Читать книгу Der letzte Schluck Corona - Nina Schindler - Страница 9

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ragoner?« Er schüttelte sein wuchtiges Haupt. Hätte Gustav Schaum noch ein paar seiner dunkelgrauen Haare statt seit Jahren eine Glatze, wären die Strähnen wohl nach allen Seiten geschwirrt. »Was meinst du mit Dragoner?«

Die Frau verschloss die Tasche mit den Instrumenten.

»Corona!« Sie erhob sich aus der Hocke. Ihr Blick war spöttisch. »Ich sagte ›Corona‹.«

Jetzt kapierte der Polizist gar nichts mehr. ›Dragoner‹ hätte er noch halbwegs einordnen können. Das hatte irgendetwas mit alten Kavalleriesoldaten zu tun. Aber was hatte sie in ihrer hingenuschelten Bemerkung mit ›Corona‹ gemeint?

»Bezieht sich das auf unseren Toten?« Er wies mit der Hand auf die Leiche. »Ist das wieder so ein Fachausdruck, den ich dann in deinem Bericht finde und ohnehin nicht verstehe?«

Sie kniff ihm in die Wange. »Nein, mein Lieber. Ich sagte: Donna buona vale una corona.«

Ach Gott! Wieder so ein verrücktes italienisches Zeug! Seit Frau Dr. Tabea Himmler vor fünf Monaten zum zehnjährigen Jubiläum als Gerichtsmedizinerin einen Volkshochschulkurs geschenkt bekommen hatte, nervte sie ihre Umgebung ständig mit irgendwelchen hingedroschenen italienischen Brocken.

»Und was heißt das?«

Sie bückte sich nach der kleineren Tasche, hob auch diese hoch. »Corona bedeutet Krone, mein Lieber. Donna buona vale una corona ist eine in Italien beliebte Redewendung und heißt sinngemäß: Eine gute Frau ist eine Krone wert.« In seinem kahlen Schädel dämmerte es allmählich.

»Verstehe. Und mit dieser donna buona meinst du natürlich dich selbst.«

»Esatto, signor commissario! Ich bin nicht nur buona sondern sogar noch bravissima. Denn ich habe jetzt schon einen entscheidenden Hinweis für dich. Ich gehe davon aus, dass der Tod tatsächlich durch Aspiration eintrat.«

Zumindest diesen Begriff verstand er.

»Er ist also ertrunken.«

»Ja.« Sie wies mit der Hand zum großen goldfarbenen Bottich. »Aber bevor er in dieser Brühe ersoff, hat man ihm vermutlich eine über den Schädel geknallt. Die Schwellung ist längst zurückgegangen, kaum noch zu sehen. Aber man kann sie noch feststellen. Zumindest wenn man eine donna buona ist.« Sie wandte sich grinsend zum Gehen.

»Womit hat man ihm eine verpassst?«

»Genaueres erfährst du, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.« Sie zwinkerte ihm zu und rauschte davon.

Gustav Schaum stöhnte. Corona? Krone? Er befand sich in einer Brauerei und er hatte hier eine Leiche liegen. Da hätte er selbst wohl zu einer anderen Redewendung gegriffen. Das schlägt dem Fass die Krone aus! Oder so ähnlich. Oder heißt es Boden? Egal! Er blickte zum großen Metallbottich. Kann man dieses Ungetüm überhaupt als Fass bezeichnen? Wozu dient dieser eigenartige Kessel? Zur Gärung? Zur Lagerung? Er hatte keine Ahnung von den geheimnisvollen Vorgängen in einer Brauerei. Was ihn am Brauvorgang allenfalls interessierte, war das Ergebnis. Im Glas oder im Krug. Und einen ordentlichen Schaum musste man sehen. Das war er schon seinem eigenen Namen schuldig. Er wandte sich um.

»Flick!!!«, brüllte er. Sofort erschien ein junger Mann an der großen Eingangstür und eilte auf ihn zu. Er hatte abstehende Ohren. Wie kleine Propeller.

»Zur Stelle, Herr Kommissar.«

»Mich interessiert als Antwort jetzt nur ein lautes ›Ja!‹ Verstanden?«

Der Kriminalassistent blickte unsicher zu seinem Vorgesetzten.

»Also, Flick. Haben wir schon den Täter?«

Die Röte im sommersprossigen Gesicht von Kriminalassistent Phileas Flick nahm zu. »Leider nein … also, äh, kein Ja, Herr Kommissar.« Er tippte auf sein Tablet.

»Aber ich konnte bereits ein paar wertvolle Details ermitteln.«

»Sie hatten auch über eine Stunde Zeit«, bellte sein Gegenüber. »Also, Zusammenfassung. Von Anfang an! Und das hopp, hopp.« Assistent Flick wischte zitternd über sein Tablet.

»Name des Toten, Andreas Wuggler. Alter 37. Ledig. Seit drei Jahren in der Firma.

Funktion in der Brauerei: CICDO.«

Der Ermittlungsleiter stierte ihn verständnislos an.

»Äh, das ist eine Abkürzung, Herr Kommissar, und heißt Chief Innovation and Culture Design Officer.«

»Und das bedeutet …?«

»Äh …«, die rote Färbung im Gesicht des jungen Assistenten wurde noch stärker. »Das … äh … weiß ich leider nicht. Äh, noch nicht. Aber ich werde dem selbstverständlich umgehend …« Der Kommissar wies mit barscher Geste zur Leiche. »Und wer hat den toten … Chiefdingsda gefunden?«

Immerhin das konnte der Kriminalassistent beantworten. Und zwar in allen Details. Eifer kroch in seine Stimme. »Ein Herr Schromm, Adalbert. Seit 49 Jahren und fünf Monaten im Betrieb. Steht kurz vor der Pensionierung. Herr Schromm begann hier schon als Lehrling, war dann über Jahrzehnte Bierausfahrer. Jetzt bekleidet er den Posten eines Hausmeisters. Ich habe ihn schon herbestellt. Er wartet draußen auf Sie, neben dem Eingang zur Halle 4.«

»Sonstige Zeugen?«

»Bis jetzt noch keine, Herr Kommissar.«

Wäre auch zu schön gewesen!, dachte Schaum. Fange ich halt mit diesem Schromm an. Und dann mit Fragen sich durch die Belegschaft ackern. Die übliche Tour eben.

»Flick, Sie warten hier, bis die Spurensicherung fertig ist. Alles genauestens absuchen! Dann lassen Sie den Toten in die Gerichtsmedizin bringen. Und das hopp, hopp! Verstanden?«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

Adalbert Schromm war um einiges älter als er, trug dichtes weißes Haar. Der steht also kurz vor der Pensionierung, dachte Gustav Schaum. Und wann war er selbst soweit? In einer halben Ewigkeit! Er hatte vor einigen Jahren die Leitung der Mordermittlung übernommen. Er hatte sich nicht danach gedrängt. Es war halt kein anderer da. Immerhin gab es höhere Zulagen und auch sonst mehr Kohle auf dem Konto. Zu irgendetwas musste die Rackerei ja gut sein.

»Guten Tag. Ich bin Kommissar Gustav Schaum. Ich leite die Ermittlungen.« Die Vorstellung klang wie ein drohendes Bellen. Der alte Mann reichte ihm dennoch freundlich die Hand. Er hatte um 6:00 Uhr seine erste Runde über das Gelände gemacht, wie immer. Da sei ihm die halb geöffnete Tür aufgefallen. Er habe nachgeschaut und dabei den Toten entdeckt.

»Im Bottich. Oder wie nennt ihr dieses Metallding? Kessel? Fass?«

»Sagen Sie, wie Sie möchten, Herr Kommissar. Dann passt es schon.«

Der Polizist wechselte wieder zu bellendem Tonfall.

»Ich nehme an, Sie kannten Herrn Andreas Wuggler gut. Immerhin sind Sie schon seit fast 50 Jahren in diesem Betrieb.«

»André.«

Der Kommissar verstand nicht. »Was meinen Sie?«

»André. Er wollte von allen André genannt werden.«

»Aha. Und warum?«

Der Hausmeister zuckte mit den Schultern. »Dazu können Ihnen sicher andere aus unserem Betrieb mehr erzählen.«

»Ist Ihnen sonst etwas heute Morgen aufgefallen? Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen?« Der Weißhaarige schüttelte den Kopf.

»Gut, Herr Schromm, das war’s fürs erste.« Jetzt anschnauzen, beschloss er, damit der Kerl weiß, mit wem er es zu tun hat. »Sie rühren sich nicht von der Stelle, halten sich gefälligst zu unserer Verfügung.« Er machte auf den Absätzen seiner neuen Schuhe kehrt und stapfte davon. Der alte Mann blickte ihm lange nach.

Gustav Schaum schnaubte. Der Mann würde keine große Hilfe sein. Wahrscheinlich hatte der alte Hausmeister auch gar keine Ahnung, was hier im Betrieb vor sich ging. Schaum stoppte, sah sich um. Gleich hinter den modern gestylten Hallen waren noch die Reste alter Gemäuer zu erkennen. Wenn er sich recht erinnerte, war diese Brauerei über Jahrhunderte Teil einer Benediktinerabtei gewesen. Der Name ›Kronenbronn‹ prangte auch jetzt noch auf den Etiketten der Flaschen. Seit die alte Klosterbrauerei vor einigen Jahren von einem internationalen Konzern übernommen worden war, hatte man das Angebot verändert. Jetzt wurden hier Biere mit exotischen Geschmacksrichtungen angeboten. Irgendwas mit Früchten oder Gewürzen. Er trabte weiter, folgte dem großen Hinweisschild mit dem Schriftzug ›Direktion. Verwaltung. Kaufmännische Leitung.‹ Die Fragerei war noch mühsamer, als erwartet. Es gelang ihm zwar, einige Hinweise zu bekommen. Von manchen der Befragten wurde er richtiggehend überschüttet mit angeblich immens wichtigen Beobachtungen. Das Blöde war nur: Es passte nichts zusammen. Totaler Widerspruch. Also eine Qual. Wie immer. Doch dann, ein Lichtblick. Der Lichtblick war knapp einen Meter sechzig groß, trug ein schlicht geblümtes Kleid, hatte graue Haare und saß in der Buchhaltung. Hannelore Bibler las er auf dem Namensschild. Frau Bibler war schon an die vierzig Jahre im Betrieb, würde demnächst in Rente gehen. »Ja, das mit André stimmt, Herr Kommissar. Herr Wuggler hat gleich bei seinem Einstieg in unseren Betrieb das vorgefertigte Schild mit ›Andreas‹ abmontieren und ersetzen lassen. Jetzt stand da ›André Wuggler. CICIDO‹.«

So ganz hatte ihm das bisher noch keiner erklären können, welcher Sinn sich hinter diesem Buchstabegewirr verbarg. Zumindest niemand von den älteren Mitarbeitern. Und die jungen, die seit der Übernahme durch den Crallbeken Konzern hier offenbar das Sagen hatten, waren derzeit fast alle auf einem viertägigen Get-together-Meeting. Herr Wuggler kümmerte sich um die Kreation neuer Biersorten. So viel hatte er zumindest verstanden. Und um die Strategie, wie man die neuen Sorten am gewinnbringendsten bezeichnete, bewarb und vertrieb.

»Er ließ es sich also lieber André nennen, unser Herr Wuggler. Besonders auch von den Damen.«

Von den Damen? Hatte er da eben einen spöttischen Klang in Frau Biblers Stimme wahrgenommen? Er war sich nicht sicher.

»Hatte Herr Wuggler eine besondere Beziehung zur Damenwelt? Auch innerhalb des Betriebes?«

Sie strahlte ihn mit einem Ausdruck reinster Unschuld an.

»Viele werden Ihnen gewiss bestätigen, dass Herr Wuggler durch sein Auftreten auf Damen schon eine gewisse Wirkung erzielte. Er war ein ›Charmeur‹, werden Sie hören.« Ihre Augen begannen zu funkeln. Die Miene vermittelte immer noch die reinste Unschuld. »Würden Sie allerdings mich fragen, Herr Kommissar, und wäre ich ein Lästermaul, dann würde ich sagen: Er war ein schamloser Weiberer und hinter jedem Rockzipfel her. Auch in diesem Betrieb, von unserem Lehrmädchen im ersten Ausbildungsjahr bis zur Frau des Chefs.«

Gustav Schaum stutzte. »Des Chefs? Sie meinen Betriebsleiter Roland Drexel?«

»CEO, Herr Kommissar, Chief Executive Officer. Ja, den meine ich. Er ist zurzeit ebenfalls beim Get-together-Meeting in der Hauptzentrale.«

»Zusammen mit seiner Frau?«

»Frau Polina Drexel ist nicht mitgefahren. Sie blieb hier. Sie ist unsere Marketingchefin.«

»Kann ich Frau Drexel sprechen? Ist sie heute im Betrieb?«

»Das entzieht sich leider meiner Kenntnis.«

»Er war also ein schamloser Weiberheld?«

Sie strahlte ihn an. »Sie haben mich gewiss falsch verstanden, Herr Kommissar. Das würde ich behaupten, wenn ich ein Lästermaul wäre. Aber selbstverständlich bin ich das nicht.« Sie zwinkerte ihm zu. Die Frau gefiel ihm. Er quittierte das Zwinkern mit einem Lachen. Es hörte sich an, als rolle ein alter Felsbrocken in einem leeren Bierfass. Er schob sich vom Stuhl hoch, bedankte sich.

Nein, Frau Drexel sei heute nicht im Büro erschienen, erfuhr er wenig später. Nein, von Auswärtsterminen sei nichts bekannt. Er bat die verantwortliche Sekretärin, die Marketingchefin zu erreichen und ihm dann Bescheid zu geben. Dann machte er sich auf den Weg zum Sudhaus, um mit einigen Technikern zu reden. Aber auch da erfuhr er nichts Wesentliches. Und dass es der Gruppe aus vier Herren und zwei Damen eben gelungen war, einen wesentlichen Fortschritt in der Energierückgewinnung für das Würzekochen zu erzielen, interessierte ihn wahrlich einen feuchten Dreck. Auf dem Rückweg bemerkte er, dass Adalbert Schromm immer noch neben dem Eingang zur Halle 4 wartete. Sie rühren sich nicht von der Stelle. Das hatte Schaum natürlich nicht wortwörtlich gemeint. Vielleicht hätte er den Alten nicht so anschnauzen sollen. Er steuerte auf den Hausmeister zu.

»Hallo, Herr Kommissar. Wie ich sehe, waren Sie eben bei unseren Technikern im Sudhaus.« Schaum versuchte eine halbwegs freundliche Miene aufzusetzen.

»Ja, und jetzt weiß ich alles über das Würzekochen.«

»Und zum Hergang des schrecklichen Unglücks? Wissen Sie dazu auch etwas?«

»Leider noch nichts Genaues. Dafür weiß ich aus dem Gespräch mit den Technikern, was sich in dem Behälter befindet, in dem Sie die Leichen fanden. Sweet Foam. Eine neue Marke. Bier mit Lakritzegeschmack.«

Die Augen des alten Hausmeisters weiteten sich ein wenig. »Ja, das wird dann wohl stimmen.«

»Also mein Geschmack wäre das nicht«, knurrte Schaum. »Lakritze! Pfui Teufel! Aber wie man mir sagte, habt ihr hier auch Bier, das nach Pfeffer schmeckt. Das hat sich alles Herr Wuggler ausgedacht, wie ich erfuhr. Auch Biere, die nach Erdbeere schmecken, nach Schokolade, Vanille, sogar nach Leberwurst! Bähhh. Ich mag nur Bier, das nach Bier schmeckt. Hefe, Malz, Wasser, Hopfen.« Er wies mit dem Arm in die Runde. »So wie es diese alte Klosterbrauerei über Jahrhunderte geschaffen hat.« In den Augen des Hausmeisters begann es zu leuchten. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Vielleicht besuchen Sie mich einmal, Herr Kommissar. Ich habe noch ein Fass altes Klosterbräu Kronenbronn im Keller.«

»Gerne.« Er klopfte dem alten Mann auf die Schulter. »Sobald ich den Fall abgeschlossen habe. Und jetzt, Herr Schromm, können Sie wieder Ihrer Arbeit nachgehen und sich gern überall frei bewegen.« Dann trottete Gustav Schaum davon. Der Hausmeister blickte ihm lang nach.

»Herr Kommissar!« Es war der Ruf des Assistenten, der Schaum stoppte.

Der junge Mann eilte auf ihn zu. Ein Leuchten im Gesicht. Ist das jetzt der Durchbruch?, schoss es Schaum durch den Kopf. Lieferte sein grinsender Mitarbeiter mit dem grässlichen Vornamen jetzt den entscheidenden Hinweis? Phileas Flick bremste vor ihm ab. »Herr Kommissar. Ich habe einen Zeugen. Der sagt aus, er habe gestern erst gegen 23:00 Uhr das Büro verlassen. Dabei bemerkte er eine Frauengestalt, die auf das Gebäude zuging, in dem später der Tote lag.«

»Hat er die Frau erkannt?«

»Er ist sich nicht sicher. Es könnte vielleicht die Marketingchefin gewesen sein. Ihr Name ist …« Er zückte das Tablet. »Einen Moment …«

»Polina Drexel«, knurrte Schaum. Der Assistent blickte erstaunt auf seinen Chef.

»Kommen Sie Flick, hopp, hopp!«

Dann ging alles sehr schnell. Nein, sie habe Frau Drexel leider noch nicht erreicht, zirpte die Sekretärin. Die Polizisten ließen sich die Adresse geben. Zwanzig Minuten später erreichten sie die Villa. Sie stürmten eben die Steinstufen zum Eingang hinauf, als ein Auto durch die Einfahrt schoss. In dem schwarzen Porsche saß eine blonde Frau. Als sie die beiden Beamten mit dem Polizeiauto bemerkte, bremste sie abrupt.

Schon machte sie im Sportwagen kehrt. »Los, Flick, hinterher!«

Der Porsche erhöhte das Tempo. Doch sie ließen sich nicht abschütteln. Im kleinen Waldstück schlossen sie sogar ein wenig auf. Den entgegenkommenden LKW bemerkte die Fahrerin offenbar zu spät. Sie verriss den Wagen, streifte einen Baumstamm. Der Porsche überschlug sich. Dann verschwand er. Die Polizisten bremsten abrupt ab. Gleich hinter dem Baum erstreckte sich eine kleine Schlucht. Der Kommissar alarmierte sofort die Rettungskräfte. Diesw trafen bereits nach zwölf Minuten ein. Aber es war zu spät. Die Feuerwehrleute konnten nur mehr die tote Polina Drexel aus dem Wrack bergen.

Drei Stunden später war so ziemlich alles klar.

»Ja«, bestätigte ihm die Gerichtsmedizinerin. »Die Fingerabdrücke der Toten stimmen überein mit jenen auf dem kurzen silberfarbenen Rohr.« Sie hielt es in die Höhe. »Das gehört zu all dem Zeug, das die Spurensicherung vom Tatort mitnahm.«

Es passte also alles. Sie hatten in den letzten Stunden nochmals Leute aus dem Betrieb befragt. Ja, Herr Wuggler pflegte seine erotischen Stelldicheins gerne in der kleinen Kesselhalle abzuhalten. »Vielleicht gluckst es auch beim Sex besser, wenn gleichzeitig daneben das Bier gluckst«, hatte Frau Bibler bemerkt. Und von der Sekretärin erfuhren sie, dass es zwischen André Wuggler und Polina Drexler schon länger gekriselt hatte.

»Ich habe es dir ja gleich gesagt.« Der triumphierende Tonfall in der Stimme von Tabea Himmler war nicht zu überhören. »Wuggler ist zwar in der Bierbrühe ertrunken. Aber vorher bekam er eins übergezogen. Danach hat sie ihn wohl in den Kessel geworfen.«

»Ja ich weiß: Donna buona …«

»… vale una corona!« Jetzt kreischte sie sogar.

»Ja, ich hab’s kapiert!« Er blies hörbar die Luft aus.

»Schön langsam entwickelt sich das bei dir zu einem Anfall und ich bekomme die Krise! Was hältst du von einem guten Bier als Belohnung? In meiner Stammkneipe. Jetzt gleich.«

Sie lachte. »Angenommen. Cervisia statt Corona. Auch nicht schlecht.«

»In jedem Fall mit viel Schaum.«

Die Uhr am nahe gelegenen Kirchturm schlug an. Zwei mal. Die Brauerei lag im Dunkeln. Alles ruhig. Er ging langsam über den Hof. Er hatte ein kleines Zimmer hier am Gelände, in einem der älteren Gebäude. Der alte Brauereidirektor hatte ihm das zugestanden. Ein feiner Kerl. Manchmal übernachtete er hier. So wie gestern. Da war er auch spät nachts noch durch das Gelände gestreift. Die Brauerei war sein Leben. Er fühlte sich immer noch verantwortlich. Und dabei hatte er sie bemerkt, die Marketingchefin. Eher zufällig. Es tat dem alten Hausmeister leid, was Polina Drexel zugestoßen war. Sie war zwar eine widerliche Person gewesen, hochnäsig, bissig, eine ekelhafte Zicke. Aber so einen schrecklichen Tod hatte sie auch nicht verdient.

Der Kommissar selber hatte es ihm berichtet. Wahrscheinlich hat Frau Drexel irgendwie erfahren, dass ihr Liebhaber tot war, mutmaßte er. Und da hatte die Frau wohl angenommen, sie trage Schuld daran. Immerhin hatte sie mit dem Rohr zugeschlagen. Vermutlich war sie deswegen in Panik geraten, als die Polizeibeamten bei ihr zu Hause auftauchten. Ihn fröstelte. Der Nachtwind frischte auf. So wie gestern näherte er sich langsam dem Gebäude. Sie hatten gestritten. Das hörte er schon aus der Ferne. Heftiges Gebrüll. Darauf ein schriller Aufschrei. Im nächsten Moment war sie durch die halb offene Tür nach draußen gestürmt. Ihn hatte sie gar nicht wahrgenommen. Sie hätte Adalbert Schromm wohl auch nicht bemerkt, wenn er direkt vor ihr gestanden wäre. Ein schlichter Hausmeister war für sie nicht einmal Luft. Ein Nichts. Lästiges Überbleibsel aus vergangener Zeit. Das übersah man einfach. Er griff nach der Tür, zog sie auf, blickte hinein. Ein kleines gelbes Schild mit der Ziffer 2 entdeckte er auf dem Boden. Das hatte die Polizei wohl vergessen. Er versuchte, sich die Szene von gestern Nacht nochmals vorzustellen. Als passiere sie eben jetzt. Wuggler kniet auf dem Boden, presst sich stöhnend die Hand an den Kopf. Er starrt zur Tür, bemerkt ihn. »Glotzen Sie nicht so blöd! Was treiben Sie überhaupt hier, mitten in der Nacht?« Ausspucken. Gelblicher Schleim. »Wenn Sie schon da sind, machen Sie sich gefälligst nützlich. Ich muss den Bottich wieder verschließen. Das ist unser neues Sweet Foam. Das wird ein Verkaufsschlager. Aber davon haben Sie ohnehin keine Ahnung. So wie all die alten Deppen in diesem Betrieb.« Er krabbelt hoch. »Jetzt kommen Sie schon, Mann! Hören Sie auf, dämlich zu gaffen! Los, mit mir die Leiter hinauf!«

Ja, so war es gewesen. Erneut erklang die Turmuhr. Er blickte in die Nacht hinaus. Hatte sie gestern auch geschlagen? Er schaute wieder ins Innere. Es war nicht schwer gewesen. Er hatte ihn einfach aus dem Gleichgewicht gebracht. Ein kurzer Stoß, nicht einmal heftig. Aber es hatte gereicht. Wuggler war kopfüber in den Bierkessel gekippt. Und der alte Hausmeister hatte nur mehr dessen Beine umklammern müssen. So lange, bis der CICIDO sich nicht mehr rührte.

Er blickte zum Bottich. Ja, er musste dem Kommissar rechtgeben. Auch er mochte kein Bier, das nach Lakritze schmeckte. Oder nach Leberwurst. Über viele Jahrhunderte hatte man hier in dieser Brauerei Bier gebraut, das nach Bier schmeckte. Und das war gut so. Doch seit diese eingebildeten Lackaffen übernommen hatten, schmeckte es nach Erdbeer, Schokolade, Pfeffer, Vanille. Grässlich! Wenn Adalbert Schromm Ahornsirup wollte, dann trank er welchen. Und nicht Bier, das danach roch. Er drehte sich langsam um. Es war nicht nur Geschmacksterror, was hier seit Auftauchen der Lackaffen passierte. Hier wurde eine jahrhundertalte Bierkultur zerstört! Er drückte die Tür zu. Den toten CICIDO würde man wohl bald ersetzen. Das war ihm schon klar. Irgendein anderer aufgeblasenen Schnösel würde antanzen. Langsam setzte er sich in Bewegung. Aber noch gab es ihn. Adalbert Schromm. Er wusste, was er der alten Brauerei schuldig war. In Rente ging er erst in vier Monaten. Es blieb also noch genügend Zeit.

Und nächste Woche würde er sich mit dem Kommissar treffen. Um ein altes Fass zu öffnen.

Mit Klosterbräu.

Bier, das nach Bier schmeckt.

Der letzte Schluck Corona

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