Читать книгу Anna Q und die Suche nach Saphira - Norbert Wibben - Страница 13
Dragon-tan
ОглавлениеKatherin zieht auch einen Stuhl an die Liege heran und setzt sich. Anna blickt lange in das freundliche Gesicht. Sie versteht, dass eine Mutter um ihr verschwundenes Kind bangt und alles versucht, es zu finden. Warum aber ausgerechnet sie dabei helfen soll, ist ihr ein Rätsel. Ein Kribbeln läuft über ihre Kopfhaut. Was war das für ein gefährlich aussehendes Wesen, das soeben hinter Katherin in den Raum kommen wollte? Eine der Elfen schillerte in ihrem Nacken sehr bunt, was zu sehen war, als sie den Raum verließ. Das erinnerte sie sofort an eine große Zauneidechse, oder war es womöglich ein Tuch, das sie umgelegt hatte? Hinter ihr kam eine weitere Elfe, die eine erheblich vergrößerte Nase hatte. Sie ähnelte schon fast der Schnauze eines Hundes. Hinter dessen Rücken war dann ein bläulich-grün schillernder Drache zu sehen gewesen. Sie hatte sogar ein kleines blaues Wölkchen bemerkt, das sich aus seinem Maul langsam nach oben kräuselte. Sollte das ein feuerspeiender Lindwurm sein?
»Katherin.« Anna macht eine kurze Pause und beginnt erneut. »Habe ich eben richtig gesehen? Wollten hinter dir zwei weitere Elfen und ein Drache in diesen Raum kommen?«
»Es tut mir leid, wenn sie dich erschreckt haben. Aber sei versichert, Dragon-tan tut dir nichts. Konnte Ainoa dich nicht vorwarnen?« Ein vorwurfsvoller Blick ist auf ihre jüngere Cousine gerichtet. Bevor diese etwas erwidern kann, nimmt das Mädchen sie in Schutz.
»Ich musste mich erst erholen, was wohl längere Zeit als von dir erwartet dauerte. Nachdem mir Ainoa mit der Übertragung von Lebensenergie geholfen hatte, wollte ich von ihr erst zu viele Fragen beantwortet haben. Deshalb war sie noch nicht so weit gekommen.« Sie zwinkert der jüngeren Elfe zu, die zurücklächelt. »Wie wäre es, wenn du mir die zwei Elfen und die Kreatur vorstellst?«
»Findest du, dass das meine … Nun gut«, unterbricht sich die Elfe sofort, die zuerst empört auffahren wollte. »Ich habe es ja so gewollt. Die zwei sind sozusagen meine besten »Spürnasen«, die seit Wochen nach Saphira suchen. Madfall ist ein Elf, der einer Zauneidechse ähnlich sieht. Er vermag einer Fährte besonders gut durch dichtes Unterholz in Wäldern zu folgen. Ci-hela besitzt wiederum eine ausgezeichnete Spürnase, die sogar einem Hund überlegen ist. Er vermag damit einer mehrere Tage alten Spur zu folgen, wenn sie nicht durch stärkere Düfte überlagert wird. Der letzte von ihnen ist Dragon-tan, ein junger Feuerdrache, der uns Schutz gegen andere Drachen gibt. Er vermag, trotz seiner Jugend, die zwei Spürnasen in die Lüfte zu tragen und mit ihnen in entlegenere Gebiete unserer Welt vorzudringen.«
»Aber … Ainoa sagte doch, Eisdrachen oder Drachen gehören zu den Cythraul. Ist Dragon-tan kein richtiger Lindwurm?«
»Pst. Sag das nicht, wenn er es hören könnte. – Saphira traf sich vor einem Jahr im Westen mit anderen Elfen der Region. Bei einer Wanderung auf den höchsten Berg fanden sie ein Ei, das etwa die Größe einer Männerfaust hatte und in einer kleinen Spalte eingeklemmt war. Es fühlte sich eiskalt an, was auf dem Berg mit schneebedecktem Gipfel nicht ungewöhnlich war. Die jungen Elfen hielten es für ein aus einem Gelege gefallenes Exemplar eines Greifs oder Drachen, das ohne die Wärme des Muttertiers bereits abgestorben sei. Da sie wissen, wie angriffslustig diese Wesen reagieren, wenn man in die Nähe ihres Nestes kommt, drehten sie um und suchten nach einem anderen Pfad zum Gipfel. Saphira steckte das Ei in ihren Rucksack und brachte es mit nach Hause. Sie legte es auf die Fensterbank ihres Zimmers, da die Schale ein leuchtendes, blau-grünes Muster hatte. In der Nacht wurde sie von einem Kratzen und Schaben darin geweckt, also musste es noch Leben in dem Ei geben. Eine Woche später schlüpfte ein kleiner Drache. Seitdem wich Dragon-tan bis zum Alter von einem Jahr kaum von Saphiras Seite, da er sie für seine Mutter hält.«
»Dann ist er also ein echter Drache?«
»Richtig. Und er kann fliegen und Feuer spucken, doch das hat er bisher nie für irgendwelche Gräueltaten genutzt. Er ist der einzige Feuerdrache, der auf unserer Seite steht. Vor mehreren hundert Jahren gab es schon einen Lindwurm, der auf ähnliche Weise zu uns Elfen gelangte. Der kämpfte gegen seine Artgenossen, um seine neue Familie zu schützen. Leider kam er dabei um. Doch das zeigt uns, dass ein Lebewesen nicht deshalb böse ist, weil es so geboren wird, sondern weil Erziehung und Umgebungseinflüsse es dazu machen.«
»Kannst du mir sagen, weshalb du dir mehr Erfolg von meiner Suche erhoffst, als von eurer?«
»Kennst du den Unterschied zwischen Elfen und Menschen?«
»Ich … nein, kenne ich nicht. Zumindest du und Ainoa seht aus wie wir. Aber halt, ihr vermögt Magie einzusetzen. Damit müsste es euch doch leicht fallen, der Fährte von Saphira zu folgen!«
»Du hast recht, im Aussehen unterscheiden wir Elfen uns nicht von Menschen. Wir können uns jedoch viel schneller als ihr bewegen, was euren Augen zu verfolgen schwer fällt. Manche Menschen dichten uns deshalb Flügel an, die wir aber nicht besitzen. Zauberkräfte haben nicht nur manche von uns. Es gibt auch einige Menschen, die darüber verfügen, besonders dann, wenn sie in unserer Anderswelt sind.« Anna hält den Atem an und blickt Katherin ungläubig an. Die scheint es nicht zu merken. »Ein Nachteil ist, dass wir Teil der Anderswelt sind. Sobald wir hier Magie einsetzen, spürt das einer unserer Gegenspieler, der das Empfinden sofort an den Cythraul weitervermittelt. Wenn wir nicht sofort nach der Anwendung unseren Ort wechseln, müssen wir damit rechnen, von ihm aufgespürt und vernichtet zu werden. Alle Wesen des Bösen wollen die Herrschaft in der Anderswelt übernehmen. Wenn sie uns einzeln auflauern, sind wir ihnen unterlegen, selbst wenn wir dann Zauberei nutzen sollten.«
»Warum ist dann der Cythraul noch nicht hier? Ainoa hat mich hergeholt und auch Lebensenergie übertragen. Ist dafür keine Magie angewandt worden?«
»Doch«, beginnt die junge Elfe. »Wenn wir Zauberkräfte in eurer Welt nutzen, resultiert in unserer daraus nur ein schwacher, verfälschter Impuls. Der kann von den Gegnern nicht lokalisiert werden. Das ist ebenso, wenn wir eine Art örtliche Schutzglocke vor Anwendung der Magie aufrufen. Warum das so ist, wissen wir nicht. Den Schutz herstellen ist bereits die Nutzung von Zauberkraft, trotzdem lässt sich das nicht aufspüren.«
»Könntet ihr dann nicht auf diese Art die Spur von Saphira verfolgen?«
»Das haben Ainoa und ich versucht«, beginnt jetzt wieder Katherin. »Dafür geht jedoch so viel Zeit verloren, dass die Fährte sozusagen schneller erkaltet, als dass wir ihr zu folgen vermögen. Einmal haben wir alles auf eine Karte gesetzt, wie man bei euch zu sagen pflegt. Wir kamen dadurch bis etwa zur Mitte des Landes, als uns plötzlich drei gewaltige Eisdrachen erwarteten. Zu unserem Schutz setzten wir Magie ein und schleuderten Betäubungsflüche auf die Eismonster. Eines davon konnten wir auf die Art außer Gefecht setzen, doch dann wurde es Zeit zu verschwinden. Am Horizont bildete sich bereits ein dunkelrotes Licht, aus dem grelle Blitze züngelten. Das zeigte uns unmissverständlich: der Cythraul war auf dem Weg zu uns. Wir mussten also schleunigst von dort verschwinden und nutzen Magie, um den Ort zu wechseln. Das wird magischer Sprung genannt, lässt sich aber auch leicht verfolgen. Deshalb war es gut, dass uns Dragon-tan begleitete. Er ließ uns aufsteigen und flog uns in Sicherheit. Seitdem haben wir es wieder mit den vorherigen Schutzmaßnahmen versucht, doch vor fünf Wochen verlor sich endgültig Saphiras Spur!«
Jetzt herrscht längere Zeit Stille. Was soll Anna nur antworten. Schließlich reißt sie sich zusammen.
»Ainoa sagte, ich könne den Auftrag auch absagen.« Sie bemerkt sofort die Enttäuschung, die sich im Gesicht der Elfenkönigin breitmacht. »Das will ich aber nicht, keine Sorge. Ich muss vielmehr wissen, was in der Zwischenzeit im Internat geschieht. Werde ich dort vermisst und mein Vater bekommt darüber eine Nachricht? Das würde ihn genauso in Angst versetzen wie dich.« Sie nickt Katherin zu. »Ich habe vorhin mitbekommen, dass ihr davon spracht, mein Tod würde dem Gewitter zugeschrieben, wenn der Körper gefunden wird. Ich bin jetzt schon sehr lange hier. Ist das nur mein Geist?«
»Entschuldige, das haben wir noch nicht erklärt. Wenn du hier bist, bist du das komplett. Deshalb könntest du hier auch zu Schaden kommen oder getötet werden. In dem Fall würde dein Körper sofort zurück zu dem Zeitpunkt in deine Welt gebracht werden, als du hierherkamst. Deine Abwesenheit wird nicht bemerkt, da die Zeit dort sozusagen stillsteht.«
»Das bedeutet dann, dass ich hier zeitlos lebe, also ohne älter zu werden?«
»Richtig. Selbst wenn du ein Jahr in der Anderswelt bleiben würdest, um die Aufgabe zu erledigen, alterst du nicht und kämst anschließend um Mitternacht bei Gewitter unter dem Haselbusch wieder in deine Welt zurück.«
»Falls ich nicht von einem der bösartigen Kreaturen getötet werden würde.«
»Richtig. Die Möglichkeit besteht leider auch!«
Jetzt herrscht erneut Stille. Anna schaut sich in dem heimeligen Raum um. Durch das kleine Fenster fällt mittlerweile helles Sonnenlicht herein und Vogelgezwitscher kündigt den beginnenden Morgen an. Aus einem Nachbarzimmer weht der Duft von gebratenem Speck und heißem Kakao herüber. Offenbar wird dort das Frühstück vorbereitet. Ein vernehmliches Knurren ihres Bauchs bekundet Hunger. Anna seufzt. Sie möchte den Elfen gern helfen, aber vermag sie das auch? Schließlich ist sie zwar kein Baby, aber immerhin ein recht kleines Mädchen.
»Warum soll ich euch helfen können?«, platzt es plötzlich aus ihr heraus. »Meine körperlichen Fähigkeiten sind nicht überragend. Gibt es sonst keinen Menschen, der besser dazu geeignet ist?« Sie denkt kurz daran, wie sie oft im Sportunterricht von anderen überflügelt wird. Lediglich in Schach ist sie in ihrer Altersklasse unschlagbar, aber das wird ihr hier vermutlich kaum helfen.
»Ich dachte, das hätten wir bereits erläutert.« Katherin blickt erst sie, und dann Ainoa erstaunt an, die ihren Kopf schüttelt.
»Nein, das haben wir tatsächlich nicht«, bestätigt diese. »Das hängt damit zusammen, dass du ein mitfühlendes Wesen besitzt. Schließlich wolltest du mich befreien. Andere hätten mich einfach in der Falle stecken lassen. Außerdem ist Mut erforderlich. Dass du den besitzt, hast du dadurch bewiesen, trotz des gefährlich nahen Gewitters einen Vogel in der Nacht und alleine retten zu wollen. Auf den ersten Blick mag es dir sinnvoller erscheinen, einen Erwachsenen auszuwählen, doch das ist es nicht. Sobald Menschen keine Kinder oder Jugendlichen mehr sind, verlieren sie einen Großteil ihrer Fantasie. Sie werden Realisten und wägen Risiken anders gegen Möglichkeiten ab. Du besitzt eine unerschrockene Seele und auch genügend Einbildungskraft, um trotz der möglichen Gefahren, an den Sieg einer gerechten Sache zu glauben. Ein Erwachsener käme zu einem anderen Ergebnis. – Außerdem gibt es nicht viele von ihnen, denen wir uns offenbaren würden.«
»Gibt es im Internat also keinen Erwachsenen …? Oder doch? Hm, ich habe von einem Professor gehört, dass wir seinen Geheimnamen nicht nutzen sollten. Genauer gesagt war es ein Freund, der ihn aussprach. Kennt ihr M hoch Zwei?«
Die Elfen schauen sich an, doch nur die ältere nickt.
»Sie ist eine langjährige Freundin, die mir vor vielen Jahren in einer ähnlichen Situation half. Nun ja, damals ging es natürlich nicht um die Entführung Saphiras, sondern um Hilfe im Kampf gegen einen Feuerdrachen. M hoch Zwei war damals etwa drei Jahre älter als du.« Versonnen weilt Katherin in der Vergangenheit, während Ainoa sie ebenso erstaunt ansieht, wie Anna.
»Das muss ja Ewigkeiten her sein«, denkt das Mädchen.
»Das kannst du laut sagen!«, antwortet die junge Elfe. Sofort blicken sich beide ungläubig an. Die besondere Verbindung zwischen ihnen äußert sich als Folge der Energieübertragung also derart, dass sie sich über Gedanken verständigen können. Ein feines Kribbeln läuft Anna über den Nacken.
»Heißt das, du kannst jetzt alles hören, was ich denke?«
»Nein, nur wenn du das zulässt. Du kannst es auch gezielt blockieren. Ich übrigens auch.«
»Das ist gut. Ich weiß nicht, ob du in alle meine geheimen Gedanken eindringen sollst.«
»Tu ich nicht, versprochen!«
»Danke. Ich halte mich auch zurück!« Beide grinsen sich an, ohne dass Katherin den Grund versteht.
»Habe ich etwas verpasst?« Doch eine Antwort bleibt aus. Die Elfe und das Mädchen wollen ihr kleines Geheimnis vorläufig für sich behalten. Sie blicken scheinbar verständnislos zurück.
»Ich möchte …«, beginnt Anna. Sie hüstelt einmal und fragt dann gedanklich Ainoa. »Wie ist das eigentlich, wenn ich in meine Welt zurückkehre und dann wieder in die Anderswelt möchte. Kann ich dich dazu herbeirufen?«
»Über Gedankenverbindung ist das jederzeit möglich!«, sendet die junge Elfe. »Egal von wo du mich rufst, ich werde dich hören.« Das Mädchen nickt und spricht jetzt ihre Gedanken aus.
»Ich möchte gern zurück in meine Welt, verspreche aber, zu euch zurückzukommen. Ich werde alles versuchen, um Saphira zu retten. Vorher will ich mich aber in alten Büchern unserer Bibliothek informieren, wie ich mich bei euch gegen einen Angriff eines Eisdrachen oder anderer Kreaturen des Bösen schützen kann. Ich werde mich auch mit M hoch Zwei unterhalten. Ist es möglich, dass Ainoa mich jeweils gegen Mitternacht der folgenden Tage fragt, ob ich bereit bin?« Beide Elfen bestätigen das. Anna hofft, dass während ihrer Abwesenheit von der Anderswelt dort nicht zu viel Zeit verstreicht, doch darin versucht Ainoa sie gedanklich zu beruhigen.
»Ein Tag in deiner Welt führt zu keiner zeitlichen Beeinflussung bei uns. Die Zeit vergeht parallel, also genauso schnell oder langsam.« Obwohl Katherin zustimmt, dass sich Anna bestmöglich auf ihre Aufgabe vorbereitet, möchte sie ihre Tochter so schnell wie möglich aus der Gewalt der Entführer befreit wissen. Das Mädchen verspricht, sich zu beeilen und erkundigt sich danach, ob die Reise von einer Welt in die andere erneut zu körperlichen Schwierigkeiten führen wird. Auch da wird sie beruhigt. Nur der erste Übertritt ist manchmal gefährlich.
»Danach ist es wie das Überqueren eines Flusses durch Schwimmen«, sendet Ainoa.