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1. „KOMMUNIKATION DES EVANGELIUMS“ ALS PRAKTISCH-THEOLOGISCHER LEITBEGRIFF

1.1 Annäherungen – Bestimmungen – Abgrenzungen

1.1.1 Kirchliche Praxis – ein komplexes Tätigkeitsfeld

Die praktische Theologie ist – so sei sie im Sinne einer ersten Annäherung umschrieben – jene Disziplin innerhalb der Theologie, die sich speziell mit der Praxis bzw. dem Handeln von Kirche befasst. Doch schon diese vorläufig gemeinte Bestimmung birgt eine Reihe von Problemen und Einzelfragen. Das beginnt bereits damit, dass nicht unbedingt klar ist, was mit „Kirche“ gemeint ist, insbesondere wenn von einer Kirche die Rede ist, die handelt. Kann Kirche überhaupt handeln? Oder sind es nicht vielmehr immer Subjekte, die handeln? Wer aber sind dann die Subjekte, die gewissermaßen als Kirche handeln? Wo, wie, mit wem und wozu handeln diese Subjekte, wenn sie Kirche praktisch werden zu lassen versuchen? Wann lässt sich davon sprechen, dass solche Subjekte als Kirche handeln? Und nochmals: Was heißt dann Kirche? Handelt es sich um eine einheitliche Größe? Oder begegnet sie nicht vielmehr in vielfältigen Sozialgestalten? Darüber hinaus: Wie stellt sich die Praxis von Kirche faktisch dar? Soll sie sich so darstellen, wie sie sich darstellt? Der Fragereigen sei hier abgebrochen; es ließen sich mühelos etliche Aspekte ergänzen.

Noch einmal vielschichtiger wird die vorläufig gegebene Umschreibung der praktischen Theologie, wenn man sich einen möglichst umfassenden Überblick darüber zu verschaffen versucht, was unter der Überschrift „Handeln bzw. Praxis von Kirche“ subsumiert werden könnte. Wo und in welcher Weise ereignet sich solches Handeln?

– Begonnen sei mit dem gesamten gottesdienstlichen Bereich; wird er doch landläufig am ehesten mit „Religion“ assoziiert. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Feier der Eucharistie oder des Abendmahls mitsamt den einzelnen Vollzügen dieser Liturgie wie Beten, Singen, Verkündigen, Predigen, Kollektieren, Schuld-Bekennen, Vergeben, Segnen u. a. m.; hinzu kommen andere gottesdienstliche Formen wie Andachten, Rituale anlässlich einer Sakramentenspendung (Taufe, Versöhnung, Ehe, Krankensalbung etc.) oder ähnlicher ritueller Handlungen (Begräbnis, Einweihung von Gebäuden, Wallfahrten etc.).

– Die Glaubensverkündigung hat ihren Ort nicht nur im Gottesdienst, sondern darüber hinaus etwa in der katechetischen Unterweisung, im schulischen Religionsunterricht, in der religiösen oder theologischen Erwachsenenbildung, in Einkehrtagen, Exerzitien u.a.m.; sie beginnt bereits in der Familie, sofern Eltern ihre Kinder religiös erziehen.

– Schon aus dieser Auflistung ergibt sich, dass kirchliches Handeln an verschiedenen Orten passiert: in Kirchengebäuden, in Gemeindezentren, in Vereinshäusern, in Familien, in Kindergärten, in Schulen, in kirchlichen Akademien, Exerzitienhäusern etc. und nicht zuletzt in theologischen Fakultäten sowie Instituten an Universitäten und Hochschulen.

– Entsprechend gibt es eine Vielzahl von Handlungsträgern: Priester und Laien im pastoralen Dienst, freiwillige (ehrenamtliche) Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Erzieherinnen, (Religions-)Lehrer und -Lehrerinnen, Ordensleute, Referenten und Referentinnen, Professoren und Professorinnen.

– Weiterhin passiert im kirchlichen Bereich vieles, was man unter die Sammelbegriffe „Bildung und Erhalt von Gemeinschaft“ und „Pflege von Geselligkeit“ fassen könnte – etwa in dem weit verzweigten Vereins- und Verbandswesen u.ä., in Form von regelmäßigen Treffen und gelegentlichen gemeinsamen Unternehmungen wie z.B. Besichtigungsreisen.

– Die Vielfalt kirchlicher Praxis wird noch bunter, wenn die sozialen u. a. Einrichtungen, die von einem kirchlichen Träger unterhalten werden, in die Auflistung kirchlichen Handelns einbezogen werden: Krankenhäuser, Jugend- und Seniorenheime, Sozialstationen, Beratungsstellen, Wohnungslosenhilfe, Bahnhofsmissionen u.v. a.m.; in diesem Zusammenhang könnten auch noch die Telefonseelsorge u.ä. genannt werden. Die hier ausgeübten Tätigkeiten reichen vom Präsentsein und Dienen über Begleiten und Beraten bis zum Helfen und Heilen; sie richten sich auf die Sorge um Leib und Seele.

– Mehr als in der evangelischen Kirche spielen in der katholischen Kirche sowohl interne Ordnungsfragen und rechtliche Regelungen als auch die vertraglich festgelegte Beziehung zu externen Instanzen (z.B. Kirche-Staat-Verhältnis) eine Rolle, so dass juristisches Denken und Handeln einen durchaus wesentlichen Anteil an den kirchlichen Tätigkeiten ausmachen.

– Kirche bzw. kirchliche Gruppen oder Einrichtungen kümmern sich darüber hinaus darum, dass ihre Anliegen in die Öffentlichkeit hinein vermittelt werden – durch Informationsarbeit, durch Präsenz in der Medienlandschaft – bis ins Internet hinein.

– Auch im künstlerisch-ästhetischen Bereich stellt Kirche einen nicht unwichtigen Faktor dar – schon allein mit Blick auf die Kirchengebäude und ihre Ausstattung oder als bedeutende „Mäzenin“ aller Arten von Musik.

– Weil davon nicht unerheblich der Spielraum ihres Handelns abhängig ist, ist man kirchlicherseits auch darum bemüht, auf politische Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse Einfluss zu nehmen.

– Nicht zu unterschätzen ist schließlich das, was vonseiten der Kirche auf ökonomischem Sektor getan wird: etwa als Eigentümerin von Grund und Boden, als Unternehmerin in verschiedenen Sektoren, als Sachwalterin von Spenden, als Betreiberin von Banken und vor allem als Arbeitgeberin in einem für den Arbeitsmarkt höchst bedeutsamen Ausmaß; wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen insgesamt im Denken und Handeln von Kirche eine erheblich größere Rolle, als es vielfach bewusst ist, und zeitigen beträchtliche Auswirkungen in alle übrigen Handlungsfelder hinein.

Wenn man sich vor Augen hält, dass all dieses und wahrscheinlich noch einiges mehr die Praxis von Kirche ausmacht, ist es verständlich, dass leicht der Eindruck einer völligen Unübersichtlichkeit aufkommt. Lässt sich das alles überhaupt noch unter einem einheitlichen Nenner zusammenbringen und strukturieren? Oder handelt es sich nicht um unverbunden nebeneinander stehende Bereiche und disparat sich vollziehende Tätigkeiten, so dass es nicht verwunderlich ist, dass sie kaum etwas voneinander wissen und sich noch seltener aufeinander beziehen. Was hat etwa eigentlich eine Erzieherin in einer kirchlichen Kindertageseinrichtung mit einem Restaurator von Kirchengebäuden gemeinsam?

Wenn schon in der Praxis die Lage dermaßen disparat und desolat erscheint, wie kann es dann in der Theorie anders sein? Kann es überhaupt eine einheitliche Theorie für ein so komplexes und kaum überschaubares Handlungsfeld geben? Und dazu noch: Ist damit die Theologie nicht sowieso überfordert? Ist es nicht nahe liegend, zur Reflexion der jeweiligen Spezialtätigkeiten die dafür kompetenten Wissenschaften heranzuziehen – wie etwa Pädagogik, Psychologie, Sozialarbeit, Medizin, Jura, Ökonomie?

In der Tat wäre es unverantwortlich, wenn Letzteres nicht geschähe. Darüber hinaus spiegelt sich seit einiger Zeit die Ausdifferenzierung der kirchlichen Handlungsfelder in einer Ausdifferenzierung der praktischen Theologie in die verschiedensten Unterbzw. Teildisziplinen wider, die sich auf bestimmte Tätigkeiten – wie z.B. Predigen, liturgisches Gestalten, Unterrichten, seelsorgerliches Beraten, Gemeinde- und Kirchenentwicklung, Kirchenrecht – spezialisieren, u. a. auch um so besser zur Ausbildung der jeweils benötigten professionellen Kompetenzen beitragen zu können.

Im Zuge dieser Entwicklung droht nicht nur faktisch die Vorstellung einer einheitlichen praktischen Theologie verabschiedet zu werden, sondern sie wird auch von manchen als überflüssig angesehen. Das wiederum wird von anderen zum Anlass genommen, um so vehementer auf der Notwendigkeit einer die verschiedenen kirchlichen Tätigkeitsfelder integrierenden Theorie in Form einer einheitlich konzipierten praktischen Theologie zu insistieren. Dies wurde und wird gern mithilfe einer sei es eher formal gehaltenen, sei es material angereicherten Klammer, die alle Tätigkeiten miteinander in Verbindung bringt oder bringen soll, zu bewerkstelligen versucht. Formal wäre etwa die Klammer „Kirche als Arbeitgeberin“, material „Praxis im Geiste Jesu“.

Relativ einfach war dies – jedenfalls in der katholische Kirche – so lange, wie alles, was in der Kirche aktiv geschah, ausschließlich Sache des Klerus – angefangen von den Priestern über die Bischöfe bis hin zum Papst – war, die Pastoral also insgesamt in den Händen der dazu legitimierten „Pastöre“ lag (was sich gewissermaßen in der damaligen Disziplinbezeichnung „Pastoraltheologie“ widerspiegelte). Sie bildeten so etwas wie die verbindende Klammer innerhalb des zur damaligen Zeit auch noch vergleichsweise homogen sich darstellenden kirchlichen Handlungsfeldes (vgl. 60, 19 – 75). Im Zuge einerseits der theologischen Korrektur des klerikerzentrierten Kirchenverständnisses und andererseits der durch die gesellschaftlichen Wandel bedingten Ausdifferenzierung der kirchlichen Praxis musste eine neue verbindende Klammer gesucht werden, die dieser ihrer Ausweitung Rechnung zu tragen vermochte. Das während der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils konzipierte und edierte fünfbändige „Handbuch der Pastoraltheologie“ hatte sich den Vorschlag eines seiner Herausgeber, K. Rahners, zu eigen gemacht, den „Selbstvollzug der Kirche in der Gegenwart“ als Formel für die Reichweite praktisch-theologischer Reflexion zu nehmen (vgl. ebd., 126 – 140). Das 1999 / 2000 veröffentlichte zweibändige „Handbuch Praktische Theologie“ (vgl. 50) spannt diese Reichweite auf die „Praxis der Menschen“ insgesamt aus, weil – so soll mit dieser Formel programmatisch ausgedrückt werden – die praktische Theologie sich nicht nur auf bestimmte Praxisformen und -bereiche von Menschen (z. B. Kirche oder Religion) erstrecken soll, sondern umfassend auf die Praxis eines jeden Menschen und die Praxis der Menschheit – geleitet von der Grundannahme, dass alle Menschen umfangen und getragen sind von der Gnade Gottes, der unbedingt ihr Heil will. Die Formel „Praxis der Menschen“ soll also, auch wenn sie reflexiv nie gänzlich einholbar ist, die praktische Theologie vor jeder Reduktion oder einseitigen Fixierung ihres Reflexionsbereichs bewahren.1 Damit wohnt ihr – ähnlich wie den beiden vorher genannten – neben einem deskriptiven zugleich ein normativer Aspekt inne.

Das im Folgenden zu entwickelnde Konzept von praktischer Theologie hält an der Idee dieser theologischen Disziplin als einer die gesamte kirchliche Praxis berücksichtigenden und sie integrierenden Theorie fest, wobei die kirchliche Praxis nicht losgelöst von ihren anthropologischen und soziokulturellen Voraussetzungen bzw. Kontexten gesehen werden kann. Als verbindende Klammer bzw. programmatische Formel greift es auf einen Begriff zurück, der es erlaubt, alles, was unter dem Vorzeichen von Kirche getan wird, sowohl deskriptiv zu erfassen als auch normativ zu qualifizieren: „Kommunikation des Evangeliums“.

Einführung in die katholische Praktische Theologie

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