Читать книгу Sisgard und Alveradis - Norbert Wibben - Страница 14
Ein Wikingerangriff?
ОглавлениеFinley, Sorcha und Eila wandern in Richtung Norden, an der Küste entlang. Albin läuft voraus und der Falke zieht seine Beobachtungskreise in einem klaren, blauen Himmel.
Vor zwei Nächten war ihnen die Landung unterhalb der Burgruine gelungen, quasi im letzten Moment, bevor sie in den Felskanal gedrückt worden wären.
Durch die Enge des Durchstichs staute sich das Wasser weit zurück, so dass der Fluss sein felsiges Bett überspülte. Außerdem ließ die reißende Strömung dadurch soweit nach, dass es Finley gelang, das Boot in das Überschwemmungsgebiet unterhalb der Ruine zu lenken. Er ruderte es soweit wie möglich in Richtung des Burghügels, wo sie dann erleichtert ausstiegen. Den Abend und die Nacht verbrachten sie in der Ruine, ein wenig gegen den immer noch anhaltenden Regen geschützt.
Den nächsten Tag versuchten sie, einem Pfad den Hügel hinauf zu folgen, um dort oben nach Norden zu wandern. Der Weg über die Hügelkette war jedoch äußert mühsam zu wandern. Es gab immer wieder Felsabbrüche und Erdspalten. Manchmal mussten sie umkehren und nach anderen Wegen Ausschau halten. Mittags sind sie dann einem Steig abwärts gefolgt. Von da an konnten sie im flachen Küstengebiet wandern. Das Meer haben sie von der Hügelkette aus nicht gesehen, das Wetter war noch zu schlecht. Die grauen Wolken hingen fast auf dem Boden.
Die Nacht haben sie in einem engen Einschnitt im Berghang zugebracht, erwärmt von einem flackernden Lagerfeuer. Eila hatte die letzte Wache und die sich ankündigende Wetteränderung als erste bemerkt. Das Feuer war fast heruntergebrannt. Der Wind hatte sich gelegt und die Wolken waren verschwunden, so dass unzählige Sterne vom klaren Nachthimmel herab flimmerten.
Heute Morgen waren sie dann von schönstem Wetter begrüßt worden.
Jetzt können sie das Meer manchmal in der Ferne rauschen hören. Möwen fliegen kreischend durch die Luft, unbehelligt von dem Wanderfalken hoch über ihnen. Sie bemerken ihn nicht einmal.
Die Wanderer müssen nur der Küste folgen, dann werden sie zu Sisgards Felsenburg kommen. Diese liegt auf einem Felsmassiv oberhalb einer schmalen Küstenebene. Finley schätzt, dass sie gegen Abend dort sein werden. Sie genießen die Strahlen der Sonne. Nach den langen Tagen und Nächten voller Feuchtigkeit ist die aufkommende Wärme besonders angenehm. Ihre klammen Glieder fühlen sich wieder gut und beweglich an.
Der Pfad ist mit festem Gras bewachsen, so kommen sie heute gut voran. Schafe ziehen langsam grasend auf Weiden umher, an denen sie vorbei wandern. Dohlen und andere Vögel suchen auf Stoppelfeldern nach liegengebliebenem Korn. Es gibt vereinzelt auch noch nicht abgeerntete Kornfelder. Die goldenen Halme liegen, vom dauernden Regen und Wind zu Boden gedrückt, vor ihnen.
Am späten Vormittag erreichen sie einen kleinen Ort, den sie weitläufig umgehen, ohne jedoch Menschen zu sehen. Etwas weiter vor sich sehen sie noch vereinzelte Gebäude, auf die viele Menschen zuströmen. Aus den Dächern dieser Gebäude lodern helle Flammen auf. Die Dächer scheinen mit Stroh gedeckt zu sein, das, trotz des Regens der vergangenen Tage, in kurzer Zeit lichterloh brennt. Dunkler Qualm steigt in den Himmel auf.
Finley, Sorcha und Eila rennen in die Richtung der Häuser. Dort angelangt, sehen sie ein Bild der Zerstörung. Die Menschen des Dorfes versuchen Sachen aus den Gebäuden zu retten. Sie haben bereits einige Haufen in sicherer Entfernung zu den Bränden errichtet.
Jetzt können sie aber nicht mehr hinein, die Geräusche zusammenstürzender Balken sind zu hören, während Funkenregen durch die Tore herausstieben. Die Gesichter sind geschwärzt vom Ruß, ihre Arme hängen enttäuscht herab. Sie konnten letztlich nur wenig von ihrer Habe retten.
»Können wir helfen?«, fragen sie die nächststehenden Leute.
»Nein, es ist zu spät. Die Flammen sind nicht aufzuhalten. Alles wird niederbrennen.«
»Aber wie ist das passiert? Sind Menschen verletzt worden?«
In diesem Moment kommt eine große Schar Männer angeritten, die mit Schwertern, Armbrüsten und Bogen, aber zum Teil auch nur mit Heugabeln bewaffnet sind. Sie werden von den anderen umringt und mit Fragen bestürmt.
»Konntet ihr sie stellen?«
»Was waren das für feige und gemeine Hunde?«
»Gab es einen Kampf?«
»Waren es wirklich Wikinger?«
Der Anführer der Berittenen hebt seine rechte Hand, worauf alle verstummen. Dann spricht er zu ihnen: »Zuerst möchte ich wissen, wie es hier steht. Gibt es Verletzte oder Tote?«
»Einige Schweine sind abgestochen und mehrere davon mitgenommen worden. Im Haus haben sie alles durchwühlt und Wertsachen gestohlen. Es wurde aber niemand verletzt oder getötet. Peter Bleck ist mit seinen Leuten bei uns im Dorf geblieben, nachdem er euch zu Hilfe gerufen hatte.«
»Es ist gut, dass er sofort die Landwehr benachrichtigt hat, somit haben wir größeren Schaden verhindern können. In letzter Zeit mehren sich derartige Angriffe, bei denen es auch schon Tote gegeben hat.« Jetzt erläutert er das Geschehen: »Peter Bleck hat, von seiner Weide an der Küste aus, ein Boot kommen sehen, das tatsächlich wie ein Wikingerschiff ausgesehen hat. Wir haben es auch gesehen. Es hat am Bug einen hochgezogenen, geschwungenen Vordersteven mit einem Drachenkopf und ein senkrecht rot-weiß gestreiftes, rechteckiges Rahsegel. Es wird zusätzlich von mehreren Ruderern vorangetrieben. An der dem Land zugewandten Bordwand hatte Peter etwa zwölf Rundschilde befestigt gesehen.«
«Wikinger?«, unterbricht Finley erstaunt.
Der Mann erwidert: »In letzter Zeit gab es viele Berichte von Überfällen durch ein derartiges Schiff. Darum wartete Peter nicht länger, sondern eilte zu seinem Haus. Von dort flüchteten alle Bewohner. Nachdem er uns informiert hatte, ritten wir sofort los. Wir müssen aber von Ferne gehört worden sein, oder sie hatten einen Sicherungsposten, der sie rechtzeitig warnte. Als wir vom Hof aus zur Küste kamen, waren sie bereits im Boot in Sicherheit. Wir haben zwar noch einige Pfeile auf sie geschossen, die aber vermutlich nicht viel angerichtet haben. Sie waren schon fast außer Reichweite unserer Bogen.«
Als er geendet hat, murren die Leute unzufrieden und enttäuscht. Sie hatten gehofft, dass diese Überfälle endlich beendet werden konnten.
Da die Hilfe der drei Wanderer nicht benötigt wird, kehren sie zum Pfad Richtung Norden zurück. Sie werden in dem ganzen Durcheinander nicht einmal vermisst. Finley, Sorcha und Eila diskutieren erstaunt darüber, dass es Wikingerüberfälle in der heutigen Zeit geben soll. Diese fanden doch vor mehreren Jahrhunderten statt. Trotzdem entspricht die Beschreibung des Fahrzeuges der eines Wikingerschiffs. Wenn Peter Bleck in seiner Aufregung richtig gezählt hatte, werden es insgesamt etwa 24 Rundschilde sein, da an beiden Bordseiten gleich viel befestigt sein werden. So war das jedenfalls bei den legendären Wikingern. Und jeder Schild gehörte einem Kämpfer, also bestand die Besatzung vermutlich aus ebenso vielen.
So lange sie auch darüber reden, sie finden nur einen möglichen Sinn. Die Überfälle durch vermeintliche Wikinger sollen Angst und Schrecken verbreiten. Wenn diese Annahme stimmt, werden die Dubharan dahinterstecken. Welchen Zweck sie damit verfolgen, können sie aber nicht ergründen.
Sie rasten am frühen Nachmittage am Fuß einer steilen Felswand, bevor sie eine Möglichkeit zum Aufstieg suchen. Albin folgend, entdecken sie in einer Felskluft endlich einen schmalen Pfad. Der Aufstieg ist mühsam, wobei sie sich oft gegenseitig helfen müssen. Nachdem sie ungefähr die halbe Höhe erreicht haben, wird das Aufwärtssteigen leichter. Erste Büsche tauchen auf, an denen sie sich festhalten können. An einer besonders steilen Stelle müssen sie Albin helfen, der auf dem harten Felsgestein keinen Halt für seine Pfoten findet. Anschließend wird der Pfad flacher und verläuft nicht mehr so serpentinenartig. Aufatmend erklimmen sie die letzten Höhenunterschiede. Als sie um einen letzten, großen Felsbrocken biegen, bleiben sie staunend stehen.
In etwa 200 Metern sehen sie eine beeindruckende, kantige Burg. Sie ist aus grauem Sandstein erbaut und besitzt mächtige Ecktürme. Das Bauwerk liegt auf einer kleinen, grasbewachsenen Anhöhe. Ihr Pfad führt von dem steilen Aufstieg direkt zu dem der Küste zugewandten Tor. Dem Hinterland bietet die Burg offensichtlich nur die hohen Burgmauern dar.