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Early one morning

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Metall gegen Metall. Mit einem harten Schrappen entsichere ich die Kalaschnikow. Dann stürme ich los über den fleckigen Filzbelag. Vor der Teeküche mache ich kurz halt, grüße wie jeden Morgen freundlich Frau Finkenbügel, die den Kaffee aufgießt. Sie merkt nichts. Zwei Türen weiter, der Konferenzraum. Ich trete ein und lege an, mein Werkzeug zielsicher auf die Chefseite des Tisches gerichtet. Ohne mit der Wimper zu zucken eröffne ich das Sperrfeuer. Die Patronen peitschen schnurgerade durch die Luft, Leiber werden zerfetzt, Blutfontänen spritzen hoch, wobei ich sorgfältig darauf achte, daß meine Kollegen keinen Tropfen abbekommen. Nach einer Minute herrscht Totenstille. Auf der Angestelltenseite des Tisches beginnt einer mit zaghaftem Klatschen, Beifall brandet auf, der schließlich in tosenden Applaus übergeht. Ich verbeuge mich bescheiden. Im Hintergrund ist ein schrilles Klingeln zu hören.

Scheißwecker. Aus der Traum. Langsam, ganz langsam wurde mir klar, was das zu bedeuten hatte: aufstehen und wie jeden Morgen ins Büro dieser Baustoffirma, von der ich mir noch nicht mal den Namen merken konnte. Auch nach vier Wochen nicht. Keine Chance. Frau Finkenbügel war sicher schon dabei, den ersten Kaffee aufzugießen.

Mißmutig tappte ich ins Badezimmer und griff zur Zahnbürste. Mein Mund schmeckte nach Kneipe, die Zahnreihen nach Theke, an der sich noch einige verzweifelte Tequila-Typen rumdrückten. Ich putzte sie energisch zur Seite, verwirbelte sie mit mächtigem Gurgeln und spie sie in den Strudel, der im Abfluß kreiselte. Dabei hing ich noch eine Weile meinem Halbschlaftraum mit dem Maschinengewehr nach und versuchte, ihn in einen Tagtraum zu verwandeln.

Das mit der Kalaschnikow im Büro war natürlich vollständiger Unsinn. Man würde mich auf der Stelle verhaften. Applaus hin, Applaus her, das war der spontane Massenmord an ein paar Schlammaalen nicht wert. Ich betrachte die Zahnpastaspritzer auf dem Badezimmerspiegel. Verfügte Lämmlein vielleicht über ein nicht nachweisbares Gift, das ich den Chefs – lauter abnormale Lümmel mit Kasernenhofstimme – in ihre Kaffeebecher praktizieren könnte? Aber wie? Vielleicht direkt ins Kaffeepulver? Die Vorstandsriege wurde immerhin aus einer Extradose bedient. Premium-qualität.

Nein, nein, erklärte ich meinem entnervten Spiegelbild, auf diese Weise könnte der Tod einen Unbeteiligten treffen, einen Besucher oder eine diebische Sekretärin etwa. Und was Morde angeht, da habe ich eine strenge Moral. Unverdientermaßen soll selbst in meiner Phantasie niemand zu Tode kommen. Zur Strafe für die dumme Idee ließ ich das kalte Wasser lange laufen und spritzte es mir erst ins Gesicht, als es beträchtliche Minusgrade hatte.

Und dann war ich endlich klar, die Killerträume verflogen. Aus dem Spiegel musterte mich eine bemerkenswert hellwache, blonde junge Frau mit grünspanfarbenen Augen. Dynamisch, frisch, aber unverkennbar auf Krawall gebürstet. Ärgerlich zupfte ich mir ein paar widerspenstige Locken über die freiliegenden, ärgerlich erröteten Ohren.

Kein Zweifel, der Tag war da. Wieder einmal. Heute würde ich den Kollegen Chefs aber mal gehörig die Schuhe aufblasen. Ich hatte ihre herablassende Art, mit der sie Sekretärinnen und junge Praktikantinnen wie mich durch willkürliches Heranschleichen und müßige Kontrollfragen zu erschrecken versuchten, gründlich satt. »Frau Keroviak«, gellte es von fern in meinen Ohren, »was macht der Bogler-Auftrag?« Der Bogler-Auftrag lag selbstverständlich längst im Postausgang oder verschimmelte auf dem Schreibtisch einer langjährigen männlichen Fachkraft. Aber es war meine Rolle als weibliche Praktikantin, die willkürlichen Befehlslaunen meiner Chefs abzufangen, und zwar ohne sie zu retournieren.

Diese planvolle Entmündigung ging mir entschieden auf den Zeiger. Die Chefs verstanden das natürlich als notwendigen Schliff von Nachwuchskräften, als den Tritt ins Erwachsenenleben schlechthin sozusagen. Und Erwachsensein bedeutete für sie Frust und noch mal Frust, und daß ich so gar nichts Frustriertes an mir hatte, frustrierte sie doppelt.

Nicht, daß ich etwas dagegen hätte, erwachsen zu werden, nur scheint es mir in Zeiten wie diesen reichlich nutzlos. Wenn erwachsen sein frustriert sein bedeutet, dann muß ich doch feststellen, daß schon genug Frustrierte auf allen möglichen Jobsesseln der BRD pattexfest kleben, bei jeder Tarifrunde nach noch mehr Lohn für noch weniger Arbeit jaulen und dabei meine Zukunft als ihre Rentenbeschafferin rabenschwarz ausmalen. Würg. Halt, ich werde hier politisch, und Politik geht der Jugend ja heute angeblich am Arsch vorbei. Aber egal, das ist ein anderes Thema.

»JERONIMO«, rief ich nach Art eines Kamikazefliegers meinem Spiegelbild zu und stapfte entschlossen die knarzenden Stiegen herab, wobei sich mein Fuß in der Telefonschnur verfing, und ich nur um Haaresbreite einem völligen Absturz entging.

In der Küche verbrannte Lämmlein in einer Teflonpfanne ein paar äußerst appetitliche Karzinogene: Schinkenspeck mit Spiegelei. Auf der Geschirrablage qualmte sein üblicher Morgen-Joint, der mich auf der Stelle benebelte.

»Morgen, Stella. Siehst aus wie Bonnie von Clyde. Geladen.«

»Mmpf«, stieß ich hervor und betrachtete ihn mit dem seichten, leicht schiefen Blick einer unfreiwillig Wachen.

»Gibt’s ’n?« fragte Lämmlein.

»Muß meinen Job loswerden.«

Mit diesem Satz entflammte ich unseren WG-Revolutionär. Suchend blickte er sich in der Küche um. So als fehle ihm ein kleines Holzpodest, auf dem er in angemessener Form Stellung beziehen konnte. In Ermangelung eines solchen Gegenstandes räusperte er sich, warf sich in Lenin-Positur, geballte Faust voran, und weckte mich mit einem Vortrag über den »globalen Schweinekapitalismus« und die »Ausbeutung der ahnungslosen Massen« auf. Ich ließ ihn gewähren, da er zwischendurch Zeit fand, mir den Teller mit brutzelnden Schweinereien zu füllen. Wahrscheinlich um die werktätige Bevölkerung bei Kräften zu halten. Am Ende meines zweiten Spiegeleis angelangt, unterbrach ich ihn.

»Voll klar, Lämmlein, aber wie flieg ich elegant raus, ohne meine Mutter zu verärgern? Sie hängt an dem Job. Ich meine, die Firma ist einer ihrer wichtigsten Zulieferer, auch in Sachen Prozenten. Da kann ich nicht einfach die Platte putzen.«

Das war allerdings eine etwas zu gewagte Vorlage. Das Wort Mutter war für Lämmlein eine Art Reizwort.

»Du bist verstrickt in die negative Dialektik der Ausbeuter. Woher denn die Prozente? Überleg mal, wer diese Prozente letztlich erwirtschaftet. Und wem sie zu ...«

»Na, ich nehme doch an, ich erwirtschafte die Prozente«, unterbrach ich ihn. »Mit meiner Arbeitskraft!«

Lämmlein schwang seinen fettspritzenden Küchenfreund mit der Verve eines frühen Boris Becker. »Exakt. Du bist es, der den eigentlichen Mehrwert produziert, weshalb der sozialistische Gedanke der Genossenschaft und des volkseigenen Be... «

»Scheiße, kann man hier keinen Morgen länger als bis neun Uhr schlafen? Die Weltrevolution muß doch nicht von Frühaufstehern gemacht werden. War ’ne Scheißrevolution.« Shahi schlurfte in die Küche und ließ sich mit rebellischer Stirnfalte zwischen den Mandelaugen auf einen orangefarbenen Plastikhocker fallen, den ich aus der Uni-Mensa hatte mitgehen lassen – als Anerkennung für meine langjährigen Studien. Sie war von Kopf bis Fuß in einen maisgelben, goldbestickten Seidensari gewickelt. Spätes 18. Jahrhundert tippte ich, eine erlesene Köstlichkeit jedenfalls. Dazu trug sie neongrüne Sandalen mit einer Plateausohle bis fast unter die Decke.

Lämmlein wirbelte zu ihr herum, ein erbostes Zucken um die Mundwinkel. Shahi gähnte – etwa so gelangweilt wie ein indischer Königstiger in stiller Betrachtung einer Heuschrecke. Und dann schien sich in Lämmlein eine Verwandlung zu vollziehen, die sich in einem seltsamen Schnurren äußerte. Nein, natürlich schnurrte er nicht, aber ich hatte schon oft beobachtet, daß eine kleine Geste des Mißmuts von Seiten Shahis ihn völlig vom neorevolutionären Weg abbringen konnte. Zwischen den beiden herrschte eine seltsame Chemie, die jedoch nie zu einer finalen Reaktion zu führen schien.

»Wülste Speck und ’n Spiegelei?« muffte Lämmlein unsere Prinzessin, wie er sie heimlich nannte, an.

»Bäh. Du weißt doch, daß ich keine toten Tiere esse.« Dabei sah sie aus wie eine beutewitternde Bestie.

»Müsli?«

»Bin ich ein Körnerfresser? Mach mir einfach einen netten, kleinen Pfannkuchen.« Shahi setzte eine geschickte kleine Pause, um dann ihrerseits ein zärtliches »Ich liebe deine Pfannkuchen« zu schnurren. Das saß. Lämmlein vergaß mit einem Schlag die versklavten, werktätigen Massen und stürzte sich in die Arbeit. Dignity, sein Totenschädel, saß auf der Spüle und grinste sich eins.

»Meine Eltern sind von ihrem Besuch in Indien zurück«, seufzte Shahi. »Voll ätzend. Bin ganz Curry.«

»Wieso?« fragte ich, dankbar für die Ablenkung von meiner Rolle als werktätiger Sklave.

»Weil die wieder irgendeine Nichtentochter meiner Schwiegertante kennengelernt haben, die fünf Examen in Tempelbau und Elefantenkunde bestanden und nebenher von ihren Eltern mit einem billiardenschweren indischen Softwareingenieur verkuppelt worden ist. Arrangierte Ehe, voll traditionell. Bin ich froh, daß ich nicht mit war.«

»Logo. Und was ist das Problem?«

»Na, was wohl. Jetzt wollen meine Eltern mich nach dem Vorbild dieser Traditions-Trulla klonen, damit ich in den gleichen Diskettenschacht ihrer Weltordnung passe. Und außerdem hat meine Mutter heute früh schon zum drittenmal angerufen und mit ihrem baldigen Ableben gedroht, falls ich nicht Medizin oder Informatik studiere und einen entsprechenden Schwiegersohn anschleppe. Muß mal wieder meine Ghandi-Phase raushängen lassen, nix essen und große Reden für den Weltfrieden schwingen, damit sie mich für voll hoffnungslos halten und froh sind, daß ich nicht mit ’nem Handtuch um die Hüften durch die Schildergasse tingel.«

Ja, ja, unsere Shahi. Lämmlein schnaubte und servierte Pfannkuchen. Ich nutzte die Unterbrechung und schaute auf die Uhr. Himmel, es war tatsächlich bereits neun Uhr, sogar zehn Minuten nach. Ich würde todsicher zu spät kommen.

Entkräftet sank ich in meinem Stuhl zusammen. Shahi angelte nach der Teekanne und goß sich einen Becher voll. Die Mandelaugen über dem Becherrand und umkräuselt von heißen Teenebeln sah sie aus wie eine Hohepriesterin mit seherischen Gaben.

»Stella, was ist? Im Traum Krokodile geküßt?«

»So ähnlich, ich muß meinen Job loswerden. Mal wieder.«

Shahi grinste hypnotisch wie die Schlange Ka im Dschungelbuch. »Und jetzt brauchst du von der lieben, weisen alten Shahi einen entsprechenden Schlachtplan.«

Lieb? Weise? Alt? Shahi wirkte mit ihren sechsundzwanzig Jahren ungefähr so alt wie Blümchen, so weise wie Bart Simpson und so lieb wie die Brüder von Oasis. Ich rückte ein wenig zur Seite. Shahis Ratschläge waren naturgemäß mit Vorsicht zu genießen. Was sie nicht davon abhielt, sie zu erteilen.

»Mach was falsch. Richtig falsch, grandios falsch. Es muß ein großer, stilvoller Abgang werden. Mit Musik und Leuchtreklame. Verstehst du?« sagte sie genießerisch und nippte am Tee. Lämmlein seufzte und tupfte Dignity etwas Pfannkuchenteig vom Schädel.

»Falsch?« fragte ich nachdenklich. »Nee. Bringt nix. Dummheit ist kein Kündigungsgrund«, zitierte ich meine leidgeprüfte Mutter, die auf diversen Baustellen ein paar Experten beschäftigte, die sich meisterhaft dumm stellen konnten. Was sich dann ungefähr so anhörte:

»Wie, die Tür jehört da nit hin, Chefin?«

»Schauen Sie doch mal in die Bauskizze, verflucht noch mal.« Kopfkratzen beim Türexperten.

»Aber die ist doch jenau da, wo se sein soll, Chefin.« Schwarzer Daumennagel tippt vorwurfsvoll auf die Skizze.

»Aber doch nur, wenn Sie die Skizze falsch herum halten, Sie Riesenhornochse.«

»Falsch ’eröm? Ach! Na, dat muß einem doch jesacht werden, Chefin. Also ährlich. Han ich dat Zeichnen jeliert oder dä Architekt?«

Soviel zum ausgefuchsten Dummstellen. Kölner haben darin ein TÜV-Siegel verdient.

Shahi ließ nicht locker. »Hast schon recht, mit dem Kündigungsgrund, aber das gilt nur für Leute, die jahrelang dabei sind und im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung eine gehörige Abfindung kassieren könnten. Du bist bloß eine blöde Praktikantin und das auch erst seit vier Wochen. Mach was falsch, und du bist morgen wieder frei.«

Blöde Praktikantin. Ich krauste die Stirn, um über Dummheiten nachzudenken, was furchtbar schwer ist, wenn man es sich vornimmt. Lämmlein servierte Pfannkuchen, Shahi dankte hoheitsvoll mit knappem Kopfnicken. Dann wandte sie sich mir wieder zu.

»Na komm schon, Stella Segelohr, so schwer kann das doch nicht sein. Schon gar nicht für dich. Denk doch an die Sache mit der Siebdruckerei. Das war voll Brett. Entscheidende Fehler und Unfälle sind doch dein Spezialgebiet.«

Shahi grinste in den Becher, und ich hätte ihr am liebsten eine geknallt. In diesem Punkt und bezüglich meiner Ohren war ich damals ziemlich leicht verwundbar. Und das aus gutem Grund.

Die Sache mit der Siebdruckerei lag nämlich so: Ich hatte einen Auftrag für 10 000 Feuerzeuge voll versiebt, indem ich den hingekrakelten Auftrag und die Skizze für den Werbeaufdruck nicht ganz eindeutig entziffern konnte. Statt 10 000mal »Firma Ose & Brauch – Keramik vom Feinsten« auf die Plastikhüllen zu drucken, schnitt ich eine Schablone mit dem Schriftzug »Famose Bruchkeramik – voll Staub« und verwendete sie großzügig für 100 000 Feuerzeuge.

Zugegeben, mir war die Bedeutung dieses Schriftzugs von Anfang an schleierhaft, aber das ging mir in dieser Druckerei oft so. Oder wissen Sie auf Anhieb, was der Werbespruch »Rute gut – alles gut« uns sagen will? Das kommt dabei raus, wenn der Chef eines Zwei-Mann-Unternehmens die Werbung mal eben selbst in die Hand nimmt. Kennt man schließlich, von so genialen Sprachvergewaltigungen wie: »Wenn’s schmutzig tropft und unfein gluckert, rufen Sie nur Klempner Ruckert – seit 100 Jahren Profi in verstopften Rohren.«

Schwamm drüber. Die 100 000 Bruchfeuerzeuge kosteten mich damals meinen Job. Kleiner Betriebsunfall eben.

Nur, so was kann man sich nicht absichtlich ausdenken. Ich jedenfalls nicht, außer ich stehe unter Drogen, und das sagte ich Shahi ausdrücklich.

Marusha unterbrach unseren morgendlichen Zwist mit mehreren hundert Dezibel und einem Stammestanz in die Küche. Es gehört zu ihren Ritualen, sich morgens wach zu tanzen mit wild zuckendem Bauchnabel, denn was ein echter Beat ist, der schlägt erst mal auf den Magen, durchhackt einen bis in die Fersen und elektrifiziert die Haarspitzen.

»Was is los, Stella?« brüllte sie vorwurfsvoll, so als sei ich die Quelle des Lärms. »Keine Arbeit heute morgen?«

Seltsamerweise war es Marusha, die auf Pünktlichkeit bei der Arbeit am meisten Wert legte, und ein Blick auf die Uhr – 9 Uhr 25 – gab mir den Rest. Shahi killte den Dschungelsound mit einem Schlag auf die Stoptaste des Ghettoblasters, raste zum Telefon und orderte ein Taxi.

»Bist du voll gaga?« brüllte ich. »Das kann ich mir doch nicht leisten.«

»Aber ich«, blaffte sie zurück und nestelte in ihrem goldenen Gucci-Rucksack nach Flocken. Energisch patschte sie mir einen Hunni in die Hand und schob mich, ganz die indische Mutter markierend, vor die Haustür. Mit Nachdruck knallte sie sie zu und rief mir noch durchs Holz hinterher: »Und wehe, du kommst heute abend nach Hause und hast immer noch diesen Scheißjob an der Backe, klar?«

Die Möglichkeit zu einer würdevollen Antwort wurde mir durch Trommelgedröhn abgeschnitten, meine WG feierte eine Frühstückssause, und ich graugesichtiger Wurm hatte die ehrenvolle Aufgabe, erneut meine Karriere in den Sand zu setzen.

Zwei Tage später war ich den Job dann tatsächlich los. Und das, wie ich noch immer meine, ohne mein Zutun. Das heißt, getan hatte ich schon was. Im besten Glauben. Die Firma Selbiger Bau aus Neuwied hatte per Fax bei mir persönlich und ausdrücklich und sofort fünfhundert Partien Kantenbruchschrauben bestellt, was einer Stückzahl von einer Viertelmillion entspricht. Solche Partien machen einem mächtig Arbeit, zumal Firma Selbiger auch noch vermessingte Exemplare haben wollte. Den ganzen Tag hing ich an drei verschiedenen Telefonen, um die Schrauben lockerzumachen. Auf diese Weise erarbeitete ich mir bei sämtlichen nieder- und mittelrheinischen Schraubenlieferanten eine Menge Verehrer und Freunde. Ein Auftrag wie dieser ist nicht von Pappe.

Aber von Blech. Am nächsten Morgen tänzelte ich beschwingt aus dem Aufzug im vierten Stock meiner Firma – jawoll meiner, denn nach so viel erfolgreicher Arbeit fühlte ich deutlich so was wie corporate identity, zu Deutsch: Firmenzugehörigkeit. In der Teeküche begrüßte ich sogar tatsächlich Frau Finkenbügel, nur daß sie, anders als in meinem Traum, keinen Kaffee aufsetzte, sie spülte bereits Tassen.

»Morgen, Frau Keroviak.«

»Einen wunderschönen, exorbitanten Morgen, Frau Finkenbügel.« So viele Vokabeln machten Frau Finkenbügel maulfaul. Ohne Prädikat, persönliches Fürwort und bar aller Höflichkeit bellte sie mir zu: »Krisenkonferenz beim Chef, schon seit zehn Minuten. Jetzt aber dalli.«

Himmel, ich war schon wieder zu spät. Im Stechschritt, wenn auch ohne Kalaschnikow, raste ich auf die Tür vom Cockpit zu. Ich nannte den Konferenzraum so, weil mich der abgerundete, riesige weißeTisch ein wenig an die Brücke von Raumschiff Enterprise erinnerte. Die Chefs thronten in futuristischen, meterhohen Lehnstühlen in einer Ausbuchtung des Kommandotisches, auf der anderen Seite pflegten die Angestellten ohne Rückenlehnen klarzukommen.

»Schön, daß Sie auch schon da sind, Frau Keroviak«, unterbrach sich der Oberindianer Clausen gereizt in seinem Chefvortrag, als ich die Tür aufriß und das Türblatt dummerweise krachend gegen die Wand schlug. Ein Fauxpas, den ich wohl den ganzen Tag werde ausbaden müssen, dachte ich noch, während die Kollegen bereits erleichtert grinsten. Sie wußten, daß ausnahmsweise mal jemand anderes dran war: ich. Ich und eine Viertelmillion unverlangt gelieferter Kantenbruchschrauben im Foyer der Firma Selbiger Miederwaren und Feinstrick AG, Neuwied.

»Was zum Teufel, Frau Keroviak, haben Sie sich dabei gedacht? Sind Sie des Wahnsinns? Wollen Sie uns ruinieren? Ist das Ihre Art von halbdebilem Humor? Und alles nur per Fax und mit voller Rücknahmegarantie unsererseits«, brüllte Clausen mich an. »Sie haben mit niemandem in der Firma überhaupt gesprochen. So einen Fehler traue ich nicht mal einem Orang-Utan zu. So ein Fehler kann einem nicht unterlaufen, es sei denn mit Absicht!« Er brüllte noch weiter: von sofortiger Entlassung, Schadensersatzklagen, Folter, Einzelhaft ...

Während ich mich anschreien ließ, dachte ich nur ein einziges verdammtes Wort: SHAHI! Die dumme, indische Kokosnuß. Völlig klar, das Fax mit dem falschen Firmennamen konnte nur von ihr stammen. Die Idee, auf ein einzelnes Fax hin und ohne persönliche Nachfrage einen Großauftrag generalstabsmäßig durchzuziehen, war jedoch original von mir, weshalb Clausen mit dem Abschlußbrüller »Ihre Papiere können Sie sich beim Pförtner abholen« hundertprozentig recht hatte.

Ich schlich mich, vorbei am Haifischgrinsen von Ex-Kollege Sprockhövel, Ex-Kollegin Harfenschuh und Ex-Kollegin Finkenbügel zur Tür. Ihr Tag war gerettet, denn nun hatten sie acht Stunden – inklusive Mittagspause – damit zu tun, ein nachbereitendes Gespräch in Sachen »diese krummhirnige Keroviak« zu führen. Wenigstens das gab mir während der Rückfahrt mit der Straßenbahn das erhebende Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben. Und um dieses Gefühl der sozialen und gesellschaftlichen Nützlichkeit noch zu steigern, bot ich meinen Sitzplatz eine Haltestelle weiter einer älteren Dame an. Nur, um zu erfahren, daß Dankbarkeit nicht jedermanns Sache ist, schon gar nicht die Sache von Komposties auf Buerlecithintrip.

»Wat soll dat denn?« herrschte sie mich an und warf die blaugefärbte Watte auf ihrem Schädel kess und kriegerisch nach hinten. »Seh isch vielleicht aus wie ein aal Oma?«

Murmelnd schob ich mich an ihr vorbei und sprang durch die aufzischenden Türen auf den Bürgersteig und in die Freiheit: jung, ledig, arbeitslos und auf der Suche nach dem weiteren Sinn meines Lebens. Die Straßenbahn sang über die Schienen und legte sich seufzend in die Kurve.

Crash Teddys

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