Читать книгу Noch einmal davon gekommen - Nikolaus Klammer - Страница 11
ОглавлениеHAARE LASSEN
Es heißt, Männer bemerken ihr Alter, wenn der Haarwuchs auf ihrem Haupt plötzlich nachlässt, dafür nach innen wächst und aus allerlei Körperöffnungen drängt und ragt, z. B. aus den Nasenlöchern oder den Ohren, sich aber auch verdreht aus den Hautporen quetscht und die Augenbrauen zu ver-'waigel'-ten Vorhängen formt.
Nun, bei mir tritt der zweite dieser Effekte bereits ein; kürzlich erwarb ich mir einen Nasenhaarschneider, um dem widerspenstigen und vollkommen sinnfreien Bewuchs einiger Körperregionen Herr zu werden. Sein Einsatz war bislang unangenehm kitzlig bis schmerzhaft, aber wenig erfolgreich. Ich habe das Gefühl, je mehr Haare ich aus Nase, Ohren oder von den Zähnen entferne, um so stärker wachsen sie nach. Sohn Nr. 2 sieht mich dann beim Frühstück über den Küchentisch noch skeptischer an als sonst üblich und bemerkt:
„Papa, das geht gar nicht!“
Gleichzeitig zeigt mein Haupthaar keinerlei Neigung, in seinem Wuchs nachzulassen. Gut, die Haare werden langsam an den Schläfen, auf dem Kopf und vereinzelt auch an anderen Körperstellen grau, aber das war es auch schon. Das unkämmbar dicke und feste, grau-schwarz melierte Gestrüpp wächst weiterhin munter vor sich hin und zeigt keine Blößen. Das tut es übrigens in einem atemberaubenden Tempo, wie ich finde. Meine Haare sind wie die CSU: Schwarz, störrisch und verfilzt.
Vielleicht gehöre ich zu den Männern, die einen zu niedrigen Testosteronspiegel besitzen oder die Mähne ist von dem einen Hunnen in meiner Ahnenkette vererbt, der auf der Schlacht am Lechfeld sein Leben ließ, aber vorher noch meine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter - sagen wir mal: - ehelichte.
Aber es schieben bei mir keine Geheimratsecken die Stirn weiter nach oben, nirgendwo entsteht im Dickicht meines verfilzten Haupthaar-Dschungels eine Lichtung, durch die Tageslicht auf die Kopfhaut fallen kann. Dazu habe ich das Gefühl, dass mit dem Alter die Wuchsgeschwindigkeit und die Felldichte meiner Behaarung wie bei meiner Katze Amy immer noch zunimmt, die immer flauschiger wird{9}. Manchmal sehe ich morgens in den Spiegel und sehe vor lauter Haaren den Nikolaus M. Klammer nicht. Das sorgt zwar für warme Gedanken bei den kühleren Jahreszeiten, aber das ist der einzige Vorteil. Als hätte ich nicht schon genug mit dem doofen, zeitraubenden Rasieren zu tun!
*
Da der Herr das Vergehen der Zeit nicht mit der Uhr, sondern am Wachsen der Haare und Nägel seiner Geschöpfe misst, ist der wie ein Naturgesetz erwartbare Ausbruch von Frau Klammerle nahezu blasphemisch, aber unvermeidlich:
„Deine Haare! Die müssen unbedingt geschnitten werden.“
Hier ist es das Beste, nickend Zustimmung zu heucheln und darauf zu hoffen, dass sie über der Woche alles wieder vergessen wird, was nach ihrem ersten Ausbruch noch recht wahrscheinlich ist. Aber nun ist die Sache auf der Welt, der Gedanke ausgesprochen, 'denkbar' geworden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder auf ihrer Zunge manifestieren wird und diesmal um so nachdrücklicher. Jetzt ist meine ganze Geschicklichkeit im Erfinden von Ausreden gefordert, um das Unvermeidliche hinauszuzögern, den partiellen Verlust meiner prächtigen Haartolle in einer demütigenden Foltersitzung, einer Form von ‚waterboarding’ mit Verstümmelung, die dazu unverschämt viel Geld kostet, zu verlieren.
Es ist der Punkt erreicht, an dem ich früher oder später meine Haare lassen muss. Nun ist es aber so, dass ich ein Problem mit Friseuren habe: Ich betrachte sie für überflüssig. In meiner Liste der unnützesten Berufe der Welt rangieren die 'Hairstylisten' neben Versicherungsheinis, Steuerberatern, Sextherapeuten (da wären wir wieder beim Testosteron), Fitnesstrainern und Berufssoldaten ganz oben. Sie verlangen Geld für eine Leistung, die ich eigentlich nicht nachfragen will.
Nebenbei: Ich war zuletzt als Jugendlicher beim Friseur. Deshalb gebe ich es auch offen zu: Ich habe Haare, keine Frisur. Alle drei, vier Monate muss der Pelz allerdings runter, doch dafür würde ich nie in einen Salon gehen, der etwas schmerzhaft Lustiges mit dem Wort „Hair“ anstellt oder den Namen der Besitzerin mit einem unnötigen Apostroph-s im Titel trägt: „Uschi's Hairmonie“ oder so ähnlich. Und diese rechtschreibschwache Uschi möchte für die Untat, die aus Samson einen testosteronarmen Schwächling machte, auch noch bezahlt werden.{10} Überhaupt! In was für einem Land leben wir denn? Hier gibt es mehr 'haircutter' als Buchhandlungen! Und das nennt sich Kulturnation!
*
Gestern war wieder so ein Tag. Ich kam am Abend müde aus der Arbeit, in der ich im Schweiße meines Angesichts das wenige Geld verdiene, mit dem ich meine Familie durch den Tag bringe. Frau Klammerle saß erwartungsfroh auf dem Sofa und betrachtete mich aufmerksam. Nach dreißig Ehejahren spürte ich instinktiv, dass sie etwas von mir erwartete, aber was nur? Im November gibt es keinen Geburtstag oder ein Jubiläum, das ich vergessen könnte. Ich fragte also, wie es ihr ginge.
„Gut“, war die Antwort. Aber ihr musternder Blick blieb auf meinem Gewissen lasten. Was hatte ich schon wieder ausgefressen?
„Wie war es beim Sport?“
„Gut.“
„Gibt es etwas Neues?“
„Nein. Fällt dir überhaupt nichts auf?“ Die Augen werden schmal.
Mist! Die Falle. Ich weiß, sie ist da, aber ich finde sie nicht. Jeder Schritt kann mein letzter sein. Ich sehe mich um. Irgendein neuer Dekoartikel? Nein. Blumen? Nein. Ich mustere meine Frau angestrengt. Hat sie neue Kleidung an? Nein. Schuhe vielleicht?
Das Warten wird ihr zu lang:
„Meine Haare! Ich war beim Friseur. Das musst du doch sehen; die sind jetzt viel kürzer. Und ich habe einen Pony!“ Strafende Pause, während ich mich gebührend schäme.
„Und überhaupt! Wie sehen deine Haare ... Die sind auch viel zu lang. Willst du nicht auch mal zum Friseur.“
Was soll ich noch erzählen? Ich habe nichts gesehen. Sie hatte Haare auf dem Kopf, die hatte sie auch schon, als ich mich am Morgen von ihr verabschiedete. Ich hasse Friseure. Sie tun so, als würden sie irgendetwas mit der Frisur von Frau Klammerle machen, kassieren dafür ein Ungeld, um das zu verdienen ich einen ganzen Tag in die Arbeit rennen muss und bedrohen mit dieser Nichtleistung auch noch leichtfertig meinen Ehefrieden.
Also sage ich seufzend zu Frau Klammerle, als würde ich mich in mein Schicksal ergeben:
„Schneide du sie mir doch.“
Und das macht sie dann, seit dreißig Ehejahren. Sie fällt jedes Mal darauf rein …
*