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1.2.2 Wissenschaftstheoretische Konzepte im Widerstreit

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Wie vermerkt, firmiert unter dem hier gewählten Sammelbegriff „hermeneutische Wende“ eine Fülle von praktisch-theologischen Konzeptionen, die sich selbst teilweise nur mit Vorbehalt als „hermeneutisch“ etikettieren würden, weil sie sich an andere wissenschaftstheoretische Traditionen anbinden. Teilweise begegnet auch eine „Mixtur“ aus verschiedenen Methodologien. Einige wichtige neuere Ansätze seien überblicksartig im Folgenden vorgestellt.

– Ein inzwischen in einer beachtlichen Reihe von Forschungsarbeiten sich als bewährt ausweisender Ansatz ist unter der programmatischen Bezeichnung „empirische Theologie“ seit Beginn der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf den Weg gebracht worden.15 Von ihrem Selbstverständnis her lässt sich allerdings die „empirische Theologie“ nicht als eine spezifische Disziplin in den theologischen Fächerkanon einordnen. Sondern sie bildet einen methodischen Ansatz des Theologie-Treibens insgesamt, neben den eingebürgerten literarischen, historischen und systematischen Methodiken. Ihr spezifisches erkenntnisleitendes Interesse richtet sich nicht auf historische Dokumente, sondern auf „living documents“ (S. Hiltner), auf die in den Köpfen und Herzen der Menschen von heute vorkommende, ihre Einstellung prägende und in ihrem Verhalten sich ausdrückende „Theologie“. Bewusst wird von Theologie in Anführungszeichen gesprochen. Denn es handelt sich hierbei nicht um so fest umrissene theologische Denkgebäude, wie man es üblicherweise mit diesem Begriff verbindet. Auch geht es nicht bloß darum, bei den Leuten herauszufinden, was sie von dem, was ihnen – etwa in Predigt, Unterricht etc. – vermittelt worden ist, zu reproduzieren wissen. Das kann zwar auch ein Forschungsanliegen sein, etwa wenn es um die Frage einer möglichen Verbesserung im Bereich der Glaubensvermittlung – konkret also etwa von Predigten oder Katechesen – geht. Aber im Vordergrund des Anliegens empirischer Theologie steht die originäre Theologieproduktion der Leute, die nicht so sehr reflex und logisch erfolgt, sondern sich in einer bestimmten Weise des Umgangs mit für ihr Leben relevanten Erfahrungen dokumentiert sie, klarer zu erfassen und kennen zu lernen. Diese so gewonnene „empirische Theologie“, festgemacht an der Volks- bzw. Alltagsreligiosität bzw. ihren „Säkularisaten“, kann und möchte eine Ergänzung und gegebenenfalls ein kritisches Korrektiv zu den anderen (also historischen und/oder systematischen) theologischen Paradigmen bilden. Das soll nicht heißen, dass nunmehr das Faktische zur normativen Instanz erhoben wird. Vielmehr geht es darum, die empirisch gewonnenen Befunde in einen kritisch-konstruktiven Dialog mit Einsichten aus den übrigen theologischen Disziplinen zu bringen mit dem Ziel, bewährte Orientierungshilfen für die Wahrnehmung und – möglicherweise zu verändernde – Gestaltung der Praxis an die Hand zu geben. Für ihre Forschungszwecke bedient sich die empirische Theologie einer differenziert ausgearbeiteten Methodologie, gemäß der innerhalb eines hermeneutischen Gesamtrahmens sowohl quantitative als auch qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung zur Anwendung kommen. Leitend ist ein Verständnis von Praxis als kommunikativer Praxis, das die Selbstverständigung der an der Praxis Beteiligten zum maßgeblichen Kriterium erhebt; ausgeschlossen ist damit jeglicher Versuch, über ihre Köpfe hinweg oder gar hinter deren Rücken Maßnahmen vorzunehmen, die der vermeintlichen Effektivierung der Praxis dienen sollen, im Grunde aber deren technizistische Reduktion betreiben. Jede Art von Empirismus fällt darum unter das eindeutige Verdikt der empirischen Theologie.

– Bei der Erörterung des Programmbegriffs „gelebte Religion“ ist darauf hingewiesen worden, dass mit ihm sich unterschiedlich akzentuierte praktisch-theologische Ansätze verbinden. Zwei seien näher vorgestellt: der religionshermeneutische und der phänomenologische Ansatz. Zunächst zur „Religionshermeneutik“16: Mit diesem Ansatz wird auf den Befund zu reagieren versucht, dass auf der einen Seite Menschen nach Sinn suchen, angesichts der Unübersichtlichkeit eines Lebens unter den heutigen Bedingungen vielleicht sogar mehr als je zuvor, und dass auf der anderen Seite jedoch die Institutionen, von denen zu erwarten wäre, dass sie den Menschen dazu Hilfestellungen geben, die Kirchen nämlich, in dieser Hinsicht mehr oder weniger versagen; sie kommen bei vielen Zeitgenossen mit ihrer für sie im Grunde höchst aktuellen und elementaren Botschaft von dem unbedingten Angenommen- und Bejahtsein jedes Menschen nicht mehr an. „Entweder“, so hält W. Gräb ihnen vor, „begnügen sie sich mit der Kundgabe trivialmoralischer Grundsätze oder sie versteifen sich auf ihren überkommenen Wahrheitsabsolutismus. Zu zaghaft jedenfalls fällt bislang ihre Umstellung aus auf die konkreten Lebenslagen der Menschen und die Plausibilitätshorizonte gegenwärtigen Bewußtseins“ (44, 17). Die mit der Orientierung kirchlichen Handelns in spezifischer Weise befasste praktische Theologie, so postuliert er, muss es sich darum angelegen sein lassen, die Kirche wieder stärker „religionsfähig“ werden zu lassen, und zwar indem sie nahe bei dem Fragen und Suchen der heutigen Menschen ist und ihre Heil verheißende Botschaft konkret daraufhin zu entschlüsseln vermag. Dazu soll ihr das Konzept der „Religionshermeneutik“ verhelfen: „Als Hermeneutik der gelebten Religion sucht die praktische Theologie deren kulturelle Ausdrucksgestalten zu verstehen, in ihren Motiven, in der Artikulation ihrer symbolischen Gehalte und rituellen Praktiken, immer am Leitfaden der kritischen Frage nach der lebensorientierenden Evidenz, die sie für die Menschen, ihre Welt und deren Gestaltung erfüllen können“ (ebd., 44). Gräb weist somit der Kirche als wesentliche Aufgabe zu, „Sinnvermittlung“ zu leisten. Dabei setzt er ein bestimmtes Verständnis von Sinn und dessen Beziehung zu Religion voraus: Sinnkonstitution erfolgt demnach in einem Prozess gewissermaßen zwischen zwei Polen, dessen einen das Subjekt bildet, das über die in Fragmenten zerstückelte Abfolge alltäglichen Verhaltens und Handelns nach umfassenderen Zusammenhängen und Beziehungen fragt, die Orientierung zu geben vermögen, und dessen anderer aus einem Arsenal von Deutungsmustern besteht, die im kulturellen Kontext vorzufinden sind und die sich ihrerseits der Tradierung von Sinnerfahrungen früherer Generationen und Epochen verdanken. Insofern mit der Sinndeutung des Lebens eine Suche nach unbedingt Tragfähigem und Letztverbindlichem verbunden ist, haften ihr religiöse Züge an. Manifest wird dieses Religiöse, wo es auf einem Gefühl eines absoluten Gegründet- und Gehaltenseins gründet. Dieses zutiefst innere und subjektive Gefühl artikuliert sich in Symbolgehalten, Ritualen und weiteren Objektivationen, die die sozial manifeste Gestalt von Religion ausmachen. Zum Verhängnis wird diese Entwicklung der Religion dann, wenn sie den Anschluss an die Lebensgeschichten und -welten, denen sie sich verdankt, verliert. Dann wird sie zu einem Lehrgebäude und zu einem Ritualsystem, das den Menschen fremd bleibt. Um der Kirche dazu zu verhelfen, „Sinnvermittlung“ leisten zu können, postuliert Gräb für die Theologie, ein Verständnis auszubilden und es zu konzeptualisieren, mit dem sie genau dazu beitragen kann: „Es hat sein kennzeichnendes Merkmal darin“, so führt er dazu aus, „daß es auf der ganzen Linie die Entsubstantialisierung herkömmlicher theologischer bzw. biblischer Begriffe wie Verkündigung, Gesetz, Sünde, Evangelium, Gnade usw. betreibt. Entsubstantialisierung meint, daß der Bedeutungsgehalt dieser theologischen Begriffe strikt auf die Funktion hin verstanden wird, den sie im Vollzug der religiösen Selbstdeutung humaner Subjekte für dieselben zu erfüllen vermögen. Diese Begriffe werden also als hermeneutische Konstrukte aufgefaßt, vermögen deren Deutungsrahmen und -gehalte für die religiöse Selbstdeutung humaner Subjekte vor allem in ihren Krisen- und Konflikterfahrungen aufgebaut werden. Sie stehen insofern nicht für eine andere, göttliche, geistliche oder kirchliche Wirklichkeit, die von der menschlichen Erfahrungswelt substanziell unterschieden wäre und in sie nur von außen, als ‘Wort Gottes’ hineinzusagen wäre, sondern für eine andere Sicht, eine andere Deutung dieser Wirklichkeit, eine solche, die im Horizont religiöser Fragen aufgebaut sein möchte“ (ebd., 214f.). Abgesehen davon, dass dieses Theologieverständnis sicherlich noch klärungsbedürftig ist, ist zu diesem Ansatz kritisch zurückzufragen, ob mit der Bestimmung von Religion als selbstreflexiver Deutung und Orientierung des Subjekts nicht eine Tendenz zu einer völligen Individualisierung des Glaubens einhergeht und infolgedessen die strukturellen Gegebenheiten, die die Möglichkeit von (sinnvollem) Leben nicht nur erschweren, sondern vielfach verhindern, vernachlässigt werden. Das kann dazu führen, dass Religion und Glaube darauf beschränkt werden, einen eher affirmativ ausgerichteten Beitrag zur Sinnsuche der Menschen beizubringen und die prophetischen und zu den landläufigen Erfahrungen durchaus widerständigen Elemente der biblisch-christlichen Tradition ausgeblendet bleiben.17

– Ebenfalls von dem Bemühen, den durch die gesellschaftlichen Veränderungen bedingten religiösen Wandel mit den Neuartigkeiten, die damit einhergehen, überhaupt erst einmal einigermaßen adäquat zu erfassen, ist der als zweiter genannte Ansatz der praktischen Theologie geleitet, in dem programmatisch von „gelebter Religion“ die Rede ist. Er greift dafür allerdings auf ein anderes anspruchsvolles methodologisches Konzept zurück, das seine Ursprünge in der Philosophie hat und dann von einer bestimmten Richtung der Soziologie aufgegriffen und weiterverfolgt worden ist, und versucht, dieses für die praktisch-theologische Theoriebildung einzusetzen, mit der Begründung, dass es den heutigen Erfordernissen dieser Disziplin geradezu entgegenkomme: die Phänomenologie – die als „Wahrnehmungslehre“ ihrerseits teilweise in engem Zusammenhang mit der Ästhetik gesehen wird. Welche Vorteile eine phänomenologische Orientierung für die praktische Theologie mit Blick auf ihre verschiedenen Aufgabenbereiche mit sich bringt, haben W.-E. Failing und H.-G. Heimbrock programmatisch wie folgt umrissen:

– „Sie kann erstens eine heuristische Funktion ausüben insofern, als Alternativen zur traditionellen Vorgehensweise der Praktischen Theologie vorgeschlagen und in die Forschungspraxis umgesetzt werden.

– Die zweite Funktion ist eine kritische, nämlich die Erfahrung zum Leitfaden der praktisch-theologischen Forschung zu machen und anhand dieses Leitfadens verkürzende, falsch objektivierende, auf Funktionalität reduzierende oder dogmatistische Konzepte und Modelle aufzudecken und zu artikulieren. Das Subjekt soll unverkürzt in die Forschung eingebracht werden können und vor methodischem Reduktionismus geschützt werden. Die Frontlinien verlaufen also einmal zu einem kirchen- oder religionssoziologischen Empirismus als einer Theorieform, die den Unterschied zwischen Was und Wie der Erfahrung einebnet. Sie richtet sich aber auch gegen jede Art von Formalismus und Konstruktivismus, die sich damit begnügen, die Gesichtspunkte, nach denen religiöse Erfahrung sich ordnet, von außen heranzutragen wie Formeln, die mit Materialien zu füllen wären. Das Was der religiösen Erfahrung ist aber stets reichhaltiger und vielschichtiger als ihre formale Verarbeitung. Das wird man gegen Strukturalismus wie systemtheoretischen Funktionalismus ins Feld führen müssen.

– Die dritte Funktion ist gegenstandstheoretischer Art und ermöglicht sowohl Öffnung für neue Phänomene als auch Offenhaltung subjektiver Erfahrung. Sofern neuere phänomenologische Ansätze den Lebenswelt- oder Alltagsbegriff zum Gegenstand haben, können sie darauf verzichten, den durch die Alltagserfahrung selbst abgesteckten Definitionsspielraum im Namen universalistischer Konzepte über Gebühr einzuengen. Weil neuere phänomenologische Beschreibungen Horizontanalysen sind, die nicht mehr mit einer einheitlichen Vernunft rechnen, sind sie grundsätzlich unabschließbare Vorgänge.

Die phänomenologische Methode ist dort stark, wo sie die Vieldeutigkeit und Offenheit von Erfahrungsgehalten und -horizonten festhält.

Dieser methodische Ansatz scheint eine Innovation insbesondere für diejenige Theologie, die im Respekt vor dem biblischen Bilderverbot bei ihren Versuchen der Wahrnehmung Gottes und der Menschen immer wieder mit Durch-Kreuzungen eigener Erkenntnisbemühungen rechnet“ (79, 294).

Eine der Alternativen, von denen sich der phänomenologisch orientierte Ansatz absetzt, ist das handlungswissenschaftliche bzw. -theoretische Konzept der Praktischen Theologie. Die an diesem Konzept geäußerte Kritik hebt auf Mehrerlei ab: Das Interesse am Handeln bedinge, dass eine umfassende Wirklichkeitserkundung ausbliebe, sondern eine von einer institutionell-professionellen Optik bestimmte Perspektive maßgeblich bliebe. Damit einher gehe leicht – spätestens wenn „Handeln“ mit „Herstellen“ (ebd., 280) gleichgesetzt würde – die Tendenz zu einer „funktionalistischen Instrumentalisierung“ oder gar „bemächtigenden Intervention“ der Praxisfelder, für die Handlungskonzepte zu entwickeln versucht würden. Der eingeschränkten Wirklichkeitswahrnehmung korrespondiere ein reduziertes Verständnis von Praxis, das beispielsweise „zweckunabhängiges Sehen, Denken und Verhalten, empathische Bereiche wie Erleben und Erleiden“ nicht einzubeziehen erlaube.18

– Wenn für das Konzept des in diesem Buch vorgelegten Entwurfes an dem handlungstheoretischen Ansatz festgehalten wird, so ist, um Missverständnissen zu begegnen, einzuräumen, dass die gerade vorgetragene Kritik auf etwas aufmerksam macht, was in der Tat in der einen oder anderen Variante des als „handlungswissenschaftlich“ firmierenden Konzepts Praktischer Theologie übersehen wird. Zu voreilig wird vielleicht dem Drängen auf möglichst rezeptartig anwendbare Handlungsanleitungen nachgegeben, wie es von der „Nachfrageseite“ her dieser Disziplin immer wieder entgegengebracht wird. Aber davon zu unterscheiden ist die im Rahmen der allgemeinen handlungstheoretischen Diskussion vorgenommene Grundlagenreflexion der Praktischen Theologie, die alles andere als einem kurzschlüssigen Aktionismus förderlich ist (vgl. 41).19 Geht es ihr doch gerade darum, den Praxisbegriff dieser theologischen Disziplin so zu bestimmen und sie so zu konzipieren, dass sie sich eben nicht bloß auf einen bereits kirchlich vermessenen oder religiös zu identifizierenden Ausschnitt der Wirklichkeit beschränkt, sondern sich – um ein weiteres Mal den Einleitungssatz der Pastoralkonstitution zu zitieren – der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten“ (GS 1) verbunden weiß. Exakt in diese Richtung weisen die Anforderungen, die nach H. Peukert eine zeitgenössische praktische Theologie – konzipiert als explizite theologische Theorie kommunikativen Handelns – einzulösen hätte (99, bes. 77 – 79):

1. Die praktische Theologie kann sich nicht bloß auf ein Segment oder eine Region menschlicher Praxis beziehen, sondern muss die bedrängenden Fragen menschlicher Praxis überhaupt im Blick haben. Sie hat sich die für Gegenwart und Zukunft entscheidenden Fragen, wie Menschen miteinander umgehen und zu sich selbst kommen sollen und wollen, angelegen sein zu lassen und daraufhin die Substanz der christlichen Überlieferung so durchzubuchstabieren, dass sie in ihrer transformatorischen Kraft angesichts individueller und gesellschaftlicher Krisen zur Geltung kommt.

2. Weil sie ansonsten gegen ihre eigene Grundlage, nämlich den Glauben als kommunikative Praxis verstieße, muss die praktische Theologie konsequent von jeglicher Form machtförmigen Denkens Abschied nehmen. Die ethische Grundnorm, die Freiheit des anderen anzuerkennen, hat sie, statt sie zu unterbieten, zu radikalisieren, „weil sie in ihrem Handeln die befreiende und Leben schenkende Macht Gottes für den anderen in der Struktur ihres Handelns zu bezeugen und zu bewahren hat“ (ebd., 78).

3. Nicht zuletzt weil sich die Pathologien der Gesellschaft in den Pathologien der religiösen Systeme verdoppeln und zusätzlich verschärfen, darf die praktische Theologie sich nicht von der Frage dispensieren, ob die Organisationsform der Kirche(n), mit der sie in besonderer Weise befasst ist, der von ihr und durch sie mitzuteilenden und zu bezeugenden Sache angemessen ist oder ihr widerspricht.

4. Bis in ihre eigene – notwendigerweise interdisziplinär ausgerichtete – wissenschaftstheoretische Grundlegung hinein hat die praktische Theologie sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob ihre Bestimmung christlichen und kirchlichen Handelns „den Anforderungen jenes Praxisbegriffs entspricht, der sich in den letzten zweihundert Jahren herausgebildet hat, dem Begriff einer Praxis, in der es um gemeinsames, befreiendes, innovatorisches, zu gemeinsamer Selbstbestimmung befähigendes und dabei systemische Widerstände und Widersprüche überwindendes Handeln geht“ (ebd., 79).

Ohne auf den so für die praktische Theologie entworfenen paradigmatischen Referenzrahmen als dem allein gültigen und möglichen beharren zu wollen – im Gegenteil, eine Pluralität von Konzeptionen kann der Sache, um die es letztlich geht, nur dienlich sein –, muss der Billigkeit halber konstatiert werden, dass viele der Einwände, die sich gegen das handlungstheoretische Konzept richten, an ihm keinen Anhalt haben und ins Leere gehen, etwa die Maxime, dass das Wahrnehmen dem Handeln vorausgehe (vgl. 94) In methodischer Hinsicht ist dieses Konzept der Phänomenologie gegenüber ebenso offen wie der Hermeneutik oder strengen empirischen Verfahrensweisen.20 Worauf es allerdings insistiert, ist, die Grundkategorien, die in der Theoriebildung gebraucht werden, und die Methoden, die angewendet werden, ständig daraufhin zu prüfen, ob sie dem „Gegenstandsbereich“, um den es geht, angemessen sind – nämlich die Bestimmung und zugleich die Gestaltung einer Wirklichkeit, die einem menschenwürdigen „Leben in Fülle“ (Jo 10,10) für alle – einschließlich der verstorbenen und der kommenden Generationen – förderlich ist. Dazu können, wie in den weiteren Kapiteln noch zu erläutern sein wird, ein seelsorgerliches Gespräch ebenso beitragen wie der konziliare Prozess der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

– Ein Punkt, der allerdings weniger die grundsätzliche Konzeptionsfrage der praktischen Theologie betrifft, sondern ihren Bezugspunkt – also die Frage, an wen sie sich vorrangig richtet –, muss zum Schluss dieses Abschnittes wenigstens in aller Kürze noch angesprochen werden: Es ist nahe liegend – und dies knüpft auch an ihrem traditionell vorherrschenden Verständnis an –, diese Disziplin als in besonderem Maße auf die spätere kirchliche bzw. pastorale Praxis der Theologiestudierenden bezogen anzusehen und entsprechend als Theorie pastoraler Professionalität zu konzipieren, wenn auch nicht länger als „Rezeptologie“, sondern auf dem Stand heutiger berufstheoretischer Konzepte und Einsichten.21 Das ist solange in Ordnung, wie dies nicht exklusiv geschieht. Denn die durch die praktische Theologie im Verbund mit den übrigen theologischen Disziplinen vermittelte Handlungskompetenz – im Sinne der Befähigung zu einem authentischen christlichen Handeln sowie der Sensibilisierung für eine Praxis, die die Vermittlung der Inhalte des Glaubens an den Vollzug elementarer Weisen kommunikativen und solidarischen Handelns bindet und dabei auf die ständig sich wandelnden Bedingungen sowohl in individueller als auch in sozialer und struktureller Hinsicht eigenständig und schöpferisch einzugehen versteht – kommt prinzipiell allen Gläubigen zu, wenn das Theologumenon vom „allgemeinen Priestertum“ bzw. vom „gemeinsamen Priestertum aller“ wirklich gilt. Paulinisch gesprochen geht es um die Entdeckung und Förderung aller Fähigkeiten, die zur Auferbauung von Gemeinde und Kirche beitragen (vgl.l Kor 12 – 14). Insofern hat sich die praktische Theologie als „Charismenlehre“ zu verstehen.

Einführung in die katholische Praktische Theologie

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