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Rundgang: Balkan

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Auf der Stadtmauer kann man rund um die ganze Altstadt laufen. Sie ist weltberühmt, die Stadt. Draußen vor den Mauern liegt eines dieser riesigen Kreuzfahrtschiffe. Dessen Passagiere strömen gerade unten über die Straßen. Ein paar von ihnen haben sich die Stufen herauf verirrt und schlurfen wie alle anderen auch über die Mauerkrone, immer linksherum. Viele schmale und breite Straßen, alte und ganz alte Kirchtürme, einige Befestigungsanlagen und mitunter skurril verbaute Häuser sind eng an eng unten zu sehen. Vor der Stadt draußen im Meer eine Insel. Die Dächer sind alle schmuck gedeckt und strahlen rot in der Mittagssonne. Schon idyllisch.

Am Berghang gegenüber sind Relikte einer Seilbahn zu sehen. Von dort und etwas darüber wurde in die Stadt geschossen, und dabei wurden damals viele Dächer zerstört. Sie sind wieder hergerichtet und deshalb sind sie jetzt in den Wochenendreisebeilagen der Tageszeitungen auch fast einheitlich rot. Kann mich noch an die Nachrichten vor Jahren erinnern. Nun stehe ich selbst hier. Die Seilbahn wurde auch demoliert, noch gibt es kein Geld zum Wiederaufbau.

Vor einigen Tagen waren wir in einer unverhofften Weltstadt. Belgrad. Nicht die Weltstadt war unverhofft, sondern wir hatten gar nicht erwartet, uns in einer solchen wiederzufinden. Berlin scheint eng dagegen, ein Vergleich wäre vielleicht Wien. Große Parks, prächtige Kirchen, eindrucksvolle Bauwerke, beeindruckend. Und selbst am Sonntagvormittag verlassen die Oberleitungsbusse im Minutentakt den Busbahnhof; in empathischen Beschreibungen würde man an dieser Stelle etwas von 'pulsierendem Leben' lesen. Wir haben uns ein paar Anlaufpunkte ausgesucht und tun uns etwas schwer, die kyrillischen Buchstaben der Straßenschilder auf die lateinischen im Stadtplan zu übersetzen. An dem großen, leeren Häuserblock mit den eingestürzten Etagen kann man sich orientieren. Vor Kurzem wurde eine Dokumentation im Fernsehen gezeigt, in der Menschen davon erzählten, dass sie ihre Angehörigen, die im bombardierten Haus unter den zusammengefallenen Decken umgekommen waren, noch nicht einmal begraben konnten.

Oft aber fallen in den Ländern hier die Kriegsschäden in den Städten nicht (mehr) ins Auge. Die Innenstädte sind mitunter schon besser hergerichtet als das in Westdeutschland noch in den sechziger Jahren der Fall war. Wenn man damals in der Friesenstraße, Köln, nach oben blickte, konnte man noch die Einschläge von Granaten in den Hauswänden sehen.

Dieses Haus hier in Flughafennähe ist noch völlig zerschossen, weil es ein Museum ist. Daneben ein Verschlag. Von dort hatte man damals einen Tunnel unter dem Flughafengelände hindurch gegraben, durch den die lange Zeit belagerte Stadt notdürftig versorgt wurde. Der Tunnel war geheim, offiziell. Inoffiziell wusste alle Welt von seiner Existenz. Auch die selbsternannten sogenannten Weltmächte, die da irgendwie, irgendwo mittendrin waren oder sind, habe man kotzesatt, hören wir öfter von den Leuten, die hier leben. Die sich politisch gebende Clique treibe Hetze und bringe ansonsten die eigenen Dinge zur Seite und in Sicherheit. Auch Selbstkritik ist zu hören; ich glaube, sie ist dort nicht mehr oder weniger berechtigt als anderswo.

Manche Friedhöfe sind groß und sehen sehr neu aus. Sind sie auch, denn noch vor wenigen Jahren herrschte hier und in den Ländern darum herum Krieg. Nicht Asien, nicht Afrika, nicht mal eine Flugstunde entfernt von daheim. An den Marktständen treffen wir Leute, die vor nicht allzu langer Zeit noch dort gearbeitet haben, wo wir zuhause sind; wir bezahlen mit unserem heimischen Geld. Die Völkermorde geschahen gerade mal bei uns um die Ecke.

In Mostar regnet es. Wir glitschen über den Brückenbogen. Die Andenkenstände, hier ebenso einfältig wie am Drachenfels, werden mangels Besucher zusammengeräumt. Dazwischen wird in einem kleinen Haus ein Video zur Brücke gezeigt - wie sie damals gesprengt wurde. Daneben hängen Bilder der zerschossenen Häuser, in denen nun Andenken feilgeboten werden. Kürzlich machte ein Militärheini pressewirksam darauf aufmerksam, dass man bei toten Soldaten richtigerweise von 'Gefallenen', nicht von 'Getöteten' spreche. Es ging um 'Einsätze' in Afghanistan.

In Irland (Nord) hatten wir Bürgersteige gesehen, die in vermeintlichen Nationalfarben lackiert waren. Es gab dort Städte, wo man uns sagte, dass man besser nicht in bestimmte Stadtviertel gehen solle. Es gab/gibt Straßenzüge, die ebenso anmuteten wie vor Jahrzehnten jene im Bereich des tatsächlichen oder vermeintlichen, damals jedenfalls gegenwärtigen Schießbefehls. Das mit den Mauern wird ja inzwischen gern kopiert, auch das Menschen-Erschießen.

Später besuchen wir Ohrid, wo sich nach örtlicher Legende einst jener niederließ, der sich um die uns ungewohnte Schrift, das Kyrillische, verdient gemacht hat. Ein beindruckender und angenehmer und schöner Ort. Wir werden ganz gewiss noch einmal auf eigene Faust hinreisen - einer der Orte, wo man gewesen sein muss, meine ich. Der alte Herr, der uns den Berg hinauf durch die Altstadt führte, beruhigte uns: Natürlich könne man wandern in den Bergen um den See, an dem die Stadt liegt. Die Minen, wenn denn welche da waren, seien weggeräumt.

Er mag seine Stadt und will uns viel erzählen. Oben auf dem Berg ein großes Ausgrabungsgelände, mittendrin eine prächtige Kirche. Wer zuhört, bekommt mit, dass es eigentlich ein Neubau, ein neuer Nachbau ist. Drinnen, unter den Füßen des deutsch-englisch-bulgarisch-niederländisch-russisch-italiensch-französischen Sprachgewirrs, unter den dicken Glasplatten, liegt das wirklich Sehenswerte. Die Handyknipser haben es gar nicht mitbekommen. Hier war es ähnlich wie vorhin bei der anderen Kirche, die zuvor Moschee war, davor Kirche und davor noch irgendetwas anderes. Man hat vor nicht allzu langer Zeit beim abermaligen Renovieren eine Statue gefunden, die wohl zu einem vorchristlichen Heiligtum an dieser Stelle gehörte. Nun denn - der Kölner Dom, heißt es, stehe auch auf einem Platz eines heidnischen Heiligtums. Gestern las ich in einem Kochbuch, ausgerechnet, wie in der Großstadt, jene mit der originellen Taverne, der freie Platz für den recht bekannten 'Hauptmarkt' entstand.

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