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Rundreise: Skanderbeg-Platz in Tirana
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Deutsche befestigen Handtücher auf den Plastikliegen und erscheinen in Sandalen beim Abendbuffet, Engländer haben Sonnenbrand und viel Durst, Amerikaner platzen aus allen Nähten ihres schrill-bunten Aufzuges. Herr A. herrscht den Ober an: »Nein, auf Deutsch!« Er, der Ober im Restaurant in einem gepflegten Hotel in Tirana, kennt vermutlich jede Menge Sprachen, nur eben Deutsch nicht so gut. Und der schwatzhafte Dr. A. kann nun noch nicht einmal 'waiht wain' hervorbringen. Er wolle eine Flasche, einen lieblichen, den besten und natürlich billig. Im Gegensatz zu Dr. A. beherrscht der Ober einwandfreie Umgangsformen.
Wir haben das Zimmer zur Straße bekommen - mit einer genialen Aussicht. Vielleicht kennt jemand noch einen der letzten Berichte von Ulrich Wickert aus Paris. Da wandelt er gelassen parlierend durch den unübersichtlichen Kreisverkehr des Arc de Triomphe und wird nicht angefahren, obwohl er sich um die vielen kurvenden Autos nicht schert. Die Verkehrsanlage hier inmitten Albaniens hat sehr viel größere Ausmaße, die Fahrbahn ist viel breiter, es gibt viel mehr Autos, Busse, Lkw, Traktoren, Radfahrer, Fußgänger. Alles bewegt sich ruhig, manchmal gar gegenläufig nach einem nicht erkennbaren, aber gleichwohl gut funktionierenden System, haltlos, reibungsfrei. Wir sind gebannt von diesem ungewöhnlichen Mechanismus.
Anderntags, auf dem Weg zur bunten Moschee und der eigenartigen Pyramide, stellen wir fest, dass der Verkehr - wenn man auf Augenhöhe ist - in dieser Hauptstadt ebenso unübersichtlich ist wie in allen anderen auch. Die Technik des Überquerens von Hauptverkehrsstraßen hatten wir in Teheran erlernt: Man hält Ausschau nach einer Mutter mit Familie im Schlepp, die einen ähnlichen Weg hat und schließt sich dieser selbstbewussten, resoluten Dame bei ihrem unbeirrbaren Weg durchs Fahrzeuggewühl an. Oder einer Gruppe schwatzender Frauen, die einfach so über die Straße latschen. Klappt sehr gut.
Wenn man aus dem Fenster schaut, ist rechts ein Nicht-Denkmal. Da stand einst eine schauerliche Statue des irren Staatsführers, die nach dessen Dahinscheiden weggeräumt wurde. Jetzt werden auf dem Platz Tretautos für kleine Kinder vermietet. Er, der Mensch mit den abstrusen Ideen, hatte sich zu Lebzeiten ein Mausoleum in Form einer Pyramide erbauen lassen, die nun so etwas wie eine Disco beherbergt. Er selbst weilte dort nie. Das eindrucksvollste Mausoleum war eigentlich das auf Kuba, jenes für José Martí, einem verehrten Dichter, dessen Werk sehr vielfältig interpretiert wird und der bei einem vermeintlich heldenhaften, gleichwohl recht kindischen Einsatz gegen Invasoren in Dos Rios abgeknallt wurde. Nach oben ist es offen, damit er die Sonne sieht. Und es wird sehr gepflegt und sorgsam gehegt und zeremoniell bewacht von Uniformierten, die alle halbe Stunde das bei solchen Dingen übliche staksige Ballett aufführen. Solche Andenken an solche Anti-Helden mag ich.
Gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes hier auf dem Balkon, sitzt Skanderbeg auf einem Gaul und reitet uns entgegen, Richtung Bahnhof. An diesem Ort hat jener wohl eher die Ausmaße einer S-Bahn-Haltstelle; leider war keine Zeit zum Gucken. In Zagreb gibt es direkt am Bahnsteig 1 eine Kapelle, die von Reisenden eifrig genutzt wird. Es wirkt auf uns etwas ungewöhnlich. Wie damals der kleine Friseur-Laden, der in Wuppertal-Vohwinkel etwas abseits und weit hinten auf einem Mittelbahnsteig lag und zu dem man nur durch finstere Unterführungen gelangte.
Vom Fenster aus links liegt am Platz erst die Oper, dann folgt die bunte Moschee, dann irgendwelche Ministerien. Wenn es wichtig und herausragend ist oder sein soll, sieht man hier oft Ziegenhörner. Besagter Skanderbeg soll zu Lebzeiten, also vor sehr vielen Jahrhunderten, Invasoren mithilfe einer präparierten Ziegenherde genarrt haben. Den Viechern soll er nachts Lichter aufgesetzt haben und die Angreifer dachten, sie hätten es mit einer großen Armee zu tun. Nun wird er stets als eine Art Wikinger dargestellt, und der mit Ziegenhörnern besetzte Helm ist eine Ikone, die man eben auch an Fassaden findet.
Hinten rechts am Platz noch ein Ministerium, davor ein Park, vor jenem das Nicht-Denkmal, dann ganz rechts das historische Museum, das man sich ansehen sollte. Gern hätten wir uns einen Museumsführer zum Nachlesen mitgenommen, aber hier ist man noch nicht auf die üblichen Touristenbedürfnisse eingestellt. Müssen wir also ein weiteres Mal hinfahren.
Anderntags haben wir uns auf die Hotelterrasse gesetzt und abermals der Verkehr-Inszenierung vor der großen Kulisse zugesehen. Der Ober grüßt freundlich, bugsiert uns an die Brüstung und macht für uns mit uns Fotos. Dr. A. moserte später wieder einmal über das Zimmer zur Straße, fand den Wein aber in Ordnung, hinausgeguckt hat er nicht, aber noch zwei Flaschen von dem billigen guten Wein erstanden.