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OUVERTÜRE

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Wenn ein Ei überkocht. Kann man das so sagen? Also ein Ei. Wenn es überkocht, hart wird im Wasser, das ich hinter dem Haus geholt habe, dort, beim Rinnsal, das ruhig vor sich hinfließt. Ich halte einen Kochtopf unters Wasser. Es schwappt über den Rand, tropft auf meine bloßen Füße. Was dieses Ei mit Klaus, meinem besten Freund, zu tun habe, hätte mich jemand fragen können. Ich hätte geantwortet: Alles, einfach alles hat es mit ihm zu tun. Das Ei ist ein Ei. Wenn ich es aufschlage, kommt sein Inneres zum Vorschein. Aber heute lege ich es ins Wasser, als Ganzes. Den Topf stelle ich auf den Herd. Meine Beine tragen mich zum Schuppen, der sich zwischen Haus und Rinnsal befindet. Mit der Axt schlage ich ein Scheit entzwei. Und noch eins. Manchmal habe ich Klaus dabei beobachtet, wie er mit seinem Werkzeug auf einen großen Stein eingehämmert hat. Hinter seinem Haus. Er hat so lange Furchen in den Stein geschlagen, bis der Stein nicht mehr bloß ein Stein war. Klaus war sehr gut darin, aus mehr weniger und etwas später aus weniger wieder mehr zu machen. Während die Axt sich auf das Scheit zubewegt, sehe ich ein Bild vom Klöppel in Klaus’ Hand, wie er niedersaust aufs Eisen, das sich knallend in den Stein gräbt. Ich sehe die Splitter, die ins Gras fallen, sich um den großen Stein herum verteilen und dort immer noch Stein sind, nur kleiner. Die Holzscheite unter die Arme geklemmt, gehe ich wieder zurück ins Haus, lege sie in den Ofen, stopfe ein paar Bögen der gestrigen Zeitung hinzu. Mit einem Streichholz entzünde ich den Haufen. Das Ei befindet sich im Wasser, das Wasser im Topf, der Topf auf dem Herd. Warum ist das nicht rückgängig zu machen?, habe ich den Arzt gefragt. Ob es da keine Behandlung gebe? Es müsse doch eine spezielle Behandlung … Der Arzt aber hat nur den Kopf geschüttelt und den Blick gesenkt.

Da ist die Wärme, die ich spüre; im Ofen züngeln die Flammen wild nach oben und erhitzen die Herdplatte. Kleine Luftbläschen bilden sich am Boden des Kochtopfs. Das Ei sollte noch nicht drinnen sein, sage ich mir. Aber dort liegt es. Umschlossen vom Wasser, das noch vor wenigen Minuten aus dem Berg gekommen ist. In der Nähe der Quelle befindet sich das Haus, in dem Klaus aufgewachsen ist und wo er später seine Steine bearbeitet hat. Er ist mein bester Freund gewesen. Nur zehn Gehminuten von meinem Grundstück entfernt, dort lebt er heute noch. Ich könnte zu ihm hingehen. Durch den Wald. Der feuchte, von Nadeln übersäte Boden würde unter meinen Schritten schmatzen. Das könnte ich tun, einfach zu ihm hingehen. Aber es würde sich nichts ändern. Er würde sich nicht ändern. Der Arzt hat gesagt, dass es unmöglich sei. Irreversibel, hat der Arzt gesagt. Die Bläschen im Topf blähen sich auf und steigen an die Oberfläche. Ein Blubbern trifft auf meine Ohren und das dumpfe Pochen der Eierschale, die ein Stakkato auf den Boden des Kochtopfs klopft. Ich versuche in dem Rhythmus eine geheime Ordnung, einen Takt, irgendeinen Sinn zu erkennen. Doch da gibt es keine Regelmäßigkeit, nur Chaos. Und die Uhr tickt. Sie tickt und tickt. Wie damals, als ich neben Klaus gesessen bin und auf die Uhr gestarrt habe, während Klaus dort gelegen ist und stumm an die Decke gestarrt hat. Dann ist die Tür aufgegangen. Das könne man nicht mehr rückgängig machen, hat der Arzt bei der Visite gesagt. Es tue ihm sehr leid, hat er nach einigem Zögern hinzugefügt. Das kochende Wasser spritzt über den Rand des Topfs, fällt zischend auf die Herdplatte und löst sich in Dampf auf. Die Uhr tickt. Und sie tickt und tickt. Ich schiebe den Topf von der Herdplatte, und mit einem Löffel hole ich das Ei aus dem Wasser. Von außen sieht das Ei aus wie zuvor. Es ist nicht zu erkennen, dass sich im Inneren etwas verändert hat. Aber das muss doch irgendwie rückgängig zu machen sein, rede ich mir ein, während ich das Ei auf dem Löffel nach draußen balanciere, hinters Haus, dort, wo das Rinnsal aus dem Wald auftaucht. Und es sind nicht meine Füße, die mich in den Wald hineinziehen, es ist etwas anderes, glaube ich, ein Wunsch vielleicht, oder eine Pflicht, der ich nachkommen muss. Da ist dieses Ei, das in dem Löffel sanft hin- und herrollt, da sind die Schritte meiner bloßen Füße, die kaum sichtbare Abdrücke im Waldboden hinterlassen, da ist dieses Sehnen, das in meiner Brust einen Vektor erzeugt, der mich unaufhörlich zur Quelle führt, die gleich dort liegt, wo Klaus wohnt, der eigentlich mein bester Freund sein müsste, denn von außen betrachtet hat sich, bis auf seinen Blick, nichts an ihm verändert.

Ich bleibe an dem Ort, wo das Wasser aus dem Erdinneren sprudelt, stehen. Für ein paar Sekunden schließe ich meine Augen. Reversibel, denke ich – reversibel. Und als ich die Augen wieder öffne, fließt das Wasser rückwärts und wird ins dunkle Loch gesaugt. Als hätte ich nichts anderes erwartet, nehme ich das Ei vom Löffel und werfe es hin zur kleinen Öffnung, in der es, begleitet von einem leisen Gluckern, augenblicklich verschwindet. Meine Füße steigen ins Rinnsal, die Knie beugen sich und mein Kopf nähert sich langsam der Quelle, sodass meine Lippen vom kalten Nass umspült werden. Als wüsste ich genau, was zu tun sei, atme ich tief ein, schiebe den Kopf mit einem kräftigen Ruck durch die Öffnung, zwänge auch meine Schultern hindurch und schlüpfe mit meinem ganzen Körper hinein in den Berg, dessen Felsen schwach zu glühen scheinen. Sogleich sehe ich das Ei vor mir, wie es durch das Strömen des Wassers fortwährend seine Position ändert, schlingert, sich dreht. Meine rechte Hand greift danach. Hier drinnen, sage ich mir, irgendwo hier drinnen, da bin ich mir absolut sicher, kann ich es rückgängig machen, wieder zum rohen Ei werden lassen, das es einmal gewesen ist. Ich kann es umkehren, alles ungeschehen machen. Das kann ich. Solange ich nur weit genug in den Berg hineinschwimme, das Ei fest in meiner Hand, und nicht damit aufhöre, wenn ich einfach nicht aufhöre zu schwimmen.

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