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|21|2. Text und Bild

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Für das Verstehen und die Interpretation von Bildern ist die Kenntnis der textlichen Quellen von großer Bedeutung. Dabei sind die Bilder allerdings oft mehr als Illustrationen dessen, was man den Texten entnehmen kann. Es hatte sich im Verlauf des Mittelalters mit den immer wiederholten Themen auch ein Kanon von Motiven etabliert, die als visuelle Formeln verwendet wurden. Aus versatzstückartig kombinierten Bildelementen ließen sich mit ihrer Hilfe immer wieder neue Bilder komponieren.

Zu den im Kontext der Frömmigkeits- und der Bildgeschichte am häufigsten zitierten Beispielen zählt ein auf festem Papier gedruckter und später kolorierter Holzschnitt (Abb. 1). Die im Zentrum stehende Figur eines bärtigen Mannes in antikisch anmutender Gewandung ist durch den gelb gefassten Heiligenschein, den Nimbus, als eine Figur der Heilsgeschichte ausgewiesen. Durch die gezeigte Handlung, aber auch durch charakteristische Beigaben wird die Figur eindeutig identifizierbar. Zu diesen Attributen zählt beispielsweise der Blätter treibende Stab, auf den der durch das Wasser |22|watende Heilige sich stützt. Das achtbändige Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI) liefert nicht nur eine präzise Definition dessen, was Attribute sind (LCI 1, 197–202), sondern vermittelt auch einen guten Überblick zu den Darstellungstraditionen christlicher Themen und Motive. Die ersten vier Bände sind der „allgemeinen Ikonographie“ gewidmet. Beginnend mit dem „A–O“ bis zur „Zypresse“. Die Bände fünf bis acht sind der „Ikonographie der Heiligen“ gewidmet, von „Aaron“ bis zu den „Zweiundvierzig Märtyrern von Amorium“. Dieser achte Band enthält zugleich ein Register der Attribute, dem man entnehmen kann, dass ein „Stab, Blätter treibend“ den hl. Christophorus auszeichnet. Diesem bis heute besonders verehrten Heiligen ist ein längerer Eintrag gewidmet (LCI 5, 495–508). Die Quellen zur legendarischen Vita dieses Heiligen sind dort genauso verzeichnet wie Beispiele für die unterschiedlichen Darstellungstypen und Attribute. Dort kann man dann unter anderem erfahren, dass sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts aus der bilderschriftlichen Ausdeutung des Namens „Christum fero“ („ich trage Christus mit mir“) das Bild des Christusträgers abgeleitet wurde, der zugleich die allgemeine Vorstellung des wahren Gläubigen verkörpert, der Christus in sich trägt. So wird auch das Christkind, das der Heilige auf der Schulter trägt, zum Attribut (LCI 8, 14) und der einzelne Fisch, der zu Füßen des Heiligen im Wasser gezeigt ist (LCI 8, 15). Der Fisch ist als christliches Symbol vielfältig deutbar (LCI 2, 35–39) und vermag genau wie der als Palme gestaltete Stab des Heiligen vielfältige Inhalte zu transportieren, die über die Illustration der in theologischen Schriften und der Legenda aurea geschilderten Ereignisse hinausweisen. Diese „Goldene Legende“ ist eine im 13. Jahrhundert von dem Dominikaner Jacobus de Voragine in lateinischer Sprache verfasste Sammlung von ursprünglich 182 Erzählungen zu den Festen des Kirchenjahres. Zu ihnen zählen nicht nur Ostern, das Weihnachtsfest, Pfingsten und die Sonntage, sondern auch die Gedenktage der Heiligen. Es gab im christlichen Europa eine Vielzahl von liturgischen Traditionen, die regional verschieden waren. Doch bestimmte Heiligenfeste wurden überall am gleichen Tag gefeiert. Das Datum wurde dabei in der Regel durch den Todestag des Heiligen bestimmt, der zugleich sein Geburtstag im Himmel war. Als Tag des hl. Christophorus galt der auch im Martyrologium Romanum überlieferte 25. Juli. Dieses erstmals 1584 veröffentlichte Verzeichnis aller Heiligen und Seligen der römisch-katholischen Kirche versammelt auch die Legenden, die sich um den furchtbaren Riesen Probus (oder Reprobus) ranken, der nach seiner Taufe zum Christophorus wurde. Teil dieser in der Legenda aurea (498–503) berichteten Ereignisse ist auch der auf dem Holzschnitt rechts am Ufer gezeigte Eremit, der den einst wilden Hünen bekehrt hatte, der dem mächtigsten Herrn dienen wollte und sich bereits dem Teufel verschrieben hatte, bis dieser vor einem Kruzifix erschrak.


Abb. 1: Buxheimer Christophorus, ca. 1450 Holzschnitt, 28,85 × 20,7 cm Manchester, Universitätsbibliothek, Ms. 366 (17249)

Kat. Washington/Nürnberg 2006, 153–156.

mehr als eine Textillustration

Ohne die Kenntnis der Heiligenlegende wäre der Holzschnitt schwer verständlich. Doch ist das Blatt fraglos mehr als eine bloße Textillustration. Auch muss man sich vor Augen halten, dass lange bevor die heilsgeschichtlichen Texte im Druck vervielfältigt wurden, massenhaft verbreitete Bilder |23|entstanden. Bevor der Christophorus-Holzschnitt wohl im Skriptorium des Klosters Buxheim auf den hinteren Innendeckel eines Buches geklebt wurde, hatte er vermutlich an einer Wand oder einem Möbelstück gehangen. Darauf deuten die vier kleinen Löcher in den Ecken des Blattes hin. Einen Hinweis auf die konkrete Funktion des Blattes vermittelt auch die am unteren Bildrand angebrachte Inschrift:

„Cristofori faciem die quacumque tueris + | Illa nempe die morte mala non morieris + Millesimo CCCC° XX° tercio“ („Wann immer du das Antlitz des Christophorus betrachtest, + wirst du fürwahr an diesem Tage keines schlimmen Todes sterben. + 1423“)

Das im Druckstock angegebene Datum verweist vermutlich auf ein heute vergessenes Ereignis und nicht auf die Entstehungszeit des Blattes, die allgemein um das Jahr 1450 angenommen wird. Doch selbst dieses spätere Datum liegt noch einige Jahre vor der ersten sicher datierten, im Druck vervielfältigten Buchausgabe. Die Textzeilen unter dem Holzschnitt geben zugleich einen Hinweis auf die Funktion des Bildes, das seine Betrachter vor einem „schlimmen Tod“ bewahren sollte. Damit war ein Sterben gemeint, ohne die letzten Sakramente erhalten zu haben. Ausweislich überlieferter Texte und Bilder war das für die Christen jener Tage eine der schlimmsten Ängste. Die dieser Furcht geschuldeten Bilder wurden aber für kritische Theologen schon lange vor der Reformation zum Anlass für Kritik. In seinem „Handbüchlein des christlichen Streiters“ hat Erasmus von Rotterdam, der große Kritiker seiner Zeit, 1503 jenen Götzendienst gegeißelt, der nicht mehr auf Christus gerichtet sei, sondern auf die Anbetung von Heiligenbildern. Und in seinem 1511 in lateinischer Sprache publizierten „Lob der Torheit“, das schon bald in Nachdrucken und Raubkopien in ganz Europa verbreitet war, stellte er den „Aberglauben des Bilderkultes“ und die sinnentleerte Heiligenverehrung satirisch bloß. Man solle die Heiligen nicht als Schutzpatrone verehren und ihre Bilder anbeten, sondern sich an ihren Taten für die eigene Lebensführung ein Vorbild nehmen.

Auch für derartige Betrachtungen konnte dieser Holzschnitt zum Anlass werden, der in den Bilddetails vieles mitteilt, das über den Legendentext hinausweist. So ist zum Beispiel der kleine Eremit mit einer Laterne gezeigt, die er dem Heiligen entgegen hält. Die in der Legenda aurea nicht erwähnte Lampe darf als sprechender Hinweis darauf gelesen werden, dass der Eremit durch seine Unterweisung dafür sorgte, dass Reprobus ein Licht aufging, er sich taufen ließ und zu Christophorus wurde. Mit seiner Laterne weist er sinnbildlich, sowohl innerlich als auch äußerlich den Weg.

Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie

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