ich schmeiße keine Partys und ich gehe auch nicht aus.

Ich verbrachte also meine Zeit damit, meine Wohnung auf Vordermann zu bringen, abends vor der Glotze zu liegen und in Selbstmitleid zu versinken, ein Buch zu lesen, oder wie eine Wahnsinnige den Rhein rauf und runter zu laufen. Laufen, das einzige, was mich derzeit am Leben erhielt. Ich lief meinem Schmerz einfach davon.

Anfangs hatte ich versucht, den Wahnsinn in Alkohol zu ertränken, doch als ich merkte, dass selbst eine Flasche Wodka nicht mehr richtig anschlug, ließ ich es frustriert bleiben. Das einzige, was ich nicht versucht hätte, um mich zu betäuben, waren Drogen. Aber die hätten vermutlich auch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt.

An diesem Morgen erwachte nach langer Zeit das Gefühl in mir, dass etwas fehlte. Eine Aufgabe die mich wieder Mensch sein ließ.

Ich hatte mir nach der Dusche lediglich einen Morgenmantel übergeworfen. Die Tageszeitung lag vor mir und ich saß mit einem viel zu starken Kaffee immer noch an meinem Bartisch in der Küche. Die Zukunft lag trostlos vor mir. Was konnte ich schon tun? Ich hätte an verbotenen Boxkämpfen teilnehmen können. Ich hätte eine gute Stange Geld verdient, aber vermutlich hätte ich meinen Gegner glatt umgebracht. Solange ich meine Fähigkeiten nicht vollkommen unter Kontrolle hatte und solange ich Löcher in die Wand starrte, würde mir niemand auf dieser Welt einen handfesten Job anbieten. Spätestens nach einer Stunde wäre ich gefeuert.

Ich schüttelte den Kopf und schlürfte frustriert an meinem bereits kalten Kaffee weiter.

Ich hatte Lionel lange nicht mehr gesehen. Zuweilen spürte ich seine Anwesenheit, er war dort draußen, irgendwo in den Straßen von Köln und er beobachtete mich. In mancher Nacht erwachte ich, glaubte seinen Schatten an meinem Fenster zu sehen, doch ehe ich überhaupt reagieren konnte, dass er da war, verschwand er schon wieder. Die Nacht hüllte mich dann ein und ich fiel zurück in die Lethargie der letzten Wochen. Ich hätte ihn nur zu rufen brauchen, ich hätte ihn aufsuchen können, aber wozu hätte das gut sein sollen?

Gedankenversunken begann ich lustlos in der Zeitung zu blättern und ging halbherzig die Stellenanzeigen durch.

Warum tue ich das bloß? Wo liegt der Sinn? Kann ich mich selbst auslöschen, wo doch die Gene eine Untoten in mir erwacht waren?

Ich wollte weder als Spülhilfe in einem Kakerlakenrestaurant enden, noch das Messegeländer schrubben, geschweige denn auf eine Horde vierjähriger Kinder aufpassen, bis sie mir die letzten, lebenden Zellen aus meinem Gehirn herausbrüllen würden. Nicht dass ich keine Kinder mochte, ich mochte sie sehr, wenn sie nicht in Rudeln auftraten. Hätte ich mit Martin Kinder bekommen, dann wäre ganz klar gewesen: nur zweie. Ein Junge und ein Mädchen.

Diesen Gedanken muss ich schnellstens loswerden, Vampirkinder, genetische Mutanten, das kommt gar nicht in Frage.

Schon schoss mir die nächste Frage in den Kopf. Konnte ich überhaupt noch Kinder bekommen? Und wie wären sie dann? Tot? Lebendig?

Mein Leben war wirklich nicht mehr lebenswert. Ich schob den Gedanken schnell beiseite und fuhr mit dem Finger eine Stellenanzeige nach der anderen nach. Plötzlich begannen die Buchstaben zu verschwimmen. Ich musste mich konzentrieren, um den Inhalt des Textes lesen zu können:

Ein Bühnenreifer Auftritt. Gratulation. Und da du so ein braves Mädchen bist und so viel Verantwortung für deine Artgenossen gezeigt hast, habe ich einen Auftrag für dich. Sieh es als Wiedergutmachung dafür, dass du die Pforte geschlossen hast. Ich erwarte deinen Anruf.

Dann folgte eine Telefonnummer. Meine Hände begannen zu zitterten. Ich spürte tief in mir etwas Düsteres empor steigen. Diese Annonce war nicht von einem Menschen verfasst.

Wie kann das möglich sein? Woher wusste ich das?

Ich spürte mein Herz schneller schlagen und rang um Luft.

Mein erster Gedanke galt Richard. Ich wusste nicht, ob er in der besagten Nacht im Rosengarten in den Flammen umgekommen war oder nicht. Doch genauso gut hätte es auch Lionel sein können.

Einen Augenblick zögerte ich, dann griff ich entschlossen zum Telefon und wählte die besagte Nummer. Ein merkwürdiges Rauschen und Knistern tönte wie aus der Ferne, dann zischte es in der Leitung. Der Klingelton blieb jedoch aus. Stille.

„Hallo? Ist da jemand?“

Meine Stimme schien zwar in den Hörer hinein zu gelangen, wie durch eine Art Trichter, aber er verstummte irgendwo am anderen Ende der Leitung. Ich legte auf. Ich wollte einen weiteren Blick auf die Zeilen werfen um die Nummer noch einmal zu vergleichen. Vielleicht hatte ich mich auch verwählt.

Wo sind denn jetzt die Ziffern geblieben ?

Mein Finger ruhte noch immer auf der selben Stelle. Die Anzeige war verschwunden. Hektisch überflog ich noch einmal jede Zeile die auf der Seite dieser gottverdammten Zeitung stand. Nichts!

Sie blieb verschwunden. Und dafür gab dafür nur eine einzige plausible Erklärung:

Ich bin doch verrückt!

Ich legte die Stirn in Falten und kräuselte meine Nase. Das tat ich häufig, wenn ich nachdachte. Eine mehr zweifellos unschöne Macke, deren Resultat zwei schrecklich hässliche Denkerfalten mitten auf meiner Stirn waren. Zugleich packte mich der nächste Gedanke: Würde ich denn jetzt noch Falten bekommen? Oder regenerierte sich meine Haut wie bei Lionel? Diese makellose und wunderschöne seidige Haut, die seinen muskulösen und athletischen Körper so perfekt zur Geltung brachte. Würde ich altern? Und wenn nicht, dann wäre es der erste Vorteil, der mir ein kleines, fast schon schelmisches Lächeln ins Gesicht zauberte. Zumindest war das ein Trostpflaster im Gegensatz zu all den anderen Nachteilen. Plötzlich klingelte mein Telefon.

Auf dem Display erschien keine Nummer. Ich nahm das Gespräch an und wartete.

„Sarah“, flüsterte eine raue und dunkle Stimme am anderen Ende. Ich fühlte, wie sich meine Nackenhaare hoch stellten. Das war nicht Richard und auch nicht Lionel.

„Wer ist da?“

„Du kennst mich nicht“, hauchte die Stimme ins Telefon zurück.

Ach, darauf wäre ich jetzt gar nicht gekommen.

Es klang so ähnlich, wie in einem alten Video von Marielle Mains, in dem ziemlich viele Stimmverzerrer eingesetzt wurden. Dunkel und monoton hallte es am anderen Ende durch die Leitung. Wie durch einen Filter rasten die Töne in meinen Gehörgang, sodass sich das Flimmerepithel mit seinen kleinen feinen Härchen umgehend hochstellte. Einen Moment stutzte ich. Meine Nummer konnte doch niemand sehen. Wer auch immer der Anrufer war, er musste bereits meine Rufnummer besitzen. Aber woher hatte er sie? Und was noch viel wichtiger war: Wer hatte sie? Ich starrte erneut auf die Zeitung, die Anzeige blieb verschwunden.

Entweder wurde ich langsam wirklich schizophren oder hier war Magie im Spiel. Wobei ich immer noch Schwierigkeiten hatte, mich damit anzufreunden, dass Magie existierte. Ich fragte noch einmal eindringlicher.

„Wer ist da?“

Und wieder jagten diese seltsamen Geräusche durch die Leitung.

Es klang wie ein entferntes, blechernes Scheppern, als würden unzählige Schrauben in einer Betonmischmaschine durcheinander geschüttelt und immer wieder gegen stählerne Wände schlagen. Es dröhnte mit abnormaler Geschwindigkeit in meinen Gehörgang und ich zuckte sichtlich zusammen.

Ein lautstarkes Pfeifen brachte mein Trommelfell fast zum platzen. Ich riss den Hörer für einen kurzen Augenblick weit von meinem Ohr weg und war versucht aufzulegen, als die dunkle und gewaltige Stimme sich noch einmal meldete.

„Wer ich bin tut nichts zur Sache. Du bist das Amulett. Und das ist das Einzige, was zählt. Wolltest du nicht schon seit langem wissen, wo dein Vater wirklich ist?“

Einen Moment hielt ich den Atem an. Das konnte doch nur ein mieser Trick sein. Kein Sterblicher außer Mary und meiner Mutter wussten, wer mein Vater war. Und natürlich Martin. Aber er würde es nicht wagen, sich einen derartigen Scherz mit mir zu erlauben.

Und wenn es kein Sterblicher ist?

Ich fragte genauer nach, doch dieses Mal zynischer und energischer: „Wer verdammt noch mal bist du und was willst du? Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist es ein verdammt schlechter.“

„Ich bin alles, und doch nichts“, hallte es durch die Leitung.

„Ich kann deinen Vater sehen, kleine Sarah, er ist im Neriot. Hier bei mir. Willst du ihn retten, oder soll ich ihn euch zurückbringen? Soll ich ihm seine Seele nehmen und ihn euch als mordenden Vampir zurück auf die Erde schicken? Wie gefällt dir dieser Gedanke?“

Eine Gänsehaut jagte die nächste und sammelte sich auf meiner Kopfhaut zu einem unangenehmen Kribbeln. Draußen in den Straßen konnte ich gegen Dämonen oder Vampire kämpfen, gegen eine abgrundtief fühlbar bösartige und machtvolle Stimme ohne Körper konnte ich nichts ausrichten. Ich musste herausfinden, wer dahinter steckte.

„Das ist Erpressung“, zischte ich durch die Zähne. Und was zum Teufel ist Neriot?

„Lionel, wenn das auf deinem Mist gewachsen ist, dann hör sofort auf damit. Hast du mich verstanden?“

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, gab es einen furchtbar lauten Knall. Eine riesige Energiewelle strömte wie aus dem Nichts in meine Küche, wirbelte meine langen Haare auf und breitete sich rasend schnell im Raum aus. Ich konnte sie nicht sehen, dafür fühlte ich sie umso deutlicher. Die Luft war elektrisiert und mir schien, als tanzten winzige Lichtmoleküle wild und hektisch vor meinen Augen hin und her.

Wie ist das möglich?

Meine Sinne waren angespannt, hektisch schweifte mein Blick umher und hielt erst auf den Kochplatten meines Ceran-Herdes inne, auf denen plötzlich kleine Flammen tanzten.

Ach du dickes Ei!

Dort, wo sich die runden Markierungen für die Töpfe befanden, waren im Bruchteil einer Sekunde lichterloh vier Feuerkreise entflammt. Die Stichflammen schossen bis zur Dunstabzugshaube hoch. Langsam begann der Kunststoff zu schmoren und tropfte auf das Ceranfeld hinunter. Beißender Gestank machte sich breit. Ich starrte erschrocken auf das Feuer, unfähig mich zu bewegen. Der Raum hüllte sich in ätzenden, schwarzen Qualm und verschleierte mir die Sicht.

Das kann doch alles nicht mehr wahr sein.

Am anderen Ende der Leitung wurde es laut, in meinem Kopf baute sich ein Druck auf, gegen den ich mich kaum wehren konnte. Mein Herz begann wie wild in meiner Brust zu schlagen und ich krampfte die Hände zur Faust zusammen. Aber hier war kein Gegner, den ich mit reiner körperlicher Kraft besiegen konnte. Und genau das macht mir eben Angst.

„Du wagst es, mich mit diesem Versager zu vergleichen? Meine Macht steht weit über diesem niedrigen Wesen. Und auch du bist mir nicht im geringsten gewachsen.“

Im gleichen Moment war das Bild meiner Küche wieder das Selbe wie noch vor wenigen Augenblicken. Das Ceranfeld glänzte und die Dunstabzugshaube hatte nicht einen Kratzer.

Ich bin wohl verrückt. Ich bin total irre.

Mein Hals war trocken, meine Zunge schwer und pelzig. Die Panik in mir brachte meinen Körper zum Beben und ich schnappte hektisch nach Luft.

„Was willst du von mir?“, rief ich laut und versuchte so gefasst und stark wie möglich zu klingen.

Und wieder grollte die Stimme und brach wie ein Steinschlag über mich ein.

„Such den bronzenen Käfig und bring ihn mir oder dein Vater kehrt in die Welt zurück, in der du lebst. Ohne Seele! Ein blutrünstiges Monster, so wie er einst erschaffen wurde.“

Akustisch verstand ich zwar die Worte, doch ich begriff nicht, was man mir damit sagen wollte. Meine Stimme war matt und leise, als ich flüsterte: „Ich versteh das alles nicht, wer bist du und wo ist mein Vater?“

Die kurze Stille ließ die zerreißende Spannung kaum ertragen.

Ich fühlte mich zweigeteilt, zerrissen, seltsam leer und machtlos. Die anfängliche Hilflosigkeit wandelte sich allmählich in Zorn und Wut.

„Bring mir den bronzenen Käfig!“

Mein Hals schnürte sich noch einmal kurz zu. Ich verkrampfte von Kopf bis Fuß. Ich rang nach Luft und versuchte schnell und tief Luft zu holen um die Verkrampfung in mir zu lockern.

Ich blickte auf meine Kaffeetasse. Ich war Sarah, die Tochter Christophers. Niemand setzte mich unter Druck. Ich trug das Erbe meines Vaters in mir und im Blut waren wir miteinander vereint. Ich hatte genug in den letzten Wochen erlebt, dass mich eigentlich nichts mehr aus der Fassung bringen durfte. Ich besann mich auf meine Fähigkeiten, konzentrierte mich auf meine innere Macht und ehe ich es selbst begreifen konnte, hatte ich mich wieder gesammelt und aus der anfänglichen Ängstlichkeit wuchs eine unglaublich dominante Stärke und ich rief mit gewaltiger Stimme:

„Was für ein Käfig ist das und was willst du damit?“

„Finde den Käfig, sonst siehst du Christopher bald auf Erden wieder.“

„Sag mir erst, wer du bist.“

Ich rief die Worte in die Leere die mich umhüllte.

Nach einer kurzen Pause erklang noch ein letztes Mal die Stimme am anderen Ende, bevor die Leitung einfach unterbrochen wurde.

„Ich bin Novus, Fürst der Finsternis, Herrscher über das Neriot.“

Dann war Ruhe.

„Wo verdammt soll dieser Käfig sein? Und was hat das mit diesem Teil auf sich?“

Es knackte noch einmal in der Leitung, dann war Stille.

Es gab einen Herrscher in der Zwischenwelt? Und er war Böse? Er meldete sich übers Telefon?

Das ist doch lächerlich. Sarah, jetzt drehst du durch, die Einsamkeit macht dir wirklich zu schaffen.

Ich griff nach meinem Kaffeelöffel und schlug mir mit aller Kraft auf die Hand. Ich traf den Knochen meines Mittelfingers, das leise Knacken und der stechende Schmerz, der mir bis ins Gelenk schoss, als mein Knochen leicht anbrach, verdeutlichte mir noch einmal, dass ich hell wach war. Ich biss die Zähne zusammen. Sekunden verstrichen. Der Schmerz wich langsam und ich pustete den angesammelten heißen Atem ins Telefon.

Einatmen und Ausatmen. Nachdenken und ruhig bleiben.

War es möglich meinen Vater aus dieser ominösen Zwischenwelt zurück in unsere Welt zu befördern? Konnten wir ihn mittels Magie eventuell selber zurückholen? Oder war es nur diesem Novus möglich? Oder war es nur der Versuch einer Täuschung?

Herrscher der Zwischenwelt, aber das war doch alles komplett hirnrissig.

Und was in Gottes Namen ist der bronzene Käfig?

Ich lief ins Wohnzimmer, schmiss mein Airbook an und googelte. Erfolglos. Nirgends gab es einen Eintrag über einen Novus, geschweige denn über eine Zwischenwelt. Nachdenklich rieb ich mir durchs Gesicht.

Die Kälte war mittlerweile aus meinen Füßen verschwunden. Ich glühte.

Alles in mir schien zu pulsieren und ein seltsam, vertrautes Gefühl von Macht strömte durch mich hindurch. Ich hatte mich immer noch nicht richtig an mein ungewolltes und aufgezwungenes Erbe gewöhnt. Ich sprang auf, rannte zu meinem Handy und rief Mary an.

In kurzen Worten erzählte ich ihr von dem ominösen Anruf, worauf Mary nach Luft schnappte und japste:„Ach du meine Güte, geht das Ganze schon wieder los?“

Ich nickte, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht sehen konnte.

„Scheint so, ich hab keinen blassen Schimmer, was das alles soll. Ich weiß nicht, womit ich es zu tun habe. Ich weiß nicht mal, was ich machen soll.“

„Ich würde sagen, du kommst erst mal rüber. Iris kommt heut nach der Arbeit vorbei, wir werden sie fragen, vielleicht weiß sie mehr. Ist eh irgendwie langweilig geworden nach unserem letzten Abenteuer.“

Ich schüttelte den Kopf, langweilig fand ich das Ganze wirklich nicht. Ich war froh, dass der ganze Mist vorbei war und dass Ruhe eingekehrt war. Und jetzt das.

Okay, ich mach mich dann gleich auf den Weg.“

„Sarah…?“

„Ja Mary?“

„Schön von dir zu hören…. Und schön dich wieder zu sehen.“

„Ja, ich freu mich auch und jetzt beeile dich.“

Sarah Boils Götterkrieger

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