Читать книгу Reden wir über Geld - Niki Lauda, Conny Bischofberger - Страница 8
ZEIT IST GELD »Auf dem schnellsten Weg zum Ziel kommen: Ich musste erst lernen, dass das nicht immer funktioniert.«
ОглавлениеFad ist ein Lieblingswort von mir. Es ist sehr wienerisch und drückt auch lautmalerisch aus, dass sich einfach nichts bewegt, dass nichts weitergeht, dass es eben langweilig ist. Ein Zustand, den ich ganz und gar nicht schätze …
In Gesellschaft zum Beispiel wird mir oft fad. Deshalb reduziere ich meine öffentlichen Auftritte mittlerweile auf ein Minimum. Wenn der Job es verlangt, dann mache ich es zu 100 Prozent. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, bin ich sehr strikt. Ich schaue mir die Einladungen, die täglich kommen, genau an und entscheide, was ich machen will und was nicht.
Diese sogenannten Seitenblicke-Events meide ich. Mich stört einfach der Smalltalk. Sowas kann ich mir nur ein paar Sekunden lang anhören. Dann sage ich, weil ich ja ein wohlerzogener Mensch bin: Entschuldigung, ich muss kurz raus. Dann komme ich nie mehr wieder. Für Smalltalk – das Wort sagt ja schon, dass da nichts Großartiges geredet wird – ist mir meine Zeit zu schade.
Wenn Birgit und ich mit Bekannten im Restaurant sitzen, kommt auch sehr schnell der Punkt, an dem ich erkenne: Da kommt nichts mehr! Ich habe mir alles angehört, ich habe alles verstanden, was rundum diskutiert wurde, und weiß einfach: Jetzt ist es genug. Trotzdem bleibe ich höflich und frage bei Birgit nach: Kann ich schon die Rechnung bestellen?
Ich mag es auch im Alltag nicht, wenn herumgeredet wird. Das ist nicht nur fad, das kostet auch viel Zeit. Wenn ich mich nicht auskenne, sage ich: Komm auf den Punkt, worum geht’s eigentlich? Das irritiert viele Leute, die sich erst einmal warmreden wollen. Aber so wurde ich im Rennsport geprägt.
Dort hatte ich drei Mechaniker, einen Ingenieur und meinen rechten Gasfuß. Je mehr Gas ich gab, desto mehr Geld kam in die Kasse. In der Formel 1 machen extrem ehrgeizige Menschen einen Job, der einzig und allein auf Erfolg ausgerichtet ist. Dann kam ich in die Privatwirtschaft und musste plötzlich Leute motivieren.
Ich dachte immer, dass sich Probleme lösen, indem man auf dem schnellsten Weg versucht, zum Ziel zu kommen: Ich musste erst lernen, dass das nicht immer funktioniert. Dass es nicht nur rechts und links, nicht nur schwarz und weiß gibt. Heute schenke ich den Grauzonen dazwischen wesentlich mehr Aufmerksamkeit.
Eines war aber für mich immer klar: Dass ich das, was ich von meinen Mitarbeitern verlange, selber auch vorleben muss. Leading by Example.
Pünktlichkeit zum Beispiel. Als Airline-Chef lautete meine Bitte an die gesamte Crew, immer pünktlich da zu sein, den Flieger in Ruhe fertig zu machen, ohne Hektik. Ich wollte nicht nur pünktlich, sondern schon früher wegkommen. Denn wenn der erste Flieger um 15 Minuten früher abhebt, dann gibt mir das einen Polster für den ganzen Tag.
Ich selbst suchte mir immer einen mittleren Flug aus, also zum Beispiel 7 Uhr morgens Wien-Zürich – nicht den früheren und auch nicht den späteren Flug. Nach dem Crew-Briefing fuhr ich allein hinaus zum Flugzeug und beobachtete bei dieser Gelegenheit auch gleich die sechs anderen Flieger davor und danach. Wann waren sie technisch abgefertigt? Wann kam die Crew? Wann war das Catering da? So verschaffte ich mir gleich einen Gesamtüberblick der Lage. Wenn es Probleme gab, verteilte ich sie anschließend, um sie lösen zu lassen.
Pünktlichkeit lebe ich auch privat. Obwohl mein Terminkalender oft sehr eng ist, komme ich prinzipiell nie zu spät, sondern immer eine Viertelstunde zu früh. Das klingt jetzt aus dem Mund eines Mercedes-Fahrers vielleicht komisch und möglicherweise auch ein bisschen altmodisch, aber ich denke mir: Ich könnte ja auch einen Patschen haben! Deshalb fahre ich lieber etwas früher weg und habe noch etwas Zeit für mich selber. Ich werde nie verstehen, wieso achtzig Prozent aller Menschen völlig hektisch und aufgelöst bei Terminen erscheinen und sich fünfmal entschuldigen, dass sie zu spät dran sind. Manche stellen sich sogar die Uhr zurück, das ist überhaupt absurd. Warum? Um pünktlich zu sein. Warum können sie nicht gleich pünktlich sein? Ist ja nicht so schwer.
Auf Unpünktlichkeit reagiere ich konsequent. Ich warte fünfzehn Minuten, die akademische Viertelstunde, dann bin ich weg. Weil das meine Zeit ist und weil Unpünktlichkeit extrem unprofessionell ist. Unpünktliche Menschen machen dir ja mit ihrer Disziplinlosigkeit einen ganzen Rattenschwanz von Problemen, weil sich dann alle Termine nach hinten verschieben. Ich mag Leute, die zu früh kommen. Dann kriegen sie, wenn ich mit dem vorigen Termin schon früher fertig geworden bin, vielleicht sogar ein bisschen mehr von meiner Zeit.
Ein spezieller Fall sind Journalisten. Meine Assistentin, Sanja Jovanovic macht alle meine Termine und koordiniert Interviewanfragen, die nicht direkt zu mir aufs Handy gelangt sind. Wenn ich zu ihr hinkomme, nehme ich einen Sessel, setze mich neben sie und sage: »Was gibt’s?«
Dann liest sie mir vor, was Menschen alles von mir wollen, und ich sage: Ja, nein, ja, nein. Das muss alles ganz schnell gehen. Ruck-zuck, so funktioniert das bei uns. Sanja kennt meine Prioritäten ganz genau, und sie spricht meine Sprache. Da gibt es kein ärgerliches Gequatsche mit einerseits und andererseits und möglicherweise und vielleicht doch nicht. Wir kommen gleich auf den Punkt. Sanja kennt mich auch schon so gut, dass sie mich bei gewissen Dingen gar nicht mehr fragt. Sie will sich meine Antwort ersparen: »Bitte, Sanja, schmeiß es gleich weg!«
Wenn sie mich informiert, dass die Zeitung soundso wieder angefragt und dass sie bereits abgesagt hat, dann denke ich mir manchmal, die armen Hunde haben es schon 40 Mal probiert, vielleicht sollten wir sie einmal drannehmen. Das ist eine Frage von Effizienz, denn die melden sich ja immer wieder, weil sie hartnäckig sind, oder sie melden sich gar nicht mehr, weil sie sich so ärgern. Beides ist schlecht, also mache ich manchmal auch solche Termine.
Wenn Medien anfragen, von denen ich noch nie in meinem Leben etwas gehört habe, dann recherchiert Sanja, was das für Medien sind, wie lange es sie schon gibt, wie viel Auflage sie haben, welche Blattlinie und so weiter.
Nur eines machen wir prinzipiell nicht: Interviews für Nullnummern! Der Name sagt ja schon alles. Da wirst du zur Nullnummer gemacht. Klar ist ein Lauda gut fürs Renommée der Testausgabe von Magazinen, die dann sowieso nie auf den Markt kommen, aber dafür vergeude ich wirklich nicht meine Zeit.
Stichwort Zeitvergeudung: 1975 bemühte sich der österreichische Schriftsteller Peter Handke zum Nürburgring, um mich für ein Spiegel-Essay zu porträtieren. Ich war damals 25 und lebte natürlich in meiner Rennfahrerwelt. Ich habe mich wirklich bemüht, seine künstlerisch-intellektuellen Ansätze für das Gespräch zu verstehen, aber in Wahrheit war mir die ganze Zeit schleierhaft, was er überhaupt von mir wollte. Ich bin ihm nicht böse, aber er schrieb unter dem Titel »Das Öl des Weltmeisters«– ich weiß bis heute nicht, wie diese Schlagzeile gemeint war – Sätze wie diese: Lauda, über anderes befragt als über Technisches (in allen Bedeutungen dieses Wortes) definiert dieses andere immer nur mit dem Wort, das dafür verwendet wird: Das heißt, außerhalb der technischen Sprache redet er in Tautologien: »Meine Mutter? Meine Mutter ist halt eine Mutter. Die Eltern? Die Eltern sind, wie sie sind«. So, als wäre ich ein Dodel (obwohl ich ehrlich zugebe, dass ich keine Ahnung habe, was Tautologien sind). »Der Rennbahnreporter«, so Handke in seinem salbungsvollen Text weiter, »hat Lauda wie jemanden beschrieben, den es schon lang nicht mehr gibt und dessen lebensechte Nachbildung ein trottelhafter Fremdenführer vor unseren Augen noch einmal ausmottet.« Das Formel 1-Publikum bezeichnete Handke als »tragische, wesenlose, nicht einmal gerichtsbekannte Bierbäuche ohne Lebensgeschichte.« Das einzig Lustige in dem Essay war, dass er eine Gedankentechnik beschrieb, die ich mir beim Rennfahren zugelegt hatte. Ein Grand Prix war 300 Kilometer, was der Strecke Wien-Salzburg entsprach. Um das Zeitgefühl nicht zu verlieren, sagte ich mir, während ich so im Kreis fuhr: »Jetzt bin ich schon in St. Pölten.«
Ein positives Porträt über mich und die Formel 1 war das wohl nicht. Ich glaube, dass er meine Welt nicht verstanden hat, und ich seine nicht. Wir sprachen einfach nicht dieselbe Sprache. Ist passiert und nicht weiter tragisch. Ich kann damit leben. Ich habe mich nur geärgert, dass ich mit ihm überhaupt meine Zeit verplempert habe.
Einer amerikanischen Journalistin hingegen habe ich einmal einen kleinen Streich gespielt, der sehr zeitintensiv war. Sie arbeitete für eine von diesen US-Morningshows, die wollten mich an der Unfallstelle am Nürburgring interviewen. Mir war klar, dass sie mit einem großen, emotionalen Lauda-Moment spekulierten und dachten: Der wird jetzt sicher weinen, wenn er in der Kurve bei Kilometer 10,7 steht, in der er fast verbrannt wäre. Deshalb habe ich mir vom Frühstücksbuffet meines Hotels ein braunes Laugenkipferl mitgenommen und vorher ins Gras gelegt.
Die Journalistin – groß, blond, alles dran – fragte mit bedeutungsvoller Miene: »How is it to be here …«
Ich unterbrach sie – »Just a moment!« – und ging ein paar Schritte ins Gras.
»What are you doing?«
Ich sagte: »Oh, look! Here’s my ear!«
Die war fertig, sie hat komplett die Fassung verloren. Sie mussten alles noch einmal drehen. In diesem Moment spürte ich eine kindische Schadenfreude. Ich hatte ihnen die Show vermasselt. Der Retake war mir die Zeit wert …
Normalerweise finde ich Vergnügen aber eher daran, Zeit einzusparen und Wege abzukürzen. Als wir zum Beispiel am Flughafen Wien-Schwechat mein Büro für meine zweite Fluglinie Flyniki bauten, fand in unserer provisorischen Zentrale bei der »General Aviation« eine Besprechung statt. Gleich zwölf Herrschaften, allesamt Experten des Baufaches, traten an, um mich in allen Details über die Baufortschritte zu unterrichten.
Ich wurde schnell unruhig, denn ich brauchte als Nicht-Experte schon einige Konzentration und Fantasie, um den Ausführungen halbwegs folgen zu können. Schließlich hatte ich genug. »Wie wäre es denn, wenn wir uns das alles an Ort und Stelle ansehen?«, fragte ich in die Runde.
Die zwölf Herrschaften nickten geflissentlich. Schließlich war ich ihr Auftraggeber, ich war derjenige, der die Rechnung zahlte. Wie in einer skurrilen Filmszene zückten sie alle ihre Terminkalender, um mit gerunzelter Stirn nach Zeitfenstern zu suchen.
Es war klar, dass ein gemeinsamer Termin, wenn überhaupt, frühestens nach Weihnachten zustande käme (wir hatten gerade Anfang August), aber sie hatten mich ohnedies falsch verstanden. Ich hob eine Hand. »Nein, nein«, sagte ich. »So war das nicht gemeint. Was halten Sie davon, wenn wir einfach gleich da hinaus fahren, wir alle miteinander? Jetzt, auf der Stelle? Dann wäre die Sache rasch vom Tisch.«
Während ich das sagte, stand ich schon auf. Die Zwölf sahen mich verdutzt an, doch es dauerte noch ein paar Schrecksekunden, bis sich ein jüngerer Mann meldete. »Ich habe einen Schlüssel dabei«, sagte er. »Also warum eigentlich nicht?«
Wir stiegen in unsere Autos und fanden uns kurze Zeit später in meinem künftigen Büro ein, das zu diesem Zeitpunkt noch aus Beton und ein paar halbfertigen roten Ziegelwänden bestand. Als die Zwölf hier ihre Ausführungen fortsetzten, konnte ich ihnen viel leichter folgen, mit viel weniger Aufwand an Konzentration und Fantasie. Zum Beispiel bemerkte ich, dass die Arbeiter gerade eine Wand an der falschen Stelle errichteten. Da, wo sie gerade aus dem Boden wuchs, wäre sie schlicht und einfach eine Fehlkonstruktion gewesen.
Wir konnten den Fehler an Ort und Stelle beheben. Wir sagten es einfach den Maurern, und die Sache war erledigt.
Gegen einen Terminkalender, wie ihn die zwölf Herren bei sich trugen, habe ich mich lange gewehrt, ich hatte meine Sachen ohnehin immer im Kopf. Aber seit ein paar Jahren trage ich alle Termine am iPhone ein. Sanja baut selbstständig Termine ein, sie sieht meine, ich sehe ihre, das funktioniert perfekt. Am Abend werfe ich einen Blick ins Handy und schaue mir an, wie der nächste Tag aussieht. Dann habe ich alle Zeitfenster im Kopf, ich weiß von jedem Termin, wie lange er genau dauert, wann der nächste beginnt, wann dazwischen Zeit bleibt, zu telefonieren oder Mails zu checken.
Diese Zeitbesessenheit muss ich mir im Rennsport angeeignet haben, wo Geschwindigkeit der Maßstab deines Erfolges ist.
Es war im Frühling 1975, da tat Jenzey, mein Salzburger Cousin, eines Tages ganz geheimnisvoll und fuhr mit mir zum Flughafen. Dort zeigte er mir eine einmotorige Cessna 150. »Die habe ich gemietet«, erklärte er ganz stolz, »und jetzt fliegen wir los!« Jenzey hatte gerade den Pilotenschein gemacht und wollte mit mir, dem Ferrari-Piloten, einen Sightseeingflug über das Inntal absolvieren. Wir drehten ein paar Runden am Himmel über der Stadt und dann weiter Richtung Innsbruck. Der Blick über beide Seiten der Alpen ließ mich plötzlich eine Direttissima zwischen Salzburg und Ferrari erahnen. Die Vorstellung ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Mit einer Zweimotorigen, so sagte ich mir, könnte ich die sechs Stunden Autofahrt nach Bologna ganz leicht auf eine Stunde reduzieren.
Ich hatte nie einen Traum vom Fliegen, und schon gar nicht betrachtete ich Fliegen als ein erstrebenswertes Hobby. Ich wollte schneller sein. Ich wollte Zeit sparen.
Weil ich damals schon halbwegs Geld verdiente, schaffte ich eine Cessna Golden Eagle an, hatte meinen eigenen Piloten und lernte beim Mitfliegen die Praxis. Ich wurde Flugschüler und meine bevorzugte Strecke war Salzburg-Bologna. Das machte gleich doppelt Sinn.
So kam ich zur Fliegerei, machte einen Schein nach dem anderen und gründete vier Jahre später als erster Formel 1-Fahrer und Berufspilot eine Fluglinie.