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1.1.2 „Kommunikation des Evangeliums“ – ein mehrperspektivischer Leitbegriff

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„Kommunikation des Evangeliums“ – ein Begriff, der Mitte der sechziger Jahre im evangelisch-theologischen Raum von Ernst Lange und Johannes C. Hoekendijk geprägt und in verschiedenen Zusammenhängen rezipiert worden ist, ohne allerdings eindeutig festgelegt zu sein (vgl. 89; 51)2 – bietet sich deswegen als die praktisch-theologische Reflexion fokussierender Leitbegriff an, weil er es ermöglicht, verschiedene Aspekte miteinander zu verknüpfen:

– Wie bereits angedeutet, gibt er einerseits eine Perspektive an die Hand, unter der sich all das zusammenbündeln lässt, was Kirche faktisch tut: alles trägt demnach unmittelbar oder mittelbar dazu bei, Menschen in Kontakt mit dem Evangelium zu bringen. Es lässt sich damit auch gewichten, welches Handeln direkt auf die Kommunikation des Evangeliums abhebt und welches eher eine diese Kommunikation ermöglichende oder unterstützende Funktion hat. Andererseits lässt der Leitbegriff alles, was Kirche tut, kritisch daraufhin prüfen, ob es auch wirklich – sei es unmittelbar, sei es mittelbar – dazu beiträgt, dass die Menschen dem Evangelium so begegnen, dass sie dieses als für ihr Leben bedeutsam zu erfahren vermögen, ob es sich also wirklich um eine „Kommunikation des Evangeliums“ im qualifizierten Sinne des Begriffs handelt.

– Mit dieser Eröffnung einer Doppelperspektive – empirisch und normativ – hängt zusammen, dass „Kommunikation des Evangeliums“ ein diagnostisches und ein reformerisches Potential in sich birgt: diagnostisch insofern, als der Begriff intendiert, nicht nur das Gelingen oder Misslingen einer solchen Kommunikation zu konstatieren, sondern nach den Ursachen dafür zu suchen, und folgerichtig reformerisch insofern, als er von daher zum Engagement dazu anhält, sich gegebenenfalls um die Aufhebung von erkennbar gewordenen Kommunikationskrisen zu bemühen und die Kirche so zu gestalten, dass sie glaubwürdig das Evangelium zu kommunizieren vermag.

– Die zuletzt verwendete Formulierung – das Evangelium kommunizieren – lässt deutlich das Bemühen erkennen, das zentrale Ziel und die damit verbundenen Aufgaben kirchlichen Handelns in eine zeitgemäße Sprache zu bringen – wobei es allerdings um mehr geht als bloß um eine Frage von Wörtern und Begriffen. Traditionell wird mit Blick auf das Evangelium bzw. die Bibel von „verkündigen“ gesprochen; eng damit verknüpft ist der Begriff „Mission“. Es geht nicht darum, diese traditionelle Begrifflichkeit einfach zu verwerfen; sie behält weiterhin ihre Bedeutung, aber in einer spezifizierten Akzentuierung. Nicht zufällig hat die Redeweise „Kommunikation des Evangeliums“ in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Ursprung. Genau in diesem Jahrzehnt, insbesondere in seiner zweiten Hälfte, kam in weiten Teilen der Welt zunächst an den Universitäten unter den Studierenden, dann aber immer größere Kreise der Bevölkerung erfassend eine Bewegung zum Durchbruch, die allem von der Tradition her autoritär Vorgegebenem und Aufoktroyiertem skeptisch bzw. kritisch gegenüberstand und seinen Abbau betrieb. Davon waren auch und gerade die Kirchen betroffen; galten sie doch als die autoritären Garanten und Apologetinnen des Überkommenen schlechthin. Mit „Verkündigen“, „Predigen“ und „Missionieren“ wurde das Bemühen der Kirche assoziiert, die Menschen zu indoktrinieren und zu bevormunden. Ein Streben nach Mündigkeit galt mit einer Kirche, die autoritär Gehorsam abverlangt, als unvereinbar. Wenn, dann war – auch für die Kirche – ein Umgang mit den Menschen angesagt, der sie in ihrer Mündigkeit ernst nimmt und der sie im Bemühen darum fördert statt daran hindert. Sich daran zu halten, heißt für die Kirche, dass sie die ihr aufgetragene Botschaft den Menschen nicht länger monologisch vermitteln kann, sondern dass dies in dialogischen Prozessen zu erfolgen hat; das Evangelium ist der Kommunikation – angefangen vom vertrauten Gespräch bis hin zur öffentlichen Auseinandersetzung – frei zu geben.

– Dabei drängt sich allerdings die Rückfrage auf, ob mit einem solchen Sich-Einlassen der Kirche auf Dialog und Kommunikation nicht allzu viel Tribut dem „Zeitgeist“ gezollt und letztlich die Sache des Evangeliums verraten wird. Eine solche Besorgnis hat ihre Berechtigung: Die Kirche steht als ganze genauso wie jeder Christ und jede Christin immer wieder in der Versuchung, den einfacheren Weg der bloßen Anpassung an die jeweils vorherrschenden Gewohnheiten zu wählen und damit Verrat an der Einspruch erhebenden bzw. widersprechenden Kraft des Evangeliums zu üben. Genau das kann aber mit Dialog und Kommunikation nicht gemeint sein. Ist doch Voraussetzung dafür, dass sie in Gang kommen und für beide Gesprächspartner etwas erbringen, dass die beteiligten Seiten ihre je eigene Meinung zu Wort kommen lassen und nicht von vornherein der eine dem anderen – etwa aus falsch verstandener Toleranz heraus – „klein beigibt“. Insofern hat „Kommunikation des Evangeliums“ sehr wohl etwas damit zu tun, dass dort, wo es sich vom Evangelium her ergibt, Einspruch und Widerspruch erhoben wird – allerdings ohne die Möglichkeit zu haben, dieses mit Zwang auch durchsetzen zu können, sondern im Setzen darauf, dass den eigenen Argumenten als solchen genügende Überzeugungskraft inne wohnt.

– Grundsätzlicher lässt sich allerdings noch fragen, ob nicht durch ein Sich-Einlassen auf Kommunikation und Dialog Gefahr gelaufen wird, die göttliche Offenbarung zu sehr in die Hände von Menschen zu legen und ihr dadurch ihren spezifischen Charakter – nämlich dass sie Gottes Werk und eben nicht ein solches von Menschen ist – zu entreißen. Dieser fundamentaltheologischen Frage soll im folgenden Absatz nachgegangen werden.

Einführung in die katholische Praktische Theologie

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