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Zwei

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Die grauen mächtigen Steinmauern waren mit einem weißen Kristall verkleidet, der dem Palast das Aussehen gab, als wäre er aus Eis erbaut. Hoch gezackt und mit verschlungenen Brücken und Bögen vermischten sich die unzähligen Türme, die wie Eiszapfen umgekehrt in den nächtlichen Himmel ragten. Wie aus einem irren Alptraum erschaffen stand der Kristallpalast der Eiselfenkönigin inmitten einer kleinen Stadt. Umgeben von ebenso kalten, weißgrauen, meist zweistöckigen Bauten mit spitzen Dach- und Turmkonstruktionen. Sauber gepflasterte weite Straßen führten hindurch, sternförmig und symmetrisch. Von außen eisig-kühl, mit schlichter Elfeneleganz, fast unwirklich durch seine Stille.

Doch im Innern war Leben. Wärmende Feuer in den Kaminen und Herden. Heimeliges gelbes Licht von Kohlebecken und Fackeln spiegelten sich an den kalten Wänden und erhellten die weiten Räume und schmucklosen Korridore. Ornamentüberzogene Holzmöbel, flauschige Felle, dickgewebte Stoffe in blauen und naturbelassenen Farben und die fröhliche Stimmung ihrer Bewohner gaben dem eisigen Ort einen friedlichen Anstrich von Heimat. In Heledir, der Eiselfenstadt in der nördlichen Eismark, war für wenige weiße Elfen und ihrer menschlichen Dienerschaft ein kleines Paradies geschaffen.

Und doch gab es tiefes Leid. Gwendyl Glan' Faen, die weiße Königin, litt seit langen an gebrochenem Herzen - zum einen trauerte sie um ihren verlorenen Liebsten, zum anderen konnte sie das körperliche Leiden ihres einzigen Sohnes Liendacyl nicht ertragen. Auch nun hallten seine schmerzvollen Schreie durch ihren Geist und sie eilte in seine Gemächer.

Zwei Elfenkrieger hielten den schreienden und sich vor Schmerz windenden Prinzen auf seinem durchwühlten Bett fest. Sein nackter, muskulöser, schlanker Körper glühte von innen heraus in einem weißkalten Licht - ein magisches Feuer wanderte durch seine Blutbahnen und bereitete dem jungen Mann furchtbare Schmerzen. Sein sonst ebenmäßiges, wunderschönes Gesicht war nun verzerrt, die Augen blutunterlaufen und der Mund weit aufgerissen zum Schrei oder fest verbissen, um diesen zu unterdrücken. Ihm zermarterten unsichtbare Dolchstiche das Gehirn und sein Herz. Gwendyl war diesen Anfällen hilflos ausgeliefert, hasste sie mit aller Kraft, denn sie konnte ihrem leidenden Sohn nur wenig Hilfe zukommen lassen. Und sie hasste es, dass ihn diese Anfälle, diese unbekannte Krankheit, die er seit seinem zehnten Lebensjahr hatte, so bloßstellte und demütigte.

Am Fußende des Bettes kauerte eine Adaner-Dienerin und weinte. Ihr Rücken war blutig zerkratzt, auch sie war nackt und hatte wohl kurz vor Liendacyls Anfall, mit ihm vereinigt im Bett gelegen.

"Wo bleibt Maester Durion?" rief die Eiselfenkönigin, als ein etwas kräftiger älterer Elf in das Zimmer eilte.

"Schon da, Mylady. Das Eisbad ist gerichtet." Haushofmaester Durion Thind befahl den beiden Männern, den sich windenden Prinzen ins Nachbarzimmer zu tragen, dort wartete eine Wanne mit kleingehacktem Eis auf ihn.

Das Eiswasser senkte seine Gluthitze und Durion flößte ihn ein Elixier ein, das alle weiteren Schmerzen betäubte. Ich vergifte ihn, dachte Gwendyl bitter und strich ihrem Sohn das weiße, nasse Haar aus dem Gesicht. Liendacyl blickte traurig zu ihr auf, allmählich wirkten das eisige Eis und das betäubende Gift. Er ist so wunderschön, dachte Gwendyl und harrte an seiner Seite, bis der Anfall vorüber und ihr Sohn in einen erholsamen Schlaf fiel. Dann befahl sie den beiden Kriegern, ihn aus der Wanne zu nehmen, ihn zu trocknen und ins wärmende Bett zu legen.

Maester Durion hatte sich zwischenzeitlich um das verletzte Mädchen gekümmert und kam mit weiteren Elixieren zurück ins Schlafgemach. Die wunderschöne Elfenkönigin mit silber­weißem Haar und blasser Haut, saß am Bettrand und streichelte ihrem schlafenden Sohn die hohe Stirn, die leicht eingefallenen Wangen und die vollen weißen Lippen. Sie trug ein kunstvoll gearbeitetes Elfenkleid aus schillerndem, reichbestickten Brokat in der hellen Farbe von Wasserblau.

"Er nimmt seine Medizin nicht regelmäßig", entgegnete der Haushofmeister - er trug einen weiten dunkelblauen Mantel über einfachen Hosen und Tunika aus beiger Wolle.

"Vielleicht wirkt es nicht mehr? Erhöht den Anteil an Wolfsbann", befahl die Königin.

"Wie du wünschst, Mylady. Er wird jetzt ungestört schlafen. Ich werde bis zum Morgen bei ihm wachen." Durion Thind stellte die Handvoll Fläschchen auf einen kleinen Tisch neben dem Bett.

Gwendyl küsste die nun wieder kühle Stirn Liendacyls und verließ die Gemächer ihres Sohnes. Ihre Schritte waren schwer und langsam, von der Last ihres eigenen Leidens.

Wenn sie nur wusste, was ihn diese schweren schmerzvollen Anfälle bescherte und wie sie ihn nur davon heilen konnte. Dieser Magier Rhisgyl Gwath' Aeglos, der vor Liendacyls Geburt in Heledir aus dem Nichts aufgetaucht war, hätte ihr sicher helfen können. Er war ein mächtiger Mann gewesen, aber er verschwand bald darauf wieder spurlos und mysteriös, zusammen mit ihrem innig geliebten Ehemann Thornvel Glan' Faen.

Sie hatte mit beiden Männern etwas gehabt und konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wer der Vater ihres Sohnes war. Denn auch der Magier war ein Eiself gewesen. Und Liendacyl trug die feinen Gesichtszüge seiner Mutter. Die Eiselfenkönigin fühlte sich oft sehr einsam und kraftlos.

Lord Tregondyr Silivren hielt sich mit seinen wuchtigen Schlägen nicht zurück, die der Prinz Liendacyl gewandt parierte. Er bewunderte den jungen Mann wegen seiner unglaublichen Geschwindigkeit. Dabei war es egal, ob sie mit Schwertern, Lanzen oder Äxten übten. Ob sie ihr Kampftraining mit Zweihandwaffen oder Einzelwaffen ausübten. Liendacyl hatte seit seinem zehnten Lebensjahr so verbissen trainiert, dass er seinen Kampfmeister nach nun einigen Jahren übertrumpfte.

Der weiße Prinz stach nach vorne und ließ sein Schwert um die Waffe des anderen kreisen, der sie daraufhin verlor. "Du hast mich erneut besiegt", gestand der kräftige Elf Tregondyr. "Ich kann dir nichts mehr beibringen, Prinz."

"Du bist alt, Tregondyr." Der jüngere hob das Schwert auf und gab es dem älteren. Er hatte viel Respekt vor seinem alten Kampfmeister, auch wenn er ihn gerne mal etwas triste.

"Werde du erst mal fünfhundert Jahre alt", Lord Silivren lachte. "Genug für heute, ich muss Vorkehrungen treffen. Morgen reiten wir zur Grenze, der Jahrestribut ist bald wieder fällig." Der Lord schnürte sich seinen Übungsharnisch ab und gab ihm einem seiner Männer, der dem Prinzen den seinigen abgenommen hatte. "Komm mit, das wäre eine gute Abwechslung."

"Bin ich auch nicht im Weg?" sagte der Prinz leise und spielte dabei auf seine unerwartet auftretenden Anfälle an.

Lord Tregondyr hatte den Verlauf der Krankheit, die den Eiselfenprinzen heimsuchte, lange verfolgt und wusste, dass er im Durchschnitt einmal in der Woche von so einer Schmerz­attacke belästigt wurde. Manchmal, wenn er seine Elixiere besonders regelmäßig nahm, blieb es auch aus; darum antwortete er: "Nimm deine Medizin, dann sehe ich keine Probleme. Dein letzter Anfall gestern war wieder besonders heftig gewesen?"

"Ja, ich habe sogar ein Mädchen verletzt."

Tregondyr klopfte dem Jüngeren auf die Schulter und begleitete ihn ein Stück die Straße hinauf. "Das Mädchen Nadya, das uns im letzten Jahr geschickt worden ist. Du hast sie nur ein wenig gekratzt und erschreckt. Das wird schon wieder."

Bei vielen Eiselfen lebten die als Tribut geforderten Menschen direkt mit in ihrem Haushalt und bedienten die Elfen. Aber erst nachdem sie einer besonderen Prozedur mit Drogen unterzogen worden waren, um sie gefügig zu machen. Es kam einer Art Gehirnwäsche gleich, da die Adaner danach ihre Familien vergaßen, keine Fluchtgedanken hegten, und gerne unter den Eiselfen dienten. Im Allgemeinen behandelten die Elfen die Menschen auch gut, obgleich immer mal wieder einer von ihnen spurlos verschwand.

Liendacyl verabschiedete sich von seinem Kampfmeister und betrat das Haus, in dem die neu dazu gekommenen Adaner solange untergebracht waren, bis sie ihren Elfenherren zugewiesen wurden. Er war auf Nadya aufmerksam geworden, als sie einige Tage zur Probe in der königlichen Küche im Kristallpalast aushelfen durfte. Ihre rotbraunen Locken hatten ihn fasziniert. Er erkundigte sich bei der Heilmaesterin Saeras Rhiw nach dem Zustand der siebzehnjährigen Adanerin.

"Die Wunden sind nicht tief und heilen gut. Aber du hast sie sehr erschreckt, sie fürchtet sich vor uns", erläuterte die heilkundige Elfin, als sie den Prinzen zu einem privaten Gespräch in ihre Schreibkammer gebeten hatte. "Ich musste ihr einiges an Drogen eingeben, um sie ruhig zu stellen. Du weißt doch, wie sehr wir darauf bedacht sind, unsere wahre Natur vor diesen Menschen zu verbergen?"

Liendacyl nickte. "Die Schmerzen kamen so plötzlich, ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Verzeih."

Die Maesterin Saeras holte einige Fläschchen hervor, in der sich eine dicke rote Flüssigkeit befand. "Schon gut, mein Prinz. Ich habe dein Elixier verändert. Es ist ein Konzentrat, du brauchst nun wesentlich weniger davon einnehmen. Zwei Tropfen jeden Tag dürften genügen."

Er steckte die Elixiere ein, aber Saeras verbot ihm das Mädchen zu besuchen. Als sie ihn hinaus begleitete, bemerkte er die ängstlichen Blicke der vier jungen Frauen und dem Jüngling, die hier noch untergebracht waren. Das älteste Mädchen strich sorgenvoll über ihren schwanger-dicken Bauch.

Am anderen Tag schwangen sich zehn weißsilbergesrüstete Elfenkrieger auf prächtige weiße Pferde und ritten gemächlich die Straße aus Heledir hinaus. Immer paarweise folgten sie dem gepflasterten Weg, der zu jeder Zeit von Eis und Schnee befreit, sie fast schnur­gerade nach Süden führte. Prinz Liendacyl begleitete den alten Lordgeneral Tregondyr Silivren zuvorderst.

Unter seinem silbernen Harnisch trug der junge Prinz ein Untergewand und Hosen aus hellgrauem Leder. Am überkreuzten Waffengurt im Rücken schauten zwei schlanke Schwerter hervor und ein kurzer Jagdbogen mit einem Köcher voller Pfeile hing an der Seite des Sattels. Mit einem grauen Lederband war sein weißes Haar im Nacken zusammengebunden und er blickte ernst und schweigsam.

Auch sein alternder Kampfmeister sprach selten, erteilte nur seinen Männer wenige Befehle. Sein väterliches Gesicht war hinter einem eleganten Helm verborgen und seine ornamentverzierte Rüstung glänzte hell im Licht der wandernden Morgensonne. An seiner linken Hüfte war ein Schwert gegürtet und eine Handvoll Wurfmesser zierten hinter seinen gepanzerten Beinen den Sattel. Er erinnert mich in dieser Aufmachung an meinen Vater Thornvel, dachte Liendacyl - wieso suchte meine Mutter nicht Trost bei diesem treuen Veteran?

"Nach dieser Tributlieferung, versprach uns deine Königinmutter wieder ein Blutfest", begann Tregondyr ein Gespräch, als der den steten Blick des Prinzen auf sich spürte. "Jede vierte Adanerin trägt neues Leben unter ihrem Herzen. Soviel Nachwuchs hatten wir noch nie und das letzte Blutfest war zur Jahreswende vor vier Monden. Prinz?"

Liendacyls Gedanken schweiften jedoch um andere Begebenheiten und er hatte dem Lord nicht zugehört und fragte ihn unverwandt: "glaubst du, mein Vater ist noch am Leben?"

Überrascht über den Verlauf des Gespräches zügelte der ältere Eiself seinen Schimmel und lenkte ihn neben den Weg. Der Eisprinz tat es ihm auf der Gegenseite der Straße gleich und sie ließen die acht Elfenkrieger an ihnen vorbeireiten. Unbeeindruckt davon marschierten die Untergebenen den Weg weiter, während sich die hochrangigen Eiselfen etwas zurückfallen ließen und dann dem Tross wieder anschlossen, diesmal Raum geschaffen für ein sehr privates Gespräch.

"Liendacyl, ich werde nie den schmerzvollen hilflosen Augenblick vergessen, als dieser Magier Rhisgyl meinen König und Herrn durch die Sphäre mit sich nahm." Der Klang seiner leisen Stimme war voller dumpfer Trauer. "Ich kam zu spät, konnte gegen seine mächtige Magie nichts ausrichten und konnte nicht helfen. Rhisgyl hatte deinem Vater arg zugesetzt, als er ihn mit sich nahm. Und doch hoffe ich, er überlebte und wird eines Tages zu uns zurückkehren."

"Die beiden Männer verschwanden vor meiner Geburt. Seitdem sind mehr als fünfund­zwanzig Jahre vergangen. Meine Mutter nannte mir nie den Grund -" unerwartet griff der Eiselfenprinz in die Zügel seines Gegenübers, die beiden Reittiere stießen schnaubend aneinander. "Was ist damals vorgefallen, dass Rhisgyl dazu bewog, so zu handeln?" Die Stimme des Prinzen drängte eisig nach der Wahrheit.

"Das kann ich dir nicht beantworten, weil ich es selbst nicht weiß", erwiderte Tregondyr mit ruhiger Stimme. Ich habe da nur eine Theorie, dachte er schweigend weiter, doch wenn deine Mutter es dir verschweigt Prinz, dann wohl aus gutem Grund.

Liendacyl merkte, dass nichts den kampferprobten Lord dazu bewegen konnte, ihm auch nur einen noch so winzigsten Teil der Vorkommnisse vor seiner Geburt preiszugeben. Niemand in ganz Eismark war annähernd dazu bereit ihn an der Wahrheit dessen teilhaben zu lassen, warum er seinen Vater nie kennengelernt hatte. Nur eines wusste er mit Sicherheit, dass seine Mutter Thornvel sehr geliebt haben musste, da ihre Trauer um seinen Verlust bis ins Heute reichte.

Der Eisprinz trieb seinem Pferd die Stiefelabsätze in die Flanken und preschte wütend an dem Kriegertrupp vorbei und ließ den Eislord zurück, der seinerseits sich an deren Spitze setzte. Traurig blickte er dem jungen Prinzen, der einige Pferdelängen vor ihm ritt, hinterher - gerne hätte er ihm seine Zweifel genommen, wenn er nur annähernd eine Geschichte zu erzählen gewusst hätte, die angemessen das wiedergeben konnte, was damals vorgefallen war und was seine Königinmutter so lange Zeit verschwieg.

Weiss Schwarz

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