Читать книгу Nachbarn, Sex und dünne Wände - Nikolaus Weber - Страница 8
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ОглавлениеEin paar Tage später treffe ich Vanessa am Gang. Ich bin immer total hingerissen und überwältigt von dieser Schönheit.
Sie fordert mich auf, in einen Kübel zu pinkeln, damit sie nicht wach wird, wenn ich nachts aufs Klo gehe. Ich habe selten so ein dummes Appell gehört. Da sie sich aber für den Lärm der Handwerker in ihrer Wohnung entschuldigt und ich die Blondine mit den roten Highheels näher kennen lernen möchte, bitte ich Vanessa auf einen Kaffee zu mir herein. Wir machen es uns auf dem Sofa gemütlich. In Vanessa’s Gegenwart muss ich ständig an Sex denken. Vanessa trinkt auch gerne Kurkumatee und schon haben wir die erste Gemeinsamkeit gefunden. Sie erzählt mir, dass sie gerne umziehen möchte, da ständig über sie gelästert wird und ihr ein Unbekannter häufig vor die Haustür pinkelt. Die Menschen hier im Plattenbau tratschen hinter ihrem Rücken und erfinden böse Gerüchte über sie. Vanessa fühlt, dass ich sie gut verstehen kann und setzt sich ohne Abstand neben mich. Manchmal brauchen Menschen keine Worte um sich zu verstehen. Ihre Körpersprache sagt alles. Ich erkläre ihr, dass man mir ständig Werbung ins Postfach stopft, obwohl ich einen Aufkleber „Bitte keine Werbung“ habe.
Auf meinem Laptop sehen wir uns neue Wohnungen an und träumen gemeinsam von einem eigenen Haus. Wir wollen ein großes Haus haben mit Garten, Garage und Hund. Vanessa und ich füllen zusammen einen Lottoschein aus. Dann führen wir eine einmalige Diskussion, über die Möglichkeiten, die ein Lottogewinn eröffnet.
Als sich unsere Blicke treffen und es beinahe zu unserem ersten Kuss kommt, läutet es an der Tür.
Die Polizei ist wieder da. Ich muss zur Tür.
Beim Aufstehen fragt mich Vanessa, ob ich einen Kaffee haben will?
Ich antworte, ohne großartig darüber nachzudenken:
< Ja gerne Vanessa, einen Espresso mit Milchschaum und Zucker bitte. >
Ich rechne damit, dass entweder Ursula Probleme macht oder, dass die Polizei mir noch Fragen wegen Klaus stellt.
Mit einer schüchternen Stimme frage ich nach:
< Sie wollen mich sprechen, weil ich ihnen etwas über Klaus Sonntag berichten soll? >
Der Arm des Gesetzes erklärt mit einem ernsten Gesichtsausdruck und einer langsamen tiefen Stimme, was sein Begehren ist:
< Nein, diesen Fall haben wir schon erledigt. Der Grund warum ich hier bin, ist viel tragischer. Wir haben gerade die Leiche ihrer Nachbarin gefunden. >
Der Polizist nimmt seine Dienstmütze hinunter.
Freude kommt in mir auf. Das Leben kann manchmal doch gerecht sein. Heute gebe ich eine Runde für alle aus. Ich frage erwartungsfroh nach:
<Gehe ich richtig davon aus, dass Ursula Wendehorst dahin geschieden ist? >
< Nein ihre andere Nachbarin, die links von ihnen auf Tür 9 wohnt, ist verstorben. Frau Koller ist laut Amtsarzt schon seit zirka drei Jahren tot. Wir befragen die Bewohner, warum hier so lange Zeit niemand etwas davon bemerkt hat? >
Ich stehe wie angewurzelt da, wie bestellt und nicht abgeholt. Kein Wort bringe ich heraus. Ich habe ja nicht gewusst, dass links von mir auch jemand wohnt. Drei Jahre habe ich neben einer Toten gewohnt und nichts davon bemerkt. Der Polizist begreift meinen Schock. Er gibt mir seine Nummer und erklärt, dass kein Fremdverschulden vorliegt. Er sagt, ich müsse mir wegen einer Anzeige keine Sorgen machen. Nach einem zehnminütigen Gespräch schließe ich geschockt die Eingangstür.
Das Leben in der Großstadt kann grausam sein. Vanessa hat in der Küche nicht gehört was wir soeben beredet haben.
Zurück in meiner Wohnung fragt mich Vanessa:
< Was wollte denn die Polizei von dir? >
Ich stehe mit einem blassen Gesicht da und stottere gedämpft ein paar Worte:
< Ich habe drei Jahre neben einer Leiche gewohnt>.
Vanessa hält den Beutel Gras in der Hand und wedelt vor meinen Augen damit herum. Sie hat ihn in meiner Kaffeedose gefunden. Vanessa ist auch ganz fassungslos und wird kreidebleich im Gesicht. Sie dreht einen Joint und sagt mir, dass wir uns jetzt einrauchen. Es kommt zu unserem ersten Kuss. Unsere Zungen spielen wie zwei verliebte Schlangen miteinander. Vanessa zieht an den Joint an und bläst mir den Rauch in meine Lungen. Ich atme den Rauch tief durch ihren Mund ein. Wir schmusen, küssen und streicheln uns. Es ist schön verliebt zu sein. Dabei bleibt es auch. Vanessa diskutiert mit mir noch mindestens eine Stunde über die Tote von nebenan. Solche Geschichten muss man ständig in der Zeitung lesen, doch man denkt sich immer, so etwas passiert mir nicht. Mir ganz bestimmt nicht.
Ich frage Vanessa mit einem ironischen Unterton:
<Wie viele Tote haben wir noch in unserem Gemeindebau, von denen wir nichts wissen? >
Ich bin nachdenklich, müde und verwirrt.
Immer wenn ich denke, dass ich in diesem Irrenhaus schon alles erlebt habe, dann passiert etwas, dass alles andere in den Schatten stellt.