Читать книгу Elduria - Die Entscheidung - Norbert Wibben - Страница 8

Zur Dracheninsel und neue Zauber

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Dragon möchte seiner ehemaligen Lehrerin Moira den kleinen Strauß Blumen von der Wiese bringen, wo ihr Bruder bestattet worden ist. Er will ihr auch davon berichten, dass er zusammen mit einer Drachensucherin gegen das Böse kämpft. Das Mädchen hat ihn bei diesen Worten leicht in Verdacht, mit seinen Beschützeraktionen vor ihr glänzen zu wollen. Und das hat er ihrer Meinung nach durchaus verdient. Sie schlägt ihm vor, ihn mit dem magischen Sprung dorthin zu bringen. Dann könnte sie von den jeweiligen Situationen berichten, ohne dass das wie ein Eigenlob Dragons wirken würde. Doch der Junge schüttelt sofort vehement den Kopf.

»Das habe ich keineswegs vor. Ich bin der Ansicht, dass wir im Kampf gegen Drakonia, Owain und Creulon jede Unterstützung brauchen können. Darüber haben Danrya und ich diskutiert. Ich möchte mit Moiras Hilfe versuchen, die anderen Drachen zu überreden, mit mir nach Elduria zu kommen.«

Runa fühlt sich sofort unbehaglich, ihren Freund und Beschützer derart selbstsüchtige Absichten unterstellt zu haben. Sie sollte ihn inzwischen besser kennen!

»Entschuldige bitte, ich dachte, du seist auf ein Lob Moiras aus.«

»Pah«, lautet die einsilbige Antwort des Jungen. Er wendet sich von dem Mädchen ab und geht nach draußen. Runa folgt ihm sofort und stellt sich in seinen Weg.

»Verzeihst du mir? Das war wirklich mehr als blöd von mir. Ich möchte nicht, dass du jetzt fortfliegst, ohne dass wir uns vertragen haben. – Bitte!«

Ihrer offensichtlichen Zerknirschtheit kann Dragon nicht standhalten. Nach wenigen Sekunden zieht ein Lächeln in sein Gesicht.

»Schon vergessen«, versucht er das Thema abzuschließen. Das Mädchen lächelt dankbar zurück.

»Wie sieht übrigens der Blumenstrauß aus? Du hattest ihn unter dein Oberteil gesteckt. Hat er da nicht gelitten? Ich weiß, Wiesenschaumkraut ist sehr empfindlich und kann nicht lange ohne Wasser überstehen.«

Der Junge greift erschrocken unter sein Hemd und zieht die Blumen hervor. Die sehen mitleiderregend aus. Runa deutet auf sie und murmelt: »Renovo!« Die schlapp herabhängenden Blütendolden richten sich auf. Die vielen, hellblauen, vierblättrigen Blüten leuchten wieder so frisch, als wären sie gerade erst gepflückt worden. Das führt zu einem Argument, das sofort von ihr genutzt wird.

»Wenn du bis zur Insel fliegen willst, werden die Blumen bei deiner Ankunft dort so unschön wie eben aussehen. Das geht bei diesen Pflanzen schnell. Deshalb mache ich dir erneut den Vorschlag, dich mit dem magischen Sprung dorthin zu bringen.«

»Ich bin sehr unsicher, wie die Drachen auf der Insel reagieren, wenn ich mit einer Halbelfe dort auftauche. Das könnte durchaus gefährlich werden. Darum möchte ich das lieber nicht.«

Er lässt sich nach längerer Diskussion schließlich doch überreden. Runa versichert ihm zuvor, ihren Freund lediglich dorthin bringen und sofort von der Insel zu Atropaia zurückkehren zu wollen.

»Paia sieht zwar etwas erholt aus, aber ich möchte sie nur ungern allein lassen. Sollten unsere Verfolger hier auftauchen, was durchaus nicht unmöglich ist, wird sie sich kaum mit Magie wehren können.«

»Den Rückweg trete ich in Begleitung einiger Drachen an, falls ich sie dazu überreden kann. Wohin ich sie führen soll, kannst du mir ja gedanklich mitteilen«, fordert der Junge. Sie stellen die zuletzt unterbrochene Verbindung wieder her. »Außerdem muss ich es sofort wissen, sollten die Verfolger hier erscheinen. Versprich mir, mich in dem Fall hierher zu holen.«

»Wenn du das möchtest, gerne. Ich mache das aber von der Situation abhängig. Vielleicht werde ich vorher mit Paia flüchten. Doch das sehen wir, sobald es dazu kommen sollte.«

Dragon nickt, tritt ins Haus und verabschiedet sich von der Elfe. Dann nimmt er seine Drachengestalt an und stellt sich den Eingang zur Drachenschule vor. Runa berührt seinen Rücken und bringt ihn mit dem magischen Sprung dorthin. Sie wünscht ihm Glück und ist im nächsten Augenblick wieder zurück im Wohnraum.

Der Junge möchte in gedanklicher Verbindung mit dem Mädchen bleiben, falls es, wie er anführt, die Unterstützung durch ihren Beschützer nötig haben sollte. Doch Runa ist schon bald anderer Ansicht.

»Wenn ich Hilfe benötige, werde ich den Kontakt zu dir herstellen! Du musst dir dann lediglich den Ort anschauen, wo ich erscheinen soll. Aber bis dahin können wir die Gedankenverbindung unterbrechen. Ich möchte mich mit Paia über viele Dinge unterhalten. Das würde dich genauso ablenken, wie es bei mir der Fall wäre, sollte ich deine Diskussionen mit den anderen Drachen mitverfolgen.«

Dieser Überlegung stimmt Dragon schließlich zu. Seine Rückkehr wird mehrere Tage dauern. Auch wenn er sehr schnell zu fliegen vermag, werden die ihn hoffentlich begleitenden Kreaturen nicht alle die gleiche Geschwindigkeit wie der Jungdrache erreichen können. Außerdem rechnet das Mädchen damit, dass sie vorzugsweise in der Nacht herkommen werden, um keine ungewollte Aufmerksamkeit zu erregen. Sie könnten sonst feindlichen Zauberern gemeldet werden und müssten in dem Fall mit Angriffen rechnen.

In den nächsten Tagen berichten Runa und ihre Amme, was sie in den vergangenen sieben Jahren erlebt haben. Seitens Atropaia gibt es nicht viel zu erzählen, da sie, bis auf die Verhöre und die kurzzeitigen Hofgänge, keine Abwechslung im Kerker hatte. Deshalb fällt es dem Mädchen schwer, einen Anhaltspunkt dafür zu finden, wann die Elfe von einem Zauber getroffen sein könnte. Dass das auf ihrer Flucht geschehen sein sollte, schließt es aus.

Runa schüttelt den Kopf. Creulon hatte zu keiner Zeit an einem Verhör teilgenommen, wie Atropaia versichert. Wie und wann kann er dann einen dunklen Fluch auf sie geschleudert haben? Wenn diese Möglichkeit auszuschließen ist, würde das bedeuten, dass die Krankheit der Amme durch einen Zauberspruch geheilt werden können müsste.

Am nächsten Tag bittet sie die Elfe um die Erlaubnis, über eine Gedankenverbindung in ihre Erinnerungen eindringen zu dürfen. Obwohl es sie vermutlich sehr schmerzen wird, möchte sie ihre Mutter Raika kennenlernen. Gleiches trifft auf ihren Vater Kenneth zu. Sie weiß, dass Atropaia mit ihnen über viele Jahre befreundet gewesen ist und hofft, dass sie ihrer Bitte nachgeben wird.

Die Elfe schaut Runa lange an, bevor sie nickt.

»Mein liebes Winterkind. Bist du sicher, dass du das willst? Ich verstehe den Wunsch, sozusagen deine Wurzeln besser kennenlernen zu wollen. Trotzdem möchte ich dir raten, dabei äußerst vorsichtig zu sein. Dich erwartet nicht nur Schönes. Und auch, wenn die Bilder völlig real wirken werden, wirst du nicht in Verbindung mit ihnen treten können. Daran musst du immer denken, um dich nicht ignoriert zu fühlen. Das würde vermutlich mehr schmerzen als alles andere. Du kannst nicht jede meiner Erinnerungen betrachten, da du dazu Jahre benötigen würdest. Deshalb kann manche Sequenz einen falschen Eindruck erwecken, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen betrachtet wird.«

»Ach bitte, liebe Paia! Was du soeben sagtest, ist mir bewusst. – Ich kenne Raika nur aus deinen Erzählungen. Und damals war ich noch viel zu klein, um alles begreifen zu können. Ich bekäme einen etwas besseren Eindruck, sollte ich sozusagen einige Augenblicke mit Mutter und Vater verbringen können. Auch wenn das lediglich aus deiner Sicht heraus erfolgt, wäre ich dir mehr als dankbar.«

»Nun gut. Aber ich versuche, die Erinnerung zu steuern. Also greife bitte nicht in den Ablauf der Sequenzen ein. Außerdem habe ich natürlich auch nur einiges miterlebt, da wir nicht alle Tage zusammen waren. Bevor du Schlussfolgerungen aus dem ziehst, was du gleich zu sehen bekommst, sollten wir gemeinsam darüber reden. Versprichst du mir das?«

Runa nickt.

Atropaia setzt sich in den Sessel und macht es sich bequem, während das Mädchen das Sofa nutzt.

»Bereit?«, diese Frage sendet die Elfe gedanklich.

»Ja«, antwortet Runa und stellt damit die Verbindung her.

Die Reise in die Vergangenheit schmerzt sie mehr, als vorher vermutet. Es dauert anschließend längere Zeit, bis sie ihre Tränen zu stoppen vermag und das Schluchzen endet. Dieses Mal ist es Atropaia, die das Mädchen aufrichtet. Sie macht sich und ihr eine große Tasse mit Pfefferminztee und reicht dazu Ingwerplätzchen. Der prickelnde Teeduft und der würzige Geschmack des Gebäcks helfen dabei.

»Raika wollte, dass ich dir alle Zaubersprüche beibringe, die du zur Erfüllung deiner Aufgabe als Drachensucherin benötigen könntest.«

»Das ist verständlich«, antwortet das Mädchen. »Gibt es denn noch mehr, als in dem Anhang des Buches über die Insel der Drachen stehen?«

»Das kenne ich nicht. Was für eine Art ist es, möglicherweise ein Roman? Ich dachte, du wärst meiner Empfehlung gefolgt und hättest die Zauberkenntnisse von Danrya. Die Aufforderung hatte ich als Information für dich in dem Kochbuch hinterlassen.«

»Die Notizen habe ich gelesen und deine Freundin hat auch wirklich viele Sprüche mit mir geübt.«

Runa sucht nach dem Rucksack, der seit ihrer Ankunft im oberen Raum neben ihrem Bett liegt. Sie steht kurz darauf vor ihrer Amme und reicht ihr das Buch.

»Das habe ich von Kaytlin, der Wirtin vom »Fuchs und Gans« bekommen. Wie es in ihren Besitz gelangt ist, hatte sie mir nicht gesagt.«

Atropaia betrachtet den in geprägtes Leder gebundenen Band mit gekrauster Stirn, blättert zum Anhang und liest die aufgelisteten Zaubersprüche.

»Das sind ja eine Menge guter und wirksamer Zauber. Sie decken fast alles ab, wofür Magie genutzt werden kann. Doch einige Sprüche fehlen. Mir fallen sofort fünf, nein sogar sechs ein, die nicht aufgeführt sind. Sie lauten Anghofio, Anghofio totalus, Cum ri buidseachd, Detineo tempus, Miscere und Re-Potentia.«

»Aha. Und was bewirken sie?«

»Die ersten zwei und der fünfte sind Zauber, die sozusagen zum Angriff eingesetzt werden können. Sie lösen eine teilweise oder totale Amnesie aus oder verwirren einen Gegner für eine begrenzte Zeit. Die anderen drei sind mehr defensiv beziehungsweise werden zur Heilung genutzt.«

»Dann sollten wir sie alle üben, bis ich sie beherrsche, meinst du nicht auch?«

»Selbstverständlich. Raika hatte eine ähnlich Einstellung zu Zauberei wie du, wie ich aus deinen Erzählungen herausgehört habe. Sie war eher darum bemüht, einem Gegner nicht zu schaden, wenn sich das irgendwie machen ließ. Deshalb wird dir »Cum ri buidseachd« nützlich sein. Der Spruch dient dazu, einem dunklen Fluch zu widerstehen oder ihn aufzuheben. Das kann in einer Auseinandersetzung mit gegnerischen Zauberern hilfreich sein.«

»Aber …«

»Genau. Das ist der Spruch, den deine Mutter zu spät aufrief, als Creulon einen Todesfluch auf sie schleuderte. Sie hatte diesen finsteren Zauberer nicht bemerkt, der in einem Versteck lauerte. Sie schaffte es nur teilweise, ihn zu aktivieren. Dann schleppte sie sich zu mir zurück. Um unseren Unterschlupf nicht preiszugeben, nahm sie nicht den direkten Weg. Raika schlug zuerst Finten und nutzte wegen zunehmender Schwäche den magischen Sprung erst, als das fast zu spät war. Sobald sie hier ankam, versuchte ich mit dem gleichen Spruch, den Fluch von ihr zu vertreiben. Das war nicht mehr möglich, da inzwischen zu viel Zeit verstrichen war. Ich begann deshalb, ihre Erschöpfung mit »Re-Potentia« aufzuheben, was nur teilweise gelang. Wie du weißt, starb sie kurz nach deiner Geburt. Sie entdeckte das Mal eines Drachensuchers auf deinem linken Unterarm und bat mich, dich in allen Zaubersprüchen zu unterweisen. Sie sah offenbar voraus, dass du jede Hilfe benötigen würdest, um die dir zufallende Aufgabe zu erfüllen. Sie küsste deine Stirn und gab dir deinen Namen, bevor sie ihre Augen für immer schloss.«

Die einkehrende Pause wird durch Runa erst unterbrochen, nachdem geraume Zeit vergangen ist. Sie schluckt mehrfach, um die erneut aufsteigenden Tränen zu verhindern.

»Das war die letzte Szene, die du mir gezeigt hast.«

»Genau.«

»Danke!«

Stille kehrt ein. Das Mädchen lässt sich die Bilder erneut durch den Kopf gehen und überlegt, welche Bedeutung den Zaubersprüchen beikommt, die Atropaia ihr soeben genannt hat.

Sie schluckt einen Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hat und räuspert sich, bevor sie fragt: »Warum hat Mutter den Schutz gegen dunkle Flüche nicht aufgerufen, bevor sie zu Vaters …«

»Das hätte sie tun sollen, stimmt! Sie hatte aber nicht damit gerechnet, dass dort ein böser Magier auf sie lauern könnte. Außerdem fasste sie den Entschluss, den Ort aufzusuchen, erst kurz zuvor. Sie folgte einem spontanen Einfall. Sie wollte Kenneth offenbar an seinem Grab mitteilen, dass deine Geburt bevorstehen würde. – Eine schwangere Frau handelt nicht immer rational, so wie Raika in dem Fall. Sie hätte in meiner Begleitung dorthin gehen sollen oder erst, nachdem du geboren worden bist. – Doch das ist sozusagen Schnee von gestern.«

»Lag damals eigentlich Schnee? Nennst du mich darum manchmal »Winterkind«?«

»Das ist richtig. Raika sprach oft davon, dass Winterkinder etwas ganz Besonderes sind. Deshalb war sie froh, dass deine Geburt zu der Jahreszeit stattfinden sollte. Als sie das Mal des Drachensuchers sah, lächelte sie und meinte, darin den Hinweis zu erkennen, dass die Herrschaft des Bösen schon bald gebrochen werden könnte. Sie war dabei nicht auf Rache für den Tod von Kenneth aus. Sie freute sich vielmehr, dass zukünftig allen Wesen Gerechtigkeit widerfahren würde, obwohl dazu voraussichtlich eine letzte große Auseinandersetzung notwendig sein würde. Darum auch ihre Bitte, dich bestmöglich in Zauberei auszubilden. Sie wollte sichergehen, dass du optimal gewappnet in den Kampf gehen würdest.«

»Du nanntest noch einen sechsten Zauberspruch. Den hast du bisher nicht erläutert.«

»Richtig. Er lautet »Detineo tempus«. Einmal ausgesprochen friert er jedes Lebewesen im Umkreis zeitlich ein. Davon ausgenommen sind der Magier, der ihn anwendet, und alle Geschöpfe, die beim Aufrufen des Zaubers einen körperlichen Kontakt zu diesem haben. Der Zauberer kann für eine befristete Dauer agieren, ohne dass die Verzauberten das verhindern könnten. Die Zeitdauer und die Größe der eingeschlossenen Umgebung hängen von der Kraft des Magiers ab. Das ist in meinen Augen ein äußerst nützlicher Spruch!«

Elduria - Die Entscheidung

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