Читать книгу Weiss Schwarz - Nicole Seidel - Страница 7
Drei
ОглавлениеZwischen den vor vielen Jahrzehnten mühsam gelegten Pflastersteinen sprießten saftige Grasbüschel und Amandyl musste ihr kleines störrisches Reittier stetig maßregeln, damit dieses nicht alle zwei Schritt stehenblieb und seinen Appetit daran stillte. Viel lieber hätte sie ihre prächtige Rappstute geritten, aber das war nicht möglich gewesen. Um überhaupt mit zu dürfen, hatte sie sich sogar in die einfache Kleidung einer Adanerin gezwängt, ihr schwarzes Haar unter einer beigen Leinenhaube verborgen und ihre gräuliche Haut mit pulvriger Tonerde überpudert. Sie ritt inmitten eines Trupps von fast zwanzig Reitern, immer paarweise der steinernen Straße nach Norden folgend.
Nachdem sie in nördlichsten Dorf Waldern übernachtet hatten, folgten sie seit Sonnenaufgang der Straße durch ein dichtes Waldgebiet - den die Adaner nur der Große Wald nannten. Hinter ihr ritten drei Adanerinnen, denen sie eine Droge eingeflößt hatten, um sie ruhig zu halten. Alle anderen männlichen Reiter waren als Adaner verkleidete Elfenkrieger. Noch rechtzeitig hatten sie von der Tributzahlung an die Eiselfen erfahren und waren aufgebrochen, um ihnen eine Falle zu stellen.
Die Prinzessin tastete nach ihrem Langdolch, den sie unter ihrer dunkelgrünen Langjacke aus Wolle verborgen hielt und blickte zu ihrem Reitnachbar. Hauptmann Faindyr Esgal versteckte sein Haar unter einem groben Helm und trug Harnisch, Umhang und genietete Stiefel des einstigen Commanders Marc-Connor. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass der junge Soldat zu ihrem Schutz nicht von ihrer Seite weichen sollte.
Sogar ihre Elfenwaffen hatten sie gegen die minderen Waffen der Menschen getauscht. Und jeder Schwarzelfe hatte die unbedeckten Hautstellen mit dem bräunlichen Erdepuder überschminkt, trug die grobe Kleidung der Adaner und ritt deren zotteligen kleinen Pferde. Sie beeilten sich nicht und schwiegen weitgehend.
Endlos schien sich der Steinweg durch den dichten Wald hindurch zu ziehen. Die Sonne zog immer höher und vertrieb das Dämmerlicht, immer mehr warme Strahlen fanden ihren Weg durch das satte Blattwerk der Bäume bis hinab auf den überwucherten Waldboden. Die angenehme Frühlingsluft war erfüllt von Gezwitscher der Vögel, dem Summen der Insekten und den Düften von Blumen, Laub und Harz. Ein fruchtbares Paradies umgab die achtzehn Reiter.
Amandyl scheuchte zwei brummende Fliegen von ihrem Antlitz. "Wir sollten als erstes diesen Wald roden", bemerkte die junge Elfin.
In ihrer Heimat, aus der die Schwarzelfen fliehen mussten, gab es solch dichte Wälder gar nicht. "Auch dieses grüne Chaos spiegelt auf seine Art eine erhabene Schönheit wider", raunte Faindyr nachdenklich. "Die Nordgrenze dieses Waldgebiets ist der Fluss Tri. Treffpunkt der Tributübergabe soll dort die Brücke sein, die über den Fluss führt. Ihm schließt sich ein weiteres Waldgebiet an, den die Adaner Einhornwald nennen. Doch zweifle ich sehr" - er blickte sich um - "das es hier noch Einhörner gibt."
Unerwartet hob der vorderste verkleidete Elfenkrieger seine Hand und hielt an, alle anderen taten es ihm nach. Die Männer schienen in sich hinein zu horchen. Auch Amandyl hörte in ihrem Kopf die Stimme des Hauptmanns Valmakyr, der ihnen im Abstand von einigen Stunden vorausgeritten war. "Sie kommen!"
Langsam setzten sich die Reiter erneut in Bewegung. Ihre kampferprobten Hände ruhten auf den ungewohnten Waffen, ihre Sinne waren aufs Äußerste geschärft und auf die Straße vor ihnen gerichtet. Irgendwann bemerkten ihre feinen Ohren, das Näherkommen von großen Pferden. Und kurz darauf schälten sich strahlend-weiße Gestalten aus dem Licht der Mittagssonne.
Amandyl ritt in zweiter Reihe und blickte durch die Lücke der vor ihr reitenden hindurch auf die zehn Eiselfenkrieger. Vorneweg erblickte sie einen hochrangigen alten Elfenlord in einer prächtigen Rüstung mit einem stilisierten Vogelsymbol auf dem Brustharnisch. Neben ihm schlug sie jedoch ein junger hübscher Elf in ihrem Bann, unter seinem schneeweißen Haar blickten sie silberne Augen mit einem leidvollen Blick an.
Nur ein Schritt trennten die beiden Reitertrupps voneinander, als sie zum Stehen kamen. Sofort eröffnete der Eislord Tregondyr das Wort. "Ihr seid einen Tag zu spät. Wie -" Sein harter heller Blick streifte über die Reiter der vermeintlichen Menschen und stockte plötzlich. "Wer seid ihr? Ich erkenne niemanden von euch?" Der Eislord zog sein Schwert.
Faindyr und die anderen verkleideten Elfenkrieger zogen nun ihrerseits die groben Klingen aus ihren Halterungen. Doch die schmale Straße bot nur wenig Platz, um einen Kampf auf Pferden austragen zu können. Und in diesem entscheidenden Moment galoppierten dreißig schwarze Rösser von beiden Seiten durch den Wald auf sie zu und umkreisten die zehn weißen Reiter. Jedes dunkle Pferd barg zwei Reiter in rot-schwarzer Rüstung. Als sie nahe genug heran waren, sprang von jedem schwarzen Tier ein Krieger herab und zielte mit angelegtem Bogen auf die Eiselfenkrieger.
Hauptmann Faindyr riss sich den klobigen Helm vom Kopf und schwarzes Haar fiel auf die schmalen Schultern. Valmakyr ritt an seine Seite und befahl ihren Gegnern: "Werft eure Waffen weg und ergebt euch!"
Lord Tregondyr Silivren knurrte wild und schwang sein Schwert gegen den verkleideten Hauptmann Faindyr, der ihm als nächsten stand.
Valmakyr erkannte rechtzeitig die Attacke des Eislords und hob die Hand, drei Finger spreizte er ab. Diese kurze Geste genügte und sechs Bogenschützen ließen ihre Pfeile von den Sehnen schnellen.
Zwei weißgerüstete Krieger der hinteren Reihe fielen mit einem Todesgurgeln von ihren Schimmeln. Je ein Pfeil steckte in ihren schlecht geschützten Hälsen und ragte aus den Visieren ihrer Helme. Pfeil fünf durchschoss Tregondyrs Hand, der sein Schwert fallen ließ und der sechste Pfeil drang ihm in die Lücke zwischen Harnisch und Armschutz in die linke Achselhöhle.
Liendacyl warf sein gezogenes Schwert zu Boden, seine Untergebenen taten es ihm nach - er wollte keine weiteren Toten riskieren. Der junge Eiselfenprinz erkannte mit einem Blick, dass die unbekannten dunklen Elfen ihnen fast zehnfach überlegen waren.
Die beiden Reitertrupps vereinten sich und zogen die Straße weiter nach Norden, bis sie den Großen Wald verlassen hatten und in eine schmale Ebene kamen, durch die der Fluss Tri seine blauen Bahnen zog. Unterhalb der aus alten Steinquadern errichteten Brücke, der einzigen Verbindung zum oberen Inseldrittel, schlugen sie ihr Lager auf. Der zweihundert Schritt breite Wasserlauf führte östlich in ein sumpfiges Delta und floss dort ins Meer. Folgte man dem Tri nach Westen durchströmte er einen großen stillen See, der als Tränensee bekannt war, und endete weiter im Südwesten in einem anderen Meer.
Ihre Reittiere banden sie in Gruppen aneinander und gaben ihnen Wasser, friedlich grasten sie im westlichen Teil des Lagers. Im Schatten des Waldrandes errichteten die schwarz-roten Elfenkrieger drei mittelgroße Zelte für ihre Prinzessin und ihre beiden Hauptmänner. Ihre weißhaarigen Gefangenen wurden entwaffnet, bis auf ein Untergewand entkleidet und an Bäumen festgebunden. Amandyl hatte veranlasst, dass die Wunden des Eislords versorgt und verbunden wurden - er und der junge Prinz saßen einzeln an einen Baum gebunden. Die zusätzlichen drei mitgeführten Adanerinnen kauerten betäubt im Zelt von Hauptmann Valmakyr. Aufmerksam patroulierten dunkle Elfenkrieger ums Lager. Drei weitere waren die Straße weiter nach Norden geritten bis hinter den Einhornwald, um ihre Leute zu warnen, wenn vom Bergpass weitere Eiselfen auftauchen sollten.
Die Prinzessin stand im Schatten und betrachtete die beiden weißhaarigen Elfen. Sie trug ihre mitgebrachte schwarze Elfenkleidung: eine weitärmlige Tunika über einer Hose und hohen Stiefel. An ihrem Gürtel steckte ein unterarmlanger Dolch mit kunstvollem Griff in Form einer Rose. Tregondyr hielt die Augen geschlossen und ignorierte sie absichtlich - doch Amandyl wusste, dass der alte Elfenlord wach war. Liendacyls stechender Blick hingegen ruhte schon seit einigen Minuten anklagend auf ihr.
Der junge Hauptmann und Spielgefährte ihrer Mutter verließ sein Zelt und trat neben seine junge Herrin. "Lordgeneral Eldamyr ist auf dem Weg hierher, als er erfuhr, wer uns da ins Netz gegangen ist. In Laufe der Nacht dürfte er uns erreichen." Faindyrs Auftauchen veranlasste die Prinzessin dazu, den Blickkontakt zu dem Gefangenen vor ihr am Boden zu unterbrechen.
Nur widerwillig löste sie sich von dem Eiselfenprinzen, der sie in seinen Bann gezogen hatte. "Konnten wir ihnen nicht etwas diplomatischer begegnen?" entgegnete Amandyl ungehalten.
"Wir dürfen uns keine Schwäche erlauben." Faindyr trat dicht an das Elfenmädchen heran und legte beschützend eine Hand auf ihren Rücken und flüsterte ihr verschwörerisch ins Ohr: "Eure Königinmutter tut immer das was notwendig und richtig ist." Seine Lippen berührten fast ihre Wange. "Wir beide könnten uns eines der Adaner Mädchen in meinem Zelt schmecken lassen?"
Überrumpelt von seiner direkten Anmache, riss sich Amandyl von ihm los und stampfte auf ihr eigenes Zelt zu. "Ich brauche deine Gesellschaft nicht, Faindyr. Doch gib mir Bescheid, wenn Lord Eldamyr eingetroffen ist."
Ihr Herz raste in der Brust, sie war aufgewühlt und wütend. Gerne hätte sie diesem unerhörten Hauptmann die vorlaute Kehle zerfetzt. Sie ging solange auf und ab in ihrem Zelt, bis sie sich beruhigt hatte und wieder klar denken konnte.
Wenn der Lordgeneral hierher eilte, konnte das nur eines bedeuten: ihre Mutter forderte die Eiselfen aufs blutigste heraus!
Die Schwarze Königin war gnadenlos gegenüber ihren Gegner und Widersachern. Auch wenn die Eiselfen unvorbereitet und ohne eigene Schuld und Zutun in die Fallstricke der Schwarzelfen geraten waren, blieben sie von deren Grausamkeit nicht weniger verschont. Das zeigten bereits die beiden toten weißen Elfenkrieger. Ihr oberster General lag verwundet und gebunden in ihrer Mitte. Und zu welchen Zwecken würde Maereth Myrn' Duir erst den jungen Prinzen missbrauchen?
Ein eiskalter Schauer lief Amandyl über den zarten Rücken, als sie daran dachte, dem hübschen Liendacyl Glan' Faen würde ein Leid geschehen und die Qual in seinen silbernen Augen könnte sich ins Unerträgliche steigern. Nie hatte sie in das Gesicht eines Mannes - oder einer Frau - geblickt und in ihnen solchen inneren Schmerz haften sehen. Und unentwegt hatte sie das Bedürfnis sein schneeweißes Haar und seine milchige Haut zu berühren. Er schien kaum älter als sie, doch trainiert und edel von Gestalt. Und vollkommen.
Amandyl ging zum Ausgang und lugte am schweren Stoff vorbei durchs Lager. Die Nacht war hereingebrochen, einige Lagerfeuer brannten, an denen ihre Elfenkrieger saßen und sich leise unterhielten. Sie schlich sich in den Schatten haltend an ihnen vorbei und hinüber zu den Gefangenen, die fahl schimmerten.
Lautlos trat sie hinter den Baum, an den sie den Eiselfenprinzen gebunden hatten. Die Prinzessin zog ihren Dolch und ging auf die Knie.
"Warte!" hörte sie den jungen Gefangenen flüstern und bemerkte noch rechtzeitig, wie sich einer der Wachsoldaten näherte. Amandyl verharrte im Schatten und hielt sogar den Atem an.
Doch das Interesse des rot-schwarz-gerüsteten Elfenkrieger galt dem verwundeten Lord. Er tippte ihn unfreundlich mit dem Fuß gegen die linke Schulter und entlockte ihm ein schmerzvolles Stöhnen. "Ihr Eiselfen seid gar nicht so furchteinflößend, wie die Legenden immer berichteten. Leicht zu töten und noch einfacher zu fangen." Der Krieger lachte kurz, doch Tregondyr Silivren ging auf diese Provokation nicht ein und schwieg verbissen. Nach kurzer Zeit entfernte sich der Krieger wieder und ging seinem Wachdienst am äußeren Lagerrand nach.
Amandyl konnte die feindseligen Gefühle gegenüber den artverwandten weißhaarigen Elfen nicht nachvollziehen, da sie fast gar nichts über die Eiselfen wusste.
"Was hast du vor?" Liendacyls flüsternde Stimme riss die Schwarzelfenprinzessin aus ihrer Starre.
Die scharfe Klinge des Dolches glitt am Arm des Gefangenen vorbei und durchtrennte die Seile am Handgelenk. Der Prinz bewegte seine Hände, um das taube Gefühl abzuschütteln und rollte sich hinter den Baum, wo das Elfenmädchen auf ihn wartete. Erst dort richtete er sich auf und Amandyl wich vor ihm einen Schritt zurück. Während er sich die Reste der Seile von den Handgelenken streifte und die Beweglichkeit in seinen Körper zurückholte, schauten sie einander stumm an. Liendacyl war fast einen Kopf größer, als die Schwarzelfin, schlank und trainiert, trug er eine Hose, Hemd und Stiefel in grauer Farbe. Schließlich lächelte er sie an, nahm ihre linke Hand - denn in der rechten hielt sie noch den Dolch - und sprach zu ihr: "Komm mit mir!"
Amandyl Myrn' Duir nickte. Bereitwillig folgte sie Liendacyl Glan' Faen, der sie tiefer in den dunklen Wald führte. Lautlos liefen sie durchs Dickicht. Sein weißes Haar schimmerte kaum sichtbar in der Finsternis und wies ihr den Weg. Zudem hielt er sie und zog sie mit sich.
Irgendwann lichtete sich etwas der Wald und die Königskinder rannten schneller, stundenlang. Erst im fahlen Licht der Morgendämmerung, als sie den Großen Wald verließen und am südlichen Ufer des Tränensees standen, übermannte sie die Erschöpfung. Sie kauerten sich in einer geschützten Senke dicht aneinander und schliefen einige Stunden.
Lordgeneral Eldamyr Morncyll schlug Hauptmann Faindyr Esgal mit einem Faustschlag nieder. "Du bist für die Prinzessin verantwortlich", brüllte er den jungen Schwarzelf an, der sich wieder auf die Füße rappelte. "Finde sie! Und den Eiselfenprinzen mit ihr."
Valmakyr hielt das durchtrennte Seil in der Hand. "Jemand hat den weißen Hund befreit und dann müssen sie die Prinzessin als Geisel verschleppt haben", kommentierte der andere Hauptmann.
Wütend wandte sich der narbige Schwarzelf an seinen Unteroffizier, entriss ihm das Seil und peitschte ihm damit durchs ebenmäßige Gesicht. "Und warum wurden nicht auch die anderen Eiselfen befreit?" Er deutete auf den Nachbarbaum, an dem Lord Tregondyr dem Schauspiel belustigt folgte. Eldamyrs Wut reichte auch noch für ihn und das Seil fetzte über das Antlitz des älteren Eiselfenlords.
"Warum sollte Lady Amandyl den Kerl befreien?" fügte Faindyr zögerlich ein und blieb etwas auf Abstand, um einer weiteren Attacke seines Generals zu entgehen.
"Vielleicht hat der Eiself sie auf irgendeine Weise verzaubert und dazu gebracht, ihm zu helfen?" Der Lordgeneral beruhigte sich äußerlich sichtlich - innerlich brodelte aber weiterhin ein ausbruchsreifer Vulkan in ihm. "Und dann hat er sie verschleppt und will sie gegen uns als Geisel einsetzen." Wenn seine Königin davon erfuhr...
Der Plan war so einfach gewesen und doch nun fehlgeschlagen. Fünfzehn Schwarzelfen hatten sich als Adaner verkleidet und mimten den Trupp, der den menschlichen Tribut den Eiselfen bringen sollte. Dreißig Reiter und ebenso viele Bogenschützen bei ihnen sollten den Großen Wald erkunden, sich in Stellung bringen und die Eiselfen stellen, sobald diese dem Tributtrupp in den Wald folgten. Soweit war auch alles nach Plan verlaufen.
Doch was um alles in der Welt hatte Prinzessin Amandyl dazu bewogen, den Eiselfenprinz zu befreien? - hörte in diesem Moment Lord Eldamyr die wütende Stimme seiner Königin im Kopf. An den unbeteiligten Verhalten seiner Soldaten bemerkte er, dass nur er sie hören konnte und ließ sich daher nichts anmerken. Doch nun selbst als Sündenbock herhalten zu müssen, machte ihn nur noch zorniger. Wo ist meine Tochter? - fauchte die Stimme in seinem Kopf und Eldamyr kämpfte hart mit sich und dem Schmerz, um sich vor seinen eigenen Männern keinerlei Blöße zu zeigen. Ich werde sie finden! - antwortete er ihr in Gedanken.
Schickt der Weißen Königin eine eindeutige Nachricht von uns. Niemand darf den Pass zur Eismark ohne meine Erlaubnis passieren. Du bringst mir diesen Lord Silivren. Der Rest deiner Männer lass die Gegend nach den beiden durchsuchen. Findet sie!
Noch in der Nacht gab er Hauptmann Faindyr den Befehl mit fünfzig Soldaten den angrenzenden Wald und den Fluss nach den beiden jungen adligen Elfen abzusuchen. Sollte der Prinzessin etwas zustoßen, drohte der Lordgeneral, so würde er ihn höchstpersönlich in kleinste Stücke zerreißen und den Adanern Hunden zum Fraße vorwerfen.
Gegen Morgen sandte er zwanzig Elfenkrieger unter Valmakyrs Kommando nach Norden, die den Durchgang nach Eismark besetzen sollten. Bei sich hatten sie eine schauerliche Fracht, die eines der Eiselfenpferde an seinem Sattel hängen hatte. Am Bergpass angelangt, schlug ihm Faindyr Esgal wütend auf die Kuppe und es galoppierte erschrocken die Straße nach Heledir entlang.
Lordgeneral Eldamyr selbst geleitete den verwundeten Lord Tregondyr sehr unsanft zurück nach Adanheim und die verbliebenen fünf Elfenkrieger fundierten ihnen als Eskorte.
Gwendyl Glan' Faen schreckte von ihrem Buch auf, taumelte in die Höhe und hielt sich die zitternde Hand ans pochende Herz. Maester Durion, der mit ihr im Raum saß und Amtspapiere durchsah, sprang besorgt hoch und lief zu seiner Herrin.
"Es ist etwas passiert. Tregondyr. Mein Sohn. Ich spüre Schmerz und Tod", stammelte die Eiselfenkönigin schmerzvoll. Sie war zwar mit ihren Eiselfen verbunden, jedoch nicht so stark und machtvoll, dass sie einander durch Gedankenaustausch erreichen konnten.
"Gestern früh brach Lord Tregondyr mit eurem Sohn auf, um den Tribut entgegen zu nehmen", erläuterte der Haushofmeister.
Die edle Elfenkönigin horchte in sich hinein, doch das Gefühl war verblasst. Hatte sie sich getäuscht? Nur ein ängstlicher Anfall von zu großer Sorge, weil sie um ihren Liendacyl bangte, dem sie erlaubt hatte, mitzureisen? Schließlich widmete sie sich wieder ihrer Leselektüre.
Am Abend schob sie den Teller mit dem unangerührten Essen von sich. Ihr Appetit war vergangen und sie blickte zum leeren Stuhl links von ihr, wo sonst oft ihr Sohn saß und mit ihr aß. Er fehlte ihr. Sie hätte ihm nicht erlauben sollen, Eismark zu verlassen. Auch wenn ihm sein Kampfmeister zur Seite stand und sie den Adanern weit überlegen waren, beschien Gwendyl erneut ein ungutes Gefühl. Es schnürte ihr die trockene Kehle zu und grummelte unangenehm in ihren Gedärmen. Unsinn, schalt sie sich, seit undenklichen Zeiten gab es schon kein Aufbegehren mehr von Seiten der Menschen! Du sorgst dich umsonst, Tregondyr passt auf Liendacyl auf, selbst wenn er unerwartet einen Anfall haben sollte, wusste der Lord damit umzugehen.
Kurze Zeit darauf lag sie in ihrem Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf. Weit nach Mitternacht, aber noch vor dem Morgengrauen schreckte Gwendyl aus ihren Schlaf auf und schrie schmerzvoll auf. Die Elfin Taryel, eine anvertraute Dienerin der Königin, fuhr von der Ottomane, auf der sie wachend geruht hatte, hoch und eilte zu ihrer Herrin. "Sie sind tot!" jammerte die ältere Elfin. "Sie sind alle tot!"
Taryel zog an der Glockenschnur neben dem Bett und alarmierte weitere Personen im morgendlich verschlafenen Eispalast. Wenige Herzschläge später stürmten weitere Diener, Elfenkrieger und der Haushofmeister in das Schlafgemach ihrer zitternden, verstörten Königin.
Durion Thind schloss den hastig übergeworfenen Mantel über den fast nackten dürren Leib und trat an seine Herrscherin heran. "Wer ist tot?" fragte er mit entsetzter Stimme.
"Meine edlen Krieger, die ich aussandte", jammerte sie. "Vor wenigen Momenten spürte ich ihren Todesschmerz. Sie kamen gewaltsam zu Tode."
"Lord Tregondyr? Alle? Euer Sohn?" Der Schrecken trug sich durch die ganzen Herzen der Anwesenden. Auch wenn viele nicht begriffen, was gerade vor sich ging, so nahm doch das königliche Leid nun auch sie in Besitz. Eiselfen waren gewaltsam zu Tode gekommen, vielleicht sogar der Lord der Eismark und - was bestürzender war - vielleicht sogar Prinz Liendacyl!
Die Sorge der Königin breitete sich immer weiter im Palast aus. Ergriff jedes erwachende Herz und trug es bis in die angrenzende Stadt. Mit dem Sonnenaufgang war die Kunde vom Tod bis in jedes Haus getragen worden.
Hauptmann Aerdyr Nimmid stellte in Windeseile einen zwanzig Mann starken Trupp auf. Die Krieger trugen schwere Rüstung und waren bewaffnet mit Schwertern und langen Lanzen. Ihnen folgten weitere zwanzig Bogenschützen in leichterer Rüstung und in ihrer Mitte fanden sich Gwendyl und Durion - beide trugen über ihre hageren Elfenkörper silbern-graue Rüstungen. Ihre innere Unruhe übertrug sich auf ihre weißen Pferde und ließ sie im nervösen Trab fallen. Die beiden Abteilungen folgten der steinernen Straße nach Süden.
Auf halber Strecke zum Bergpass, etwa gegen Mittag, lief ihnen ein einzelnes Pferd entgegen. Es war der Schimmelhengst von Liendacyl, was sie an seinem Sattel und Zaumzeug erkannten. Ein Eiselfenkrieger fing den Hengst und führte ihn zu Hauptmann Aerdyr, Maester Durion und Königin Gwendyl. Zwei große Säcke waren rechts und links am Sattel befestigt worden und eine dunkle Flüssigkeit tropfte durch den Stoff und malte ein bizarres rot-braunes Muster auf die Beine des Pferdes.
Aerdyr schnitt die Säcke ab. Sie fielen zu Boden und öffneten sich. Drei weiß-rote Bälle kullerten heraus und blieben vor den Füßen der Eiselfen liegen. Tote weiße Antlitze starrten anklagend den Lebenden entgegen und ließen deren Herzen zu kaltem Eis erstarren. In den Säcken befanden sich die abgeschnittenen Köpfe von acht Eiselfenkriegern.