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|6|Einführung

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IN DEN LETZTEN 30 JAHREN zeigte sich ein Großteil der wissenschaftlichen Gemeinschaft geradezu besessen von der Idee des Aussterbens biologischer Arten und besonders vom Aussterben der „Dinosaurier“ am Übergang von der Kreidezeit zum Paläogen. Dieses Interesse bestand schon lange vor der gegenwärtigen Sorge über ein mögliches „sechstes“ Aussterben – ein hypothetisches Ereignis, das vielleicht in der Zukunft einmal eintreten wird und dessen Name sich an die sogenannten großen Fünf anlehnt, die fünf vergangenen (Massen-)Aussterbeereignisse, die sich durch Fossilien nachweisen lassen. Die Gründe für diese Befürchtung und das anhaltende Interesse an Themen rund um das Aussterben sind zahlreich und vielfältig, doch sie haben eine gemeinsame Quelle. Die Vorstellung vom Aussterben ruft heute in den meisten Menschen eine hochemotionale Reaktion hervor, nicht zuletzt aufgrund einer intuitiven Besorgnis über die Veränderungen unserer zunehmend unnatürlichen Umwelt. Beim Anblick des Niedergangs von Landschaften, Tieren und Pflanzen auf lokaler, regionaler und sogar globaler Ebene kommen wir nicht umhin, eine dunkle Vorahnung zu empfinden und offensichtliche Parallelen zwischen dem Zustand unserer eigenen Spezies und dem Schicksal anderer, viel älterer Spezies zu ziehen, die in ferner Vergangenheit über die Erde „herrschten“.

Über das Aussterben von Arten ist eine Menge geschrieben worden. Viele Abhandlungen zu diesem Thema erklären das Problem, das Aussterben im Allgemeinen oder einzelne Aussterbeszenarien zu verstehen, für bereits gelöst (z.B. Raup 1991, Ward 1995, Alvarez 1997). In Wahrheit liegt ein detailliertes Verständnis der rätselhaften Aussterbeprozesse selbst für die wissenschaftliche Gemeinschaft noch in weiter Ferne, was sich an der einfachen Tatsache ablesen lässt, dass die „Aussterbedebatten“ zu den langlebigsten wissenschaftlichen Kontroversen aller Zeiten gehören. Wenn tatsächlich ein Konsens darüber erreicht worden wäre, was die Dinosaurier, Ammoniten und ihre Verwandten „umgebracht“ hat (siehe Alvarez u.a. 1980, Schulte u.a. 2010), warum stehen dann so viele professionelle Paläontologen – und besonders jene, die den fossilen Befund am besten kennen – abseits davon (siehe etwa Archibald u.a. 2010)? Welche Schlussfolgerungen könnten oder sollten wir in Anbetracht des augenblicklichen Wissensstands über das Phänomen des Aussterbens für den heutigen wie auch zukünftigen Umgang mit unserem Planeten ziehen? Welcher Art Katastrophe bedarf es, um 50, 60 oder 75, vielleicht sogar 90 Prozent aller Land- und Meerestiere auszurotten, wie es wiederholt in der Erdgeschichte geschehen ist? Was |7|verursacht diese Art von Umweltveränderungen, die die Aussterberaten in so erstaunliche Höhen treiben, und über welche Zeiträume geschieht das? Am wichtigsten ist vielleicht die Frage, wie sich ein Planet nach Verwüstungen solcher Größenordnung wieder erholt.

Während eines Großteils meiner wissenschaftlichen Karriere habe ich das Aussterben von Arten erforscht und darüber geschrieben, wobei mir der fossile Befund als die primäre Datenquelle diente. Meine Kollegen und ich sind (buchstäblich) mit diesem Forschungsprogramm aufgewachsen, mit dieser wissenschaftlichen Debatte, dieser öffentlichen Kontroverse. Wie jeder, der an irgendeiner menschlichen Aktivität teilnimmt, habe auch ich eine persönliche Meinung, die, wie ich glaube, der plausibelsten Interpretation der meisten derzeit vorhandenen Beweise entspricht. Ich stimme den Erklärungen einiger meiner Kollegen nicht zu, und einige von ihnen stimmen mir nicht zu. Das muss in einer gesunden wissenschaftlichen Debatte so sein. In diesem Buch will ich jedoch nicht einfach zugunsten meines eigenen Standpunkts argumentieren und alle Gegenbeweise beiseitelassen. Vielmehr möchte ich die Ausgangsdaten von Forschern jeglicher Couleur so neutral wie möglich präsentieren, mit all jenen Nuancen, Lücken und Mutmaßungen, auf die in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen oft verzichtet wird. Wenn alle diese Beweise vorgelegt wurden, ist es dann am Leser, seine eigenen Schlüsse über das Aussterben der Arten zu ziehen, über die Geschehnisse der Vergangenheit und darüber, was in der Zukunft geschehen könnte. Zweifelsohne werden meine eigenen Vorurteile manchmal durchscheinen. Das ist unvermeidlich. Ich verspreche hiermit, dass ich gewissenhaft versuchen werde, jene Stellen zu kennzeichnen, an denen ich meine eigene Meinung oder Interpretation vertrete. Vor allem aber hoffe ich, eine kleine Ahnung von der Spannung, der Neugierde, den Frustrationen und dem Gefühl der Größe vermitteln zu können, welche das Studium eines der normalsten Prozesse der Natur, aber auch eines ihrer dunkelsten Mysterien begleiten.

Man sagt, das Geheimnis eines langen Lebens ist es, eine unheilbare chronische Krankheit zu haben und diese immer weiter zu behandeln. In demselben Sinne liegt das Geheimnis eines produktiven wissenschaftlichen Lebens darin, ein unlösbares chronisches Problem zu haben und unentwegt daran zu arbeiten. In dieser Hinsicht können ich und meine Kollegen in allen interpretatorischen Lagern uns sehr glücklich schätzen.

Arten sterben

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