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Zwei

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Montag, 30. April, 09 Uhr 32

„Guten Morgen, Señor.“ Seine Haushälterin füllte die Tasse mit frisch aufgebrühtem Kaffee und legte wie üblich die Morgenzeitung daneben. „Darf ich den Tee für Señora schon bringen?“

„Nicht nötig. Ich frühstücke heute allein.“

„Wünschen Sie sonst noch etwas, Señor?“

„Danke, Rosa. Das wäre dann alles.“

Unterwürfig senkte sie den Kopf und zog die beiden Flügeltüren leise zu. Er mochte die kleine Spanierin, die schon für seinen Vater gearbeitet hatte und für ihren Katalanischen Pudding berühmt war. Manchmal schlichen sich die Erinnerungen von früher in seine Gedanken. An die wenigen schönen Augenblicke seiner Kindheit, in denen er sich gelegentlich in die Küche geschlichen hatte, um sich eine Extraportion der süßen Köstlichkeit zu stibitzen. Rosa kannte sein Geheimnis, aber sie ließ ihn jedes Mal gewähren. Auch wenn das für sie eine Menge Ärger bedeutet hätte, wären sie jemals aufgeflogen.

Sein Vater war ein harter Mann. Schon damals, heute erst recht. Nicht dass es ihm an irgendwelchen materiellen Dingen gefehlt hätte. Aber eine Zeit lang hätte er alles Spielzeug gegen eine einzige Stunde zusammen mit seinem Vater auf dem Spielplatz, ohne mit der Wimper zu zucken, eingetauscht. Doch Zuneigung und Liebe blieben ihm stets verwehrt. Anfänglich hasste er ihn abgrundtief dafür, doch mit der Zeit hatte er gelernt, es zu akzeptieren. Den Respekt und die Anerkennung seines Vaters hatte er sich mühevoll erarbeitet, indem er genauso wurde wie er. „Und vielleicht noch schlimmer.“

Mittlerweile genoss der alte Mann den Ruhestand. Meist in den Staaten. Dass Rosa das oft so kalte und verregnete Deutschland dem warmen Klima Floridas vorzog, hatte ihn damals irgendwie froh gemacht. Sie wäre zu alt für Veränderungen und hatte darum gebeten, weiterhin für ihn arbeiten zu dürfen. Nichtsdestotrotz war sie eine Angestellte und er hatte in all den Jahren, oft auf bittere Art und Weise, gelernt, dass man sich Gefühle in diesem Geschäft nicht leisten konnte. Bisher hatte er es mit diesem Kodex sehr genau genommen.

Bisher … Denn vor wenigen Monaten schlich sich diese Frau in sein Leben und nur ein einziges Mal erlaubte er sich, eine Ausnahme zu machen. Doch sie war es wert. Dessen war er sich verdammt sicher. Der Umstand, dass sie verheiratet war, bereitete ihm keine großen Sorgen. Denn diese unglückliche Gegebenheit würde sich bald wie von selbst erledigt haben. Er lachte leise und zog ein Handy aus der Innentasche seines Sakkos.

Es war an der Zeit, die Geschäftsbeziehung zu seinem neuen Mitarbeiter zu vertiefen. Der Bursche war klug und gebildet und ohne Gewissen. Genauso wie er es mochte. Also brachte er im Augenblick die besten Voraussetzungen mit, befördert zu werden. Denn dass man sich von Zeit zu Zeit von dem ein oder anderen Mitarbeiter trennen musste, war eine Tatsache. Irgendwann beging jeder eine Dummheit.

Und er hasste inkompetentes Personal. Bald schon würde erneut eine Stelle in seinem Unternehmen frei werden. Denn niemand hinterging ihn ungeschoren. Niemals.

„Ich bin´s. Muss ich mir Sorgen machen? Ich mag es überhaupt nicht, wenn man mich warten lässt.“

„Es ist alles vorbereitet. Keine Sorge, Sie können sich ganz auf mich verlassen.“

„Davon gehe ich aus. Allerdings gibt es eine kleine Planänderung.“

„Inwiefern?“

„Ich habe einen weiteren Gast eingeladen. Noch heute wird sich jemand bei dir melden. Du bekommst also, sagen wir mal, für eine gewisse Zeit ein wenig Unterstützung.“

„Sie vertrauen mir nicht?“

Ich vertraue niemandem.“ „Vertrauen muss man sich erarbeiten. Im Übrigen bezahle ich deine Rechnungen, also stell meine Entscheidung nicht infrage.“

„Natürlich nicht, Boss. Es wird alles so gemacht, wie Sie es wollen.“

„Das dachte ich mir. Und wag es ja nicht, mich noch einmal zu unterbrechen.“ Er machte eine kurze Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Sieh einfach nur zu, dass alle die Veranstaltung genießen … bis zum Ende.“ Er hörte ein leises Kichern in der Leitung.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass es für einige Teilnehmer auf der Gästeliste die letzte derartige Party werden wird?“

„Ich sehe, wir verstehen uns“, stellte er ruhig fest und legte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, auf, um die nächste Nummer zu wählen.

„Boss?“

„Es gibt einen Job für dich zu erledigen.“

„Das Übliche?“

„Nicht ganz. Die Sache ist diesmal persönlich, deshalb will ich, dass du ein Auge auf die Angelegenheit hast.“

„Wer?“

„Keine Sorge. Du bekommst noch früh genug alle Informationen, die du benötigst.“

„In Ordnung.“

„Noch etwas. Beim geringsten Zweifel …“

„Keine Zeugen. Schon kapiert.“

„Gut. Ich sehe, ich kann mich auf dich verlassen.“ Wieder beendete er das Gespräch und nippte vergnügt an seinem Kaffee. Bald würde nichts und niemand mehr zwischen ihm und seinem Glück stehen. Bei dem Gedanken daran vollführte sein Herz Freudensprünge. Diesmal nahm er sein persönliches Handy zur Hand. Nur wenige Ausgewählte kannten diese Nummer und sie war eine davon. Schon nach wenigen Sekunden hörte er ihre vertraute Stimme und musste lächeln.

„Guten Morgen, Liebes. Wie war die Fahrt?“

Montag, 30. April, 10 Uhr 42

„So geht das nicht weiter, Tom. Du musst dich entscheiden.“ Verbittert saß Tom auf der Couch seiner Nachbarin und blickte auf seine zusammengefalteten Hände. Bereits zum wiederholten Male hatte sich seine Großmutter aus der gemeinsamen Wohnung geschlichen und war desorientiert im Viertel herum gelaufen. Granny, wie er sie liebevoll nannte, litt an Demenz und es wurde schlimmer. Er konnte nur von Glück sagen, dass Gerda sie erneut aufgegriffen hatte und auch diesmal nichts weiter passiert war.

„Ich weiß. Aber was soll ich denn machen? Ich bringe es einfach nicht übers Herz, sie in ein Heim abzuschieben. Und ein privater Pflegedienst. Wie soll ich das bezahlen? Ich bin nur Kellner und wir kommen gerade so über die Runden.“

„Tom. Mit Abschieben hat das rein gar nichts zu tun.“

„Wer soll abgeschoben werden? Oh. Entschuldige, Gerda. Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ Eine kleine, sehr warmherzig wirkende Dame stand in der Tür zum Wohnzimmer und blickte irritiert drein.

„Vielleicht könntet ihr dieses Thema etwas diskreter führen, verdammt noch mal“, meldete sich nun auch Kurt, Gerdas Mann, zu Wort, der sich die ganze Zeit über hinter einer Bildzeitung am Esszimmertisch vergraben hatte. Genervt faltete er diese zusammen, ging zu Granny hinüber und legte den Arm um ihre schmalen Schultern.

„Hier wird niemand abgeschoben, Hetti. Und wir beide gehen jetzt in die Küche und kochen uns eine schöne Tasse Tee. Hast du noch etwas von deiner köstlichen Mischung?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht?“

„Wir schauen einfach mal nach. Einverstanden?“ Erbost blickte Kurt noch einmal zurück und verließ mit Granny das Wohnzimmer. Gerda ignorierte ihren Mann und nahm Toms linke Hand in die ihre. Ihm war übel, denn dass seine Großmutter ihn wieder nicht als ihren Enkel erkannt hatte, hatte ihm einen tiefen Stoß in die Magengrube versetzt. Er würde sich wohl nie daran gewöhnen.

„Es gibt immer Möglichkeiten und wir helfen dir dabei, etwas Geeignetes zu finden.“

„Ich weiß nicht.“

„Was ist, wenn sie beim nächsten Mal vor ein Auto läuft oder sich im Wald verläuft? Willst du das?“

„Nein.“

„Es wird zu gefährlich und wir können nicht immer auf sie aufpassen, wenn du arbeitest.“

„Ich weiß.“

„Heute Nachmittag gehen wir beide zu eurem Hausarzt. Er wird sicherlich eine Lösung für dich haben. Ich habe bereits einen Termin gemacht.“

Entgeistert schaute er auf. „Was? Warum denn so schnell?“, schnaubte Tom verächtlich.

„Auf was willst du warten? Muss erst etwas passieren?“

„Tut mir leid. Du hast ja recht. Ich fühle mich nur einfach nicht wohl bei dem Gedanken. Sie ist alles, was ich noch habe, und war immer für mich da. Und jetzt müsste ich doch für sie da sein, oder?“

„Das bist du doch auch. Du kannst sie jeden Tag besuchen.“ Gerda verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. „Der Termin ist um 16.30 Uhr. Bitte sei pünktlich.“

„Na schön. Aber vorher muss ich noch mal ins Café. Würdest du …?“

„Geh schon. Hetti bleibt erst mal hier.“

„Danke. Ihr habt wirklich was gut bei mir.“

Spur der Vergangenheit

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