Читать книгу Die heilige Geometrie der Metatron-Pyramide - Norbert Barthelmess - Страница 5
Die Anderswelt lässt grüßen
ОглавлениеDer fröhliche Junge wurde immer stiller. Der fröhliche Junge suchte sich eine Welt, wo er sich wohlfühlte. Er suchte sich die Anderswelt. Da wurde er nicht enttäuscht.
An diesem Abend fand er das, wonach er suchte. Die Schwestern gingen mit mir in eine nahe gelegene kleine Kapelle. Sie setzten mich in die erste Reihe und sie sassen zwei Reihen weiter hinten. Ich sah mich in dieser Kapelle um und fixierte eine kleine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Als ich sie ansah, bemerkte ich ein leichtes Lächeln. Ihre Augen strahlten. Ich versank wie in einer Art Trance. „Hol mich hier raus! Bitte, bitte, hol mich raus!“ Ich sah viele bunte Farben. Ich schreckte auf als mich die Hand der Schwester berührte. In diesem Moment wusste ich, ich bin nicht mehr alleine - ein schönes Gefühl.
Es war zur Weihnachtszeit. Alle Kinder in diesem Heim wurden für diesen Tag herausgeputzt. Wir mussten uns im Grossen Saal aufstellen wie die Zinnsoldaten.
Es kamen in Reih und Glied Soldaten herein.
Als unser Name aufgerufen wurde, nahm uns ein Ami an der Hand und wir marschierten in Richtung Kaserne. Ich kannte schon die Kaserne, weil meine Mutter dort gearbeit hatte und wir da so ein leckeres Eis bekamen. Wir wurden in einen grossen Saal geführt mit einem grossen, übermächtigen Weihnachtsbaum in der Mitte. Im Hintergrund spielte die Melodie White Christmas von Bing Crosby. Die Vorfreude was da jetzt wohl auf uns zukommen wird, spiegelte sich in unseren grossen strahlenden Augen wieder.
Einzeln wurden wir vom Nikolaus mit seinem übermächtigen Rauschebart und seinem übermächtigen Geschenkesack aufgerufen.
Wir verstanden zwar gar nichts, doch als der Nikolaus in Richtung Christkind zeigte, liefen wir wie eine aufgezogene Puppe los.
Jedes Kind wurde mit Spielsachen überhäuft.
Was eigentlich mein Geschenk von dem Christkind war, kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Was mein Geschenk gewesen wäre, hätte für mich und meine Schwester kein Christkind auf dieser Welt geben können. Die Kinder spielten mit ihren Errungenschaften vom Christkind, nur bei mir kam keine Freude auf. Ich merkte sogar, dass man mir aus dem Weg ging. Helle Aufregung gab es an diesem Tag als es hiess der Willi ist abgehauen. Wer war der Willi? Ein Junge, der eine sichtbare Behinderung an seinem Arm hatte und anscheinend eine im Kopf.
Wir hatten Angst vor diesem Willi, der manchmal so komische Töne von sich gab.
Wir waren gerade beim Abendessen, als die über- mächtige dicke Schwester mit unserem Willi herein kam. Willi stammelte und artikulierte sehr aufgeregt, so dass aus seinem Mund schon Schaum heraus trat. Abhauen konnte er nicht mehr, denn die Bratpfannen- hände dieser dicken Schwester hielten Willis Ohr fest. Erstaunt mussten wir feststellen, dass sie immer länger wurden. Der arme Willi dachte ich, der wollte doch nur zu seiner Oma. Diese Oma war das einzige auf dieser Welt, was er noch hatte. Was uns jetzt erst aufgefallen war, war dass diese dicke Schwester einen Stecken in der anderen Hand festhielt. Bevor sie ausholte, sagte sie mit einer energischen Stimme: „Schaut genau hin, das bekommt jeder von Euch ab, der meint abhauen zu müssen!“ Sie holte aus und drosch mit diesem mörderischen Etwas auf Willi ein. Sie drosch und drosch. Alle dachten diese fette Kuh muss des Wahnsinns sein. Und diese Szene spielte sich ab in einem katholischen Waisenhaus.
Viele Kinder fingen zu schreien und weinen an. Als sie zum Höhepunkt kommen wollte und den Stecken in ihrer Hand kreisend zum vollendendem Schlag ausholen wollte, flog in hohem Bogen das Weihwasserkesselchen, das an der Wand hing, durch den Saal.
Sie erschrak so dermassen, dass ihr Prügel hinterher flog. Durch das immense Geschrei von ihr und uns kamen andere Schwestern herein und bändigten sie. Diese dicke Schwester war die Oberin. Mein eigener Plan von hier abzuhauen, wurde erstmals
verschoben. Das Makabre an der Geschichte ist, dass alles im Namen des Herrn gemacht wird. Für mich war es die Scheinheiligkeit in Perfektion und das in Gestalt einer Nonne.
Das Weihwasserkesselchen hing wieder an seinem Platz, so als wenn nichts passiert wäre.
Doch man sah, wenn man genau hinsah, dass ein Blutstropfen neben dem Weihwasserkesselchen an der Wand klebte.