Читать книгу Elduria - Dragon der Beschützer - Norbert Wibben - Страница 10
Gegenmaßnahmen
ОглавлениеDrakonia durchmisst mit großen Schritten den prachtvollen Thronsaal. Er ist an den Wänden überreich mit Verzierungen versehen und liegt jetzt im hellen Licht vieler Kerzenleuchter. Von unzähligen vergoldeten Flächen wird es strahlend zurückgeworfen. In diesem Raum ist lediglich ein Sitzmöbel aufgestellt. Unter einem rotsamtenen Baldachin steht etwas erhöht der verzierte Thron, auf dem die Königin sitzend die Normalsterblichen ihres Herrschaftsbereiches, aber oft auch ihre Vertrauten zu einer Audienz empfängt. Auf dem polierten Parkettboden liegen kostbare Teppiche, die weder von den zwei Besuchern noch von der Herrscherin beachtet werden. Der mit weißem Hermelinbesatz verbrämte purpurne Umhang weht hinter ihr her. Mit der zur Faust geballten rechten Hand schlägt sie dauernd in die linke.
»Wieso? – Ich verstehe dein Versagen nicht! – Es ist doch nur ein kleines Mädchen!«
Sie wandert seit Minuten aufgebracht durch den Raum und bleibt schließlich vor ihrem obersten Zauberer stehen. Drakonia nähert ihr Gesicht dem seinen, bis kaum noch ein Blatt dazwischen passen würde. Creulon weicht jedoch keinen Millimeter zurück. Die Herrscherin hebt voller Staunen ihre Augenbrauen. »Na? Welche Ausrede bekomme ich zu hören? Dir fällt doch sicher eine ach so kluge Entschuldigung ein. Los, heraus damit!« Der von ihrem Mund sprühende Speichel lässt den Schutzschirm um den Magier aufleuchten. Das führt zu einem neuen Wutausbruch. »Ha. Du wagst es, einen magischen Schutz zu nutzen und das in meinem Thronsaal? Fürchtest du dich so vor mir?« Die Frau fährt wie eine Furie herum und beginnt erneut mit ihrer Wanderung. »Wann machst du deinen Mund auf? Oder soll ich dir helfen?« Gleichzeitig mit den Worten zieht sie einen kleinen, seltsam verzierten Dolch unter ihrem Gewand hervor. Sie bleibt stehen, aber so, dass ihre Besucher sehen können, wie sie den Gegenstand versonnen betrachtet. Die Königin spricht leise, wie zu sich selbst. »Dieses unscheinbare Messer besitzt die Fähigkeit, jeden magischen Schutz zu durchdringen. Wenn ich damit durch einen Schutzschirm stoße, gibt es nicht einmal das sonst übliche Aufleuchten, lediglich das hervorschießende Blut zeigt an, das etwas geschehen ist. – Was passiert wohl, falls ich meinen obersten Heerführer beauftrage, den angeblich größten Zauberer Merions und Eldurias zum Sprechen zu bringen?« Drakonia dreht sich langsam um. Ihr Blick fällt auf Owain, der abwartend einen Schritt neben Creulon steht und wie dieser den derart gefährlich beschriebenen Gegenstand fixiert.
Der dunkle Magier zeigt ein verhaltenes Lächeln, bevor er seine Lippen öffnet. Er hat lange damit gewartet, um deutlich zu machen, wie wenig er sich fürchtet, auch nicht vor dem spitzen Dolch. Da er Owain wiederum alles zutraut, der der Herrscherin blind ergeben ist, erhebt er nun doch seine Stimme. Sie klingt völlig emotionslos. Die Worte kommen langsam und fast ohne Betonung. Damit will Creulon demonstrieren, dass ihn die Drohung kalt lässt.
»Meine kluge Königin! Gestattet mir, euch das fehlende Wissen mitzuteilen.«
Das breite Grinsen auf Drakonias Gesicht spricht für sich. Sie ist überzeugt, den Zauberer mit ihrem kleinen Trick hereingelegt zu haben. Dass der Dolch lediglich ihr Brieföffner ist, der keinerlei magiebrechende Eigenschaften besitzt, meint nur sie zu wissen. Sie ist sich dennoch nicht hundertprozentig sicher. Wenn sie das leise Lächeln auf Creulons Lippen richtig interpretiert, könnte er vermuten, oder zumindest ahnen, was das Messer tatsächlich ist. Owains Miene bleibt unbeweglich, als der Magier auf ein huldvolles Nicken der Königin hin zu sprechen beginnt.
»Das Mädchen mag klein sein, doch ungefährlich ist es nicht! Ich habe von dem Zauberer, der Gwydion, Owains Wachtmeister und seine Männer begleitet, erfahren, dass es nicht allein unterwegs ist. Ein Junge reist in ihrer Gesellschaft, der offenbar auch die Gestalt eines Drachen annehmen kann …«
»Was sagst du? Wer behauptet das?«
»Der soeben erwähnte Zauberer. Doch auch ich habe den Lindwurm kennengelernt, obwohl es außer dem einen, der in unserem Gewahrsam ist, keine zweite dieser Kreaturen in diesen Landen geben dürfte. Er spuckte mir seinen heißen Feueratem direkt ins Gesicht. – Aber darum geht es nicht. Das geschah, als ich das Mädchen fast gestellt hatte. Sie befand sich zu der Zeit im Haus einer alten Gegnerin, wie ich im Nachhinein feststellen musste und was gleichzeitig ihr Entkommen erklärt.«
Drakonia starrt den Magier an. Ihr Mund steht offen, während sie sich das Gehörte ungläubig durch den Kopf gehen lässt. Sie schluckt heftig.
»Das hast du dir jetzt richtig schön ausgedacht! Ein Drache, ein Mädchen und dann angeblich zusätzlich eine alte Gegnerin. Ha. Es fehlt nur noch, dass du sagst, sie sei eine Elfe.«
»Das geschieht nicht grundlos. Ich weiß es.«
»Falls das nicht nur dem Bedürfnis entspringt, eine Entschuldigung zu präsentieren, dann solltest du mir das schnell erklären, bevor … Doch drohen muss ich sicher nicht, mein kluger und treu ergebener Zaubermeister! Du wirst mir bestimmt sofort deine Behauptung erläutern.«
Drakonia steht erneut vor dem Zauberer, aber dieses Mal beträgt der Abstand einen ganzen Meter. Sie blickt dem Mann in seine dunklen Augen und verspürt unwillkürlich das Verlangen, sich wegzudrehen. Sie befürchtet einen winzigen Augenblick, er könne sie zu hypnotisieren versuchen. Doch ein eiserner Wille regiert ihren Verstand und widersteht dem Drang. Sie presst die Lippen aufeinander und weicht dem Blick des Magiers nicht aus.
In diesem Moment bewundert Creulon ihren unbezähmbaren Stolz. Sie ist zu Recht die Herrscherin Merions und Eldurias, zumindest so lange, bis er ihr einen Teil des Gebietes abnimmt. Diesen seit langem gehegten Gedanken drängt er entschlossen in den Hintergrund. Er muss sich voll auf das Hier und Jetzt konzentrieren, sonst könnte er sich verraten und womöglich in einen Kerker geworfen werden.
»Es ist eigentlich einfach, da ich ihren Namen belauscht habe. Die Frau ist Danrya, eine Elfe. Erinnerst du dich an sie und deren Freundinnen? Eine hieß Atropaia und war eine ebenso starke Gegnerin.« Er dreht sich Richtung Owain. »Wenn ich richtig unterrichtet bin, hast du sie vor sieben Jahren gefangen genommen. Doch das Mädchen, dessen Amme sie zu der Zeit gewesen ist, konntest du nicht fangen.« Er wendet sich wieder der Herrscherin zu. »Du magst es glauben oder nicht, das kleine, damals fünfjährige Kind, dass du als vermeintlich harmlos betrachtest, ist das dem Zugriff Owains entkommene Mädchen.«
»Du willst behaupten, sie ist die Tochter Raikas?«
»Genau. Wie du weißt, war sie eine der drei Westelfen. Gemeinsam mit Atropaia und Danrya fügte sie dir erheblichen Schaden zu. Raika floh nach dem unerwarteten Tod ihres Gemahls, einem Anführer der Menschen, doch ich stöberte ihren Wohnsitz auf, stellte ihr eine Falle und verpasste ihr einen Todesfluch. Sie war zäher als ich erwartete und konnte entkommen. Mit Hilfe Atropaias brachte sie diese Runa zur Welt, bevor sie starb. Mit ihr haben wir es heute zu tun.«
»Das sind erschreckende Neuigkeiten. Schon damals waren die drei Westelfen gefährlicher als das ganze Heer des Königs von Elduria. – Wir haben es nach deinen Worten aktuell mit einem Mädchen zu tun, das aus der Verbindung einer Elfe mit einem Menschen hervorging. Hinzu kommt, dass das Kind, … wie heißt es noch? Richtig, Runa … außerdem von einem Jungen begleitet wird, der die Gestalt eines Lindwurms anzunehmen vermag. Wenn sie in Begleitung von Danrya sind, haben wir es mit einer seltenen Dreierkonstellation aus Drache, Halb-Mensch und Elfe als Gegner zu tun. Die wirkt möglicherweise der Triqueta, unserem größten Schutz, entgegen, da sie ebenso wie diese eine Dreierkonfiguration bilden. – Könnte darauf die alte Prophezeiung hinweisen? Runa trägt außerdem das Mal eines Drachensuchers, wie mir Owains Sohn berichtete. Ob dieser Drache deshalb zu ihr gestoßen ist? Das könnte in Summe bedeuten, dass die Weissagung schon bald in Erfüllung geht!«
»Das muss nicht sein!«, widerspricht Owain, der sich nach einer Verbeugung einmischt. »Wir sollten zu einem Gegenschlag ausholen, der die Gefahr gründlich beseitigt, bevor sie eintritt.«
»Genau deshalb befinden sich Gwydion und der Magier noch immer auf ihrer Spur. – Ich habe eine Verbindung zwischen den Orten gezogen, die Runa und der Junge besucht haben, und die von ihnen zurückgelegte Richtung verlängert. Für mich steht fest, sie wollen hierher, womöglich bis in die Festung Grimgard.«
»Was? Sollten sie beabsichtigen, diese starke Burg anzugreifen? Glauben die Jugendlichen wirklich, in einem Kampf gegen meine Soldaten siegreich sein zu können? Egal, wie stark ihre magischen Kräfte sind, das wird ihnen schlecht bekommen!«
Drakonia beginnt erneut mit ihrem Marsch durch den Raum. Creulon widerspricht ihr nicht. Er bekräftigt vielmehr seine Schlussfolgerung.
»Es sieht ganz danach aus. Doch Danrya befindet sich nicht bei ihnen. Davon habe ich mich überzeugt. Deshalb wagen sie bestimmt keinen Frontalangriff. Mir ist allerdings schleierhaft, was sie sonst vorhaben könnten.«
Drakonia wandert erneut umher und spricht ihre Gedanken laut aus.
»Was sollten sie schon wollen? Sie planen sicher nicht, hierher vorzustoßen. Da muss ich dir widersprechen. So verblendet wird niemand sein, nicht einmal Raikas Tochter! Bevor Danrya nicht zu ihr gestoßen ist, vermutlich begleitet von einem schlagkräftigen Heer, werden sie nicht wagen, in das Gebiet der Triqueta einzudringen. – Owain, du musst unverzüglich sämtliche Wehrgänge meiner Burg besetzen! Schicke auch Truppen zu den Festungen der Hexenmeister! Parallel dazu beginnen wir sofort mit der Ausbildung weiterer Soldaten. Wenn ich an die letzten Kämpfe denke, werden wir vorsorgen müssen, um Verluste ausgleichen zu können.«
Die Königin bleibt überlegend stehen und wendet sich an ihren Heerführer.
»Ich möchte, dass du eine Spezialeinheit aufstellst. Nimm dafür die gefährlichsten Verbrecher, die in den Gefängnissen sitzen. Versprich ihnen, dass sie im Gegenzug begnadigt werden, wenn sie auf unserer Seite kämpfen. Ich will, dass sie als gefühlsarme Kampfmaschinen agieren. Die nötige Ausbildung überlasse ich dir.« Drakonia nickt zu diesen Worten. »Genau, so machen wir es. Sollten sie im magischen Feuer der Gegner untergehen, denn auch sie werden Zauberer einsetzen, ist es nicht schade um sie. Wir verlieren dann lediglich kriminelle Subjekte, die wir für ihre Arbeit in den Steinbrüchen durchfüttern müssen. Gelingt es dagegen, mein Reich zu verteidigen, tragen sie erheblich mehr dazu bei, als wenn sie die Befestigungen der Burgen mit Steinen sicherstellen. In diesem Fall werden wir den Männern die Reststrafe erlassen. Teile ihnen das mit!«
»Ich werde buchstabengetreu euren Befehl umsetzen!«
Owain verbeugt sich bis zur Erde und richtet sich mit leuchtenden Augen auf. In Gedanken überträgt er seinem Sohn Brendan bereits das Kommando über einen Teil des Heeres und ernennt ihn zum Stellvertreter. Diese Truppen sollen die Sicherung der Außengrenzen der Triqueta übernehmen. Sobald das Gebiet gesichert ist, wird er mit der Sondereinheit die weiteren Regionen Merions durchforsten, bis hinein nach Elduria.
Owain ist nicht dumm. Er weiß, dass das Sonderkommando eine starke Hand benötigt, zumal es innerhalb kürzester Zeit aufgestellt wird. Das traut er weder seinem Sohn noch einem anderen seiner Untergebenen zu, auch nicht Gwydion. Er geht nicht davon aus, dass sich Runa und ihr Begleiter nach Grimgard wagen. Sie stellen vermutlich zuerst eine schlagkräftige Armee auf, bevor sie mit dieser gemischten Truppe aus Menschen und Elfen tiefer ins Königreich Merion vorstoßen. So würde er vorgehen, was durchaus einer gewissen Logik folgt. Zumindest aus Sicht eines Soldaten.
»Eure Majestät. Auf ein Wort.«
Creulon hat während Drakonias Rede einen wichtigen Aspekt betrachtet, der in ihren Überlegungen über den Einsatz von bewaffneten Kämpfern zu wenig berücksichtigt wurde. Es handelt sich dabei um die Anwendung von Zauberei, wie könnte es auch anders sein. Die Herrscherin wacht bei seinen Worten aus ihren Träumereien über siegreiche Schlachten auf und blickt den Magier erstaunt an.
»Ich verlange, dass du Owain bei der Auswahl geeigneter Kandidaten für die Sondereinheit unterstützen wirst. Habe ich vergessen, das klar zum Ausdruck zu bringen?« Sie baut sich vor dem Zauberer auf, wobei sie wie ein einfaches Bauernmädchen ihre Hände in die Seiten stemmt. »Falls du dafür eine spezielle Anweisung erwartest, gebe ich sie dir gerne.«
»Majestät!« Creulon beginnt mit wohlüberlegten Worten in gewohnter Weise zu sprechen. Sein unbewegliches Gesicht, umrahmt von langen, schwarzen Haaren, ist ruhig auf die Königin gerichtet. »Das Besondere des Gebiets der Triqueta sollte in die Überlegungen einbezogen werden!«
Drakonias Augen verengen sich erstaunt. Wie konnte sie nur vergessen, dass möglicherweise Magie bei der Auseinandersetzung eine Rolle spielen wird. Ihr oberster Zauberer offenbar nicht. Sie bemerkt keine verräterische Regung seiner Miene. Sie betrachtet kurzzeitig das silberne Mondabzeichen am Kragen des schwarzen Umhangs seiner vorwiegend dunklen Kleidung, das alle Magier ihres Reichs tragen.
»Das habe ich nicht übersehen. Welchen Vorschlag willst du diesbezüglich machen?«
Sie spielt damit den Ball zu ihm zurück, ohne einzugestehen, die Möglichkeiten der Zauberei nicht genügend bedacht zu haben.
»Da sehr geübte Hexenmeister auf den drei Burgen in eurem Auftrag das Gebiet der Triqueta beschützen, was natürlich ebenso Soldaten und deren Fähigkeiten einbezieht, können und müssen sie den besonderen, magischen Schutz aktivieren!« Creulon senkt seine Stimme zu einem Flüstern. Auch wenn er nicht glaubt, dass es einer der Bediensteten der Königin wagen würde, an Türen zu lauschen, geht er auf Nummer sicher. Drakonia tritt einen Schritt näher und lauscht seinen Vorschlägen. Schnell zieht ein teuflisches Grinsen über ihr Gesicht.
»Die Idee ist ausgezeichnet, lieber Creulon. Ich stimme dir gewiss nicht zu, dass Runa wagen könnte, in diese Burg einzudringen, aber warum soll ich nicht vorsorglich die maximalen, magischen Möglichkeiten zu meinem Schutz einsetzen? Ich hatte zwar mit diesem Gedanken gespielt, fand ihn jedoch einer Herrscherin unwürdig. Da du mich jetzt darauf hinweist, bleibt mir wohl nichts anderes übrig. – Setze alle Zaubermittel ein, die deiner Meinung nach nötig sind. – Unabhängig davon werde ich Owain und den Soldaten meines Heeres die notwendige Aufmerksamkeit widmen. – Du kommst sicher ohne zusätzliche Anweisungen aus? Gut!«