Читать книгу Missing you, Baby! - Nicole Stranzl - Страница 12

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Kapitel 5

Tom saß neben Laura. Sein Kopf ruhte in seinen Händen, die Ellenbogen hatte er auf ihr Bett gestützt. Grässliches Weiß. Überall. Die Bettwäsche. Die Wände. Toms Gesicht. Ihre eigenen Hände. Befremdlich betrachtete Laura ihre Finger. Sie waren blutleer. Wie die einer Leiche.

»Du bist wach.« Toms Stimme klang rau. Ein dunkler Bartschatten zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Er sah aus, als hätte er sich tagelang nicht rasiert. Vermutlich nicht seit dem Unfall. Wie lange lag der nun zurück? Drei Tage? Oder länger? Wie lange hatte sie geschlafen?

Plötzlich fiel ihr wieder alles ein. Die Neonatologie. Der Arzt, der sie einfach niedergespritzt hatte, als wäre sie verrückt. Nur, weil sie ihr Baby hatte sehen wollen. Ihr Baby …

»Wo ist Mia?« Laura räusperte sich.

Toms Adamsapfel hüpfte. In einer fahrigen Bewegung strich er durch sein dunkles Haar. Es könnte eine Wäsche vertragen. Strähnig hing es hinab. Ihr Mann trug es etwas länger, allerdings in keinem Langhaarschnitt. Es reichte ja noch nicht mal ganz bis zu den Schultern. Aber es war wuschelig. Laura liebte es für gewöhnlich, durch Toms Haar zu fahren. Sich daran festzuhalten, wenn sie ihn küsste. Heute graute ihr allein bei dem Gedanken an seine Nähe. Beinahe wie an jenem Tag, als sie die Nachrichten auf seinem Handy gelesen hatte.

»Letzte Nacht war schön. Ich freue mich schon auf das nächste Mal. S.«

Laura war stutzig geworden, hatte es aber zuerst auf ihre Paranoia geschoben. Ihr Ex-Freund hatte sie betrogen, also vielleicht reagierte sie über. Immerhin war die Mitteilung von einem »Sven« gekommen. Vermutlich bloß einer von Toms Kumpels, der außergewöhnliche Formulierungen verwendete. Vielleicht war das auch ein Scherz unter Männern. Immerhin hatte Tom doch gesagt, er wäre mit seinen Billard-Freunden unterwegs gewesen. Bei der nächsten Nachricht sah Laura dann aber rot:

»Wann sagst du es endlich deiner Frau?«

Wenn ihr Mann nicht plötzlich schwul geworden war, dann steckte hinter diesem »S« ganz bestimmt nicht Sven. Und welchen Grund sollte Tom haben, einen falschen Namen einzuspeichern, wenn er nicht etwas zu verbergen hatte?

Offenbar stand Laura auf einen ganz speziellen Typ, was Männer anbelangte: den Fremdgeher.

Sie betrachtete Toms Gesicht. Die braunen Augen unter den buschigen Brauen. Seine etwas zu breite Stupsnase. Die schmalen Lippen. Seine Gesichtsform war oval. Er war hübsch, aber kein Schönling. Nicht so wie ihre erste große Liebe Ronny. Er hätte als Model arbeiten können. Leider wusste er das auch. Die Mädchen liefen ihm scharenweise hinterher und Laura war bloß eine von vielen. Sie war die Letzte, die begriff, dass er mit der halben Stadt geschlafen hatte und sie auch nicht seine einzige »Freundin« war. Aus dieser Erfahrung hatte sie gelernt und seither keinen Mann mehr gewollt, der schöner war als sie selbst. Sie wusste, das hörte sich dumm an, aber wenn der Kerl zu hübsch war, hatte man ihn doch nie für sich allein. Abgesehen davon waren fast alle Schönlinge Mistkerle. Vielleicht waren ihre Überzeugungen diesbezüglich sehr klischeegeladen, aber das war nun mal ihre Meinung. Wie naiv. Tom war kein Model und trotzdem hatte er sie betrogen. Wahrscheinlich war die andere seinem Lächeln erlegen. Den Grübchen, die sich dann an seinen Wangen bildeten. Heute lächelte er nicht. Im Moment starrte er sie an.

»Hast du mir überhaupt zugehört?«

Sie konnte nicht in ihm lesen. Wusste nicht, ob er verärgert war. Wann hatten sie sich derartig entfremdet? Wie hatte sie nur denken können, ein gemeinsames Kind würde alles kitten?

»Laura? Ich rede mit dir.«

»Ja, tut mir leid. Ich war gerade abgelenkt.« Ich habe überlegt, mit wem du geschlafen hast. Natürlich sprach sie die Worte nicht aus. Was sagte es über sie als Mutter aus, dass sie ihrem verlogenen Mann mehr Gedanken widmete als ihrem kleinen Mädchen?

Das schlechte Gewissen überrollte sie und hinterließ ein drückendes Gefühl in ihrer Brust. Um Tom nicht anzuschreien, presste Laura ihre Lippen fest aufeinander. Wie unpassend, dass er enttäuscht wirkte. Beinahe resigniert, so wie er die Schultern hängen ließ.

»Was ist mit Mia?« Der Gesundheitszustand ihrer Tochter war im Moment das Einzige, das zählte und auf das sie sich konzentrieren sollte. Sie dachte an Dr. Roth, der sie nicht zu ihr gelassen hatte. An Katherines Worte. »Wo ist sie?«

Keine Antwort.

Eine düstere Ahnung beschlich Laura. Ein Wispern verließ ihre Lippen: »Ist sie … tot?«

Noch immer antwortete Tom nicht. Sah sie nur an. Unmöglich zu erahnen, was er dachte.

»Sie ist tot, oder?« Warum gab er keine Antwort, verdammt?

Mit einem Ruck stand Tom auf. Seine Bewegungen wirkten steif und er kreiste seine Schultern. Er drehte ihr den Rücken zu, während er in dem Krankenzimmer auf- und ablief.

»Tom! Rede mit mir!« Ihre Stimme überschlug sich, ohne dass sie es wollte. Sie wollte nicht so hysterisch sein, aber … War es zu viel, eine Auskunft zu verlangen? Wieso brachte er den Mund nicht auf? Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt und die Antwort aus ihm rausgeprügelt. »Wo warst du vorhin? Du hast den Rollstuhl geschoben und auf einmal warst du weg. Du hast mich allein gelassen!« Sie konnte die Anschuldigung in ihrer Stimme nicht verstecken.

»Das hab‘ ich nicht!« Schwungvoll wandte er sich ihr wieder zu. So viel Schmerz und gleichzeitig Ärger, den Laura nicht nachvollziehen konnte, standen in seinem Gesicht geschrieben. »Ich hab‘ dich nie allein gelassen!«, fügte er dann leiser hinzu, so als wäre seine ganze Wut plötzlich verpufft.

Tom setzte sich wieder auf den Stuhl. »Es wird alles gut!« Er griff nach ihrer Hand. Seltsamerweise hörten sich die Worte so an, als wolle er sich selbst beruhigen. Nicht Laura. Seine Hand war kalt und gleichzeitig schweißnass. Trotzdem entzog sie ihm ihre nicht.

»Ich liebe dich!«, sagte er leise. Es klang wie eine Lüge. Beinahe, als wollte er sich selbst von seinen Worten überzeugen.

Die Erwiderung blieb Laura im Hals stecken.

»Wann ist sie gestorben?« Sie versuchte, gefasst zu klingen. Wieder legte sich dieser merkwürdige Schleier um sie. Sie hatte Mühe, Toms folgende Worte zu verstehen und den Blickkontakt zu ihm zu halten. Seine Gestalt verschwamm vor ihren Augen. Kopfschmerzen setzten ein. Nicht schon wieder! Was lief nur falsch mit ihr? Laura blinzelte und versuchte zwanghaft, die Konzentration zu wahren. Sich gegen die schwarzen Punkte zu wehren, die schon wieder vor ihren Augen tanzten. Bremsen quietschen. Der Geruch von Benzin stieg in ihre Nase.

»Sie ist nicht …« Laura konzentrierte sich, doch Toms Worte gingen unter.

Stattdessen vernahm Laura das Rauschen des Wassers der Mur. Die Regentropfen prasselten gegen die Scheibe …

»Noch nicht.«, hörte sie ihren Mann schließlich sagen.

Verstört nickte Laura. Endlich verschwand der Flashback. Etwas anderes konnten diese grauenhaften Erinnerungen und Sinneseindrücke eben doch nicht gewesen sein. Oder?

»Aber es sieht nicht gut aus«, fügte Tom hinzu und Laura hatte Mühe sich zu erinnern, worüber sie gesprochen hatten. Unter großer Anstrengung fiel es ihr wieder ein. Mia. Ihre Tochter. Worüber sonst?

»Noch nicht«, hatte Tom gesagt.

Mia lebte also noch! Erleichterung durchflutete Laura. »Ich will sie sehen.«

»Geht’s dir gut?« Was war das denn für eine bescheuerte Frage?! Sie passte doch gar nicht zu ihrem Gespräch! Irritiert sah Laura ihren Mann an. Wieder zogen sich ihre Schläfen pochend zusammen, so als würde eine Rockband gerade ein Konzert zum Besten geben. Toms Stimme klang weit entfernt. »Bist du sicher?«

Was war sie sicher? Wieso war es nur so schwer, dem Gespräch zu folgen? Hatte der Unfall vielleicht einen Hirnschaden verursacht? Warum klärte sie dann niemand darüber auf?

»Laura?«

Vermutlich ging es darum, ihre Tochter zu sehen, als bejahte Laura.

»Okay. Dann komm mit.« Tom stand auf und ging zu dem Rollstuhl, der in der Zimmerecke auf seinen Einsatz wartete. Bisher hatte Laura ihn nicht bemerkt. Bisher hatte sie keinen Gedanken an ihre Umgebung verschwendet. Nur an die weiße Farbe. Doch ansonsten … Der kleine Fernseher interessierte sie nicht. Genauso wenig wie der altmodische Schrank. Sie sah an sich herab; sie trug Krankenhausklamotten. Wann hatte man sie umgezogen? Wer hatte es getan? War sie operiert worden? War sie nicht eben noch in ziviler Kleidung gewesen? Bevor dieser Dr. Roth sie ins Land der Träume geschickt hatte?

»Wir müssen aufpassen, dass Dr. Roth nicht wieder kommt«, murmelte sie leise, doch Tom antwortete nicht. Entweder hatte er sie nicht gehört oder er ignorierte sie. Laura setzte sich auf, bereit das Bett zu verlassen. Noch immer spürte sie keine Schmerzen. Warum nicht? Sie war doch verletzt. Im Bauchraum. Sie erinnerte sich an das Blut an ihrer Schläfe. Der Ast, der beim Wagenfester hereinragte. Die Bilder des Unfalls zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Wieder schmeckte sie Blut. Rasch versuchte sie, die Erinnerungen zu verdrängen und fragte stattdessen geistesabwesend: »Was ist passiert?«

»Ein Wagen hat uns frontal gerammt.« Die Antwort klang wie auswendig gelernt. Fast gelangweilt.

»Was ist mit dem anderen Fahrer?« Sie musterte Tom eindringlich, der jedoch lieber seine Schuhe betrachtete.

»Der ist weg. Fahrerflucht.« Ihm schien das Thema unangenehm zu sein. Typisch Tom! Er hasste es, über Dinge zu reden, die ihm zusetzten. »Lass uns doch ein Stück spazieren gehen!« Erwartungsvoll sah er sie an und erst verspätet bemerkte Laura den Arm, den er ihr zur Stütze hinhielt. Alles in ihr sträubte sich dagegen, von ihm gestützt zu werden, wie eine alte gebrechliche Frau.

»Wird die Polizei ihn finden? Den Fahrer, meine ich.« Es war ihr egal, dass Tom das Thema meiden wollte.

Er holte tief Luft, dann seufzte er. »Keine Ahnung.«

»Wie schlimm sind meine Verletzungen?«

Er sah sie an. »Du hattest eine Gehirnerschütterung. Mehrere Prellungen. Ein Schütteltrauma.« Er zählte weiterhin irgendwelche Dinge auf, doch Laura hörte ihm nicht mehr zu. Sie war bei einem Wort hängen geblieben: Hattest. Vergangenheit. Warum? Der Unfall war doch erst wenige Tage her, oder?

Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Ein junger Arzt betrat das Zimmer. Sofort erkannte Laura ihn. Er war jung, Mitte dreißig, und lächelte sie freundlich an.

»Frau Weiß! Wie geht es Ihnen?« Dr. Roth strahlte, als wäre nichts gewesen. Als hätte er sie nicht einfach niedergespritzt und sie daran gehindert, ihre Tochter zu sehen.

Feindselig starrte Laura ihn nieder und fuhr ihn stattdessen bissig an. »Ich will mein Baby sehen.«

Der Arzt und Tom tauschten einen Blick. Was ging hier vor sich? Steckte Tom etwa mit dem unter einer Decke?

»Natürlich!«, erwiderte Dr. Roth schließlich mit einem milden Lächeln. »Vielleicht unterhalten wir uns zuerst ein wenig.«

»Ich will mich nicht unterhalten.« Laura nickte in Richtung des Rollstuhls. »Ich will endlich mein Baby sehen.«

»Ihr Baby wird gerade untersucht. Sie können jetzt nicht hin.« Sie war sich fast sicher, dass er sie belog. Warum? Gerade eben hatte Tom doch behauptet, dass Mia am Leben war. Noch! Wenn sie länger zögerten, würde sie ihre Tochter vielleicht nicht mehr sehen.

»Woher wollen Sie das wissen?!«, blaffte sie den Arzt daher an. Die Wut kochte erneut hoch, stärker als zuvor. »Sie arbeiten doch auf einer anderen Station! Ich habe Sie vorhin auf der Neonatologie gesehen! Was machen Sie jetzt also hier bei mir? Hören Sie auf, mich für dumm verkaufen zu wollen!«

»Schatz, beruhige dich!« Tom legte seine Hand auf ihren Unterarm.

»Einen Scheiß werde ich tun!« Sie stieß ihren Mann von sich. »Du machst doch gemeinsame Sache mit denen! Ich will, dass mich sofort jemand aufklärt! Was ist hier los?! Wieso lügt mich jeder an? Und wieso lässt mich niemand zu meinem Baby?!«

Laura war so außer sich, dass sie das Bett verlassen hatte und im Raum auf- und ablief. Sie wollte gerade zu einer weiteren Schimpftirade ansetzen, als Babygeschrei sie innehalten ließ. War das ihr Baby? Wo war ihr Mädchen? Sie musste ganz in der Nähe sein. Tom wollte sie aufhalten, doch sie schubste ihn zur Seite und lief in den Gang hinaus. Gerade noch rechtzeitig sah sie, wie eine Krankenschwester ein Gitterbettchen um die Ecke schob.

Missing you, Baby!

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