Читать книгу Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie - Nils Büttner - Страница 6

|7|Vorwort

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Es gibt zahlreiche Einführungen in die Ikonographie. Zumeist beginnen sie mit dem Hinweis, dass diese kunstwissenschaftliche Methode sich der Inhaltsdeutung von Werken der Bildenden Kunst widme. Doch was ist überhaupt der Inhalt eines Kunstwerks und in welchem Verhältnis steht er zu dessen Materialität und Gestaltung? Diese zentrale Frage findet oft nur am Rande Beachtung. Auch wird oft nur wenig Aufmerksamkeit darauf verwendet, dass jede Form der Interpretation von Kunstwerken einen Medientransfer bedeutet. Was in einem Bild gezeigt, in einer Skulptur oder einem Bauwerk ausgedrückt wird, muss aus dem jeweiligen Medium der Kunst in das der Sprache übersetzt und dem Denken verfügbar gemacht werden. Die Konventionen, denen dieser Übersetzungsprozess folgt, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Auch die kunsthistorischen Methoden der Interpretation waren und sind historischen Wandlungen unterworfen. Die Deutung von Kunstwerken muss deshalb einerseits der Fachgeschichte Rechnung tragen, andererseits den historischen Vorstellungen über den angemessenen Umgang mit Kunstwerken, die zur Zeit der Entstehung der jeweils betrachteten Werke gültig waren. Diese Einführung in die Ikonographie erläutert deshalb die Methoden der Inhaltsdeutung ausschließlich an Werkbeispielen der frühen Neuzeit. Denn nach Ende des Mittelalters und vor Beginn der Moderne gab es etliche für diese Epoche spezifische Bildinhalte und – was noch wichtiger ist – eine verbindliche Art, mit Kunstwerken und ihrer inhaltlichen Dimension umzugehen. Im besonderen Maße galt das für Bilder.

Sowohl die Künstler der frühen Neuzeit als auch ihr Publikum gingen in der Regel davon aus, dass ein Bild stets „ein in sich sinnvolles Ganzes ist“ (Büttner 1994, 27), dass es als visuelle Botschaft verfertigt war und verstanden werden sollte. Zugleich erschien damals die Übersetzung eines Bildes in Sprache bei weitem nicht als das Problem, das die modernen Kultur- und Kunstwissenschaften darin entdecken. Wort und Bild wurden in der frühen Neuzeit gleichermaßen als einen Sachverhalt darstellende Begriffsfiguren verstanden (Warncke 1987, 17). Entsprechend den aus der Antike tradierten Vorstellungen ging man davon aus, dass es kein Denken ohne Anschauung geben könne und selbst abstrakte mathematische Lehrsätze ohne die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen nicht gedacht werden könnten. Nachhaltige Wirkung hatte vor allem die von Aristoteles in De memoria und De Anima verwandte Metapher des Gedächtnisses, das einem Gemälde entspreche. Sie führte zur Annahme einer prinzipiellen Gleichartigkeit von Vorstellungsbild und materiellem Bild. In einer Synthese aristotelischer und platonischer Auffassungen kursierte in der damaligen Rhetoriktheorie die Annahme einer Einheit von Idee und gestaltetem Gegenstand. Die mimetische |8|Gestaltung war nach dieser Auffassung nicht allein die Nachahmung der Natur als Kopie, sondern beinhaltet zugleich die Imitatio von deren Wesensbegriff. Was anfangs vor allem für die gestaltete Sprache galt, dass sie nämlich weniger das individuell Gestaltgewordene wiedergebe als vielmehr das ideale Seinsprinzip der Dinge, galt nun zunehmend auch für Bilder (Warncke 1987, 23).

ut pictura poesis

Der nach heutiger Vorstellung allein über Wörter vermittelte Erkenntniswert wurde damals auch Bildern zugestanden. Schlagwortartig kam die gleichgestimmte Erwartungshaltung in den immer wieder zitierten Worten aus Horaz’ Ars poetica zum Ausdruck: „ut pictura poesis“ („wie Malerei so die Poesie“). Der Sinngehalt hatte sich allerdings seit der Antike deutlich verschoben. Was ursprünglich eine an die Wortkünstler gerichtete Forderung war, sich einer bildreichen Sprache zu bedienen, wurde zum zentralen Argument für die Gleichstellung sprachlicher und bildlicher Kunstwerke und Künste. Die unter Rechtfertigungsdruck stehende Kunsttheorie proklamierte die grundsätzliche Gleichartigkeit von Sprache und Bild und etablierte im allgemeinen Verständnis das Bild als Form der Sprache. Im Rückgriff auf die aristotelische Auffassung einer Entfaltung allen Denkens auf der Basis von Anschauung wurde es sogar möglich, das Auge und den Sehsinn sowie die für das Sehen gestalteten Gegenstände der Kunst in ihrer Möglichkeit zur Erkenntnisvermittlung nicht allein als dem sprachlichen Kunstwerk gleichartig aufzufassen. Bilder sprachen zwar eine sozusagen stumme, aber dafür eine alle Sprachbarrieren überwindende, universelle Sprache. So erwartete man in der Regel von Bildern Beredtheit und ein Sprechen in sichtbaren Worten. Das von Plutarch in seiner Schrift Über den Ruhm der Athener (346 F) überlieferte Diktum des Simonides, der Malerei stumme Dichtung und Dichtung sprechende Malerei nennt, wurde auf das Bild selbst übertragen, obwohl mit „pictura loquens“ ursprünglich das „sprechende Bild“ als eine Redefigur gemeint war (Sprigath 2004). Unter Verweis auf die prinzipiell gleiche Aufgabe der Naturnachahmung und das allen Künsten gleichermaßen zugrunde gelegte Regelgerüst der Rhetorik proklamierte die zeitgenössische Kunst- und Dramentheorie die Vergleichbarkeit von Wort-, Bild- und Tonkunst.

Auch bei der an das Medium Bild herangetragenen Erwartung orientierte man sich allgemein an der Rhetorik, der zufolge eine gute Rede erfreuen, belehren und bewegen sollte, um die Hörer möglichst wirksam zu überzeugen und zu seiner sittlichen, moralischen und religiösen Besserung beizutragen. Dabei wurden selbstverständlich nicht alle Aspekte in allen Bildern in gleicher Gewichtung akzentuiert, doch ist mit dieser an der Rhetorik orientierten Erwartungshaltung zumindest ein zeitgenössischer Rahmen skizziert, innerhalb dessen sich das Reden über Bilder vollzog.

Emblembücher, die auf dem engen Zusammenspiel von Wort und Bild basieren, sind gleichsam ein Kennzeichen dieses Bildverständnisses und der Epoche seiner Gültigkeit (Heinen 2009, 208). Sie geben zugleich einen Hinweis auf den damals gepflegten Bildumgang und die ihm zugrunde liegende Denkweise. In Emblemata wird nämlich im Zusammenspiel von Text und |9|Bild nur ein Definitionsrahmen für den gemeinten Sachverhalt abgesteckt. Die Aufdeckung der Bezüge zwischen Text und Bild sowie die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen konnten dem Betrachter überlassen bleiben. Die intellektuelle Eigenleistung des Betrachters war im Rahmen der frühneuzeitlichen Auffassung Bestandteil der bildlichen Mitteilung. Dem Publikum kam gegenüber dem grundsätzlich als vieldeutig angenommenem Werk eine bedeutungsschaffende Funktion zu (vgl. S. 83). Dabei konnten die Produktion und Rezeption von Bildern sehr hohe Anforderungen an Intellekt und Kommunikationsfähigkeit der Künstler wie des Publikums stellen. Der konstitutive und teils beinahe spielerische Eigenanteil der frühneuzeitlichen Betrachter an der Sinnproduktion der Bilder beförderte die Entwicklung einer spezifisch europäischen Kultur des diskursiven Bildverstehens (Heinen 2009).

Das hier vorliegende Buch ist als knappe Einführung in frühneuzeitliche Bild- und Bildungswelten angelegt. Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Bildumgangs und der historischen Medienverständnisse soll es in den Kanon jener Stoffe einführen, die in der frühen Neuzeit besonders häufig umgesetzt wurden und exemplarisch mit zentralen Themen vertraut machen. Die behandelten Werke sind dabei zugleich so ausgewählt, dass sie einen möglichst repräsentativen Querschnitt durch Medien und Gattungen der Bildenden Kunst vermitteln. Die Auswahl dient dabei gleichermaßen dazu, bedeutende Bauten und Skulpturen, Bilder und Bildtraditionen vorzustellen, wie dem Hinweis auf literarische Quellen. Damit sind einerseits die immer wieder gelesenen und zitierten klassischen Texte gemeint, andererseits aber auch jene Bücher und Kompendien, die Rückschlüsse auf den zeitgenössischen Bildumgang zulassen oder die zur Erschließung von Themen und Motiven nützlich sind. Den Ausgangspunkt bilden dabei stets einzelne Werke. Deren Analyse soll über den jeweiligen Einzelfall hinaus das Bewusstsein dafür schärfen, welche Deutungsangebote Bilder und Bauten dem zeitgenössischen Betrachter offerierten und wie das damalige Publikum mit ihnen umging. Auf eine Trennung zwischen religiöser und profaner Ikonographie ist bewusst verzichtet, da beide Bereiche einander in der Vormoderne durchdrangen. Als exemplarische Einführung versammelt der Band insgesamt vierzig knapp gehaltene Fallbeispiele, wobei selbstverständlich vieles nur angedeutet und nicht erschöpfend behandelt werden kann. Deshalb wollen die Hinweise auf weiterführende Literatur und die Bibliographie im Anhang zum vertiefenden Selbststudium einladen. Dabei wird gleichermaßen auf aktuelle Forschungsliteratur verwiesen, wie auf den Kanon von literarischen Werken und jene Handbücher, die schon in der frühen Neuzeit zur Verfügung standen und genutzt wurden.

Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie

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