Читать книгу Schön wie die Acht - Nikola Huppertz - Страница 7

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Als ich nach Hause komme, merke ich sofort, dass dicke Luft ist. Wie Mama die Tür aufreißt. Und ihr Gesicht – mit dieser steilen Falte zwischen den Augenbrauen. Papa ist um diese Zeit noch nicht von der Arbeit zurück, also muss irgendwas zwischen ihr und Josefine vorgefallen sein.

»Ich bin noch am übersetzen«, sagt sie, kaum dass ich einen Fuß im Haus hab. »Also sei bitte leise, okay?!« Ihre Stimme klingt scharf, und erst, als sie schon wieder halb in ihrem Arbeitszimmer verschwunden ist, kommt versöhnlich hinterher: »Hattest du einen guten Schultag?«

»Joah«, antworte ich unbestimmt, und es ist wohl auch schnuppe, was ich sage, weil Mama wahrscheinlich sowieso nicht zuhört.

»Schön«, sagt sie auch nur, »erzähl mir nachher davon«, und zieht die Zimmertür hinter sich zu.

Alles in allem ist das nicht gerade das, was ich gewöhnt bin. Wenn ich wegen des Matheclubs lange Schule hatte, hört sie normalerweise auf mit ihrer Arbeit oder macht zumindest eine Pause, und meistens setzen wir uns dann zusammen, trinken Kakao und unterhalten uns. Über den Matheclub und darüber, was ich sonst noch alles erlebt hab. Doch im Moment ist ja alles ungewöhnlich, und ich möchte nun wirklich wissen, was hier heute Nachmittag los war. Also stelle ich meinen Rucksack ab und gehe in den Keller runter. Hinter der Tür zu Josefines Zimmer ist es still, aber ich weiß genau, dass sie da ist.

»Josefine?«

Sie antwortet nicht. Trotzdem drücke ich die Klinke runter.

»Was willst du?«, blafft sie mir entgegen. Wieder sitzt sie auf der Schlafcouch und wieder hat sie ihren Laptop auf dem Schoß. Und nicht nur Mamas, sondern auch ihr Gesicht ist zerknautscht, die müssen echt aneinandergeraten sein.

»Hast du meine Mutter bei der Arbeit gestört?«, frage ich einfach zurück. Weil, dazu hab ich keine Lust. Dass andere sich streiten und mich dann anmotzen.

»Die stellt sich vielleicht an!« Josefine knallt den Laptopdeckel runter.

»Wenn sie übersetzt, kann sie laute Musik nicht leiden«, erkläre ich. »Oder den Fernseher oder so. Da muss sie sich konzentrieren können.«

»Hab ich Musik gehört?«, faucht Josefine. »Hab ich ferngesehen? Ich hab trainiert!« Sie deutet auf Papas Langhantel, auf die die großen Scheiben gesteckt sind – die ganz großen. »Kreuzheben. Und nur weil die Hantel beim Absetzen nun mal scheppert, kommt die an und heult rum. Das ist leider ungünstig um diese Zeit, mimimi …«

»Oh«, sage ich, denn das ist vielleicht wirklich etwas pingelig von Mama. So ein bisschen Geklirr, ganz ohne Worte, die sie von ihrem Text ablenken könnten. Da hat sie bestimmt noch was anderes gestört als bloß das Geräusch. Ich muss an das Mädchen und seine Mutter denken, mit denen Mama nichts am Hut hat, wenn sie nicht gerade so tut als ob, so wie gestern, beim Abendessen, und da tut mir Josefine fast leid. Es ist bestimmt nicht lustig, bei jemandem zu wohnen, der gar nichts mit einem zu tun haben will. Selbst, wenn der Jemand offiziell was anderes sagt.

»Find ich auch übertrieben, dass sie wegen so was Stress macht«, füge ich hinzu.

Aber da sagt Josefine: »Diese Bitch!«, und ich bin wieder ganz auf Mamas Seite.

»Meine Mutter ist keine Bitch!«

»So?« Josefine verzieht den Mund. »Weißt du überhaupt, was das ist, ’ne Bitch?«

Ich spüre, wie mein Kopf heiß wird. »Ja, aber was hat das mit meiner Mutter zu tun?«

»Kannst ja mal drüber nachdenken«, sagt Josefine. »Vielleicht fällt’s dir dann ein!« Dann klappt sie ihren Laptop wieder auf, guckt auf den Monitor, tippt irgendwas auf der Tastatur.

Mein Herz pocht, durch meinen Kopf schießen tausend Gedanken, aber ich kann keinen von ihnen festhalten.

»Is’ noch was?«, fragt Josefine. »Wenn nicht, hätte ich nämlich gern ’n bisschen Ruhe.«

Ich hab keine Ahnung, was sie da macht, Hausaufgaben (wohl eher nicht) oder Surfen oder ein Game, aber so wichtig, dass sie mich Knall auf Fall rausschmeißt, kann es jedenfalls nicht sein. Und gehen mag ich so nicht. Nicht, ohne die Sache aus der Welt geschafft zu haben. Das hasse ich nämlich, wenn etwas ungeklärt ist.

»Meine Mutter hat niemandem was getan«, sage ich darum. »Die kann auch nichts dafür, dass deine Mutter krank geworden ist und in Reha musste und du jetzt hier bist. Die hat mit euch überhaupt nichts zu tun. Das hatte sie noch nie!«

Josefine tippt.

»Ich find’s außerdem doof, wenn ihr euch streitet und ich alles abkriege.«

Jetzt schielt sie hoch.

»Ich muss mich auch auf meinen Kram konzentrieren können«, sage ich und ziehe die Nase hoch. »Auf Mathe und so.«

Josefine verzieht mitleidig das Gesicht. »Mimimi«, macht sie und da gehe ich doch. Auch wenn nichts aus der Welt geschafft ist. Und zwischen all den Gedanken, die durch meinen Kopf wimmeln, hallt es: Kannst ja mal drüber nachdenken.

Beim Abendessen haben sich alle wieder eingekriegt. Kann sein, dass es an Papas Vortrag über die Windenergieproduktion seiner Firma liegt, durch den sonst niemand zu Wort kommt, oder daran, dass ich mich erfolgreich beschwert hab. Jedenfalls schiebt Josefine einigermaßen friedlich den Kartoffelauflauf in sich hinein, und Mama lächelt schuldbewusst und fragt mich, als Papa endlich mal Luft holt und ein paar Happen isst, nach dem Matheclub.

»War ganz gut«, sage ich. »Der Zerhusen hat Lale und mir den Tangens und Kotangens erklärt.«

»Ach ja!«, ruft Mama. »Da war ja heute das neue Mädchen. Und?«

»Was, und?«

»Ist sie gut?«

»Ja, ziemlich«, gebe ich zu. »Sie ist ganz schön schnell bei den Aufgaben.«

Josefine blickt von ihrem Teller auf und betrachtet mich prüfend. »Und sonst so?«

Ich hab keine Ahnung, was sie von mir hören will.

»Sieht sie gut aus?«, fragt sie nach.

Um ein Haar verschlucke ich mich, nuschele: »Keine Ahnung«, weil, das spielt ja wohl echt keine Rolle, wie Lale aussieht. Obwohl ich sie jetzt natürlich haargenau vor mir sehe mit ihren langen schwarzen Haaren und diesen blitzenden Augen. »Wir bereiten uns zusammen auf die Landesrunde vor«, sage ich ärgerlich.

»Deswegen kann sie ja trotzdem gut aussehen.« Josefine grinst mich an, als hätte sie mich bei etwas ertappt. »Gib’s zu, sie gefällt dir!«

Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll.

»Josefine!«, sagt Papa da. »Malte ist zwölf.«

»In zwei Monaten dreizehn.« Meine Halbschwester grinst noch doller.

Im selben Moment klingelt im Flur das Telefon. »Ich gehe«, stoße ich im Aufspringen hervor. Und als ich den Apparat von der Ladestation nehme, sehe ich schon auf dem Display, dass es Kolja ist.

»Na?« Ich laufe die Treppe hoch und verdrücke mich in mein Zimmer. »Was gibt’s?«

Besonders oft telefonieren Kolja und ich nämlich nicht miteinander. Normalerweise schreiben wir uns über WhatsApp, aber auch nur, wenn was los ist. Da ist es schon was Besonderes, dass er einfach so anruft. Und dann auch noch übers Festnetz.

»Ich wollte nur mal hören«, sagt er. »Wir haben nach Mathe ja gar nicht mehr geredet.«

Auch das überrascht mich, aber gut ist es natürlich trotzdem, und ich lasse mich auf mein Bett fallen, erzähle ihm vom Tangens und Kotangens und dass der Zerhusen für Lale und mich in den nächsten Wochen eine Art Crashprogramm durch alle wichtigen Themenfelder durchführen möchte. Damit wir sofort einordnen können, in welche Richtung eine Aufgabe geht.

Kolja fragt ein bisschen nach, aber nicht so, dass man den Eindruck bekommt, das wollte er so dringend wissen, dass er extra noch angerufen hat, und auf einmal haut er raus: »Und deine Schwester? Hat die irgendwas erzählt? Wie sie’s in unserer Schule fand und so?«

Noch während er es sagt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen, und ich kralle die Finger der freien Hand ins Kissen. Josefine. Schon wieder. Da ist es auch kein Wunder, dass Kolja mich nicht auf dem Handy angerufen hat, sondern auf dem Festnetz. Womöglich hat er sogar gehofft, sie würde drangehen.

»Soll ich sie dir vielleicht geben?«, kontere ich ziemlich patzig. »Dann kannst du sie selbst fragen.«

»Ey, nee!« Er klingt erschrocken. »Ich kenn sie doch gar nicht.«

»Dafür redest du aber ganz schön viel von ihr.«

Einen Moment schweigen wir, und in demselben Moment wird mir klar, dass Josefine nichts von der Schule erzählt hat. Was natürlich auch daran liegen kann, dass sich keiner danach erkundigt hat, jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit.

»Ich weiß auch nix«, murmle ich. »Aber ich glaub, die geht nicht so gern in die Schule.«

»Kannst sie ja mal von mir grüßen«, sagt Kolja. Und setzt nach: »Wenn du magst.«

»Mhm«, mache ich vage.

»Gut, dann … sehen wir uns.«

»Ja«, sage ich, »bis dann«, und warte, dass Kolja als Erster auflegt. Danach kneife ich noch mal fest ins Kissen, drücke die Beenden-Taste und stehe vom Bett auf, um zurück zum Abendessen zu gehen.

Vielleicht sitzt Josefine ja noch am Tisch und ich kann sie nach der Schule fragen. Vorausgesetzt, Papa hat nicht wieder mit seiner Firma angefangen. Aber das mit Koljas Grüßen weiß ich noch nicht. Das muss ich mir erst überlegen.

Wenn man nicht schlafen kann, soll man nicht rumliegen und sich verrückt machen, sondern lieber was tun, bis man richtig müde wird. Darum stehe ich einfach aus dem Bett auf und ziehe die große Legoschublade auf.

Normalerweise baue ich ja nicht mehr Lego, nur ganz selten mal Lego Technic, aber was anderes fällt mir gerade nicht ein, denn zu anspruchsvoll soll das, was man statt des Rumliegens macht, natürlich nicht sein. Wie Matheaufgaben zum Beispiel. Sonst wird man nur noch wacher.

Also nehme ich eine Grundplatte und Steine und fang einfach an, ohne Anleitung und ohne zu wissen, was ich überhaupt bauen will. Ist auch egal, schließlich geht es bloß darum, müde zu werden. Und endlich diese Gedanken aus dem Kopf zu kriegen.

Kannst ja mal drüber nachdenken. Na spitze! Es dreht sich dabei alles im Kreis statt dass irgendwas rauskommt, und bescheuerte Gedanken sind es außerdem. Richtige Nachtgedanken.

Ich betrachte die Grundmauer, die ich hochziehe, mit einer Öffnung auf der einen Seite und einer rechteckigen Ausbuchtung auf der anderen, versuche mich ganz aufs Bauen zu konzentrieren, aber irgendwie bringt das nichts. Aus dem Kopf kriege ich gar nichts.

Mama, diese Bitch. Das hat Josefine nicht nur so gesagt, ich meine, wie man eben ein Schimpfwort sagt, wenn man sauer auf jemanden ist. Sie hat das ernst gemeint, im Wortsinn. Aber Mama ist keine Bitch. Mama ist eine verheiratete Frau – im Gegensatz zu Josefines Mutter, mit der auch Papa einfach nur so zusammen war, ohne Hochzeit. Und nur dass das klar ist, diese Melanie war vor Mamas Zeit, das hab ich oft genug zu hören gekriegt. Papa und sie haben sich getrennt, als Josefine klein war, und später hatte Papa dann eben Mama. Das war sein gutes Recht und Mamas sowieso, weil sie nämlich vorher niemanden hatte, sondern allein gelebt hat. Da muss Josefine gar nicht so tun, als wäre sie eine … also so eine.

Ärgerlich drücke ich Stein auf Stein, Stein auf Stein und schiebe den Gedanken mit aller Macht zur Seite. Aber dahin, wo sein Platz frei wird, rückt sofort der nächste.

Die Sache mit Lale. Gibs zu, sie gefällt dir! Haha. Daran erkennt man ja, dass Josefine einfach irgendwelche Dinge daherredet. Als würde ich eine sofort toll finden, nur weil ich mit ihr zusammen Mathe mache. Natürlich sieht sie gut aus, also Lale, aber das heißt ja wohl gar nichts. Viele Leute sehen gut aus und sind nett und schlau und was weiß ich, aber deswegen müssen sie einem noch lange nicht gefallen. Also, auf diese Weise gefallen, die Josefine meint oder Papa, wenn er sagt, dass ich erst zwölf bin, oder vielleicht auch Kolja, wenn er komische Anrufe macht und Josefine grüßen lässt. Außerdem wär ich ja schön blöd, wenn ich ausgerechnet Lale gut fände. Lale, die bei der Landesrunde gegen mich antritt! Das wär genauso bescheuert, wie wenn Kolja meine Halbschwester gefallen würde. Mindestens.

Ich krame in der Schublade und suche nach mehr Steinen, den stinknormalen Achtern und Vierern und Sechzehnern, die noch aus Mamas Kindheit stammen und die sie mir vererbt hat, als ich ein Kleinkind war. Weil das Teil, das ich da baue, nämlich ein Haus wird, ein langweiliges, babyhaftes Haus, genauso eins wie die Häuser, die ich ganz früher gebaut hab, noch bevor ich angefangen hab, mir Star Wars-Modelle und Ninjago zu wünschen und später dann Lego Technic. Und es ist ganz okay, so was Einfaches zu bauen, weil sich meine Finger genau erinnern und ich mich dadurch wieder ein bisschen fühle wie damals, als ich klein war. Aber gleichzeitig ist es auch ganz anders, weil der Rest nicht zu dem Kleinkindgefühl in den Fingern passt. Vor allem diese blöden Nachtgedanken, gegen die auch kein Aufstehen, kein Was-Machen und Auf-die-Müdigkeit-Warten helfen.

Kannst ja mal drüber nachdenken.

Mimimi.

Lale.

Kolja.

Bitch.

Und plötzlich komme ich mir total doof vor mit diesem Babyhaus. Wie peinlich wär das denn, wenn es jemand sehen würde, womöglich Josefine. Und dann in der Schule rumerzählen würde, was ich so mache, wenn ich abends in meinem Zimmer hocke. Eilig reiße ich die Mauern ein und schiebe die Platte in die Schublade zurück. Legobauen ist einfach nichts mehr für mich. Lieber leg ich mich wieder hin und schlaf einfach irgendwann ein, Gedanken hin oder her. Und morgen, da ist es vielleicht anders als in den letzten Tagen. Nicht so wie ganz früher, klar, aber ein kleines bisschen mehr, wie ich es gewöhnt bin. Das wär echt gut. Denn Gewohnheiten mag ich. Gewohnheiten sind wie Mathematik. Beide funktionieren immer, immer gleich.

Schön wie die Acht

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