Читать книгу Crash Teddys - Nina Gold - Страница 7
Barbie goes shopping
Оглавление»Na, endlich«, empfing mich mit so ungeduldiger Stimme die Schlange Shahi noch vor der Haustür, daß es mir glatt die Sprache verschlug. »Ich dachte schon, der Saftladen würde dich nie mehr rausschmeißen. Von wegen deutsche Präzision und Pünktlichkeit. Komm schon, laß uns was unternehmen, ich langweile mich zu ...«
»Shahi«, schnitt ich ihr Weg und Wort ab und schüttelte ihr armreifenklimperndes Handgelenk aus meiner Ellbogenbeuge. »Dich haben sie als Kind wohl mit Nutella eingecremt. Kannst du mir mal sagen, wie ich das meiner Mutter erklären soll?«
Shahi hakte sich wieder fest, so fest wie eine Zecke. »Brauchst du nicht, hab ich schon gemacht. Mit anderer Leute Eltern komme ich prima zurecht.«
Sie zog mich durch den staubigen Vorgarten, vorbei an Lämmleins efeubewachsener Reifen- und Lenkradinstallation »Death of a car«. Ich zog in die Gegenrichtung, bis wir wankend und schwankend in das Gummikunstwerk fielen. Efeuumrankt und leicht vulkanisiert arbeitete ich mich aus einem Reifen hervor. »Du hast, bitte schön, was gemacht?«
Shahi prustete und pustete eine Haarsträhne zur Seite. »Ich habe deiner Mutter erklärt, daß du dich in einer akuten Nervenkrise befindest.«
»Nervenkrise? Wieso das denn? Ich bin doch völlig ruhig, du blöde indische Giftschlange, du subkontinentale Winseltüte, du ... du ...«
»Da siehst du’s, was ich immer sage, du hast kreative Talente, derart poetische Schimpfwörter, einmalig. Und genau das habe ich deiner Mutter endlich mal beigebogen.«
Ich stemmte meine Ellbogen auf die Reifenwände und richtete mich verblüfft auf. »Was, zum Teufel, hast du?« stammelte ich.
»Na, ich habe ihr expliziert, daß die Künstlerseele in dir den profanen Dingen des Alltags trotzt, daß sie endlich Oberhand gewinnen will über die Banalitäten eines nichtssagenden Jobs, der dich eindeutig unterfordert. Nicht umsonst hat deine Mutter dich Stella getauft. Der Stern. Ein künftiger Stern am Himmel der Künste, der unmöglich zwischen Wärmedämmplatten verglühen sollte.«
Ich ließ mich erschöpft in den Reifen zurücksinken. »Und das meiner Mutter! Schöne Scheiße, wie soll ich das wieder geradebiegen? Das schaff ich im Leben nicht.«
Shahi grinste genüßlich. »Wieso geradebiegen? Deine Mutter ist eine ausnehmend vernünftige, nüchtern kalkulierende Frau, die mir am Ende vollständig beigepflichtet hat.«
»Das denkst du dir aus«, empörte ich mich, bereit, die emotionale Unvernunft meiner Mutter mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Ich war mit einem Ruck auf den Beinen.
»Für so was reicht nicht einmal meine Phantasie«, gab Shahi gelassen zurück und streckte mir ihre Hand entgegen. »Mal im Ernst, Fräulein, deine Mutter war äußerst angenehm überrascht von meinem Einfühlungsvermögen und der Tatsache, daß ich sie im Ingenieurbüro meines Vaters ins Gespräch bringen kann. Betonbaumäßig und so weiter. Was sagst du nun?«
Shahi klopfte Staub und welkes Efeu von ihrem Paul-Smith-Shirt. »Biste baff, was?« fragte sie eindringlich und triumphschwanger.
»Meine Mutter ist so was von korrupt«, stieß ich hervor und schüttelte entrüstet den Kopf. »Ihr einziges Kind für ein paar Eimer Beton zu verraten. Ekelerregend. Typisch.«
»Pragmatisch, würde ich sagen. Die überzähligen Kantenbruchschrauben kann sie übrigens direkt übernehmen. Der Auftrag ist frisch von Vaterns Schreibtisch und war ziemlich dringend, woher sonst sollte ich wissen, daß es so was überhaupt gibt. Kantenbruchschrauben, typisch deutscher Wortelefant. Nix für eine poetische Seele wie dich. Ich hoffe, du hast dafür einen fairen Preis ausgehandelt? Bei so was kennt mein Management leider keinen Spaß. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung über das Geschäftsgebaren südländischer und subkontinentaler Menschen, können Inder äußerst geschäftstüchtig sein. Vor allem meine Mutter.«
Ich hörte nicht mehr hin. Ich konnte nicht mehr hinhören, denn wie es manchmal in existentiellen Krisensituationen so ist, übermannte mich ein monströses Kichern. Das Kichern wich einem Gackern, das Gackern einem Gröhlen, und dann mußte ich so verdammt dringend eine sanitäre Anlage aufsuchen, daß Shahis singendes Gelächter an meinem verschwindenden Rücken einfach abperlte.
»Wohin fahren wir?« fragte ich eine halbe Stunde später, während ich es mir zwischen Marlboro-Stangen und West-Ice-Zigaretten-Kartons auf dem Rücksitz von Lämmleins Kadett bequem machte.
Shahi ruhte entspannt im Fahrersitz, als warte sie auf eine willige Friseurin, die ihr eine Kopfmassage anbieten würde. Zur allgemein nötigen Entspannung hatten wir unsere Lungen mit einer Prise schwarzen Afghans kontaminiert.
»Shoppen, was sonst«, erklärte sie, ohne den Blick vom Seitenfenster wegzulenken, denn links von uns fesselte ein Zoogeschäft ihren Blick. Der Verkehr vor uns schien sie hingegen zu langweilen, was Lämmlein dazu zwang, höllisch konzentriert die Straße zu beobachten und bei gegebenem Anlaß korrigierend ans Lenkrad zu greifen. Er hatte sich spontan gegen eine Promotiontour für seine Lungentorpedos und für eine Begleitung Shahis entschieden, was mich einmal mehr davon überzeugte, daß der Weltrevolution das leibliche Begehren empfindlich im Weg stehen kann. Oder umgekehrt.
»Ich glaube, ich will diesen Leguan«, rief Shahi lässig und stieg voll in die Eisen. Solche Überraschungen waren bei ihr an der Tagesordnung. Mal wollte sie unbedingt das ausgestopfte Huhn eines Geflügelhändlers, mal die Plastikpetersilie einer Metzgereiauslage. Sie liebte es, Dinge nach Hause zu tragen, deren einziger Sinn darin bestand, sie wegzuwerfen und ihre Eltern ärmer zu machen. Konsum ist für Shahi eine Kunstform.
Der Kadett verschluckte sich und kam röchelnd zum Stehen. Mitten auf der Fahrbahn. Shahi öffnete die Fahrertür und huschte zum Zooladen hinüber, während Lämmlein sich fluchend auf den Fahrersitz hievte, das Armaturenbrett seines Kadetts streichelte und betend den Anlasser betätigte. Hinter uns stimmten sich diverse BMWs, Ford Kas und Mazda Cabrios auf ein mehrstimmiges Hupkonzert ein, begleitet von menschlichen Stimmeinlagen, die reichlich fortissimo vorgetragen wurden.
»Ihr Asis, äh.« »Macht voran.« »Wat soll dat dann?« »Hievt eure Schrottschüssel von der Fahrbahn, aber dalli.« Lämmlein gelang es, seinen Kadett in Gang zu bringen und lenkte ihn sanft und Entschuldigungen murmelnd auf die Seite.
»Dieses verfluchte, dekadente, verwöhnte Weibsstück«, fluchte er, als er eine akzeptable Parkposition erreicht hatte. »Leguan! So ein snobistischer Scheiß. Und so was ist angeblich Vegetarierin aus reiner Tierliebe. Daß ich nicht lache.«
Ich ließ ihn gewähren, riß einen Karton der Ice-Zigaretten auf und testete The West. Würgend brach ich den Versuch nach dem ersten Zug ab. »Was ’n das für ’n Scheiß. Schmeckt ja schlimmer als Hustensaft«, röchelte ich in Lämmleins Richtung. »Wenn etwas dekadent ist, dann das. Schmeckt wie Rübenkraut mit Mentholgeschmack. Und für so was machst du Werbung, Genosse?«
Der gelernte Chemielaborant verstummte verschämt. »Na ja«, sagte er schließlich, »nur in solchen Freßtempeln voll Ludenwolken und blonden Tussen. Die haben das Zeugs verdient. Absolut perfekte Mischung aus polyzyklischen Aromaten, bißchen Ammoniak und Teer. Bringt sie vielleicht schneller unter die Erde. Und das mit frischem Atem.«
Ich entdeckte Shahi, die soeben die Tür der Zoohandlung aufriß. Ihr Gesicht war ein einziges, unwiderstehliches Leuchten. Das Leuchten eines Kindes, das soeben und endlich seine Pez-Figuren-Sammlung vervollständigt hatte. Ihre rechte Hand stand weit von ihr ab, sie schien an etwas herumzuzerren. Als sie einen Baum passiert hatte, der uns die Sicht verdeckte, lernten wir ihren neuesten Einkauf kennen. Strapaze, wie wir ihn später tauften, tapste auf vier gemächlichen Pfoten augendeckelklappernd hinter ihr her und sah aus, als sei er direkt der Augsburger Puppenkiste entsprungen. Die Hundeleine, die um seinen Hals lag, störte ihn nicht im Geringsten. Weiß der Himmel, wie Shahi es schafft, Revoluzzer und Echsen so mühelos für sich einzunehmen, aber Strapaze machte sofort den Eindruck, ihr völlig verfallen zu sein.
Lämmlein blieb am Steuer, was zu einer kurzen, eheähnlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Shahi führte. Dann entschied sich unsere Prinzessin, klein beizugeben, den Beifahrer zu mimen und sich dem neuesten Objekt ihrer seltsamen Begierden zu widmen.
Lämmlein gab Gas Richtung Nord-Süd-Fahrt, und Shahi kraulte begeistert den Kamm ihrer Echse. Die ließ sich in ihrem Schoß auf den Rücken fallen und streckte alle viere genüßlich von sich. »Ist er nicht einfach prachtvoll scheußlich?« schwärmte Shahi. Ich musterte Strapaze mit einer gewissen Reserve. Tiere ohne Plüsch und Fellbesatz entsprechen nicht unbedingt meinem Geschmack. Ich gebe zu, ich gehöre zu den unverbesserlichen Nostalgikern, die sich nach kuschelweichen, glücklichen, harmonischen Teddybärenwelten sehnen. So ganz insgeheim bin ich ein Schwarmgeist und virtueller Weltbeglücker. »Und nur 280 Mark!« Diese Preisangabe brachte Lämmlin erneut aus dem Takt. »Bist du Banane? Dreihundert Flocken für ein Reptil, das du wie im Knast halten mußt?«
»Knast? Du spinnst ja. Der wird nach Birma zurückexpediert, da kommt er nämlich her, Mister Großsprech. Du hast soeben einer spontanen Befreiungsaktion beigewohnt und faselst von Knast?«
Ich kicherte zwischen meinen Kartons. »Nach Birma? Shahi, wie willst du das denn bezahlen?«
»Ich doch nicht, der Zoohandelsheini.«
Lämmlin schüttelte den Kopf. »Und du meinst, der ist so schön blöd, dafür Knete rauszurücken?«
»Muß er wohl, andernfalls kriegt er ’ne saftige Anzeige vom Tierschutz und jede Menge Scheißpublicity. Das hier ist nämlich das bildschöne Exemplar einer besonders bedrohten Leguanart, für die er keinen Zuchtnachweis hat. Und der Verkauf ist hierzulande so dermaßen verboten, daß wahrscheinlich sogar lebenslänglich drauf steht. Dieses Tierchen bekommt ein First-class-Rückreiseticket in die Heimat, darauf kannst du deinen Hintern verwetten.«
Lämmlin warf seiner Angebeteten einen Blick zu, der zwischen Ungläubigkeit und tiefster Bewunderung schwankte. Einen Blick, wie ihn die ersten Heiden kurz vor ihrer Bekehrung zum Christentum auf Petrus, Paulus oder einen anderen Apostel gerichtet haben könnten.
»Und wie willst du das bewerkstelligen? Ich meine mit dem artgerechten Rücktransport und so?« meldete sich die Praktikerin vom Rücksitz.
»Das werde ich mir bis Ende der Woche überlegen, solange will ich den hier«, sie kraulte das Köpfchen des Leguans, »behalten und für seine unwürdige Unterbringung in einem Zoogeschäft entschädigen. Er soll die angenehmen Seiten unserer verrotteten Zivilisation kennenlernen. Lämmlin, links abbiegen, wir fahren ins Kaufhofparkhaus.«
Lämmlin folgte seiner Göttin aufs Wort. Zehn Minuten später befanden wir uns in der Lederwarenabteilung, wo sich Shahi von einer bleichen, stummen Verkäuferin verschiedene Gucci- und Mandarina-Duck-Reisetaschen vorführen ließ, die zum Transport eines halbmeterlangen Leguans durch die Kölner Innenstadt geeignet sein mußten. Die Verkäuferin war sichtlich überfordert, also griff Shahi schließlich bei einer Kalbsledertasche zu, polsterte sie mit einem Kaschmirschal aus der benachbarten Abteilung aus und setzte Strapaze vorsichtig hinein. »Magst du das? Oder möchtest du lieber Büffelleder?«
»Aber, aber«, stammelte die Verkäuferin, »Sie müssen erst bezahlen, so geht das nicht, Sie versauen ja die ganze Tasche.«
Shahi musterte sie streng. »Sie erschrecken meinen Leguan mit ihrer Stimme. Leguane sind ausgesprochen sensible Kreaturen. Nehmen Sie auch die Goldkarte von Amex?«
Die Verkäuferin nickte erschüttert und eilte zur Kasse. Strapaze knabberte am Kaschmirschal, markierte das Teil mit ein paar gezielten Spritzern und nestelte sich dann in der Tasche zurecht.
»So ist’s brav«, lobte Shahi und drückte Lämmlin die Tasche in die Rechte. »Achte darauf, daß er sein Köpfchen rausstrecken kann. Leguane hassen es, wenn sie ihre Umgebung nicht genau beobachten können.«
Shahi erhielt ihre Amex-Karte zurück und schaute uns entschlossen an. »Ich glaube, jetzt ist es Zeit für ein paar ernsthafte Einkäufe.«
»Laß mal gut sein, Shahi«, versuchte ich sie von weiteren Orgien abzuhalten, aber Shahi läßt sich von nichts so leicht abhalten, schon gar nicht vom Einkaufen. Weshalb ich innerhalb der nächsten Stunde in den Besitz einer Staffelei, eines Pinselsortiments, eines Aquarellkastens und einer Bleistiftsammlung gelangte, mit der fünf Picassos ihre ersten Malversuche hätten unternehmen können.
Jede Dankesbezeugung wurde von Shahi streng und unerbittlich abgewiesen. »Klappe, ich tue gern was für die Kunst, außerdem habe ich deiner Mutter versprochen, mich um dich zu kümmern. Vergiß das bitte nicht. Ich habe jetzt deine Erziehung übernommen.«
»Shahi!« Ich war entschieden genervt.
Lämmlin betrachtete mich verdutzt und vergaß für einen Moment unseren Leguan, der die Situation ausnutzte, um sich eine Runde Freigang in der Freßabteilung des Kaufhofs zu verschaffen. Quiekende Hysterie war die Folge: kieksendes Weibergeschrei und gorillaartige Drohgebärden von Seiten der männlichen Kundschaft.
»Du blöder Trottel«, fluchte Shahi in Lämmleins Richtung und warf sich auf alle viere.
In diesem Moment erhielt unser Leguan seinen Namen. Schließlich läßt sich ein Tier schlecht anlocken, wenn es keinen Eigennamen hat, auf den es hören kann.
»Wie wär’s mit Mutter«, schlug Lämmlin eifrig vor.
Das kannten wir schon. Jedes Tier, das sich bislang in unseren Besitz verirrt hatte, ob Rottweiler oder Ratte, hatte er »Mutter« getauft. Was ebenso verzweifelt wie bösartig gemeint war, aber zu todsicheren Heiterkeitsausbrüchen führte, wenn er gellend nach Mutter rief, woraufhin dann der Rottweiler angaloppiert kam. Doch diesmal schüttelte Shahi entnervt den Kopf.
Ich war ihr inzwischen gefolgt, hatte mich zu Boden geworfen und befand mich auf Nasenhöhe mit den Barhockern einer Spaghetti-Bar. Ein Satz wie »So ’ne Strapaze« lag mir auf den Lippen, doch heraus kam nur ein butterweiches Strapaze. Shahi nickte. »Genau, so heißt er.«
»Strapaze«, lockten wir also mit glockenhellen, reinen Mädchenstimmen und schoben gleichzeitig lästige Hosenbeine und stöckelbeschuhte Damenfüße aus unserer Bahn. Lauter Fahrgestelle von Leuten, die es für Lebenskultur halten, bei Neonlicht und künstlicher Belüftung, umgeben von Cornflakes-Kartonpyramiden, Dosensäulen und Flaschenkisten Steinpilze in Balsamico, Hechtterrine in Morchelschaum oder ähnlich dekorativen Unsinn zu sich zu nehmen. Stehend, hirnrissig schwatzend oder dumpf schweigend und ständig in Gefahr, von Einkaufswagen angefahren zu werden.
»Hier ist es sinnlos«, erklärte Shahi nach unserer dritten Runde um die Spaghettibar. »Leguane mögen wohl keine Pasta.«
»Ja, aber was dann?« fragte ich ratlos unsere angebliche Zoologieexpertin. »Sushi vielleicht?«
»Möglich.« Shahi nahm Kurs auf die nahe gelegene Japanabteilung. Uns fiel in unserer verständlichen Aufregung nicht ein, daß wir dieses Stück Weg auch getrost aufrecht und auf zwei Beinen hätten zurücklegen können. Also legten wir die Strecke in rekordverdächtigem Krabbeltempo auf allen vieren zurück und konnten ernsthafte Crashs mit herumrollernden Einkaufswagen nur äußerst knapp vermeiden.
Die Sache begann Spaß zu machen. Inzwischen war ein Gutteil des Verkaufspersonals – einschließlich des Abteilungsleiters – in die Jagd nach dem grünen Leguan verstrickt und kam uns, die sich wie ernsthafte Tierschützer vorkamen, beträchtlich ins Gehege. Ein Mitarbeiter der Frischfischabteilung pirschte gar mit einem Hummernetz durch die Warengondeln und Tiefkühlstraßen. Die Meisjes von der Käsetheke machten Jagd mit Gouda-Hobeln, und ein besonders sadistischer Metzger hatte sein Schlachtermesser gezückt. Wahrscheinlich hatte er den Bestien-Schocker ›Anaconda‹ gesehen. Ich geriet leicht in Panik, zumal nun auch eine Lautsprecheransage auf unseren Leguan gedichtet wurde.
»Wir bitten unsere Kunden der Lebensmittelabteilung um Verständnis dafür, daß wir Ihnen zur Zeit nicht die gewohnte Aufmerksamkeit schenken können. Ein widerrechtlich mitgebrachtes Haustier hat sich in die Abteilung verirrt. Wir bemühen uns, es so rasch wie möglich zu entfernen. Bitte haben Sie etwas Geduld.«
»Entfernen«, zischte Shahi. »Mörderpack.« Wir hatten die Sushitheke erreicht und meinten in den Augen des japanischen Chefkochs ein hungriges Blitzen auszumachen, was uns dazu anspornte, unsere Suche mit doppelter Energie fortzusetzen. Über uns baute sich der Hummerfänger auf und schwang sein Netz. »Isch krich dat Vieh, ich krich et«, stieß er grimmig hervor.
Shahi hatte sich auf allen vieren in den Innenbereich des Japanstandes vorgearbeitet, was den japanischen Koch zu hinreißenden Kiekslauten verführte. Kann sein, daß so japanische Flüche klingen, kann aber auch sein, daß japanisches Liebeswerben zu ähnlichen Lautäußerungen aus dem Obertonbereich führt. Shahi sah auf allen vieren einfach zum Anbeißen aus, und auf ihrem Hintern prangte das Calvin-Klein-Logo.
Ich wählte schließlich eine Abzweigung nach rechts und wurde einer scheinbar hundelosen Hundeleine gewärtig, die sich wie eine Schlange Richtung Gemüse bewegte. »Halali«, schrie der Metzger und stürmte ins vegetarische Terrain, das Messer vor sich herschwingend wie einen mittelalterlichen Zweihänder. In seiner Jagdbegeisterung köpfte er einige Eisbergsalate und hieb, dem Herrn sei Dank, voll daneben, als unter einem von ihnen plötzlich Strapaze wieder zum Vorschein kam und, kaum dem drohenden Tod entronnen, in einen Spankorb mit sizilianischen Cocktailtomaten hüpfte, das Kilo für lachhafte 18,95 Mark.
Der Metzger schwang sein Messer erneut, ließ es kurz kreisen, um es sodann in Richtung Tomatenkorb sausen zu lassen. Ich hielt den Atem an, und Shahi, die, Sushi kauend, in diesem Moment den Ort der Tragödie erreichte, tat einen verzweifelten Schrei, so daß Reiskörner wie Torpedos aus ihrem Mund hervorschossen.
»Strapaze«, schrie ich.
»Stella«, kam es als völlig falsches Echo, und das auch noch von oben. Mein Blick tastete sich an einem Paar extra feinbestrumpfter Beine hoch zum Rocksaum eines schwarzen Jil-Sander-Ensembles und blieb an den sauber ausgepinselten Lippen meiner Mutter hängen. Auch das noch! Während sie mich anstarrte, halb mitleidig, halb erbarmungslos, hielt sie ihr Schampusglas voller Kaufhof-Lebenskultur fest umklammert, und ich saß da wie gelähmt und kam mir vor wie Häschen in der Grube. Oder wie der Täter in der Tinte. Hinter ihrem Rücken bahnte sich gerade eine rituelle Schlachtung an.
»Halt«, gurgelte es aus meinem Mund. Hilflos krabbelte ich vorwärts. Doch dann war es Lämmlin, der das Messer des Metzgers mitten in seiner Bewegung abfing, dem potentiellen Mörder das feiste Handgelenk umdrehte und mit der anderen Hand nach dem Leguan griff.
»Venceremos«, skandierte er. Strapaze war gerettet, und uns wurde ein lebenslanges Hausverbot von der Kaufhof AG erteilt. Sogar meiner Mutter! (Was einer Verbannung aus dem Paradies gleichkam.) Und das, obwohl Shahi die entstandenen Schäden komplett und lässig mit ihrem Amex-Gold bezahlte! Unfaires Pack!
Danach erwies sich Shahi zum erstenmal als nützlich. Während wir auf die Fahrstühle zum Parkhaus zumarschierten, nahm sich Shahi souverän meiner Familien- und Finanzministerin, sprich: meiner Mom an und erklärte ihr wispernd die Lage. Ich ließ sie gewähren, denn Shahis Talente in Sachen bilateraler Entspannungspolitik waren nicht von der Hand zu weisen. Meine ehemalige Erziehungsberechtigte warf mir zuerst unversöhnliche, dann erstaunte und am Ende kummervolle Blicke zu. Dann zupfte sie ihren Blazer zurecht, strich sich durchs sandfarbene Haar und kam auf mich zu. Wir befanden uns inzwischen unter freiem Himmel, auf dem obersten Parkdeck. Im Rücken meiner Mutter stand die Sonne auf high noon und brachte die Silhouette des Fernmeldeturms zum Schmelzen. Der Beton dampfte, und Mom zückte ihre Unterarmtasche von Joop!. Ich gebe zu, mir schlotterten die Knie, in Duellstimmung ist meine Mutter eine unverwundbare Kampfmaschine.
»Es wird wirklich Zeit«, eröffnete sie das mütterliche Sperrfeuer mit metallischer Stimme, »daß du dir ein klares Ziel setzt, Stella. Du weißt, daß ich auf deiner Seite bin, wenn es darum geht, einen guten Job zu finden, aber rechne nicht mit meiner Unterstützung, wenn du dein Geld weiterhin für den Kauf von Reptilien verplemperst und gleichzeitig deine Freundin dazu überredest, dir eine sündteure Zeichenausrüstung für ein angebliches Kunststudium zu schenken.«
Wie bitte?
»Du enttäuschst mich, Stella. Ich dachte, dir sei es ernst damit, unabhängig zu sein und dein eigenes Geld mit etwas zu verdienen, das dir Spaß macht ...«
Anstatt mich zu wehren, stammelte ich ein »Aber« und suchte das Parkdeck nach Shahi ab. »Aber«, begann ich erneut und hatte eine Ladehemmung.
»Nichts da, aber«, schnitt meine Mutter mir das Wort ab, »ich erwarte dich am Sonntag zu einem Kaffee bei mir.«
»Aber ...«
»Keine Widerrede, Fräulein, das ist ja wohl das mindeste, was ich von dir verlangen kann, nach so einem kindischen Auftritt. Du bist genau wie dein Vater.« Sie zögerte und setzte neu an: »Ich habe dir außerdem etwas zu sagen. Beim Aufräumen des Dachbodens habe ich etwas gefunden, etwas ...«
Na, was? Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt und stöckelte zu ihrem Mercedes. Der rechte Arm baumelte schlaff herab, die Tasche drohte ihr zu entgleiten. Einen winzigen Augenblick lang hatte ich den Eindruck, daß sie schwankte. Eine Millisekunde lang schien sie unsicher und irgendwie, ja irgendwie beschämt. Keine Ahnung warum, schließlich hatte ich nicht zurückgeschossen, was sonst durchaus meine Art ist.
Bevor sie den Wagenschlüssel im Türschloß drehte, wandte sie sich noch einmal zu mir um. »Und wenn du dieses arme, verängstigte Tier nicht schleunig artgerecht unterbringst, dann kannst du dich warm anziehen. Tiere sind kein Konsumartikel: Merk dir das.«
Ja, ja, nur keine Gelegenheit auslassen, um mir Schuldgefühle zu machen. Darin ist sie Meisterin mit Diplom und Auszeichnung. Ich glaube, schon als Baby habe ich mich dafür geschämt, daß ich nicht selber meine Windeln wechselte.
Ich war, gelinde gesagt, total baff. Suchend blickte ich mich um und entdeckte einen kichernden Schatten hinter einem Betonaufbau. »Shahi«, dröhnte meine Stimme über das glühende Parkdeck, und dann spielten meine völlig verrückte, verlogene, verdammte Freundin und ich eine ganze Weile lang Nachlaufen, bis ich sie erwischte, in den Schwitzkasten nahm und ihr den Schwur abnahm, niemals, niemals mehr Lügen über mich zu verbreiten. Lämmlin ging am Ende dazwischen, sonst hätte es leicht Tote geben können. Was allerdings den Schwur angeht, so kann ich schon jetzt sagen, daß Shahi sich nicht daran gehalten hat. Ich nehme an, sie hatte während meiner Schwitzkastenbehandlung Daumen und Zeigefinger gekreuzt ...
Zu Hause ging es dann weiter in Sachen Strafpredigten und ähnlich unnützen rhetorischen Übungen. Hier war es – mal wieder – Marusha, die uns spät in der Nacht, nach Beendigung ihrer Frittenschicht, gehörig den Marsch blies. Sie sieht wirklich nicht so aus, aber eines kann ich euch sagen, diese Großstadtindianer, die sich in der freien Wildbahn durchschlagen und aufeinander verlassen müssen, haben einen derart strengen Moralkodex, daß die Heilsarmee dagegen wie ein Trupp hemmungsloser Stadtstreicher erscheint. Wirklich seltsam, wenn ein einundzwanzigjähriger Heimzögling drei fast erwachsene junge Menschen runterputzt wie einen Satz aufmüpfiger Erstklässler.
»Ihr seid so was von hirntot, daß mir schlecht davon wird«, herrschte sie uns an, während wir das Türblatt, das unsere Tischplatte bildete, betreten betrachteten. Hätten wir unsere Heldengeschichte doch nur für uns behalten. Marushas Mitleid für die getretene Kreatur Strapaze war beinhart und waschecht.
»Das arme Tier hätte dabei draufgehen können. Muß außerdem völlig verhungert gewesen sein. Was geht in deinem Erbsengehirn eigentlich so vor, Shahi, wenn du nicht gerade irrwitzige Einkaufslisten zusammenstellst?«
Marusha ging zum Küchenschrank und suchte nach einem der Einmachgläser, aus denen wir unser Bier zu trinken pflegten. Idee von Lämmlin, der fanatisch recycelte und sich dem Konsumterror geschirrmäßig voll entzog. Marusha knackte mit Könnergriff und einem Feuerzeug eine Flasche Felskrone, unser aller Lieblingsbier für 94 Pfennig ohne Pfand!
»Jetzt stell mal dein Gas auf halbe Flamme«, empörte sich Lämmlin und richtete sich auf. »Dieser Leguan stammt aus Birma, einem Land, das von einer brutalen Militärjunta regiert wird. Hier geht es ihm wirklich eindeutig besser.«
Seit Shahi ihn zum Dank für die geglückte Rettung des Leguans geküßt hatte, schien seine vornehmlichste Lebensaufgabe Shahi zu heißen.
Marusha runzelte die Stirn. »Findest du nicht, daß Leguane ziemlich wenig mit Politik zu tun haben?«
»Sie wollte doch nur was Gutes tun. Immerhin hat sie das Vie ..., ich meine, den Leguan aus seinem Zookäfig befreit und ihm sozusagen ein menschenwürdiges, na ja, ein artgerechtes Dasein geschenkt.«
Marusha wirbelte herum, schäumendes Bier vor dem Mund. »Artgerecht«, stieß sie unter leichtem Blubbern hervor. »Nennst du eine Reisetasche mit Kaschmirschal artgerecht? Verschissen versnobt und grottenblöd nenn ich das. Ich sag euch was: Wenn diese Echse nicht morgen auf dem Weg nach Birma ist, zeige ich euch an, alle drei.«
Na dann prost, dachte ich nur und streckte meinen Zeigefinger nach Strapaze aus, der über die Türplatte stapfte, die Zunge im Anschlag. Shahi schwieg und tat so, als hielte sie Ausschau nach ein paar Fliegen für ihren Liebling. Doch auf solche Taktiken fiel Marusha nicht rein.
»Shahi«, sagte sie streng. »Was gedenkst du zu unternehmen?«
Unsere Prinzessin schlug die Augen nieder und sagte so unschuldig wie eine unbenutzte Pamperswindel: »Nichts.«
Marusha knallte die Bierflasche auf die Geschirrablage, so daß Diggie, unser Totenschädel, einen Hüpfer tat. »Nichts? Ist das alles?«
»Nichts mehr, wollte ich sagen«, flötete Shahi. Wir betrachteten sie verblüfft. Strapaze näherte sich schwankend seinem Frauchen. »Ich habe nämlich schon alles getan. Der ertappte Zoohandelsheini hat im Eilverfahren das Ticket gebucht, und ich habe über den Tierschutzverein mit einem Zoo in Birma Kontakt aufgenommen. Strapaze fliegt morgen früh Punkt 10 Uhr 30 via Rangun, wird dort von Mister Ravi Sittwa, einem Reptilkundler mit Harvardabschluß, in Empfang genommen und dann im Zoo auf eine Wiederverbringung in die Sumpfgebiete des Irrawaddy vorbereitet.«
Lämmlin und ich waren platt, und Marusha, unser strapazierfähiges Straßenkind, nach wie vor mißtrauisch. »Das denkst du dir aus!«
Shahi drückte Strapaze einen spitzen Kuß auf die Schnauze, was Lämmlin mit sehnsuchtsvollem Blick quittierte. »Nix denke ich mir aus«, fuhr Shahi fort. »Strapaze ist eine sehr seltene Leguanart und fliegt deshalb erster Klasse, samt Betreuung durch eine mir persönlich bekannte Stewardeß der Bombay Airlines, die deshalb extra eine andere Route als vorgesehen übernommen hat.«
»Eine Nichtentochter deiner Mutter?« versuchte ich es vorsichtig.
Shahi nickte. »So ungefähr. Oder eine Schwippschwester meines Neffenonkels, so genau weiß ich das nicht. Jedenfalls ist das indische Sippschaftsdenken global gesehen von Vorteil.«
Marusha kapitulierte grummelnd. »Dann ist es wohl angemessen, deinem birmesischen Leguan ein Abschiedsfest zu gestalten.«
»Yo, ma’m, do the great jam«, rappte Shahi, und Lämmlin zog eine weitere Runde Felskrone aus der Badewanne, unserem Getränkelager.
Ganz so lustig, wie man sich eine WG-Spontan-Orgie vorstellt, wurde es dann allerdings doch nicht. Marusha war von dem Thema »Wie ich meine WG-Kumpels zu vernunftbegabten Menschen umerziehe« nicht abzubringen.
»Wird Zeit«, sagte sie, während wir unsere erste Flasche zischten, »daß ihr euch mal mit was Sinnvollem beschäftigt. Vor allem du, Stella. Deinen sogenannten Job bist du doch wohl wieder los?«
»Ummh«, machte ich und fühlte mich unangenehm an meine Mutter erinnert. Schon Scheiße, wenn andere Leute einem erklären, was man selbst seit Ewigkeiten vorhat.
»Und du, Lämmlin, was meinst du, wie lange es dauert, bis die Zigarettenpromoter von deinen Extratouren erfahren? Du verhökerst den Krempel doch regelmäßig am Kiosk. 25 Mark pro Stange, stimmt’s? Und alles für deine Scheißchemikalien. Junge, ein klares Bewußtsein ist die beste Droge. Ich weiß, wovon ich rede. Das Zeugs, das du zusammenbraust, himmelt deine letzten Hirnzellen, falls vorhanden.«
Die schlimmsten Genußgegner sind eben immer die, die früher mal das gleiche genossen haben wie du. Lämmlin setzte jedenfalls seine Bierflasche ab und blickte sich hilfesuchend nach Dignity um. Mit ihm hielt er die nächsten Minuten ein stummes Zwiegespräch unter Männern und darüber, wie wenig Ahnung Frauen von guten Drogen haben. Und Diggy schien zu verstehen. Vorausgesetzt, daß Diggy mal ein Mann gewesen war, was wir nie verifizieren konnten. Im Tod verwischt sich die Geschlechterdifferenz beinahe ebenso radikal wie Klassen- oder Rassenunterschiede – weshalb die meisten Menschen besser tot wären, politisch gesehen.
Tatsache war jedenfalls, daß die weiblichen Mitglieder unserer WG nicht ganz so hart auf Drogen waren wie Lämmlin. Teils aus einschlägigen Erfahrungen, wie Marusha und Shahi, teils, weil sie, wie ich, über genügend Phantasie verfügen, um sich die orgasmusähnliche Sprengung der Hirndecke auch mal ohne LSD, Crack und Koks vorstellen zu können. Schwarmgeister haben schließlich körpereigene Morphine im Überfluß, was das moderne Leben und einen Vollrausch verhältnismäßig billig macht.
Entspannt lehnte ich mich nach dieser selbstgefälligen Betrachtung zurück und nahm einen tiefen Schluck Felskrone. Doch Marusha war noch nicht fertig. Eine echte Kampfmaschine.
»Und du, Shahi, wie lange willst du noch die ungezogene Göre und das verwöhnte Blag geben? Deine Eltern tun mir aufrichtig leid«, zickte sie direkt in die indischen Prinzessinnenohren.
»Meine Eltern wollen, daß ich mein Leben heirate, statt es zu führen. Findest du das etwa gut?« gab Shahi zurück.
»Du bist einfach eine faule Socke.«
Ich kicherte. Das Wort Socke paßte so wenig zu Shahi wie Ketchup zu Kaviar. Erstaunlicherweise tat es aber seine Wirkung. Shahi schaute ansatzweise betroffen drein und studierte ihre blaulackierten Fingernägel.
»Ihr findet euch alle megacool, dabei seid ihr nur ein Haufen verwöhnter Versager mit Pubertätsmanieren und Weltschmerzsyndrom, was ich bei Leuten über Zwanzig reichlich lächerlich finde«, schimpfte Marusha weiter.
Noch so jemand, der daran glaubte, daß es in irgendeiner Form nützlich oder machbar sein würde, in Deutschland erwachsen zu werden. Ich nahm noch einen tiefen Schluck, um meine hochaktiven Synapsen, die jedes Wort Marushas glasklar an mein Gehirn weitergaben, abzuschalten.
»Fangt endlich an, euer Leben ernst zu nehmen. Ein anderes kriegt ihr nicht. Umtausch ausgeschlossen.«
Die Felskrone schmeckte plötzlich schal. Marusha hatte einfach recht. Zumindest, was mich anging, lief sie offene Stalltore ein. Wie war das noch mit dem Sinn der Arbeit und der Arbeit als Sinnfaktor? Marusha blickte in die schweigende Runde, lupfte ihre gepiercten Augenbrauen und sah aus wie die Medizinfrau eines nordamerikanischen Indianerstammes. Abgeklärt, büffelzäh und verflucht weise.
»Okay, boys and girls. Morgen fangen wir an«, erklärte sie schließlich und warf die Bierflasche mit Schwung, so als handelte es sich um einen rituellen Akt der Reinigung, aus dem offenen Fenster. Irgendwo im Garten ging sie nieder und zerplatzte mit dumpfem Geräusch.
»Das machst du morgen sauber«, zischte Shahi rachsüchtig. Die Schlange in ihr hatte lange genug geschlafen.
»Und ob«, echote Lämmlin, der allerdings bereits Anstalten machte, nach dem Kehrblech zu rennen.
»Womit«, warf hingegen ich ein, pragmatische und sinngeile Bauunternehmerstochter, die ich nun mal bin, »fangen wir morgen an?«
Marusha genoß die allgemeine, gespannte Aufmerksamkeit. Katzengleich wand sie sich schließlich vom Stuhl, markierte einige Trockentanzschritte und griff sich schließlich Dignity.
»Sein oder Nichtsein. Damit fangen wir morgen an.« Sie küßte den Totenschädel, was so im ›Hamlet‹ nicht vorkommt.
»Voll breit, die Alte«, brummte Lämmlin und grabbelte nach einem Shitklümpchen, Tabak und Zigarettenpapier, um seine eigene Bewußtseinserweiterung vorzubereiten.
Marusha stellte Diggy ab und schüttelte den Kopf. »Ihr seid so was von beknallt. Etwas mehr Phantasie könnte nicht schaden. Übt schon mal. Morgen sprechen wir nämlich bei einer Produktionsfirma auf dem Studiogelände Bocklemünd vor. Als WG für eine Daily-Soap. Titel: ›Voll abgefahren. Das gibt Kohle ohne Ende. Ist das Klasse?«
Mein Herz geriet kurzzeitig aus dem Takt. Also doch eine Künstlerkarriere, nix Häuslebauen. Meine kunstbegabte Fischnatur war verlangt. Ich begann mich im Geiste bereits für den morgigen Auftritt zu schminken.
Lämmlin imitierte Brechgeräusche, Shahi blieb merkwürdig ruhig. Dann war sie die erste, die etwas sagte.
»Wieviel?«
»Wie, wieviel?« fragte Marusha zurück.
»Na, was zahlen die?«
»Hundert Eier für die Probeaufnahmen, danach nehmen wir uns sofort einen Agenten«, erklärte die knallharte Marusha. »Solche Verträge Handeln Profis aus. Und wenn ich genug Kohle zusammenhabe, werde ich Greenpeace-Aktivistin auf Lebenszeit.«
Sie war sich ihrer Sache vollkommen sicher, so sicher, daß auch mir keine Zweifel kamen. Im Gegenteil, der Fisch in mir geriet nun vollends ins Schwärmen, wurde mitgerissen von den warmen Strömen seiner ausufernden Phantasie. Das nenne ich einen guten Trip. Natürlich, wir würden Medienstars werden, weltberühmt, zu Hause auf den wirklich scharfen Partys dieser Erde. Schampus ohne Ende. Meine Autogrammkarten würde ich nur mit silberner Tinte signieren. Mondfarben, herrlich. Und eines Tages rief vielleicht Hollywood an. Soll schon vorgekommen sein. Aber dann würde ich dankend ablehnen, um einen problemorientierten Low-budget-Kurzfilm mit Untertiteln zu drehen, der mich zu einer cinematographischen Legende machen würde, und hinterher könnte ich den Regenwald retten. Oder so. Das Leben war einfach wunderbar, ich segelte auf Puffreiswolken unter der Sonne meines künftigen Ruhms dahin. Kann sein, daß dieser verfrühte Höhenflug wiederum von der löwischen Natur meiner Seele inspiriert war.
Lämmlin litt unter Schluckauf und kippte ein weiteres Bier drauf, was seine Beschwerden und sein Mißtrauen gegen die Medienwelt nicht linderte. Aber egal, die Begeisterung der weiblichen Anwesenden kannte keine Grenzen mehr. Shahi bewies mit jedem weiteren Satz ihre Geschäftstüchtigkeit.
»Meinst du, die können den Leguan einbauen? Tiere kommen sensationell gut im TV, auch knetemäßig. Denk nur an Fury, Flipper, Lassie, Skippy, das Buschkänguruh, Urmel aus dem Eis und ...«
Marusha schüttelte den Kopf. »Shahi, vergiß es. Der da«, sie zeigte auf Strapaze, »fliegt morgen, und wenn ich dich mit Waffengewalt zum Flughafen bringen muß. Klar?«
»Klar wie Tinte«, gab Shahi kleinlaut zurück, um sich dann begeistert in Outfit-Fragen zu stürzen. »Da muß aber eine Klausel in den Vertrag, daß die uns voll nach meinem unnachahmlichen Geschmack einkleiden und wir die Fummel nach Drehschluß behalten dürfen. Sonst mach ich nicht mit.« Als Diva würde sie später unschlagbar sein, soviel stand fest.
Lämmlin erholte sich inzwischen so weit, daß er seiner Prinzessin aufmerksam lauschen konnte. Nur gegen Plateauschuhe mit Fellbesatz, die Shahi ihm zugedachte, legte er entschiedenen Protest ein.
»Keine Briketts«, bestimmte er. »Ich bin keine dekadente Sissy und leider latent heterosexuell.« Schmachtender, leicht verschleierter Blick auf Shahi.
Marusha seufzte verstohlen, männermäßig saß sie ebenso auf dem trockenen wie ich. Seit sie bei uns wohnte, hatte sie keinen regelmäßigen Herrenbesuch erhalten. Aber was waren Kerle gegen eine internationale Karriere? Ein Klecks Taubenschiß auf der Reling eines Ozeandampfers.
Eine Amsel beendete mit schrillem Flötenton unsere Nachtsitzung. Draußen verblaßte silbern der Mond vor fruchtfarbenem Himmel – eine Farborgie aus Aprikose und Himbeeren. Als wir zu Bett gingen, gesellte sich ein Schuß Curaçao-Blau hinzu. Verstohlen warf ich der nahezu durchsichtigen Mondsichel einen letzten Blick zu und zwinkerte. Mond, Mond, lieber Mond, Gestirn der Künstlerseelen, steh mir bei.
Marusha stellte fünf Wecker, und wir sanken erschöpft in die Federn.