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|11|I. Einführung 1. Ikonographie

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Der Begriff Ikonographie bezeichnet seit dem 19. Jahrhundert die Bestimmung und Interpretation der Themen und Inhalte von Kunstwerken. Der aus den beiden griechischen Wörtern εί κών („Bild“) und γρά φειν („schreiben“) zusammengesetzte Begriff entstammt eigentlich der Porträtkunde. Ganz der etymologischen Bedeutung gemäß, wurden seit der Renaissance die Verzeichnung von antiken Bildnissen und die Dokumentation der Taten der Dargestellten so genannt, aber auch Sammlungen von Porträts. So wurde beispielsweise eine zwischen etwa 1626 und 1635 entstandene Serie von Bildnisstichen nach Antoon Van Dyck seit dem 18. Jahrhundert als Iconographia bezeichnet (s.S. 103).

Begriffsgeschichte

Mit dem Aufkommen der modernen Kunstwissenschaft wurde der Begriff zunehmend verwandt, um die Lehre von den Inhalten christlicher Bilder zu bezeichnen. Spätestens als 1898 die „Internationale Gesellschaft für ikonographische Studien“ gegründet worden war, um „die Darstellungsgegenstände und Vorstellungsinhalte“ von Kunstwerken zu erforschen, hatte sich mit dem Begriff auch ein neues Forschungsfeld etabliert. Zu seinen Wegbereitern zählte Émile Mâle, dessen Dissertation über die kirchliche Kunst in Frankreich (L’Art religieux du XIIIe siècle en France) 1906 auch in deutscher Übersetzung erschien. Mâle interpretierte in dieser Studie über die Ikonographie des Mittelalters und ihre Quellen die Kunst der Kathedralen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen intellektuellen und literarischen Kultur als didaktische Bilder-Enzyklopädie.

In Deutschland bemühte sich Aby Warburg, angeregt durch die Philosophie Ernst Cassirers, über die formale Kunstbetrachtung und die stilistisch argumentierende Epochenzuweisung hinaus zu gelangen. In einem berühmten Vortrag über das Bildprogramm der Fresken des Palazzo Schifanoia, den er 1912 auf dem Kunsthistorikerkongress in Rom gehalten hatte, forderte er eine Erweiterung der methodischen Grenzen des Faches Kunstgeschichte. Statt starrer Entwicklungskategorien forderte er einen „weltgeschichtlichen Rundblick“, der es ermögliche, Kunstwerke als Bedeutungsträger in einem weiteren historischen und ideengeschichtlichen Kontext zu interpretieren. Der später gedruckte Vortrag ist ein kulturhistorischer Schlüsseltext, der zum Gründungsdokument einer neuen kulturwissenschaftlichen Methode wurde.

von Warburg zu Panofsky

Erwin Panofsky hat Warburgs Verfahren der minutiösen Interpretation der Schriftquellen und der Kontexte systematisiert und durch die lehrbuchhafte Aufbereitung in eine dreistufige Interpretation überführt, die als methodologisches Paradigma bis heute fortwirkt. In Anlehnung an ein Schema der |12|„Weltanschauungsinterpretation“, das er von dem österreichischen Soziologen Karl Mannheim übernommen hatte, war in drei Schritten ein immer tieferes Eindringen in das Kunstwerk vorgesehen. In einer „vor-ikonographischen Beschreibung“ sollte sich der Interpret dessen versichern, was er „sieht“. Darauf sollte die „ikonographische Analyse“ folgen, die das „sekundäre oder konventionelle Sujet“ in den Blick nimmt, „das die Welt von Bildern, Anekdoten und Allegorien bildet“. Dahinter liegt die in der dritten Stufe, der „ikonologischen Analyse“, zu ermittelnde „eigentliche Bedeutung oder Gehalt“.

Wie problematisch jeder Versuch ist, sich in sorgsamer Einhaltung der drei Schritte der „eigentlichen Bedeutung“ eines historischen Kunstwerks zu nähern, erweist schon die Lektüre von Panofskys Ikonographie und Ikonologie. Der erstmals 1939 publizierte Text erschien 1955 in einer zweiten, leicht modifizierten Fassung. Um den Unterschied von Form und Bedeutung zu illustrieren, griff Panofsky auf ein Bild aus dem Alltagsleben seiner Zeit zurück. Er beschrieb die Begegnung mit einem Bekannten, der ihn auf der Straße durch Hutziehen grüßt. Diese Handlung lasse sich, so Panofsky, formal beschreiben, lasse aber gegebenenfalls auch Rückschlüsse auf die Stimmung des Grüßenden zu, die er als „ausdruckshaft“ bezeichnete. Die bloße formale Beschreibung des Vorgangs nannte er „tatsachenhaft“ und dessen „ausdruckshafte“ Dimension schied er von der Erkenntnis, dass das Hutziehen für ein Grüßen stehe. „Diese Form des Grüßens ist der abendländischen Welt eigentümlich und ein Überrest des mittelalterlichen Rittertums: Bewaffnete pflegen die Helme abzunehmen, um ihre friedlichen Absichten und ihr Vertrauen in die friedlichen Absichten anderer kundzutun. Weder von einem australischen Buschmann noch von einem alten Griechen könnte man die Erkenntnis erwarten, daß das Ziehen des Hutes nicht nur ein praktisches Ereignis mit gewissen ausdruckshaften Nebenbedeutungen ist, sondern auch ein Zeichen der Höflichkeit. Um das Tun des Herrn in dieser Bedeutung zu verstehen, muß ich nicht nur mit der praktischen Welt von Gegenständen und Ereignissen vertraut sein, sondern auch mit der mehr als bloß praktischen Welt von Bräuchen und kulturellen Traditionen, die einer bestimmten Zivilisation eigentümlich sind“ (Panofsky 1978, 36).

Die Zeiten, da Männer Hüte trugen und diese zur Begrüßung zogen, sind vorbei. Das vermeintlich Selbstverständliche und Alltägliche ist einem Prozess der kulturellen Wandlungen unterworfen. So ist das Hutziehen ein heute praktisch nicht mehr vorkommendes Ereignis und die zu Panofskys Zeiten noch selbstverständliche „ausdruckshafte Nebenbedeutung“ dieser Geste wird zunehmend erklärungsbedürftig.

In den Kulturwissenschaften gibt es heute einen weitgehenden Konsens, dass kulturelle Muster, subjektive Erfahrungen und Emotionen die menschliche Wahrnehmung prägen und strukturieren. Die unreflektierte Anwendung von Panofskys methodischem Dreischritt birgt deshalb die Gefahr in sich, historische Kunstwerke schon durch die vermeintlich unbefangene Beschreibung zur Projektionsfläche für subjektive Stereotypen der Gegenwart zu degradieren. |13|Das ändert nichts an der Tatsache, dass Panofskys Einführung bis heute weit über die Grenzen des Faches Kunstgeschichte hinaus die Vorstellung von dem prägt, was eine kunsthistorische Bildanalyse ausmacht. Daran hat auch die begründete Kritik an dieser zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten Methode nichts geändert, die in der Würdigung seiner Verdienste Panofsky im Kontext der Fachgeschichte verortet hat. Man hat der Ikonographie vorgeworfen, sie sei nicht nur ausgesprochen subjektiv, sondern auch allzu literarisch und logozentrisch orientiert. Zudem ignoriere der ikonographische Ansatz die soziale Dimension und stehe dem gesellschaftlichen Kontext genauso indifferent gegenüber wie der Geschichtlichkeit. Tatsächlich zielte Panofskys Methode darauf ab, „die“ Bedeutung eines Bildes zu suchen, ohne danach zu fragen: „Bedeutung für wen?“

Bedeutung für wen?

Da der Begriff Ikonographie indifferent ist, hat Jan Białostocki 1973 vorgeschlagen, zwischen einer „beabsichtigten“ und einer „interpretierenden Ikonographie“ zu unterscheiden, wobei erstere die „Haltung des Künstlers, des Auftraggebers oder des zeitgenössischen Betrachters im Hinblick auf die Funktion und Bedeutung von visuellen Symbolen und Bildern“ bezeichne, während letztere die „historisch ausgerichtete Kunstforschung“ benenne, die Inhalte identifiziert und interpretiert. Wenn hier eine exemplarische Einführung in die Ikonographie der frühen Neuzeit versucht wird, dann zielt diese vor allem auf jenen Bereich, den Białostocki als „beabsichtigte Ikonographie“ bezeichnete. Schon ein Jahr zuvor hatte sich Ernst H. Gombrich in seinem hier nachdrücklich zur Lektüre empfohlenen Aufsatz Ziele und Grenzen der Ikonologie dafür eingesetzt, zwischen dem „beabsichtigten Sinn“ und weiteren „Bedeutungsschichten“ zu unterscheiden. Die in jedem Falle schrittweise zu vollziehende Interpretation habe nach dem intendierten Sinn zu fragen und das „Genre“ zu bestimmen, etwa „ob das vorliegende Kunstwerk als eine ernste Tragödie oder als Parodie gedacht ist“ (Gombrich 1972, 14f.). Genauso wichtig war ihm die möglichst präzise Bestimmung des historischen Ortes und Kontextes, dem ein Werk zugehört: „Ikonologie hat mit der Untersuchung der Institution anzufangen, ehe sie sich den Symbolen zuwendet“ (ebd. 35).

Es soll im Folgenden nicht darum gehen, sämtliche Stoffe zu erklären, die in Bildern dargestellt sind oder umfassend Figuren und Bilderzählungen auf religiösen und profanen Bildern der frühen Neuzeit zu identifizieren. Das Spektrum der Stoffe, Themen und Motive ist zwar nicht vollends unüberschaubar (Pigler 1974), für den Rahmen einer knappen Einführung aber zu groß. Zudem hängen Bedeutung und Deutung von Motiven und Bildern stets auch von den Orten und Zusammenhängen ab, für die Bau- und Bildwerke geschaffen und in denen sie wahrgenommen wurden. Panofsky definierte seinerzeit die Ikonographie noch als den „Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit dem Sujet (Bildgegenstand) oder der Bedeutung von Kunstwerken im Gegensatz zu ihrer Form beschäftigt“ (Panofsky 1978, 36). Doch der von Panofsky vor dem Hintergrund der Diskurse seiner Zeit behauptete Gegensatz zwischen Form und Inhalt kann heute keine Allgemeingültigkeit mehr |14|beanspruchen. Wer sich um die Inhaltsdeutung von Werken der Kunst bemüht, muss auch ihre Form berücksichtigen, der als ihrem medienspezifischen Inhalt Bedeutung zukommt (Warncke 1987; Puttfarken 2000). Wie auch ein sprachlicher Inhalt nicht allein durch die Wörter, sondern auch durch die Form der Darbietung und ihren Ort bestimmt wird, kommt auch bei Bild- und Bauwerken dem Ort und der gewählten Form inhaltliche Bedeutung zu.

Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie

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