Читать книгу Samruk - Alte Schwüre - Nina Heyer - Страница 6
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Ping holte aus, stach zu, holte wieder aus. Wie ein Uhrwerk stach sie auf den leblosen Körper unter sich ein. Blut spritzte bei jedem weiten Ausholen durch das Schlafzimmer, der beige Teppich hatte die Flüssigkeit bereits literweise aufgesogen und trotzdem stach Ping weiter auf die Leiche ein. Schweiß ran vor Anstrengung an ihrem nackten Körper hinunter, aber darüber machte sie sich keine Sorgen. Die Sprühdose, die sie dabei hatte, enthielt ein Mittel, das jegliche DNA zerstörte, aber selbst wenn ein Haar, ein Schweißtropfen von ihr gefunden werden sollte, war es recht unwahrscheinlich, dass man sie in irgendeiner Datenbank fand. Offiziell existierte sie nicht. Ping Yu war in einem Internierungscamp in Nord-Korea, zusammen mit ihren Eltern und den zwei Brüdern gestorben.
Sie ließ das Messer sinken und massierte sich den Oberarm, der von der Anstrengung schmerzte. Ihre Hand hinterließ einen roten Abdruck auf der schneeweißen Haut. Sie musste an ein altes europäisches Märchen denken.
Die Haut weiß wie Schnee, das Haar schwarz wie Ebenholz, die Lippen rot wie Blut.
Langsam strich sie mit den besudelten Fingern über ihren Mund und verharrte ein paar Minuten, bis ihr Puls sich normalisiert hatte. Dann erhob sie sich, ging in das Badezimmer, das direkt an das Schlafzimmer grenzte und stellte sich unter den heißen Wasserstrahl der Dusche. Mit geschlossenen Augen genoss sie das Gefühl, rein gewaschen zu werden.
Von allem Blut. Von allen Sünden.
Rote Rinnsale flossen über ihre Haut und verbanden sich auf der weißen Keramikoberfläche zu einem breiten Fluss, der sich nach wenigen Minuten klärte. Dampf stieg auf und füllte den Raum. Nichts war zu hören, außer dem Prasseln des Wassers. Ruhe erfüllte Ping.
Sie hatte es nicht eilig. Niemand würde sie stören. Der Mann im Schlafzimmer hatte keine Familie und nur wenige Freunde. Eher Bekannte. Er lebte für seine Arbeit. Was war also falsch daran, für seine Arbeit zu sterben?
Als Ping fertig war, stellte sie sicher, dass sie keine Spuren in der Dusche hinterlassen hatte und rieb sich mit einem kleinen mitgebrachten Handtuch ab, dass sie danach wieder in ihrer Handtasche verstaute. Dann holte sie die große Sprühdose hervor, nebelte damit das Badezimmer ein und verteilte das Mittel überall dort in der Wohnung, wo sie Spuren hinterlassen haben könnte. Als Letztes war der Leichnam dran. Das große Küchenmesser wanderte in eine Plastiktüte und dann in ihre Tasche.
Sie zog sich an, schlüpfte in ihre Pfennigabsätze und ließ ein letztes Mal den Blick über den Tatort gleiten. Die Wohnung war nicht sonderlich üppig eingerichtet. Die wenigen Schubladen, die es gab, hatte sie herausgezogen und ausgeschüttet, Schranktüren standen offen, Flaschen waren zerbrochen. Die Polizei würde ein Verbrechen aus Leidenschaft oder die benebelte Tat eines Junkies vermuten. Schließlich war Rom keine ungefährliche Stadt und manchmal machte sie selbst vor den Männern Gottes nicht halt. Vor allem, wenn diese ihre Prinzipien für ein paar Stunden käuflicher Gesellschaft in den Wind schossen.
Dieser hier war zwar einer von den Guten, nur leider war seine Neugier größer gewesen als seine Vorsicht und wenn jemand de Santi im Weg stand, mussten gewissen Vorkehrungen getroffen werden, egal wie gut die Seele war, die Ping dafür ins Jenseits schicken musste. Sie sah hinab auf den Leichnam, sprach ein stummes Gebet für den Geistlichen und verließ die kleine Wohnung am Ufer des Tiber.