Читать книгу Elduria - Dragon der Beschützer - Norbert Wibben - Страница 13
Gefahr!
ОглавлениеDie zwei Gefährten haben es vorerst aufgegeben, auf eine Gelegenheit zum Gestaltwandeln zu warten. Sie finden einfach keine Möglichkeit, das unbemerkt durchführen zu können. Sie wollen notgedrungen den heutigen Tag nutzen, einen Eindruck vom Verhalten der Bevölkerung zu bekommen, die auf dem Gebiet der Triqueta in Merion lebt. Spätestens in der Nacht, so hoffen sie, werden sie erneut die Gestalt von Kolkraben annehmen.
Runa und Dragon kennen den direkten Einflussbereich Drakonias lediglich aus Erzählungen, die sie im Wirtshaus »Fuchs und Gans« oder auf dem Markt in Homarket aufgeschnappt haben. Obwohl ihr bisheriger Aufenthaltsort auch in Merion liegt, wird über die weit im Osten liegende Festung Grimgard und die sie umgebenden Gebiete wenig Gutes erzählt.
Fast alle männlichen Jugendlichen werden dort seit Jahren zum Kriegshandwerk herangezogen. In den Gesprächen ist die Rede von mörderischen Ausbildungslagern, in denen die neuen Soldaten für Drakonias Heer durch eine harte Schule gehen. Es wird berichtet, dass zu Übungszwecken scharfe Waffen genutzt werden. Obwohl das vermutlich nicht stimmen wird, denn das vermag sich Runa nicht vorzustellen, wird es so in Homarket behauptet. Der Nachwuchs an ausgebildeten Kämpfern wird gerade in einem militaristisch orientierten Königreich wie Merion nicht leichtfertig durch derartiges Gebaren aufs Spiel gesetzt werden. Auch wenn die Auseinandersetzungen mit dem einverleibten Elduria viele Jahre zurückliegen, wurde die Mannschaftsstärke des Heeres seitdem nicht reduziert. Männliche Einwohner der vereinten Länder, die in Elduria leben oder deren Wurzeln dort liegen, werden allerdings von der Ausbildung im Kriegshandwerk ausgeschlossen. Diese Verordnung hatte die Herrscherin sofort nach der Einverleibung des eroberten Königreiches erlassen. Sie wollte damit möglichen zukünftigen Aufständen vorbeugen.
In den letzten Jahren sieht es danach aus, als ob Drakonia ein neues Ziel ins Auge gefasst hätte. Für eine denkbar erscheinende Auseinandersetzung mit den Nordlanden, so wird gemunkelt, werden mehr Kämpfer als bisher benötigt.
Gerade dorthin haben sich viele Elfen aus anderen Gebieten zurückgezogen. Auch wenn sie friedliebend sind, werden sie ihren letzten Einflussbereich mit allen Kräften verteidigen. Deshalb wurde in Merion vor fünf Jahren der Befehl erlassen, dass die Ausbildung zum Soldaten oberste Bürgerpflicht sei. Bisher wird die Erfüllung dieser Anordnung in den meisten Landesteilen eher lasch gehandhabt, aber nicht so in der Triqueta. Das liegt vermutlich daran, dass Grimgard die Mitte dieser Region bildet, aber gleichermaßen auch an der Ergebenheit der drei Hexenmeister gegenüber Drakonia.
Die Fähigkeiten für die Ausübung vieler Berufe werden üblicherweise innerhalb der Familien weitergegeben. So bleibt es nicht aus, dass Söhne von ihren Vätern bereits von frühester Kindheit an ausgebildet werden. Gleiches gilt für Töchter und ihre Mütter, in deren Belange die Königin bisher durch keine Verordnung eingegriffen hat.
Wenn einer der sogenannten Männerberufe auszusterben droht, der für den Fortbestand des Königreiches wichtig ist, wird einem der Söhne aus der jeweiligen Familie erlaubt, sich darin ausbilden zu lassen.
In der Verordnung wurde eine weitere Ausnahme genannt. Bei den Berufen, die für die Versorgung mit Nahrungsmitteln benötigt werden, das schließt deren Erzeugung, Verarbeitung, Transport und Verkauf mit ein, wird ausdrücklich festgelegt, den jeweils Erstgeborenen im väterlichen Betrieb zu behalten.
In beiden Ausnahmefällen wird der entsprechende Jugendliche vom Dienst an der Waffe befreit. Gibt es in einer dieser Familien mehr als ein Sohn, der eingezogen werden kann, darf anstelle des ersten einer der Nachgeborenen ausgewählt werden. Da die Musterung und Einziehung der geeigneten Jungen alle drei Jahre erfolgt, ist eine Auswahl zwischen dreien der Kinder einer Familie möglich. Das jedoch nur, wenn die Mutter alljährlich einen Sohn bekommen hat. Sollten Zwillinge geboren worden sein, stehen in seltenen Fällen sogar vier zur Wahl, die den väterlichen Betrieb übernehmen könnten. Alle anderen Jungen müssen direkt nach der Musterung zur Soldatenausbildung das bisherige Heim verlassen.
Die getroffene Auswahl wird penibel im Gemeinderegister festgehalten, damit Betrügereien ausgeschlossen werden können. Trotzdem wird gemunkelt, dass einige Söhne gegen Zahlung größerer Geldsummen vom Dienst mit der Waffe befreit worden sein sollen.
In den Fällen, wo bereits der Vater Soldat ist, bleibt jedem Jungen, egal welchen Alters, keine andere Berufswahl offen. Das war schon vor der Neuerung der Kriegsverordnung üblich. Durch die Summe dieser Maßnahmen steigt die Mannschaftsstärke von Drakonias Kriegsheer beständig.
Für Brendan ap Owain stand somit mit seiner Geburt fest, welche berufliche Laufbahn er einschlagen würde. Dass er sie nicht mit dem von vielen anderen Jungen gezeigten Widerwillen ausfüllt, liegt vermutlich am Vorbild des Vaters. Seine Mutter starb, bevor der Knabe fünf Jahre alt geworden war. Seitdem lebt er quasi als Anhängsel des Heerführers und wurde somit auch zu jedem seiner Einsätze mitgenommen. Größere Kämpfe hat er zwar nicht miterlebt, doch bei der Niederschlagung einzelner Aufstände war er dabei. Er durfte sogar sofort nach seiner abgeschlossenen Ausbildung kleinere Einheiten befehligen, wobei er äußerst umsichtig und erfolgreich agierte. Das erfüllte seinen Vater mit unbändigem Stolz. Auch die Königin förderte Brendans Aufstieg mit Wohlwollen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wie herablassend sich der junge Mann anderen Soldaten oder gar dem in seinen Augen gewöhnlichen Volk gegenüber verhält. Er darf seit dem Ende der Ausbildung nur mit Syr und möglichst seinem vollen Namen, also Syr Brendan ap Owain, angesprochen werden. Das entspricht einem Adelstitel, obwohl er weder eigene Güter noch einen Herrschaftsbereich besitzt. Er ist inzwischen siebzehn und gilt somit seit mindestens vier Jahren als erwachsen.
Einiges davon hat Runa bereits in Homarket aufgeschnappt, anderes erst im Laufe des Tages. Sie und Dragon wundern sich darüber, dass die Bevölkerung überwiegend aus uniformierten Menschen zu bestehen scheint. Die Hintergründe dafür erfahren sie in vorsichtigen Gesprächen mit älteren Bewohnern, die ihnen mit offensichtlichem Staunen begegnen. Dabei knüpfen sie geschickt an deren Fragen an.
»Wie kommt es, dass ihr frei herumwandern könnt?«
»Du bist doch ein stattlicher Junge, warum tust du dann keinen Dienst bei den Soldaten?«
»Wohin führt eure Wanderschaft?«
»Willst du dich melden, um an den Waffen ausgebildet zu werden? Sei froh, wenn du nicht eingezogen wirst.«
»Geht es zur Marine, junger Mann?«
»Mädchen werden weder beim Heer, noch in der Seefahrt benötigt.«
In den sich daraus entwickelten Gesprächen, stellt sich Runa besonders geschickt an. Dadurch erhalten sie Informationen, die die Erklärung für den mit Soldaten übervollen Landesteil ergeben.
Dragon fühlt sich geschmeichelt, dass er wegen seiner Statur als offenbar kriegstauglich eingestuft wird. Sein Selbstwertgefühl führt dann dazu, dass er mit herausgedrückter Brust und weiten Schritten voranstürmt. Runa gönnt ihm jede einzelne geäußerte Bewunderung, die für ihn die Bestätigung seiner selbstgewählten Aufgabe als Beschützer darstellt. Auch wenn in manchen Situationen sein Drachenblut überschäumt und ihn unüberlegt handeln lässt, verlässt sie sich mittlerweile darauf, dass er ihr notfalls durch seine Stärke beistehen wird.
Runa betrachtet kopfschüttelnd die beständig dichter zueinanderstehenden Häuser. Zuerst folgten alle paar hundert Meter verschiedene bäuerliche Anwesen aufeinander. Sie werden inzwischen von Besitztümern abgelöst, die einander in einem wesentlich engeren Abstand folgen. Obwohl die Gebäude vermutlich nur direkt an der strikt geradeaus führenden Straße Richtung Grimgard liegen, wirken sie insgesamt wie eine gewaltige Stadt. Mit jeder weiteren Stunde rücken die Häuser noch enger zusammen. Im gleichen Maße, wie diese dichter zusammenrücken, sind beständig mehr Menschen unterwegs. Wie sollen die Freunde da eine Gelegenheit finden, sich erneut in Kolkraben zu verwandeln?
Sie legen gegen Mittag eine kurze Rast ein, sobald sie einen der in regelmäßigen Abständen vorhandenen öffentlichen Brunnen erreichen. Im warmen Sonnenschein schöpfen sie mit den Händen Wasser. Der Junge benetzt außerdem seine Haare, um sich zusätzlich Abkühlung zu verschaffen. Den Durst können sie zwar stillen, aber ihre Mägen knurren wie hungrige Wölfe.
»Wir sollten Ausschau nach einem Gasthof halten«, schlägt Dragon vor.
»Meinst du das ernsthaft? Denke nur an unser Erlebnis in Ostford!«
»Nicht jedes Wirtshaus wird von einem Ganoven wie dem Wirt von »Hai und Makrele« geführt. Du bist doch außerdem in Begleitung eines stattlichen Beschützers. Das bestätigten heute so viele Leute, dass daran schon etwas Wahres sein wird.«
»Sie sagten nichts von einem möglichen Schutz, sondern lediglich, dass du als Soldat eine gute Figur machen würdest. Das ist nicht das Gleiche!«
»Nicht ganz, das stimmt schon. Es widerspricht dem aber auch nicht!«
Das Mädchen und der Junge grinsen sich an, dann fährt der Beschützer fort.
»So dicht wie hier ein Haus auf das nächste folgt, werden wir kaum eine Obstwiese finden, auf der wir Äpfel pflücken können. Und selbst wenn wir eine entdecken sollten, müssten wir damit rechnen, als Diebe bezeichnet und verfolgt zu werden.«
»So scheint es!«, bestätigt Runa. »Wir hätten schnell einige der Soldaten auf unseren Fersen. Andererseits müssen wir dringend etwas zu essen bekommen. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, wenn wir einer der Seitenstraßen folgen. Schau nur, da vorne führt eine nach links.«
Sie deutet auf einen schmalen Pfad, der sich zwischen zwei Anwesen in östlicher Richtung hindurchschlängelt. In einiger Entfernung sehen sie einen sanft ansteigenden Berghang, auf dessen grüner Wiese eine Schafherde weidet. Noch bevor sie auf den Schotterweg abbiegen und dem Verlauf folgen können, bemerken sie eine Gruppe Soldaten, die auf sie zugeritten kommt. Interessiert, worum es geht, zumal ein plötzliches Ausweichen auf den Weg womöglich Verdacht erregt hätte, gehen sie dem Trupp entgegen.
»Dragon?«
Das Mädchen nimmt vorsichtshalber erneut gedanklichen Kontakt zu dem Jungen auf.
»Ja? Was ist?«
»Hoffentlich suchen die nicht nach uns. Dem Wachtmeister könnte die Begegnung mit uns im Nachhinein mehr als verdächtig vorgekommen sein.«
»Das glaube ich nicht. In dem Fall wäre er längst umgekehrt. Nein. Der Magier hätte sicher den … wie sagte Danrya noch? Genau, er würde den magischen Sprung genutzt haben. Es muss um etwas anderes gehen. Für uns besteht vermutlich keine Gefahr.«
Trotz dieser Einschätzung nähern sie sich dem berittenen Trupp nur vorsichtig. Dieser hält auf einem Platz, wo die Häuser etwas zurückweichen. Hier sind die Gebäude tiefer gestaffelt und umschließen eine Art Marktplatz. Die Männer steigen ab, treten zu den Haustüren und klopfen heftig dagegen. Mit lauten Stimmen rufen sie die Bewohner der umliegenden Häuser zusammen. Immer mehr Menschen strömen herbei und beginnen den Platz zu füllen. Runa und Dragon bleiben vorsichtshalber in einiger Entfernung vor der Versammlung stehen. Ein grimmig aussehender alter Soldat liest eine Verordnung vor.
»Unsere kluge Herrscherin lässt hiermit Folgendes kundtun:
Um die Sicherheit des Herrschaftsbereiches aufrecht erhalten zu können, ist eine zusätzliche Einberufung waffentauglicher Jungen notwendig.
Die Bedrohungen von außen steigen ständig. Wir werden insbesondere durch grausame Kämpfer aus den Nordlanden bedroht. Erste Angriffe auf die aufmerksamen und tapferen Verteidiger unseres Königreiches konnten erfolgreich an der Grenze zurückgeschlagen werden. Nach Informationen des Geheimdienstes, zu deren Beschaffung ich besonders meinem obersten Magier Creulon zu großem Dank verpflichtet bin, verbünden sich derzeit Menschen mit Elfen des Nordens. Sie schicken grausame Fabelwesen gegen unsere Soldaten. Darunter sollen sich Greife und feuerspeiende Lindwürmer befinden. Meine Kämpfer werden zuverlässig durch Schutzzauber gesichert, um auch diesen Kreaturen der Hölle widerstehen zu können. Niemand muss somit um seine Kinder fürchten, die wir gezwungen sind, heute und in den nächsten Wochen als zusätzliche Reserve einzuziehen.
Gezeichnet Drakonia, Königin von Merion und Elduria.«
Der Mann streicht über die geschwungenen Enden seines gewaltigen Schnurrbarts und blickt in die Runde. Vereinzelt strömen noch verspätete Menschen herbei. Er räuspert sich und erhebt erneut seine Stimme.
»Ihr habt es gehört, Leute. Die bisher geltenden Ausnahmen werden mit sofortiger Wirkung außer Kraft gesetzt. Geht heim und bringt eure Söhne herbei. Sie bekommen die Ehre, die Feinde unserer Herrscherin zu vertreiben!«
Der alte Kämpfer sitzt als Einziger im Sattel seines Pferdes, vermutlich, um seine Stimme weithin erklingen zu lassen. Er beugt sich zu einem seiner Begleiter hinab und flüstert ihm etwas zu. Seine Augen sind dabei auf Dragon gerichtet. Dem Jungen wird unbehaglich, als der Soldat dieser Blickrichtung folgt. Der drängt sich durch die Menge und fordert mit Handzeichen zwei weitere Kämpfer auf, ihm zu folgen. Die drei umrunden die Umstehenden. Das sind fast ausschließlich ältere Frauen und auch wenige Greise, die ihnen sofort aus dem Weg gehen. Die Bewaffneten nicken sich zu und stürmen auf Dragon und Runa zu.
»Was hat das zu bedeuten?« Das Mädchen weicht etwas zurück und dreht sich um.
»Können wir gegen ein uns unbekanntes Gesetz verstoßen haben?« Der Junge mag es nicht glauben. »Wir haben doch lediglich einer Bekanntmachung gelauscht. Sollte das in diesem Landesteil verboten sein?« Jetzt wendet auch er der Versammlung den Rücken und eilt Runa hinterher. Noch machen sie nur raumgreifende, große Schritte. Rennen wollen sie vermeiden, da das verdächtig wirken würde.
»HALT!«, erklingt eine befehlende Stimme hinter ihnen. »Hier wird nicht weggelaufen. Das Heer der Königin braucht dich!«