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Oh Gott warum?

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Die Digitalanzeige in meinem Auto zeigte

2:00 Uhr früh morgens an. Ich bin müde, ausgelaugt, meine Augen sehen alles nur noch verschwommen. Meine Frau Doris, unsere ältere Tochter Sabrina mit Handicap schliefen. Wuschel unser kleiner Malteser und die vier Katzen, Koko mit seiner Aids Krankheit, Lilli, die älteste Katze mit einem offenen Krebsgeschwür, Zorro der spanische Fuchs und Jimmy der Rollmops schliefen auch. Im Auto roch es wie in einem Stall. Die Luft war zum Zerschneiden. Die Tränen rollten über meine Wangen. Meine Augen brannten. Ach ich habe mich ja noch nicht vorgestellt. Ich, das Oberhaupt wie es die Gesellschaft nennt, habe versagt. Warum? Warum? Warum? Die Gedanken drehen sich im Kreis. Ich kam Kilometer um Kilometer unserem Traum vom Aussteigen immer weiter weg. Und wieder musste ich loslassen, obwohl ich doch gerne alles festgehalten hätte.

Loslassen - meinen Traum vom Auswandern.

Loslassen - mit drei Generationen unter einem Dach glücklich zu werden. Loslassen - von meiner geliebten Mama. Die Tränen liefen hemmungslos, es sah ja keiner.

Dabei hat es vor zwei Jahren so toll angefangen. Sogar ein Kamerateam von Goodbye Deutschland hat uns auf dem Weg vom verregneten Deutschland ins sonnige für uns gelobte Land Spanien, an die Costa Blanca bzw. ins Hinterland bei Sella begleitet. Ein Aufzucken, oh Gott ein Sekundenschlaf, schon der Zweite. Anhalten - das ging nicht, ich war zu spät dran. Wir haben mit der Möbelspedition um 11:00 Uhr früh den Termin zum Ausladen. Alles, aber auch alles lief schief. Warum ich?

Ich glaube jetzt verwirrt alles doch etwas. Ja meine Gedanken sind in diesem Moment auch verwirrt. Ich sehe mich schon an einem Baum kleben, aber die Verantwortung ist zu gross. Cut - ich fange von Anfang an meine Geschichte zu erzählen. Sie ist teilweise so fantastisch, mystisch, traurig, aber auch lustig, da ich vom Wesen eigentlich ein lustiger positiv denkender Typ bin. Aber nun fange ich von Anfang an zu erzählen.

Meine Geburt war am 03.01.1959. Vom Gefühl her würde ich sagen war ich eine Hausgeburt. Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, wo mich meine Mama in einer kratzigen Zinkwanne wusch und mein Popo danach wie ein Pavianarsch im leuchtenden rot erblühte.

Ich weinte und schrie, denn es tat einfach weh. Babys können sich halt nur so bemerkbar machen. Meine Mama gab mir einen Schmatz, machte ein bisschen Fettcreme drüber, und schon war alles wieder gut.

Ich dankte es ihr mit einem heissen Strahl, der in Mamas Bluse schoss. Sie lachte so herzlich, drückte mich an sich und sagte: „Mein Engel ich hab Dich lieb.“ Ich kann Ihnen von meiner Mama nicht viel erzählen, da Sie zu jung von uns gegangen ist, von mir gegangen ist. Da fällt mir noch eine Geschichte ein.

Meine Mama säuberte für meine Schwester das Glas- fläschchen, und wie sie es so mit Bedacht putzte, brach es entzwei. Das Blut floss in Strömen. Oh Gott, oh Gott, meine Mama stirbt, dachte ich. Meine Mama starb nicht, aber das viele Blut, das ich gesehen hatte, sollte mich noch öfters erschrecken.

Es war die Vorahnung auf einen Alptraum, aus dem ich so schnell nicht wieder erwachte.

Die paar Jahre, die ich mit meiner Mama aufwachsen durfte, waren die schönsten in meinem Leben. Ich durfte in dieser Zeit einfach Kind sein. Nach der Schule ab in die Natur, mit den Kumpels Blödsinn machen, eine Gang gründen, mit Nachbar's Tochter auf Entdeckungsreise gehen. So kurz wie diese geschriebenen Zeilen war auch meine Kindheit. So kommt es mir jedenfalls vor.

Meinen Vater kannte ich so gut wie gar nicht, doch eine böse Erinnerung habe ich noch. Er war derjenige, der seinen Gürtel mit Eisenschnalle über meinen jungen Körper schlug, ohne dass es für mich einen

ersichtlichen Grund gab. Meine Mama versuchte das meiste abzuwenden, indem sie sich schützend über mich beugte. Dabei bekam sie die volle Ladung mit der schweren eisernen Schnalle ab. Sie schrie und wieder einmal floss Blut. Wie alles vorüber war und Vater wieder von dannen zog, nahm sie mich weinend in den Arm.

Wir sahen unseren Vater zum letzten Mal am Flughafen, wo er uns nach Amerika mitnehmen wollte, das heißt meine Schwester, meine Mama und mich. Er sagte zu meiner Mama, dass er noch ein paar Zigaretten holen müsse. Wir warteten und warteten. Der Flieger hob ab. Mein Vater saß im Flieger und wir saßen im Taxi auf dem Weg nach Hause. Diese Szene ist doch filmreif. Oder?

Damals beim Jugendamt wunderte sich jeder, warum wir schon Reisepässe hatten.

Nun kommt der grosse Tag, von dem an sich mein Leben Schritt für Schritt verändern sollte. Es war ein sonniger, warmer schöner Tag. Meine Schwester und ich spielten auf der Strasse Federball. Meine Schwester verlor, das nächste Spiel verlor sie auch und das nächste auch. Man muss dazu sagen, dass meine Schwester zu diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt war, und ich zählte schon schlappe siebeneinhalb Jahre. Meine Schwester kam wütend auf mich zu, schlug mir den Federballschläger und das ohne Vorwarnung rücklings auf meinen Kopf. Ich schrie - er zerbrach. Ich schrie: „Du dumme dumme Schwester!“ Ich ging weinend zu meiner Mama, die in der Bäckerei stand.

„Mama, Mama, die blöde blöde Schwester hat mir den Federball Schläger auf den Kopf gehauen!!“ „Vertragt euch“, sagte Mama. „Nein nein, die dumme blöde Schwester“, sagte ich weinend. „Du Norbert möchtest Du gerne ein zweites Schwesterchen haben?“

Was höre ich da? Ein zweites Schwesterchen? Ein zweites Schwesterchen, das mir vielleicht dann auch noch auf die Nerven geht? „Nein! Nein! Ich mag kein Schwesterchen mehr haben! Nein und Schluss!“ Mit meiner Aussage habe ich bis heute Schuldgefühle. Und an Zufälle glaube ich schon lange nicht mehr. Mit meiner Schwester hatte ich damals keine gute Beziehung. Vielleicht können Sie mich verstehen, wenn ich Ihnen diese Geschichte erzähle.

Meine Schwester und ich bekamen von unserer Mutter Wellensittiche geschenkt. Im Tiergeschäft suchte sich meine Schwester den grünen Wellensittich aus, und ich entschied mich für den blauen Wellensittich, der den Namen Hansi bekam.

Ich hatte mir damals in den Kopf gesetzt, dass ich meinem schönen blauen Wellensittich das Sprechen beibringen werde.

Für mich war mein Hansi der Schönste, der Klügste, einfach mein Freund, mit dem ich alles besprechen und meine Geheimnisse anvertrauen konnte.

Meiner Schwester ihr Wellensittich war schon in der ersten Woche davon geflogen. Sie ließ ihn einfach fliegen, indem sie das Küchenfenster aufmachte und das war’s. Als ich von der Schule heim kam und meinen Hansi begrüßen wollte, war der Vogelkäfig leer. „ Mama, Mama wo ist mein Hansi? Mein Hansi ist weg!“ Schweigen. Meine Mama drückte mich an sich und sagte mit leiser Stimme: „Dein Hansi ist tot!

Deine Schwester hat ihn in der Hand gehalten. Sie erschrak und ließ ihn fallen und das war’s.“

„Und wo ist er jetzt?“ Meine Mama zeigte mit dem Zeigefinger drauf. Da lag er mit offenen Augen. Ganz friedlich lag er da - mein Hansi. In diesem Moment hasste ich meine Schwester. Verstehen Sie, warum ich kein Schwesterchen mehr haben wollte? Sie hatte auch damals mein Lieblingsbuch, das Struwwelpeter hieß, als ich wieder mal in der Schule war, bekritzelt und zerschnitten. Ich schlug meine Schwester, sie schlug mich und meine Mama sagte: „Hallo das ist deine kleine Schwester, die schlägt man nicht!“ Und wir zofften uns oft! Hätte doch meine Mama gesagt: „Norbert, willst Du ein Brüderchen haben?“ Dann hätte ich gesagt: „ Ja, ja Mama!“ Aber so, nein.

Wir wohnten damals im Dachgeschoss. Es war eine kleine Drei- Zimmerwohnung. Meine Schwester und ich schliefen in Mamas Ehebett. Ein Kinderzimmer in diesem Sinne hatten wir nicht. Wir hatten ein Wohnzimmer, eine Küche, eine Toilette und Mamas Schlafzimmer und ein paar Möbel. Einmal war ein Mann da, der klebte Aufkleber auf unsere Möbel. Nachdem ich meine Mama fragte was der Mann da macht, sagte sie, dass er einen Kuckuck draufklebt. Kuckuckkuckuck ruft es aus dem Wald sang ich. Nachts waren wir oft alleine, denn Sie müssen verstehen meine Mama war alleinerziehend und musste uns ernähren. Sie arbeitete in Amberg bei den Amis in den Kasernen als Bedienung. Sie brachte des- öfteren auch Männer mit, was ich blöd fand.

Die tranken viel und dann wurden sie so albern, einfach doof. Als es wieder einmal soweit war und es so doof lustig für die zwei wurde, kam ich gerade in das doofe Wohnzimmer. Da sprach mich der komische Mann an: “ Du bist ja schon ein grosser Junge und darfst auch schon was trinken“, sprach er in gebrochenem deutsch. „Da trink!“ Und ich trank und trank um ihm zu beweisen, dass ich schon ein grosser Junge war. Mir wurde schlecht, schwindelig und ich kotzte alles wieder heraus. Scheiß Mann dachte ich.

Die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, kann ich bis heute noch nicht begreifen.

Es war wieder mal so ein doofer blöder Ami da. Er spielte mit uns verstecken, er war auch netter zu uns. Wo wir uns auch versteckten, fand er uns.

Er fand uns in der Küche. Er fand uns in der Kammer. Meine Schwester hatte keine Lust mehr, aber ich, denn ich wusste ein ganz tolles Versteck. Ich versteckte mich auf Mamas Kleiderschrank im Schlafzimmer. Der Ami suchte und suchte und suchte.

Die Stimme wurde von leise zu lauter, vom lauten zum sehr lauten und vom sehr lauten zum Schreien. Ich bekam Angst.

Eine eiserne Hand packte mich und schleuderte mich auf Mamas Bett. Er nahm Mamas Kissen und drückte zu. Es kam mir so vor als wenn ich in einen Schraubstock geraten wäre. Ich zappelte, ich schrie. Es drehte sich alles wie im Karussell um mich. Eine innere Stimme sagte zu mir: „Du wirst sterben!“

Die Stimme wurde immer lauter und lauter: „Du wirst sterben!“ In meinem Kopf fing es zum Brummen an. Ich sah lauter grelle Lichtblitze vor meinen Augen. Mein Körper wurde immer ruhiger und ruhiger. Meine innere Stimme sagte zu mir:“Stell dich tot!“ Er nahm das Kissen ab, schaute mich an und musterte mich.

Jetzt schrie meine innere Stimme: „Lauf los !!!“ Ich riss meine Augen auf, rappelte mich hoch und schnellte wie eine Sprungfeder aus dem Bett. Was weiter passierte, wie der weitere Ablauf danach war, an den kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich weiss nur noch, dass ihn meine Mama mit einem mächtigen Geschrei hinaus geschmissen hat.

Heute weiss ich, dass ich diesem meinem geistigen Engel mein Leben verdanke.

Ich möchte zu dieser wahren Geschichte nichts mehr hinzufügen, nur das eine. Es hat mich in meiner Entwicklung quantenmäßig weiter gebracht, denn ich wusste in diesem Moment, dass ich nicht alleine bin.

Nachts wenn wir alleine waren, und das waren wir oft, hörten wir sonderbare Geräusche in unserer Wohnung und vor unserer Wohnungstür. Wir versteckten uns hinter dem Fernsehsessel und verharrten dort oft zitternd.

In solchen Situationen schmuggelte sich meine Schwester ganz eng an mich. In ihren Augen war ich der grosse Bruder und so fühlte ich mich in diesen Momenten. Ins Bett brachte uns keiner. Wir legten uns irgendwann wenn wir übermüdet waren in Mamas Bett. Eine Gute-Nacht-Geschichte gab es nicht.

Morgens wenn es zur Schule ging, machte Mama das Frühstück, das meist aus einem Margarinebrot bestand, einem Kakao dazu und das war’s. Oftmals machte ich mir ein Zwiebelbrot. Mehr fand ich in dem Speiseschrank nicht. Ich hatte damals schon gelernt, weniger ist mehr.

Es war im Winter. Auf einmal bekam ich Schüttelfrost, hohes Fieber und mir ging es nicht gut. Der Arzt kam nachts und sagte wenn es bis zum Morgen nicht besser wird, muss er ins Krankenhaus. In dieser Nacht habe ich zum zweiten Male meinen Schutzengel gesehen, einen Engel in leuchtendem Weiß. Der Schutzengel winkte mir zu, kam näher und umarmte mich, wie es meine Mama immer machte. Am nächsten Tag ging es mir schon etwas besser. Ich bekam Zwieback mit warmer Milch und Honig. Das war lecker.

Als Mama mir die Honigmilch reichte, flüsterte sie mir was ins Ohr. „Was für eine Überraschung Mama?“ „Das wirst Du schon sehen!“ Wir standen vor einem Fahrrad- laden und gingen zusammen rein. „Du darfst Dir ein Fahrrad aussuchen“, sagte Mama. Etwas enttäuscht war ich schon als ich nur Oma- und Opafahrräder zur Auswahl hatte.

„Na, gefällt Dir eins?“, sagte der Verkäufer verschmitzt. „Nein, die sind ja viel zu gross und schauen blöd aus!“ Der Verkäufer drehte sich um und ging. Als er wieder herein kam, traute ich meinen Augen nicht. Ein nagel- neues orangefarbenes Bonanza-Rad schob er vor sich her. „Wow“ kam es aus meinem Mund. Dabei vergaß ich den Mund wieder zu schließen.

„Das Bonanza-Rad wurde extra für einen Jungen bestellt!“ sagte der Verkäufer. „Oh!“ sagte ich. Meine Mama kniete sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: „Für Dich mein Schatz!“ Ich machte einen Freuden- tanz und drückte meine Mama ganz fest. Das war mein glücklichster Augenblick in dieser Zeit.

Es wurde jeden Tag geübt, anfangs mit Stützrädern und nach und nach brauchte ich sie nicht mehr. Ich schaute aus wie ein Indianer mit Kriegsbemalung durch das Jod und die Pflaster, die auf meinen vielen Auas klebten. Ein paar Wochen später war ich der traurigste Junge in meiner Straße.

Da wo mein Bonanza-Rad stehen sollte, stand es nicht mehr. Es wurde einfach geklaut mitsamt meinem Fuchsschwanz, der beim Fahren so schön hin und her wedelte. Verzweifelt suchten wir es und fanden es aber nicht mehr. Viele Nächte suchte ich mein Fahrrad in meinen Träumen. Ich ging durch fremde Wohnungen, dunkle Gänge und sah viele schauerliche Gestalten. Das war meine erste Erfahrung mit geben und nehmen.

Ich möchte nicht wissen, wie lange meine Mutter dafür gearbeitet hatte, um mir diese Freude zu machen.

Heute hatten wir einen Schulausflug. Wohin das weiss ich nicht mehr. Als ich frühzeitig nach Hause kam und leise die Tür öffnete, schaute ich ins Schlafzimmer rein wo meine Mama vor dem Spiegel stand. Überrascht schaute sie mich an. Als ich einen Blick auf das Bett erhaschen konnte, erschrak ich fürchterlich. Schnell zog Mama das Laken darüber. Ich stand da und konnte das Gesehene nicht begreifen. Was war das? Nachts wollte ich nicht mehr in der Mitte neben Mama schlafen, sondern schlief rechts außen und meine Schwester in der Mitte. Ich lag die ganze Nacht wach und hatte unheimliche Angst. Die Angst frass sich wie ein gefräßiger Virus durch meinen ganzen Körper. In meinen Träumen sah ich Fürchterliches.

Was war das? Heute weiss ich es. Oh Gott warum?

Und meine Aussage trug vielleicht dazu bei.

Diese Zeilen zu schreiben, ist für mich eine grosse Überwindung. Wir hatten damals keinen Psychologen, der diese furchtbare psychische Belastung mit uns aufgearbeitet hätte. Meine Schwester wollte am nächsten Tag wieder außen rechts schlafen. In dieser Nacht hatte ich einen schrecklichen Alptraum. Ich sah meine Mama vor ihrem Spiegel stehen. Der Wind zerzauste ihr langes Haar. Sie sah aus wie eine Leiche - blutleer. Sie griff sich an den Bauch. Ihr Gesicht war verzerrt. Ein lauter Herzschlag war zu hören. Ich sah überall um mich herum Blut fließen und ein Wimmern, das anschwoll zu einem Schrei. Dabei verstummte der Herzschlag im Wind. Im Unterbewusstsein merkte ich etwas Warmes an meiner Hand. Am nächsten Tag als ich aufwachte, wurde mir bewusst als ich meine Hand anschaute, dass ich aus diesem Alptraum so schnell nicht mehr erwachen werde. Vieles davon was ich schreibe, habe ich verdrängt.

Man sah es meiner Mama an, dass es ihr immer schlechter ging.

„Mama, Mama verlass uns nicht!“ sagte meine Schwester und fing an zu weinen. Es schnürte mir meine Kehle zu, als ich meine Schwester so sah. Meine Mama stand da, öffnete ihre Arme und kam auf uns zu, um uns an sich zu drücken. Ich merkte wie sie zitterte und das am ganzen Leib. An diesem Tag sagte meine Mama zu mir sie müsse nochmals weg, würde aber nicht zu lange bleiben, nahm meine kleine Schwester mit und ging. Sie kam lange nicht zurück, so dass ich vor einer verschlossenen Tür stand. Ich machte mir schon Sorgen. In dieser Nacht funkelten die Sterne besonders hell. Und wie ich so die Sterne beobachtete und gedankenverloren in dieses Leuchten eintauchte, flehte ich die Sterne an sie möchten doch meine Mama wieder gesund machen. Macht Sie einfach wieder gesund. Ich versprach ihnen auch immer lieb zu sein. Im Herzen wusste ich Norbert der morgige Tag wird nicht mehr der Gleiche sein. Und so war es. An diesem Morgen kramte sie ein kleines Köfferchen hervor, packte ein paar Sachen von uns ein, nahm uns bei der Hand und sagte zu uns sie müsse für ein paar Tage fort.

Sie müsse uns für ein paar Tage in ein grosses Haus mit vielen Kindern, mit denen man spielen kann, bringen. „Nein Mama, ich mag da nicht hin!“ und versteckte mich hinter dem Sessel. „Komm vor mein Engel, ich komm ja wieder.“ „Nein Du wirst nie mehr

wiederkommen! Nie mehr! Mama, Mama bleib da!“ Es half nichts. Unter Tränen nahm sie uns an der Hand als das Taxi hupte.

Wir fuhren mit dem Taxi zu dem besagten Haus mit den vielen Kindern. Wir gingen zusammen durch eine grosse Eingangstür. Meine Mama redete mit einer Frau, die so eine komische Kutte an hatte. Meine Hand umklammerte ihre Hand. Ich hielt sie so fest und sie tat das gleiche. Festhalten nur festhalten dachte ich, aber es half nichts. Sie bückte sich zu uns herunter. In ein paar Tagen hole ich euch wieder ab. Dabei liefen ihr die Tränen herunter. Ich bettelte und bettelte, sie sollte uns doch wieder mitnehmen. Sie drehte sich um und ging ohne sich mehr umzudrehen aus der Eingangstür heraus und das war’s.

Das waren die letzten Bilder von meiner Mama.

Gott sei Dank habe ich es nicht gewusst. Es stellte sich heraus, dass dieses grosse Haus ein katholisches Waisenhaus war. Meine Schwester und ich bekamen ein kleines Schränkchen für unsere Sachen.

Unsere eigenen Anziehsachen wurden uns weggenommen und gegen fremde getauscht.

Es gab da einen grossen Saal wo wir Kinder zu essen bekamen, die Hausaufgaben gemacht wurden und einen kleineren Raum wo wir von Zeit zu Zeit spielen durften. Das Schlafzimmer musste ich mit drei anderen Leidensgenossen teilen. Jeden Abend wurde das Vater unser gebetet und dann ging es ins Bett. Ab und zu nahm mich eine Schwester bei der Hand und es ging in die hauseigene Kapelle. Ich dachte mir, lange bist du nicht da, denn was hat Mama gesagt? Ich hole euch in ein paar Tagen wieder ab. An diesem Morgen sagten die Schwestern zu uns Kindern: „Wir gehen heute in den Wald um Blaubeeren zu zupfen.

Bevor wir losgingen, nahm mich eine Schwester zur Seite, schaute mir tief in die Augen und sagte mit leiser Stimme: „Eurer Mama geht es nicht gut. Wir müssen für sie beten.“ Wie sie das sagte, verlor ich den Boden unter meinen Füßen. Was sagte sie? Wir müssen beten für sie. Für meine Mama? Als wir in diesem besagten Wald ankamen und wir die Anweisung bekamen, wie man Blaubeeren zupft, ging ich mit meinem Eimerchen abseits der Menschenschar. Meine Gedanken kreisten nur um das eine. Lieber Gott helfe ihr, helfe ihr! Wie ich so heulend da stand und mich an einem Baum festhielt, fing es vom Baum heraus zu schlagen an. Das Schlagen wurde immer lauter. Es hörte sich an wie ein Herzschlag. Ich fing an wie ein Geistesgestörter mit den blossen Händen zu graben . Ich riss mir die Hände auf. Es blutete, aber ich spürte in diesem Moment nichts. Der Herzschlag wurde immer leiser, leiser und leiser. „Oh Mama! Meine Mama! Oh Gott, warum meine Mama?“ Ich schrie es in das aufgewühlte Loch hinein, vermischt mit meinen Tränen. Ich wusste in diesem Augenblick, ich würde meine Mama nie mehr wiedersehen. Ich legte in dieses Loch ein Zweigchen hinein und dachte du wirst immer mein Engelchen bleiben, Mama.

Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich erfahren, dass ihre letzten Worte folgende waren: „Passt auf meine Kinder auf!“ Sie starb an einer Abtreibung. Sie bekam eine Blutvergiftung, an der sie qualvoll gestorben ist. Gott vergib ihr!

Auf der Beerdigung unserer Mama nahmen uns Menschen bei der Hand, die wir, meine Schwester und ich noch nie gesehen hatten. Sie führten uns zu einem Raum, wo sie sagten: „Da kannst Du Deine Mama nochmals sehen“. Wie in Trance stand ich da. Es konnte nur ein Alptraum sein. Es ist ein Alptraum, Du wachst auf und alles ist wieder gut. Wir gingen ein paar Schritte und kamen an einen verdunkelten Raum wo mystisch die Kerzen flackerten. „Da ist Deine Mama, schau!“ Ohne hinzuschauen, drehte ich mich heulend herum und schrie: „Nein, das ist nicht mehr meine Mama!“ und lief weg. Nein sagte ich zu mir, das ist nicht mehr meine Mama, die zu mir sagte, mein kleiner Engel ich hab dich lieb. Ich Dich auch, ich hab Dich auch lieb - für immer und ewig.

Danach fuhren wir zu unserer ehemaligen Wohnung. Man versammelte sich im Wohnzimmer. Es wurde geredet und geredet. Man fing an die Schubladen auf- zumachen. Es wurde alles ausgeräumt und fein säuberlich in Säcke gepackt. Sogar unsere Fotos von uns drei wurden mit eingesackt. Ich dachte: „Hallo, was ist mit uns? Seht Ihr uns gar nicht?“ Es muss ein Traum sein, denn sie sehen uns nicht. Ein böser, böser Alptraum, oder? Die ersten Sessel wurden angehoben. Oh was ist das? Was klebte darunter? „Das ist der Kuckuck!“ schrie ich.

Da merkten sie, dass hier nichts zu holen war. Sogar unsere einzigen Spielsachen vom letzten Weihnachten nahmen sie mit. „V. schau, da schaut deine Puppe heraus!“ „Meine Puppe, meine Puppe!“ sagte sie und hatte sie aus dem Karton gezerrt. „Lass das, sagte der Mann und zog den Karton mit unseren Spielsachen weg. Böse Kinder kommen ins Waisenhaus!“ Er riss meiner Schwester ihre Puppe aus der Hand.

„Deine Schwester braucht die Puppe nicht mehr!“ sagte der andere alte Mann. In eurem neuen Zuhause habt ihr genug zum Spielen!“ Wir hatten von einem Tag zum anderen nichts mehr. Keine Mama, keine Spielsachen, keine Freunde mehr, nicht einmal ein Bild von unserem Engel - halt nichts mehr. Wie würden Sie sich jetzt fühlen? Das einzige was ich noch hatte, war ein roter herzförmiger Blutstein.

Den vergrub ich unbemerkt wie die Hyänen unsere Wohnung auseinander nahmen im Garten. Wie ich dabei war ihn zu verbuddeln, fing ich an mit urkomischen Lauten, die einer Beschwörungsformel nahe kamen, ihn hineinzulegen. Ich spuckte sieben mal auf diesen Stein, schaufelte mit den Händen die Erde darauf. Und versprach ihm, ihn wieder auszugraben wenn die Zeit gekommen ist.

Die heilige Geometrie der Metatron-Pyramide

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