Читать книгу Elduria - Dragon der Beschützer - Norbert Wibben - Страница 9

Unerwartetes Zusammentreffen

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Die Mittagszeit ist bereits vorbei, als die beobachteten Kolkraben davonfliegen. Runa und Dragon essen jeweils einen Apfel und schauen ihnen hinterher. In der Ferne nehmen sie verschwommen ein größeres Gebäude wahr. Das hatten sie gestern als die Festung des Hexenmeisters identifiziert.

»Was meinst du, sollen wir den Vögeln folgen? Das wäre bestimmt der kürzeste Weg zu Drakonias Burg.« Runa ist unsicher, ob sie sich erneut derart nah an den dunklen Magier wagen können.

»Dort könnten wir vermutlich üben, ob auch wir uns gegen einen Krähenschwarm behaupten können. Danrya ist doch überzeugt, dass in der Nähe von Festungen haufenweise Krähen zu finden sind. Als dein Beschützer rate ich jedoch dazu, lieber einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das geschieht nicht aus Feigheit, keineswegs. Ich möchte nur nicht, dass du womöglich gefangen wirst!«

»Einverstanden«, bestätigt das Mädchen. »Dann verwandeln wir uns jetzt in die neue Gestalt. Muto speciem.«

Im nächsten Moment hockt es erstaunt auf dem Boden und schlägt probehalber mit den Flügeln. Der Junge verwandelt sich ebenfalls in einen dieser tiefschwarzen Rabenvögel. Beide wenden ihre Köpfe hin und her, klappern mit den Augendeckeln und stoßen ein erstes, herausforderndes Krächzen aus. Runa betrachtet die etwas größere Gestalt ihres Freundes.

»Wo ist denn das Langmesser geblieben? Ich kann auch den Lederriemen nicht entdecken, mit dem die Scheide sonst auf dem Rücken befestigt ist.«

»Die sind genauso wie meine Kleidung in die Umwandlung miteinbezogen worden. Schau dich nur selbst an. Weder die Jacke noch der Rucksack liegen in deiner Nähe. Wenn unsere Bekleidung und Ausrüstung nicht mitverwandelt werden würden, hätten wir bei der Rückverwandlung erhebliche Probleme.«

»Stimmt, dann wären wir nackt. Daran habe ich nicht gedacht.«

»Ich wusste es bereits im Vorhinein. – Jetzt fragst du sicher, wie dass mit dem Lederriemen ist, wenn ich mich in meine Drachengestalt verwandelte. Ich sparte sie einfach von der Verwandlung aus.«

Runa schüttelt den Kopf. Derartige Details hat sie bisher nicht beachtet, findet die Umwandlung in der stattgefundenen Art und Weise aber logisch.

Sie macht einen Hopser und schlägt mit den Flügeln. Sie muss den Start vom Boden mehrfach üben, bevor sie sich ähnlich wie Dragon gekonnt in die Luft hinaufschwingen kann. Sobald das zu ihrer Freude klappt, kollern beide zufrieden. Ihre Rufe schallen weit in die Ferne. Wie vorhin besprochen fliegen sie nicht in Richtung der Burg des Hexenmeisters. Zur Sicherheit schlagen sie einen großen Bogen um die Festung, indem sie sich zuerst nordöstlich, dann östlich und nach einer Flugstunde zum Südosten umorientieren. Sie überfliegen dabei Schafweiden und mit grauen Schindeln gedeckte Unterstände, aber auch Häuser und heimelige Laubwälder, die Runa an den Elfenwald im Westen erinnern.

»Ob hier ebenfalls Elfen leben?«, fragt sie Dragon.

»Das wird früher so gewesen sein, bevor Drakonia in Merion die Macht übernahm«, entgegnet der Freund. »Wenn wir viele Tage Richtung Norden fliegen würden, kämen wir zu dem geheimen Wald, in dem heute die Nordelfen leben.«

»Woher weißt du das? So weit bist du in deinen Jahren als Mensch doch vermutlich nicht gewandert, oder?«

»Nein. Von der Küste Eldurias aus bin ich fast direkt nach Homarket gekommen. Das ist vor sieben Jahren gewesen, wie du weißt. – Danrya hat mir gesagt, dass sich viele der Elfen aus den verschiedenen Königreichen dorthin zurückgezogen haben. Sie will dort Unterstützung für einen Aufstand gegen Drakonia und die mit ihr verbündeten, dunklen Zauberer gewinnen, wie sie uns sagte.«

In der beginnenden Dämmerung entdecken sie unter sich einen schnurgerade verlaufenden Weg.

»Das wirkt wie eine befestigte Straße, auf der Wagen mit Waren, aber auch Truppen schnell bewegt werden können.« »Stimmt«, bestätigt Runa. »Ob das die direkte Verbindung von der Burg des Hexenmeisters zur Feste Grimgard ist?«

»Hm. Lass mich überlegen. Sie verläuft etwa von Nordwest nach Südost. Das könnte schon passen.«

Dragon ist etwas unsicher. Danrya hatte ihm eine Skizze der Triqueta gezeigt. Jede der drei Burgen wird darin über eine bogenförmig verlaufende Linie mit den anderen zwei Festungen verbunden. Dadurch entsteht ein Gebilde mit drei spitzen, aber länglich runden Blättern, auf deren Endpunkten sie die Kastelle einzeichnete. In den mittleren, von den Bögen umrandeten Bereich, skizzierte die Elfe Grimgard. Sollten die Verbindungsstraßen kreisbogenförmig existieren, müssten zusätzliche Straßen zu Drakonias Festung gebaut worden sein. Sonst hätte das dem Bedürfnis widersprochen, im Notfall Soldaten schnell von einem Ort zum anderen zu senden. Nein! Dragon ist überzeugt, die Elfe wollte mit der Skizze etwas davon Abweichendes darstellen. Was das sein soll, vermag er jedoch nicht zu erkennen.

»Die Zeichnung habe ich auch gesehen«, unterbricht Runa seine Gedanken. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Kreisbögen eine magische Bewandtnis haben. Wir müssen Danrya bei nächster Gelegenheit danach fragen.«

Die beiden Kolkraben folgen inzwischen der geradlinigen Straße. Tagsüber haben sie bemerkt, dass sich von Osten kommend immer mehr dunkle Wolken drohend am Himmel auftürmen. Urplötzlich zuckt ein greller Blitz zur Erde hinab, und sofort darauf kracht ein gewaltiger Donnerschlag.

»Wir müssen uns einen geschützten Ort suchen!« Dragon blickt erschrocken zur Wolkendecke hinauf. Dort sind nicht mehr nur aufgetürmte, einzelne Wolkenfelder zu sehen, der komplette Himmel besteht aus ihnen. Dicke Regentropfen fallen daraus herab und werden bereits nach wenigen Sekunden zu einer dichten Wasserwand.

Das Fliegen wird unter diesen Bedingungen zur Unmöglichkeit. Die Freunde lassen sich mit dem strömenden Regen zu Boden sinken. Sie überfliegen noch zwei Häuser, bis sie eine freistehende Scheune entdecken. Sie nutzen eine Öffnung in der hölzernen Giebelwand und huschen erleichtert hinein. Hier sind große Vorräte an Heu gelagert, die vom Lehmboden bis zum Dach geschichtet sind. Sie erkennen trotz des diffusen Lichtes, dass es hier von verschiedenen Tieren wimmelt. Die haben offensichtlich ebenfalls Schutz vor dem Unwetter gesucht, das draußen mit unverminderter Heftigkeit tobt. Blitz und Donner wechseln sich unablässig ab. Der prasselnde Dauerregen bildet erste Wasserläufe, die nicht nur um, sondern an einigen Stellen auch in das große Gebäude strömen.

Die Kolkraben landen auf einem Querbalken und schütteln das Wasser aus ihrem glänzenden Gefieder. Sie klappern mit den Augendeckeln und beobachten mit schräg gehaltenen Köpfen unzählige Mäuse, die vorsichtig ihre spitzen Schnäuzchen in die Höhe halten. Die kleinen, aber blanken Augen blicken nach oben, die Barthaare zittern und die runden Ohrmuscheln sind aufgestellt. Die flinken Nager scheinen sich zu fragen, ob die großen Vögel eine Gefahr für sie bedeuten. Davon sind sie offenbar überzeugt, da sie sich schnell tiefer ins Heu wühlen.

Plötzlich zeichnet sich im Blitzschein ein helles Viereck auf dem Boden ab. Das Scheunentor ist geöffnet worden! Der Donner ist ohrenbetäubend. Regenschauer werden ins Innere gedrückt, während gleichzeitig drei Soldaten ihre ängstlich schnaubenden Pferde hereinführen. Ihnen folgt ein weiterer Mann, der zuerst seinen Umhang ausschüttelt, bevor er sein Reittier ebenfalls ins Trockene folgen lässt. Runa und Dragon hatten noch vor wenigen Augenblicken überlegt, ihre menschliche Gestalt anzunehmen, was sie beim Anblick der Bewaffneten aufgeben.

»Wohin mögen die unterwegs sein?« Das Mädchen weiß nicht, ob das wichtig ist, trotzdem fühlt es eine unerklärliche Unruhe.

»Ich vermute, sie wollen nach Grimgard.« Der Junge ist davon überzeugt und liefert sofort die Erklärung für seine Behauptung. »Ich meine, sie vor kurzem auf der Straße gesehen zu haben. Jedenfalls sah ich unter uns einige dunkle Schemen, die sich in gleicher Richtung wie wir bewegten. Sollten sie aus der Gegenrichtung gekommen sein, hätten wir sie nicht sehen können.«

»Ich habe sie nicht bemerkt.«

»Vielleicht sind meine Augen besser als deine«, versucht Dragon zu scherzen. Er wird bei den folgenden Worten Runas jedoch sofort wieder ernst.

»Falls ich mich nicht täusche, ist einer der Bewaffneten Gwydion, der Wachtmeister und Vertraute Owains, der uns von Homarket aus verfolgt hat.«

»Auch wenn der uns nicht in der Kolkrabengestalt erkennen kann, sollten wir aus der Mitte des Raumes verschwinden. Dort am Rand sind wir vermutlich besser aufgehoben.«

Runa nickt automatisch, bevor sie Dragon folgt, der langsam auf dem Balken zur Seitenwand schreitet. Sie vermeiden, sich hüpfend zu bewegen, weil sie dadurch womöglich von den Männern unten bemerkt werden würden. Sobald sie am Rand angekommen sind, betrachten sie die drei Bewaffneten und den Mann, in dem sie zu Recht den Magier vermuten, der Feuerbälle auf sie geschleudert hat.

»So ein Sauwetter!«, flucht Gwydion. »Ich verstehe nicht, warum du keinen magischen Schutz um uns wirken wolltest. Das hätte uns davor bewahrt, derart durchnässt zu werden. Ha… ha… hatschi!«

»Das liegt doch auf der Hand. Ich habe uns mittels Magie so schnell wie möglich Richtung Grimgard geführt. Sollte ich den von dir erwähnten Schutz gewirkt haben, würden uns die Verfolgten wegen der unvermeidlichen Leuchterscheinungen, sobald Regentropfen darauf fallen, bereits von weitem bemerkt haben. So, wie ich Creulon verstanden habe, ist er der Meinung, dass das Mädchen über gewisse Zauberkräfte verfügt. Selbst wenn die nur gering sein sollten, was nicht bewiesen ist, hätte das Kind sofort gewusst, dass einer von uns Magie beherrschen muss.«

»Aber, falls wir we… – ha… hatschi – wegen Krankheit ausfallen, ist nichts – ha… ha… hatschi – gewonnen!«

»Dagegen kann ich etwas machen. Hey, jetzt lauf nicht weg. Ich werde die Erkältung schnell vertreiben. Du kannst mir vertrauen.«

Doch der alte Soldat scheint sich nicht sicher zu sein. Er weicht bis an eine Wand vor dem nachrückenden Magier zurück. In die Enge getrieben warnt er:

»Sollte der Spruch daneben gehen, kannst du was erleben!«

Die anderen zwei Bewaffneten grinsen über die Angst ihres Vorgesetzten. Wenn sie später ihren Kameraden davon erzählen, wird es ihnen schlecht ergehen, wie sie wissen. Der Wachtmeister versteht keinen Spaß, sollte seine Autorität durch derartiges Verhalten untergraben werden. Trotzdem finden sie allein diese Situation, in der sie den alten Haudegen ängstlich erleben, durchaus als lohnendes Erlebnis.

Währenddessen spricht der Magier: »Salvus«. Sofort fühlt sich Gwydion besser. Er will soeben noch dem unwiderstehlichen Drang zu niesen nachgeben, da ist der bereits verschwunden. Der Zauberer nickt zufrieden und wendet sich den anderen zu.

»Kann ich noch jemandem zu Diensten sein? Es tut auch bestimmt nicht weh!« Er hat offenbar deren Gefeixe bemerkt und schreitet grinsend auf die Männer zu. Die erheben sich stotternd.

»Ne… nein, Da… danke!«

»Wir s… sin… sind völlig ge… gesund.«

Sie versuchen, ihre Angst nicht zu zeigen, weichen aber vor dem Magier zurück.

»Seid ihr sicher? Es gibt kein leises Kribbeln oder eine verstopfte Nase? – Na gut. Falls sich das ändern sollte, wendet euch vertrauensvoll an mich. Fragt Gwydion, es ist völlig schmerzlos.«

Der Wachtmeister ist jetzt an der Reihe zu grinsen.

»Stimmt genau«, bestätigt er.

Die sich in den Schatten drückenden Kolkraben nimmt der alte Soldat erst in diesem Moment wahr. Er kraust die Stirn. Er überlegt, ob sie hier im Stall gewesen sein könnten. Oder sind sie ihnen gefolgt? Er ist unsicher, meint aber doch, zwei Schemen bemerkt zu haben, die über sie geflogen waren. Das war etwa in Höhe des letzten Hauses. Ob er den Magier auf die beiden Tiere aufmerksam machen soll? Er öffnet bereits den Mund, zuckt dann jedoch die Schultern. Die Vögel können keine Gefahr darstellen, ist er überzeugt. Er möchte sich nicht erneut dem Spott seiner Untergebenen aussetzen. Den Gefallen, dass sie ihn für abergläubisch halten, weil er Verdächtiges hinter schwarzen Vögeln vermutet, will er ihnen nicht tun. Er hatte durchaus, genau wie der Zauberer, deren grinsende Gesichter und das gegenseitige Anstoßen bemerkt.

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