Читать книгу Raban und Röiven Insel der Elfen - Norbert Wibben - Страница 15
ОглавлениеNeuanfang
Immer noch im vergangenen Herbst auf der Elfeninsel.
Ein überreich ausgestattetes Zimmer liegt im hellen Licht vieler Kerzenleuchter. Von unzähligen vergoldeten Flächen wird es strahlend zurückgeworfen. Dieser Raum ist mit protzigen Möbeln und kostbaren Teppichen ausgestattet, die sowohl auf dem polierten Parkettboden liegen, als auch an den Wänden hängen. Der Teil einer verzierten Wand schließt sich in diesem Moment mit einem sanften Klicken.
Soeben war hier noch ein schmaler Eingang zu einer nun verborgenen Kammer geöffnet, worauf jetzt nicht der kleinste Spalt hinweist. In diesem versteckten Zimmer leuchtet eine in der Luft schwebende Lichtkugel auf. Hier gibt es keine Fenster, dafür an jeder der drei Wänden bis zur Decke reichende Bücherregale, die allerdings kaum gefüllt sind. Die Geheimtür befindet sich in der vierten Wand und wird von danebenstehenden Vitrinen eingerahmt, in denen es im hellen Licht glitzert. Obwohl der Raum nicht besonders groß ist, befindet sich hier auch ein kleiner Schreibtisch, auf dem zwei alte Kerzenleuchter stehen. Die Kerzen werden entzündet und verbreiten auf der Tischplatte zwei warme, ineinanderlaufende Lichtkreise.
Der Mann, der soeben eingetreten ist, trägt einen reich verzierten, purpurnen Umhang. Die schwarzen, langen Haare wirken etwas strähnig, was der Aufregung des Mannes zuzuschreiben ist. Er hat keine Zeit, wie sonst auf sein Äußeres zu achten, da er brennend daran interessiert ist, welche Schätze er erbeutet hat. Gestern Abend hatte er keine Zeit nachzuschauen, da er zu einem wichtigen Empfang geladen war. Wenn er der gewählte, neue König der Darkwings werden will, muss er sich bei verschiedenen Veranstaltungen sehen lassen. Dazu gehören besonders Wohltätigkeitsbasare, so wie gestern. Sie sind ihm ein Gräuel, was er allerdings nicht zeigen darf. Sein Ausdruck ist grimmig. Wenn er erst einmal König ist, wird er das alte Gesetz zur Regelung der Thronfolge ändern. Dass die Seitenlinie des Königshauses keine Berechtigung auf die Herrscherwürde hat, mag vielleicht einmal einen guten Grund gehabt haben, den er aber nicht erkennen kann. Wenn es dies Gesetz nicht geben würde, wäre er, Damian, seinem Bruder automatisch als Herrscher gefolgt, ohne dieses erniedrigende Buhlen um die Gunst der anderen Adligen vollführen zu müssen.
Vielleicht wird er aber bereits früher der Herrscher werden, zwar nicht gewählt, dafür aber mit absoluter Macht ausgestattet. Aus seiner Sicht hat Duncan zwar Gleiches vorgehabt und ähnliche Voraussetzungen gehabt, das aber völlig falsch begonnen. Zaubern zu können bedeutet eben nicht, gleichzeitig über einen überragenden Geist zu verfügen, grübelt Damian selbstgefällig. Es ist aus seiner Sicht gut, dass der König von Duncan getötet worden ist, so musste er nicht zum Brudermörder werden, aber die Auseinandersetzung mit den fremden Zauberern hätte er zu vermeiden gesucht. Er grübelt.
»Wer waren wohl diese Magier? Es müssen mehr als einer gewesen sein, doch die wenigen Jäger und Angehörigen der Palastwache, die den Kampf überlebten, hatten in der Endphase der Auseinandersetzung den Saal bereits verlassen gehabt. Sie waren erst zurückgekehrt, als Duncan tot am Boden lag. Ich war an diesem Tag in der ehemaligen Fairwingfestung und suchte in der Bibliothek nach Büchern über Zauberei. Nach der Rückkehr erfuhr ich vom Tod meines Bruders. Der königliche Ankläger untersuchte das Geschehen und fragte in meiner Anwesenheit die Überlebenden aus. Wie Duncan getötet worden war, konnten sie aber nicht berichten. Um die Verletzten hatten sich ein Mann und eine Frau gekümmert, berichteten sie. Außerdem war noch ein Knabe dabei, der sich mit einem großen, schwarzen Vogel unterhalten haben soll. – Hm. Sie sollen wie Fairwings gekleidet gewesen sein. Ob einer von ihnen möglicherweise Kenneth war? Darüber wurde nichts berichtet. Aber die königliche Jägerin sagte doch etwas von Zauber, als ich sie und Kenneth bei dem Wirtshaus belauschte. Sollte er über Zauberkräfte verfügen? Ich muss versuchen, darüber Informationen in der königlichen Bibliothek zu finden.«
Jetzt bückt sich der Mann und hebt nacheinander die Bücher und das Säckchen vom Boden auf, die er gestern Abend dort schnell abgelegt hatte. Die Bücher legt er in ein leeres Regalfach, den Inhalt des Säckchens schüttet er vorsichtig auf den Schreibtisch. Er setzt sich auf den Stuhl und betrachtet die vor ihm liegenden Stücke.
»Welches Zauberpotenzial mag wohl in ihnen stecken? Wie kann ich sie nutzen? Ob Duncan darüber etwas in seiner Kladde notiert hat? – Wo ist die überhaupt, ich werde sie doch nicht verloren haben? Wenn sie mir in der Gasse weggefallen sein sollte …« Er springt hastig auf und sucht zwischen den Büchern, die er soeben in dem Fach deponiert hat. Wirklich, dort liegt sie. Damian atmet erleichtert auf und setzt sich mit der Kladde in der Hand an den Tisch.
Nun betrachtet er aufmerksam die Dinge, die vor ihm liegen. Eine Kette mit Anhänger aus blauem Achat fällt ihm sofort auf. Die Einfassung ist besonders schön verziert. Damian ist sich sicher, über dieses Schmuckstück hat er eine kleine Abhandlung gelesen. Ob er Hinweise in den alten Büchern finden wird, die aus Duncans Besitz stammen? Nein, er erinnert sich, das stand in einem Buch der Fairwing-Bibliothek. Dieser aus einem Kristall gefertigte Anhänger gehört nicht nur den Herrschern der Fairwings, es steckt außerdem eine besondere Kraft in ihm. Doch welche das ist, will ihm nicht einfallen.
Nun legt er die Kette mit dem blauen Anhänger zurück und betrachtet eine bronzene Fibel, die in Form einer sich in den Schwanz beißenden Schlange gebildet und verziert ist. Das war für ihre Vorfahren das Symbol für Ewigkeit, weiß Damian. Ob sie nur als Schmuck genutzt wurde oder auch über besondere Kräfte verfügt?
Drei etwa faustgroße Figuren befanden sich auch in dem Säckchen. Sie wurden entweder aus einem sehr harten, fast schwarzen Wurzelholz geschnitzt und sehr glatt geschliffen, oder? Jetzt stockt Damian der Atem. Sollten das natürlich entstandene Figuren sein? Genau. Alraunen bilden manchmal derartige Gebilde, die dann aber, wodurch auch immer, versteinert wurden. Alraunwurzeln sollen besondere Kräfte innewohnen, ob das auch für die Figuren zutrifft?
Damian prüft jetzt mehrere Stäbe, die offenbar aus Knochen gefertigt und in die alte Runen geschnitten worden sind. Er überlegt.
»Sollten das Zauberstäbe sein?« Dann fällt ihm ein, dass Runenstäbe früher zum Vorhersagen der Zukunft genutzt wurden. Zauberkundige ließen sie zu Boden fallen, um dann aus ihrer Lage zueinander die Zukunft zu deuten. Welche Beschwörungsformel dazu gesprochen werden musste, bevor oder während die Stäbe geworfen wurden, und wie aus den Runen etwas abzuleiten ist, weiß Duncan nicht. Vermutlich war der Wahrsager nur ein guter Schauspieler, ein Scharlatan. – Doch warum sollte Duncan unnütze Artefakte in seinem Besitz aufbewahren?
Der Dunkle schüttelt den Kopf und vertieft sich daraufhin in die Lektüre der Kladde. Schon bald klärt sich sein Gesichtsausdruck und ein freudiges Lächeln umspielt seine bisher zusammengepressten, schmalen Lippen. Die dunklen Augen blitzen frohlockend.
»Danke, für deine Aufzeichnungen. Damit hast du mir einen unschätzbaren Dienst erwiesen«, murmelt er immer wieder. »Dadurch gelingt mir ein Neuanfang. Ich werde das Land beherrschen und niemand wird sich mir zu widersetzen wagen.« Obwohl Damian nach den ersten zwanzig Seiten diese zuversichtlichen Gedanken durch den Kopf gehen, weiß er, dass er noch erhebliche Zeit benötigen wird, um seine Zauberkräfte nicht nur zu stärken, sondern auch, um die neuen Sprüche mit Übung zu perfektionieren. Trotzdem glänzen seine Augen, als er mit einer ersten Durchsicht der Kladde fertig ist.
»Das Land, in das Duncan ungewollt verschlagen wurde, scheint wesentlich größer als unseres zu sein. Vielleicht sollte ich mir auch das untertan machen? Doch wie soll ich dorthin kommen? Die von ihm beschriebene Figur der drei Frauen, die er für die Rückkehr genutzt hat, ist nicht in seinem Besitz gefunden worden. – Hm. Ob ich selber in Duncans Haus nachsehen sollte? Aber das gehört nicht in meinen Aufgabenbereich und könnte zu Gerede und Mutmaßungen führen. – Ich will erst noch die Bücher ansehen, die er aus diesem fremden Land mitgebracht hat. Sie gehörten mächtigen Zauberern, wie er schreibt.«
Um Platz zu schaffen, packt Damian die Dinge, die in dem Säckchen waren, in eine der Glasvitrinen. Bei der Kette mit dem blauen Anhänger zögert er, dann hängt er sie sich um den Hals und verbirgt sie unter der Kleidung. Er verspürt kurzzeitig ein leichtes Vibrieren und eisige Kälte auf seiner Haut, dann ist es vorbei. Ob das ein Hinweis auf die darin enthaltene Zauberkraft ist? Damian schüttelt den Kopf. Er setzt sich und nimmt sich eines der Bücher nach dem anderen vor. Natürlich kann er sie heute nicht durchlesen, dafür sind sie zu umfangreich. Aber er verschafft sich einen groben Überblick. Nach den Aufzeichnungen der Kladde, den mächtigen Zaubersprüchen und den Beschreibungen über die Anwendung magischer Artefakte, schlussfolgert Damian, dass in diesem fremden Land Zauberer leben, die ihm bei einer möglichen Unterwerfung entgegentreten könnten. Er überlegt, ob er sie zu Verbündeten gewinnen kann. Zumindest solange, bis er seine Ziele erreicht hat. Danach will er sich ihrer schnell entledigen, bevor sie ihm gefährlich werden können. Damit das überhaupt realisierbar ist, muss er als erstes dorthin kommen.
Damian beschließt also, in Duncans Haus nach der Dreierfigur zu suchen. Falls er dort gestört werden sollte, kann er ja den neuen Vergessenszauber anwenden. Anschließend muss er unbedingt herausfinden, wofür er den blauen Anhänger nutzen kann.