Читать книгу Elduria - Die Entscheidung - Norbert Wibben - Страница 7
In Atropaias Haus
ОглавлениеDer letzte magische Sprung führt zum Heim im Elfenwald, genauer gesagt, an den Rand der großen Lichtung. Runa wundert sich über den Anblick des Hauses. Der ist völlig anders, als sie ihn, von ihrem Tage zurückliegenden Aufenthalt, in Erinnerung hat. Die verkohlten Überreste, der von ihr und Dragon aus dem Gebäude geschafften und danach verbrannten Möbel, sind verschwunden. Die Eingangstür ist geschlossen und scheint mit grüner Farbe neu gestrichen worden zu sein. Gleiches trifft auf die Sprossen und Rahmen der Fenster zu. In den Glasscheiben spiegelt sich ein rötlich angehauchter Himmel, der den nahenden Abend ankündigt. Das Blumenbeet wirkt wie frisch erblüht und der Weg zum Obstgarten ist geharkt. Die Dachrinnen und die Regentonne, in die ein neues Fallrohr führt, sehen funktionsfähig aus. Erst als Runa im Inneren den bequemen Sessel und auch die über der Armlehne liegende, zusammengefaltete Wolldecke wiedererkennt, weiß sie Bescheid.
»Stimmt ja. Danrya hatte vor, zuerst das Haus in Ordnung zu bringen, bevor sie nach Elduria aufbrechen wollte. Sie muss diese Dinge aus ihrem Heim in Ochsenham geholt haben.«
Atropaias Augen leuchten. Sie freut sich, endlich wieder daheim zu sein. Trotzdem sinkt sie erschöpft in den Sessel. Die Heimreise war mehr als anstrengend, auch wenn das Mädchen mehrfach Magie nutzte. Runa zaubert einen frisch zubereiteten Pfefferminztee herbei. Das feine, prickelnde Aroma wirkt belebend. Die Elfe nimmt einen vorsichtigen Schluck und lächelt.
»Schön sieht es hier aus! Hast du unser Heim nach dem Eindringen von Owains Männern wieder hergerichtet? Ist das überhaupt möglich? Du warst doch erst fünf!«
Das Mädchen erblickt für einen kurzen Augenblick erneut die chaotische Szenerie, die hier bei ihrer überhasteten Flucht vor den Verfolgern herrschte.
»Ich versuchte damals, sofort deinen Entführern zu folgen, was mir leider nicht gelang. Vor wenigen Tagen bin ich zum ersten Mal nach sieben Jahren hier gewesen.« Es berichtet in einer Kurzfassung, was in dem langen Zeitraum geschehen ist. Runa schließt damit, dass sie die von Atropaia für sie hinterlassenen Informationen gefunden hat. Die Flucht vor den Verfolgern, das unerwartete Treffen mit Danrya und deren wertvolle Hilfe bilden den Abschluss. »Du kannst dir sicher vorstellen, dass es hier bis vor Kurzem noch anders ausgesehen hat. Deshalb wird dir vermutlich bald auffallen, dass einige deiner Einrichtungsgegenstände fehlen. – Nein, das Lob für den guten Zustand des Hauses gebührt Danrya. Sie wollte hier nach dem Rechten sehen, nachdem wir uns trennten.«
»Dann hat sie das für unsere Rückkehr vorbereitet? – Sobald ich einigermaßen erholt bin, werde ich …« Sie stellt ihre leere Tasse auf das Tischchen neben dem Sessel und hustet heftig. Sollte sie sich am Tee verschluckt haben? Andererseits hatte sie schon unterwegs immer häufiger pausieren müssen, weil sie schnell außer Atem kam. Es dauert auch dieses Mal geraume Zeit, bis sie wieder verhältnismäßig normal atmet. Ihre Stirn ist schweißbedeckt und sie versucht, ihren Zustand mit einem Lächeln zu überspielen. Sie kann jedoch nicht verhindern, ermattet in den Sessel zurückzusinken.
Runa stellte ihre Tasse mit Beginn des Hustenanfalls sofort auf den Wohnzimmertisch und hockt sich jetzt besorgt vor ihre Amme.
»Bist du krank?« Sie blickt die Elfe ängstlich an. »Dagegen gibt es doch hoffentlich einen Zauberspruch, oder nicht?«
Im gleichen Moment sieht sie erneut die Szene vor Augen, als Owain sieben Jahre zuvor ihre Paia entführt hatte. Damals sah Puschel, ihr Kaninchen, elend aus. Sie hatte die Hoffnung, dass ihre Amme es heilen könnte, doch dazu kam es nicht mehr. Atropaia wurde gefangen weggeführt und vorher war Runas Haustier von einem der Bewaffneten getötet worden. Das Mädchen schüttelt sich, um diese Erinnerung fortzuscheuchen. »Ich glaube, Danrya hat Dragon mit »Salvus« geheilt. Wird der Spruch auch dich heilen?«
»Damit ist eine Heilung möglich. Er hilft jedoch nur, wenn die Krankheit oder eine Verletzung nicht durch einen dunklen Zauber hervorgerufen worden ist. Und das könnte bei mir der Fall sein.«
Runa blickt die Elfe mit großen Augen erschrocken an. Sollte sie ihre Amme schon bald verlieren, und dieses Mal für immer? Nein! Dagegen muss sie alles zu unternehmen versuchen. Aufgeben ist keine Alternative! Sie richtet sich auf und breitet ihre Hände über die im Sessel sitzende Atropaia. Bevor sie die ihr bekannten Worte spricht, schießt ihr eine Erkenntnis durch den Kopf.
»Sie sieht wirklich elend und viel älter aus, als sie vermutlich ist. Wenn ein dunkler Fluch die Ursache sein sollte, was kann ich dann machen?«, überlegt sie.
»Probiere alle Sprüche, die positiv wirken könnten«, fordert Dragon. Das Mädchen hatte vergessen, dass der Junge noch immer in gedanklichem Kontakt zu ihm steht. Doch anders als manches vorige Mal, freut sie sich darüber. Sie nickt in seine Richtung und wendet sich erneut ihrer Amme zu. Die ist inzwischen eingeschlafen, so erschöpft ist sie von den Strapazen der Rückreise. Sie mussten oftmals eine größere Strecke wandern, um sich nicht als Zauberer zu erkennen zu geben. Creulon hätte dann womöglich einen Hinweis zugetragen bekommen können, und das wollten sie nicht riskieren. Runa hält ihre Hände nebeneinander über die im Sessel in sich zusammengesunkene Elfe.
»Salvus! Beatha!« Ob der Spruch zum Übertragen von Lebensenergie dieses Mal besser wirkt, weiß das Mädchen nicht, hofft es aber inständig. Das auf die Westelfe hinunterfließende, goldene Gleißen unterbricht es nicht so schnell. Runa will möglichst lange ihre Energie übermitteln. Es könnte sogar fast zu viel sein, denn sie taumelt und wird sofort von Dragon gestützt.
»Du musst vorsichtig mit dem letzten Spruch sein! Wenn du nicht aufpasst, fällst du in tiefe Bewusstlosigkeit. Dann vermagst du die Übertragung nicht zu stoppen und würdest als Folge davon sterben.«
Der Junge führt Runa besorgt zu einem Stuhl, auf den sie sich fallen lässt. Sie richtet ihren Blick dankbar zu ihm auf.
»Dann würdest du mich retten. Du bist schließlich mein Beschützer, dem ich inzwischen sehr oft das Leben zu verdanken habe!« Ein leichtes Lächeln spielt um ihre Lippen.
Dragon droht ihr mit erhobenem Finger.
»Ich sehe schon, dir geht es nicht so schlimm, wie es aussah. – Doch zurück zum Übertragen der Lebensenergie. Die kann nur der Zauberer stoppen, der damit begonnen hat.«
»Aber, wenn du …«
»Genau, falls ich jedoch in gedanklicher Verbindung mit dir stehen sollte, könnte ich das möglicherweise auch aufheben.«
»Richtig. Das wäre ähnlich so, wie das bei den Zauberangriffen der Hexenmeister oder dem von Creulon war.«
»Aber besser ist, wir lassen es nicht so weit kommen, dass wir das probieren müssen!«
Der Junge blickt Runa beschwörend an. Sie nickt langsam. Es sieht allerdings so aus, als ob sie ihm nicht genau zuhören würde. Das bestätigt das Mädchen auch sofort durch ihren nächsten Satz.
»Damit hast du mich auf eine Idee gebracht. Ich sollte versuchen, über eine Gedankenverbindung in Atropaias Kopf nach der Ursache für ihre Schwäche und den Husten zu suchen. Dann könnte ich in der Lage sein, den dunklen Fluch von ihr zu nehmen, wenn der die Ursache sein sollte. Denke nur an die dunkel-violetten Wolken, die wir am Rand unseres Bewusstseins aufspüren und vertreiben konnten. Ich vermute, das könnte bei ihr ähnlich aussehen.«
Runa greift nach ihrer Teetasse und nimmt einen großen Schluck. Sie will bereits aufstehen, als Dragon sie sanft zurück auf den Stuhl drückt.
»Das kannst du später oder besser noch morgen probieren. Du solltest dich vorher völlig erholen, denn auch du schaust angegriffen aus!«
Sie blickt den Jungen an. Erst nach einem Blick zu ihrer Amme hinüber nickt sie.
»Einverstanden. Da Paia tief zu schlafen scheint, könnte ich die Verbindung im Moment doch nicht herstellen. – Aber ich sollte versuchen, Danrya zu beruhigen. Möglicherweise kennt sie einen weiteren Spruch, den ich anwenden kann.«
»Das kannst du gerne machen, nachdem du dich auch etwas ausgeruht hast!«
Das Mädchen blickt den Jungen an und will empört auffahren. Doch nach wenigen Momenten besinnt es sich, dass Dragon recht hat. Es nickt und schaut ihn schelmisch an.
»Ja, Mutti!«
Fast im gleichen Augenblick fällt auch sie in tiefen Schlummer. Die Übertragung der Lebensenergie auf Atropaia hat mehr Kraft als gedacht gekostet.
Im Traum kehrt Runa in ihre ersten Jahre hier im Haus zurück. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken, trägt Dragon sie zum Sofa hinüber. Er bettet sie darauf und breitet eine Decke über sie.
»Danke, mein Beschützer!«, murmelt das Mädchen im Halbschlaf.