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Große Hoffnung – und leere Heilversprechen?
ОглавлениеNun haben Sie vermutlich keinen Zweifel mehr daran, dass Stammzellen einer der zentralen Pfeiler der Zellkompetenz Erneuerung sind. Wir haben möglicherweise große Hoffnungen geweckt und Sie fragen sich natürlich zu Recht: Gibt es denn bereits seriöse stammzellenbasierte Therapieverfahren? Wie können wir diese vielleicht wichtigste unserer Zellkompetenzen ausnutzen? In Presseberichten wird kein allzu gutes Bild darüber gezeichnet – von Krebsgefahr ist die Rede, von bakteriellen Infektionen, die mit der Therapie einhergehen können, von absoluter Wirkungslosigkeit und Geldschneiderei.
Ja. Die Vorwürfe treffen leider zu – aber nicht immer. Auch in der explodierenden Branche der Stammzellentherapien gibt es schwarze Schafe und erstaunliche Heilerfolge. Auch hier gibt es Schwarz-, Weiß- und Grauzonen. Wir konzentrieren uns in diesem Buch auf die alters-induzierten Krankheiten. Wie bereits erwähnt, wurden für die Bekämpfung einer bestimmten Leukämie, die gehäuft bei älteren Menschen auftritt, und anderer Erkrankungen des blutbildenden Systems wie Lymphomen und Myelomen, schon seit einigen Jahrzehnten seriöse und zertifizierte Stammzellentherapien entwickelt, die auf blutbildenden Stammzellen (HSC) aufbauen.
Jünger sind die Therapieansätze mit den gewebsbildenden Stammzellen (MSC). Hier ist geradezu ein Stammzellentourismus entstanden. Kliniken und Spezialisten besonders in der Ukraine, in Panama, Thailand und auch in den USA werben mit abenteuerlichen Versprechungen – und lassen sich von den Patienten noch abenteuerlicher bezahlen. Man verspricht Heilung unter anderem bei Demenz, Autismus, Multipler Sklerose oder Schlaganfällen. Da für die Stammzellentherapien so exorbitante Kosten in Rechnung gestellt werden, rufen verzweifelte Patienten und ihre Angehörigen in den USA immer häufiger Crowdfunding-Kampagnen ins Leben. Laut des Journals der American Medical Association kamen 2017 bei Crowdfunding-Kampagnen für 408 Patienten immerhin sieben Millionen US-Dollar zusammen. Die Kliniken fördern solche Kampagnen häufig aktiv. Risiken, die mit Stammzellentherapien verbunden sind, kommunizieren sie weniger aktiv.
Nur einige Beispiele: Injektionen von Nabelschnurblut in Wirbelsäule, Knie und Schultern führten – laut Center for Disease Control – gelegentlich zu schweren bakteriellen Infektionen. Nach der Stammzellentherapie eines Schlaganfalls traten Lähmungen auf. Außerdem wiesen etliche der angewendeten Stammzellenpräparate – laut wissenschaftlichen Tests – keine einzige Stammzelle, noch nicht einmal lebende Zellen irgendeiner Herkunft auf. Deshalb ist die amerikanische Gesundheitskontrollbehörde FDA seit 2018 auf den Plan getreten und nimmt Stammzellenzentren in den USA genauer unter die Lupe. In anderen Ländern des Stammzellentourismus ist dies bislang noch nicht der Fall.
In Deutschland dagegen sind die Vorschriften so streng, dass nur sehr wenige Stammzellentherapien durchgeführt werden können. Deshalb beschränken wir uns hier auf das Potenzial seriöser Therapieansätze der Zukunft – die allerdings, wenn die deutsche Gesetzgebung so rigide bleibt, Stammzellenzentren im Ausland auch massenhaft deutsche Patienten bescheren werden. Die sogenannte autologe Stammzellentransplantation, bei der Stammzellen rückübertragen werden, die zuvor aus dem Patienten gewonnen wurden, scheint bei Multipler Sklerose für berechtigte Erfolgsaussichten zu sorgen. Diese Form wird in einigen wenigen europäischen Kliniken mit blutbildenden Stammzellen bereits durchgeführt. Allerdings ist diese Behandlung sehr belastend für den Patienten, denn dabei wird das Immunsystem komplett zerstört und mittels Knochenmarkstransplantationen wiederaufgebaut. Die Risiken sind nicht unerheblich, die Erfolge durchwachsen.
Eine andere Stammzellentherapie entwickelte ich (Dominik) im Rahmen meines zweiten Doktorats. Sie ist auch Schwerpunkt meiner Habilitationsarbeit: Gewebsbildende Stammzellen für die Unterstützung sämtlicher Formen der Wundheilung einzusetzen, etwa bei Verbrennungen, Verletzungen, Operationswunden, chronischen Wunden wie »offene Beine« oder diabetischen Geschwüren. Wundversorgung kostet das Gesundheitssystem jedes Jahr Milliarden. Chronische Wunden sind sehr kostenintensiv und ein Prozent der Bevölkerung leidet mindestens einmal im Leben darunter – besonders im Alter.
Gewebsbildende Stammzellen (MSC) des Patienten sind bei der Wundheilung deshalb besonders verträglich, weil keine Abstoßungsreaktionen zu erwarten sind. Diese Stammzellen kommen auch im Knochenmark vor und wir konnten nachweisen, dass diese sowohl die Wundheilung sehr positiv beeinflussen wie auch Entzündungen im Wundbett hemmen. Die Rate der Wundheilung konnte so deutlich erhöht werden. Allerdings: Aus dem Knochenmark älterer Patienten sind deutlich weniger der Wundheilungshelfer zu isolieren. Und da die Gewinnung von Stammzellen aus dem Knochenmark darüber hinaus einen schmerzhaften chirurgischen Eingriff bedeutet, haben wir uns auf gewebsbildende Stammzellen aus dem Körperfett konzentriert. An Fettgewebe mangelt es den Patienten in unserer Konsumgesellschaft meist nicht und so können wir mit der Methode des Fettabsaugens nur unter örtlicher Betäubung relativ einfach genügend Stammzellenmaterial gewinnen. Zudem ist die Ausbeute an Stammzellen im Fettgewebe sogar noch höher als aus dem Knochenmark. Diese Untergruppe gewebsbildender Stammzellen, adipogene Stammzellen (ASC) genannt, eignet sich sehr gut für die Unterstützung der Wundheilung. Interessant ist, dass ihre Wirkung sehr schnell einsetzt, was darauf schließen lässt, dass sie nicht auf neuer Gewebsbildung beruht, sondern auf sogenannten parakrinen Faktoren: Darunter versteht man die Ausschüttung von Wachstumshormonen oder anderen Steuerungseiweißen, die nicht erst in die Blutbahn abgegeben und dann an die Zielorte transportiert werden, sondern solche, die ohne den Umweg über die Blutbahn direkt ihre Nachbarzellen steuern. Deshalb setzt der Effekt – die Wundheilung – sofort ein, wenn die ASC in den Wundbereich eingebracht werden.
Auf einen weiteren hocheffizienten Einsatz von ASCs brachte mich ein amerikanischer Footballspieler, den ich 2014 auf einer Party in San Francisco kennenlernte. Als der sympathische Hühne fragte, was mich denn in die USA gelockt hätte, erzählte ich ihm von meinen Stammzellenstudien an der Stanford University. Er berichtete daraufhin sofort von der erfolgreichen Stammzellenbehandlung eines Knorpelschadens am Knie, die ihn vor dem Karriereende bewahrt hatte. Dabei hatte man ihm Fett am Bauch abgesaugt und die gewonnenen Zellen in sein Knie gespritzt, genau an die Stelle des Knorpelschadens. Die Sache sei perfekt gelungen, versicherte er mir.
So begann ich, selbst eine neue Stammzellen-Therapie für Gelenksarthrose zu entwickeln. Vorab muss ich dazu noch erwähnen: Es gibt bis heute keine eindeutige Studienlage, die den Einsatz von regenerativen Therapien zur Behandlung von Knorpelschäden an Gelenken, eindeutig empfehlen würde. Allerdings: Arthrose, also der meist altersbedingte Abbau von Knorpel und gelenksflüssigkeitsbildenden Zellen, der zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen führt, bietet sich geradezu zwingend an für eine Stammzellentherapie mit ASC. Warum ist das so? Sehr häufig kommt die Rhizarthrose vor, eine Verschleißerscheinung am unteren Daumengelenk, das am nächsten zum Handgelenk sitzt. Der Verschleiß des Knorpels in diesem Gelenk führt zu starker Bewegungseinschränkung – der Daumen wird so instabil und kraftlos, dass der Patient es kaum noch schafft, ein Schraubglas aufzudrehen. Jede vierte Frau leidet nach den Wechseljahren daran – es ist also eine Volkskrankheit. Bislang wurde bei fortgeschrittenem »Arthrosedaumen« oft zur Trapezektomie (Entfernung eines Handwurzelknochens) geraten. Dies ist ein erheblicher Eingriff, der nur langsam, sprich: innerhalb von drei Monaten ausheilt und zu anderen Einschränkungen der Handbeweglichkeit führen kann.
Derzeit gibt es konservative und chirurgische Behandlungsmöglichkeiten der Rhizarthrose. Konservative Ansätze umfassen die Injektion von Hyaluronsäure oder Entzündungshemmern in das Gelenk. Diese Behandlungen können vorübergehend Schmerzen lindern und die Handfunktion verbessern, aber die langfristigen Ergebnisse sind nicht zufriedenstellend. Eine häufig durchgeführte OP ist die Entfernung des Trapezbeins, des Handwurzelknochens am Daumengrundgelenk. Dadurch werden das Gelenk und alle damit verbundenen Schmerzen effektiv beseitigt. Dies geht natürlich zulasten der Funktion des Daumens. Die chirurgischen Therapien haben eine Rehabilitationsdauer von etwa drei Monaten. Eine »Liparthroplastie«, also das Einbringen von Fettgewebe in das beschädigte Gelenk, kann eine gute Alternative darstellen.
Inspiriert durch den Erfahrungsbericht meiner Bekanntschaft und weiteren Forschungsergebnissen auf diesem Gebiet begann ich gemeinsam mit Unfallchirurgen der Universität Linz, den Patienten abgesaugtes Fettgewebe in das betroffene Daumensattelgelenk zu injizieren. Zum einen kann das allein durch den »Schmier-Effekt« zu einer unmittelbaren Entlastung führen. Zum anderen können die adipogenen Stammzellen in dem injizierten Fettgewebe durch die eben genannte parakrine Ausschüttung von entzündungshemmenden Faktoren Schmerzen lindern. Ob sie dann später auch den Aufbau neuer Knorpelzellen bewirken, konnte allerdings bislang noch nicht nachgewiesen werden. Viele der Patienten berichten, dass die Schmerzen stark nachließen und die Hand wieder an Kraft und Beweglichkeit gewann. Diese Effekte halten auch langfristig an.
Die Vorteile dieser stammzellengestützten Therapie (es wurde ja Fettgewebe und keine reinen Stammzellen injiziert) liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand: minimaler Eingriff, einfache Anwendung, kurze Erholungszeit von etwa einer Woche nach der Injektion – und vor allem eine vielversprechende langfristige Verbesserung. Solche Therapien bieten sich natürlich auch für andere Gelenksarthrosen an, wie die beeindruckende Heilungsgeschichte des Knies des Footballspielers ja auch schon zeigte. Die Behandlung von Schulter-, Knie- oder Hüftverschleiß wird bereits in vielen Zentren angeboten – wie gesagt, nicht jedoch in Deutschland. Die Empfehlung dabei lautet: Ausschließlich von Experten behandeln lassen und unautorisierte, selbst ernannte Kliniken unbedingt meiden. Stammzellentherapie ist eine junge Methode mit zum Teil großen Erfolgen – aber auch Tummelplatz für Scharlatane.