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Frühsommer

Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an

Die Sommerferien begannen dieses Jahr früh. Raban verbringt die erste Woche zusammen mit Eltern und Großvater im Westen des Landes am Meer. Brendan, Rabans Dad, überraschte alle damit, dass er eine Suite im Hotel Munegard gemietet hatte, für eine ganze Woche! Der Junge erinnert sich noch gut daran, wie ungläubig Ciana, seine Mom, ihren Mann ansah, als dieser die Buchung als Geschenk zum Hochzeitstag nannte.

»Das können wir uns doch nicht leisten«, hatte sie halb vorwurfsvoll, halb freudig überrascht geäußert, »eine ganze Woche in einem Hotel! Noch dazu in der Hochsaison!«

»Doch, das leisten wir uns. Du sollst einmal richtig ausspannen und von vorne bis hinten bedient werden. Und im Sommer ist es dort am schönsten, habe ich gehört.«

»Werden wir denn für Raban noch ein Zustellbett in unser Doppelzimmer bekommen. Er ist dann doch bereits 16 Jahre alt. Ist das nicht nur bis zum zwölften Geburtstag eines Kindes möglich?«

»Aber Mom. Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Ich kann die Woche auch allein bleiben oder zusammen mit Röiven verbringen. Macht ihr euch mal ein paar schöne Tage«, war der Einspruch des Jungen gewesen. Doch sein Vater hatte gleich korrigierend geantwortet:

»Nichts da. Ich habe auch kein Doppelzimmer, sondern eine Suite gebucht, die drei Schlafzimmer hat. Der Junge wird sein Bett in einem eigenen Raum haben und ein weiterer ist für Finnegan, deinen Dad!« Als sie das hörte, schnappte Ciana sichtlich nach Luft, die sie sich mit der Hand zufächelte. Es dauerte lange, bis sie ihre Sprache wiederfand.

»Du hast WAS? Eine ganze Suite … in einem Hotel … für eine Woche gebucht?«

»Genau. Für uns Vier und mit Vollpension!«

Ciana musste mehrmals schlucken, während sie Brendan immer noch ungläubig anstarrte. Dann wandte sie sich an Raban:

»Ist dein Dad möglicherweise krank? Kennst du einen Zauberspruch, um ihn wieder normal werden zu lassen?«

»Ich bin keineswegs krank!«, hatte ihr Mann da geantwortet. »Ich dachte, es würde dir gefallen, in einer ehemaligen Burganlage, die als Hotel genutzt wird, bedient zu werden. Damit du richtig ausspannen kannst und rundherum verwöhnt wirst. Dort hast du Zeit, Bücher zu lesen, den Wellnessbereich mit Schwimmbad und Massage zu nutzen oder mit mir zusammen ausgedehnte Spaziergänge zu machen. Deinem Dad und Raban wird es dort sicher auch gut gefallen. Die Anlage liegt auf einer steilen Klippe oberhalb einer Meeresbucht und ist sehr berühmt.«

»Du hast noch nicht gesagt, wo sich das Hotel befindet«, hatte Raban eingeworfen. »Woher weißt du, dass es mir dort gefallen wird?«

»Davon bin ich überzeugt. Du hast es schon einmal kennengelernt und uns einiges darüber berichtet. Es liegt an der Westküste und heißt Munegard.«

Als Brendan das sagte, war Raban für einen Moment sprachlos. Damit hatte er nicht gerechnet. Die Festungsanlage gehörte ursprünglich einem der Zauberer des Mondes. Die waren sehr böse und wurden deshalb Dubharan, die Dunklen oder Schatten, genannt. Vor über 100 Jahren, als alle Zauberer ihre Magie verloren, wurden die Dubharan für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Die Burganlage wurde verkauft und der Gewinn zur Entschädigung und Wiedergutmachung eines Teils der bösen Taten eingesetzt. Munegard wurde über viele Jahre erfolgreich als Hotel genutzt, bis es im letzten Jahr von Gavin, einem Nachfahren der Dubharan, widerrechtlich in Besitz genommen worden war. Dieser Urenkel hatte zusammen mit seiner Cousine Morgana die Übertragung von Zauberkräften von gefangenen Raben erpresst. Bei den Gedanken an Morgana läuft Raban jedes Mal ein Schauer über den Rücken.

»Ja, ich kenne die Anlage. Dort wurde Sorcha, die Oberste der Elfen, von den dunklen Zauberern im letzten Jahr gefangen gehalten, bis Röiven und ich sie befreien konnten.« Der Junge schüttelt sich kurz. Die neu erstarkten, dunklen Zauberer hatten mit ihren Zauberkräften die Macht im Land übernommen und gemeinsam mit ihren Anhängern viele Gräueltaten begangen. Zusammen mit seinem Freund, dem Kolkraben Röiven, und Sorcha war es Raban schließlich mit viel Glück gelungen, die Zauberer zu besiegen. Die rechtmäßige Regierung hatte bis dahin nur aus dem Untergrund Widerstand leisten können, wobei Brendan sie tatkräftig unterstützte. Der Regierung und ihren regulären Truppen gelang es schließlich nach größeren Kämpfen, die Anhänger der dunklen Zauberer aus ihren widerrechtlich eingenommenen Ämtern und Positionen zu entfernen.

»Dann wird es dir sicher gefallen, die Anlage zu erforschen, ohne feindliche Zauberer fürchten zu müssen«, versuchte Brendan seinen Sohn aufzumuntern, dessen abwesenden Blick er fast richtig deutete. Sofort fragte Ciana erschrocken:

»Gibt es denn jetzt noch böse Magier? Raban, sag schon.«

»N… nein«, entgegnete dieser etwas abwesend. Er erinnerte sich daran, dass die bösen Zauberer durch die Zerstörung der Figur der Hekate, die ihnen als Zeitportal gedient hatte, in der Vergangenheit gefangen wurden. Raban hofft immer, wenn er kurz an die durch und durch böse Zauberin Morgana denkt, dass das auch so bleibt.

»Es ist ja lieb von dir, Brendan, uns derart verwöhnen zu wollen, aber wie sollen wir das bezahlen?«

»Soll ich die Buchung denn rückgängig machen, falls das überhaupt geht?«, fragte dieser lächelnd zurück. Bevor Ciana das womöglich fordern sollte, fuhr er schnell fort: »Keine Angst. Ich habe einen großzügigen Sonderbonus bekommen. Dieser war als »Anerkennung für die erfolgreiche Unterstützung der Wissenschaftler bei der Untersuchung der Zeichen im Steinkreis« bezeichnet worden, wird aber wohl eher als Aufmunterung für das weitere Stillschweigen über die Geschehnisse gedacht sein. Und darüber, was tatsächlich dahintersteckt.« Den letzten Satz sagte er nur für Raban hörbar, dem er dabei kurz zuzwinkerte. Im Gegensatz zu seiner Mutter war der Sohn von Brendan im vergangenen Herbst in alles eingeweiht worden. Außerdem war es Raban gewesen, der dem Vater wichtige Informationen über Duncan, den bösen Zauberer, gegeben hatte.

Die Woche im Hotel Munegard verflog schneller, als sich der Junge das zu Beginn vorstellen konnte. Er erwartete anfangs, plötzlich Gavin, Morgana oder Oskar gegenüberzustehen, sobald er bei der Erkundung der Anlage um eine Ecke, in einen Gang bog oder einen zuvor verschlossenen Raum betrat. Sehr schlimm war es, als er die Kellerräume besichtigte. Das Herz schlug rasend und pumpte das Blut durch die Adern, während sich die Härchen überall auf der Haut, besonders aber im Nacken, aufrichteten. Er war jedes Mal erleichtert, wenn sich seine unterschwellige Angst als unbegründet erwies. Trotzdem besichtigte er alle Räume und Winkel, die ihm zugänglich waren. Auf dem Außengelände bekam er diese Angstattacken nicht. Dort fühlte er sich sofort wohl und nicht jeden Moment unbewusst bedroht.

Jetzt steht er dort am Rand der hohen Klippen und betrachtet das sturmgepeitschte Meer. Raban hört dem Brausen des Windes und den Schreien der Möwen in der Bucht zu. Seinen Blick richtet er in die Tiefe, wo die Wellen gegen Felsen gischten und Wasser mit dumpfem Krachen nach oben spritzt.

»Morgen fahren wir nach Hause und übermorgen besuche ich dich, wenn ich darf«, sendet Raban an Ilea, mit der er gerade gedanklich Kontakt aufgenommen hat. Sobald er ihre Stimme hört, durchströmt ihn ein angenehmes Glücksgefühl.

»Ich freue mich. Wann wirst du kommen?«

»Ich dachte, so gegen neun in eurem Wohnzimmer zu sein. Warne schon mal deine Mom vor, damit ich sie nicht erschrecke.«

»Das mach ich. – Was werden wir unternehmen?«

»Ähem. Ich dachte, die Reise vom Herbst zu den Plätzen fortzusetzen, wo Röiven und ich in unserem ersten Abenteuer waren. – Wow, ich bemerke gerade, das war ja nahezu vor zwei Jahren.«

»Ich begleite dich gerne. Außerdem haben wir dann ein kleines Jubiläum.«

»Wie, was haben wir?«

»Wir kennen uns dann fast zwei Jahre! Ich freue mich auf unseren Ausflug.«

»Ich mich auch. Bis dann.«

»Bis dann.« Damit unterbrechen sie die Verbindung.

Es vergehen mehrere Minuten, in denen der Junge das Gesicht Ileas deutlich vor sich sieht. Ihr offenes Lächeln irritierte ihn in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft oft, raubte ihm quasi den Atem und verunsicherte ihn derart, dass er stotterte. Bei dem Gedanken daran durchströmt ihn ein warmes Gefühl und gleichzeitig erzeugt es ein Kribbeln in seinem Bauch.

Raban versucht nun, eine Verbindung zu Röiven zu bekommen, was aber nicht klappt. Der Junge hat es schon seit mehreren Tagen und immer zu verschiedenen Zeiten versucht, doch stets vergeblich. Er grübelt und macht sich derart große Sorgen, dass er drauf und dran ist, den schwarzen Vogel im geheimen Wald zu suchen. Plötzlich schlägt er sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

»So viel zu dem oft gehörten Spruch von meinem Freund, dass Minerva mit meiner Klugheit Recht habe. Ich bin ja so etwas von begriffsstutzig und dumm! Röiven und seine Partnerin Zoe haben doch im Frühjahr fünf Eier ausgebrütet, so dass sie jetzt genug mit Aufzucht und Fütterung von diesen hungrigen Schnäbeln zu tun haben. Wenn ich daran denke, wie besorgt mein Freund im letzten Jahr um sein erstes Kind, seine Tochter Ainoa war, wird er bei fünf Kindern kaum wissen, wo ihm der Kopf steht. – Ich sollte ihn zusammen mit Ilea besuchen. Die jungen Fithich müssten sicher schon ihre ersten Flüge unternehmen, da können wir sie gebührend bewundern.«

Raban nickt und lächelt im tosenden und brausenden Wind. Er grüßt andere Gäste des Hotels, die ebenfalls den schönen Sommertag bei einem Spaziergang genießen. Den Rest des Tages wandert er zusammen mit seinem Opa durch die Natur.

Raban und Röiven Insel der Elfen

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