Читать книгу Samruk - Alte Schwüre - Nina Heyer - Страница 9
Оглавление7.
»Check, check ... Over, over ... Eins, Zwei ... Eins ... Eins, Check ...«
»Nape?«
»Ja, bitte?«
»Halt endlich die Klappe. Die Verbindung ist glasklar.«
Kopfschüttelnd schlenderte Silas zum zweiten Mal an der Außenwand der Kirche vorbei, die dem heiligen Clemens geweiht war. In der Dunkelheit sah das Gemäuer grau und nichtssagend aus und da es auf allen Seiten von hohen Wohnhäusern und engen Gassen umgeben war, konnte man kaum weit genug zurücktreten, um die Kirchturmspitze zu sehen.
Nur wenige Leute waren noch unterwegs. Einige Touristen, die ihre Rucksäcke aus Angst vor Taschendieben wie Babies vor dem Bauch trugen, diskutierten miteinander auf Deutsch, während sie im Reiseführer blätterten und versuchten aus den Angaben schlau zu werden.
Silas bezog Stellung neben dem Seiteneingang, lehnte sich entspannt an die Mauer und beobachtete die Straße, bis er sicher war, nicht gesehen zu werden. Erst dann holte er die abenteuerliche Konstruktion Napiers aus seiner Tasche und setzte sie auf. Die Nachtsichtfunktion war ausgeschaltet. Die Straßenlaternen boten genug Licht, um sich zurechtzufinden.
»Es sieht alles ruhig aus. Ich gehe jetzt rein.«
»Roger.«
Silas zog den Schlüssel aus der Tasche und versuchte das Schloss der alten, grünen Holztür so leise wie möglich zu öffnen. Er zog eine Grimasse, als ein lautes Knirschen ertönte, und verfluchte innerlich denjenigen, der für das Ölen der Türschlösser verantwortlich war.
»Der Vatikan nimmt jährlich mehrere Millionen ein, aber kann sich keinen vernünftigen Hausmeister leisten?«, flüsterte es in seinem Ohr.
»Den Gedanken hatte ich auch grade«, murmelte er zurück und verschwand mit einer geschmeidigen Drehung hinter der Tür, die kurz darauf mit einem hörbaren Knacken ins Schloss gezogen wurde.
Das Innere der Kirche war dunkel, aber als Silas zwischen den Säulen hervortrat, sah er, dass am Altar drei kleine Kerzen brannten, die das Chorgestühl und die Lesekanzel erkennbar werden ließen, jedoch mit ihrem Licht kaum bis zur kunstvoll bemalten Apsis oder in den hinteren Teil des Kirchenschiffes vordringen konnten. Auf der anderen Seite des marmornen Altars erkannte Silas eine zweite Reihe Säulen, hinter denen sich im Dunkeln die Tür verbergen musste, die hinunter in die Katakomben führte, welche sie am Morgen noch besucht hatten. Eine Minute lang verharrte er und lauschte auf die Geräusche in seiner Umgebung. Leiser Verkehrslärm drang durch die dicken Mauern. Richtige Fenster gab es nicht, nur schmale Schlitze hoch oben im Gemäuer, durch die kaum Licht fiel. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und bei einem Blick auf die Bankreihen im hinteren Teil der Kirche, gaukelten die Schatten ihm vor, gebeugte Gestalten zu sehen, tief ins Gebet versunken, die Gesichter im Dunkeln der Kapuzen verborgen. Seine Finger fanden den Knopf am unteren Brillenrand und die Gläser vor seinen Augen flackerten grün auf. Er hielt den Kopf vom Kerzenschein weggedreht, um nicht geblendet zu werden, und scannte das Innere der Kirche. Die Bänke waren leer. In einigen Nischen konnte er kunstvoll gearbeitete Figuren aus schneeweißem Marmor erkennen, die in diesem Augenblick, nur von Stille umgeben, lebendiger aussahen, als bei seinem ersten Besuch.
More Info on the Church itself and its history!
Davon überzeugt, allein in diesem alten Gemäuer zu sein, wollte er soeben den ersten Schritt machen, als eine laute Stimme ihn zusammenzucken ließ.
»Hey, Silas! Erinnerst du dich an den Witz mit der Nonne und dem Italiener, den uns der Typ im Hotel erzählt hat? Ich wette zehn Kröten, dass diese Kirche hier gemeint war. Immerhin hat die Statue da hinten die exakten Voraussetzungen für ...«
»Nape!«, zischte es scharf durch die Leitung.
»Sorry, sorry, kam mir nur grade in den Sinn. Scheint alles ruhig zu sein. Worauf wartest du?«
»Ich wollte sicher gehen, dass wir ungestört sind.«
Leises Kichern kam durch die Leitung und Silas verdrehte die Augen, als er sich auf den Weg durch das Kirchenschiff machte, um auf der anderen Seite in die Schatten zwischen den marmornen Säulen einzutauchen. Die kleine Tür, die den Weg zur Treppe freigab, war verschlossen, ließ sich aber mit dem Ersatzschlüssel geräuschlos öffnen. Der Gang, der unter die Erde führte, war stockdunkel und ohne die Brille hätte Silas nicht die Hand vor Augen sehen können. Er stieg die Stufen hinab und prüfte die Sprechverbindung zu Napier, sobald er den Fuß der Treppe erreicht hatte.
»Höre dich laut und klar. Die Wände sind ziemlich dick und das Kamerabild wird etwas schlechter, aber dieses Baby hat den stärksten Sender, den es derzeit auf dem Markt gibt, also verzaget nicht, holde Maid. Sollte es ein Problem geben, eilt euer ergebener Ritter euch zur Hilfe.«
Silas folgte dem schmalen Gang, der in das antike Heiligtum führte und spürte mit jedem Schritt beinahe physisch, wie sich eine Falle um ihn herum zuzog. Grimmig biss er die Zähne zusammen und kämpfte gegen den Impuls an, sich umzudrehen und die ganze Sache zu vergessen. Er könnte de Santi die Anzahlung zurückgeben, höflichst um Verzeihung bitten und in Zukunft nur noch Aufträge annehmen, von denen er wusste, dass sie ihn nicht ins Verderben führen würden. Nur hatte er das dumpfe Gefühl, dass de Santi kein Mensch war, der einen Vertragsbruch verzeihen würde. Die einzige Möglichkeit, die ihm blieb, war es, die Sache so schnell wie möglich durchzuziehen und sich danach rar zu machen, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Er atmete noch einmal tief durch und betrat den Raum, in dessen Mitte die Stele des Mithras aufragte.
Napier hatte die Füße auf das Schaltpult gelegt und betrachtete zurückgelehnt die Monitore, die das Bild von Silas Kamera und der Vorder- und Rückseite des Vans übertrugen. Außer ein paar zerrupft aussehenden Straßentauben, ließ sich in der Nähe des Fahrzeugs, das in eine Parklücke zwischen einem edlen BMW und einem winzigen, rostigen Fiat gequetscht war, keine Seele blicken. Bei einem schnellen Abgang, würden die beiden Wagen mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas abbekommen und Napier tat es jetzt schon um den kleinen Fiat leid, der offensichtlich bisher kein leichtes Leben gehabt hatte. Sollte es dazu kommen, würde er versuchen, den größten Teil des Schadens auf die teure Karosse vor ihm zu konzentrieren.
Sein Van sah von außen recht unscheinbar aus. Der weiße Chevrolet hatte schon seine zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, was nicht zuletzt an den kleinen Beulen und Schrammen zu erkennen war. Das Einparken war bei solchen Dimensionen eben nicht immer einfach. Ein langer Striemen zog sich wie eine Narbe über die Schiebetür an der linken Fahrzeugseite. Ein Erinnerungsstück an die rasante Flucht, zu der sie ihr letzter Auftrag gezwungen hatte.
Gelangweilt kritzelte Napier in einem Kreuzworträtsel herum. Seine Arbeit war getan. Ab jetzt war es nur noch seine Aufgabe, hin und wieder einen Blick auf die Bildschirme zu werfen und bereit zur Abfahrt zu sein, wenn Silas zurückkam ... Dieses Mal hoffentlich mit der Beute und ohne zwanzig schwerbewaffnete Sicherheitsleute im Schlepptau.
Amerikanischer Nationalsport mit acht Buchstaben.
Zugegebenermaßen war er nicht ganz unschuldig an dieser Fast-Katastrophe gewesen.
Fast? Nein.
Er musste das Kind beim Namen nennen. Es war eine ausgewachsene Katastrophe gewesen.
Von apokalyptischem Ausmaß.
Ein absoluter und unbestreitbarer Reinfall.
Ein Auftrag, der zu 1000% in die Hose gegangen war.
Staat im Himalaya mit fünf Buchstaben.
Etwas mehr Konzentration seinerseits und ein paar Gramm weniger Sprengkraft seitens seines explosiven Gemischs, hätten den Auftrag zu einem Spaziergang gemacht. Stattdessen hatte er in völligem Chaos, einem knappen Entkommen und ohne Beute geendet.
Ausruf des Nichtgefallens mit drei Buchstaben.
Es lief eben manchmal nicht alles nach Plan. Es hatte ja keinen Sinn, verschütteter Milch hinterher zu weinen.
Napier ließ den Blick über das Rätsel gleiten, kam zu dem Schluss, dass in der Lösung zu deutsche Großstadt mit sechs Buchstaben unmöglich zwei »Z« vorkommen konnten und ließ das Heft unter die Konsole fallen, wo es sich in der zweifelhaften Gesellschaft leerer Kaffeebecher, alter Computerzeitschriften und muffiger Schokoriegelverpackungen wiederfand.
Auf den Monitoren hatte sich derweil nicht viel getan. Um den Van herum herrschte weiterhin Stille. Der anderen Kamera zur Folge, hatte Silas soeben den verfallenen Mithras-Tempel betreten und steuerte geradewegs auf den hinteren Altar zu. In wenigen Minuten würde sich zeigen, ob sein Gebräu so gut war, wie er es versprochen hatte.
Silas sank vor den Steinen auf die Knie und ließ den Rucksack zu Boden gleiten. Es dauerte einige Sekunden bis seine Augen die kaum sichtbaren Linien wiederfanden, die ein perfektes Viereck auf den Stein zeichneten. Mit größter Vorsicht holte er die Flasche mit dem ätzenden Gemisch hervor, schraubte den Verschluss ab und ließ einen Spezialpinsel in die Flüssigkeit gleiten, der sich durch seine besondere Fertigung nicht mit einem leisen Zischen in seine Bestandteile auflöste. Wo Napier diese Dinge immer her bekam, war ihm ein Rätsel. Für ihn war nur wichtig, dass sie funktionierten.
Behutsam strich er die Säure auf den Stein, immer darauf bedacht, nicht selbst mit der Flüssigkeit in Kontakt zu kommen. Napiers Erfindungen, so genial sie auch manchmal sein mochten, waren nicht zu unterschätzen.
Fasziniert beobachtete Silas, wie sich die Flüssigkeit langsam durch den Stein fraß und die Lücke in der Oberfläche immer deutlicher werden ließ. Er war so auf seine Arbeit konzentriert, dass das nagende Gefühl beobachtet zu werden, keine Chance hatte, sich seinen Weg in die oberen Ränge seiner Wahrnehmung zu bahnen.